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Methode und Vorhaben

Im Dokument Muße in (Seite 38-64)

Wie wir gesehen haben, verweist die Formulierung der ledig m2ssekeit in der Vita Heinrich Seuses auf ganz verschiedene Momente eines Zusammenhangs, der hier anhand der Beschreibung der ‚Muße geistiger Tätigkeit‘ gefasst wird.

Wenn in der vorliegenden Untersuchung für Darstellungen in mystischer Litera­

tur von einem solchen Zusammenhang die Rede ist, sind damit – so kann noch einmal resümiert werden – die folgenden Aspekte angesprochen: Muße meint – eine grundsätzliche Freiheit von äußerlichen Zielsetzungen und eine

Per-spektive des Geistigen in jedem, auch äußerlichem Tun, die insbesondere in Überlegungen zur geistigen Abgeschiedenheit und Gelassenheit gefasst sind.

– einen inneren Zusammenhang ‚tätiger Untätigkeit‘ in geistiger Aktivität, welcher beispielsweise im Zusammenhang des Konzeptes der Ruhe, aber auch in der Gelassenheit als Verbindung eigenen Bemühens mit einem offenen Ein­

lassen begegnet.

– eine wesentliche Offenheit des Menschen für die göttliche Wirkmacht, die sich aus der geistigen Perspektivnahme der Abgeschiedenheit in ledecheit nie­

derschlägt.

Die genannten Momente lassen sich in den untersuchten Texten, die die begriff­

lichen Zusammenhänge auf vielfältige Weise zur Darstellung bringen, zunächst in zwei Instanzen festhalten, die im Folgenden als Grundlage der Analyse die­

nen. Eine erste solche Instanz liegt in einzelsprachlichen Bezeichnungen, die es hinsichtlich ihrer Wortbedeutung im Zusammenhang mit dem Komplex der Muße geistiger Tätigkeit in verschiedenen Verwendungszusammenhängen zu untersuchen gilt. Ein Beispiel solcher Bezeichnungen der Muße geistiger Tätig­

keit ist hier schon begegnet: Seuses dialogische Ausgestaltung der Formulierung ledig m2ssekeit führt auf prominente Weise zwei Bezeichnungen zusammen, ge­

nauer die Bezeichnung ledig sowie die Bezeichnung m2ssekeit, um diese gerade in ihrem Zusammenhang als Bezeichnungen der Muße geistiger Tätigkeit auf­

zuweisen. Weitere Bezeichnungen, die als Orientierungspunkte dienen können, wurden ebenfalls bereits angesprochen: Neben muoze und müezecheit gilt das Interesse Bezeichnungen wie otium, ledecheit, abegescheidenheit, gelâzenheit und ruowe sowie mit ihnen zusammenhängenden Wortformen.

Mit der Untersuchung einzelsprachlicher Bezeichnungen bewegt sich die Analyse aber auch immer schon auf einer zweiten Ebene: Die verwendeten Be­

zeichnungen eröffnen in den untersuchten Texten Darstellungen besonderer Konzepte der Muße geistiger Tätigkeit. So ist mit Überlegungen zur Abgeschie­

denheit beispielsweise ein Konzept geistiger Perspektivnahme, mit Ausführun­

gen zur ledecheit das Konzept der Offenheit und positiven Unbestimmtheit des menschlichen Geistes oder mit der Bezeichnung der ruowe das Konzept der ein­

fachen Bewegung Gottes aufgerufen. Insofern derartige Konzepte in den Texten versprachlicht werden, teilweise unter Verwendung der genannten einschlägigen Bezeichnungen, können sie mit diesen in einen Zusammenhang gebracht und in diesem Zusammenhang genauer analysiert werden.1

Zu den genannten Bezeichnungen und Konzepten kommt außerdem eine dritte Instanz, der bei der Untersuchung von Texten der mystischen Literatur ebenfalls das Interesse der Analyse gelten muss. Die Versprachlichung des se­

1 Der für ein solches Verständnis grundlegende Zusammenhang der Semantik einzel­

sprachlicher Bezeichnungen mit außersprachlichen Konzepten ist bei Andreas Blank, Ein­

führung in die lexikalische Semantik für Romanisten, Tübingen 2001, 129–140, bes. 132–133 nachzuvollziehen. Blank unterscheidet in einer ‚3­Ebenen­Semantik‘ das „lexikalische Wis­

sen (Zeichen), das einzelsprachlich­sememische Wissen (Zeicheninhalt) und das enzyklopä­

dische Wissen (Konzept)“ (ebd., 130; vgl. auch die schematische Darstellung des der 3­Ebe­

nen­Semantik zugunde liegenden semiotischen Modells ebd., 9). Zwischen der zweiten und dritten Ebene sieht Blank einen kategoriellen Unterschied: „Seme sind als Wissensaspekte aus dem enzyklopädischen Wissen abstrahiert, unterscheiden sich also von daher nicht sub­

stanziell von anderen Wissensaspekten, sie sind jedoch darüberhinaus auch einzelsprach­

lich distinktiv und haben somit – als Bescheibungsinstrumente des einzelsprachlich­lexika­

lischen Wissens – einen kategoriell anderen Status.“ (ebd., 131–132) Die oben beschriebene Möglichkeit, ‚enzyklopädisches Wissen‘ wiederum in Zeichen oder Zeichenfolgen und so die genannten Konzepte zu versprachlichen, bleibt mit dieser Unterscheidung erhalten. So sind in den hier untersuchten Bezeichnungen und Konzepten die bei Blank angeführten drei Ebenen angesprochen: zunächst die einzelsprachliche Bedeutung einzelner Bezeich­

nungen, die sich aus der jeweiligen Wortsemantik sowie aus dem jeweiligen Verwendungs­

kontext (bei Blank gefasst als „syntagmatische Relationen“ (ebd. 133), so „Kollokationen, Wortbildungen oder Phraseologismen“) ergibt, außerdem die Entwicklung enzyklopädi­

schen Wissens, die mit einer solchen Bedeutung und Bedeutungskonstitution eng korreliert und den Aufruf beziehungsweise die Neuformung von Konzepten bedingt. Einen solchen Zusammenhang sieht durchaus auch Blank, wenn er formuliert: „Im Gegensatz zum lexi­

kalischen Wissen, das neben bestimmten grammatischen Informationen v.a. die Bezeich­

nungen einer lexikalischen Einheit im Wortschatz angibt, ist das enzyklopädische Wissen wiederum reines ‚Bedeutungswissen‘. Als solches umfasst es auch jene Bedeutungsmerk­

male, die einzelsprachlich relevant sind. Das einzelsprachlich­sememische Wissen ist also von der semantischen Substanz her identisch mit dem enzyklopädischen Wissen, es gliedert sich aus diesem jedoch durch seine besondere Relevanz im Lexikon einer Sprache aus und erhält dadurch seinen besonderen Status als semantisches ‚Kernwissen‘.“ (ebd., 138) Der in der vorliegenden Untersuchung zur Verwendung kommende ‚Konzept‘­Begriff rekurriert damit aber – anders als bei Blank – auch auf einzelsprachliche Darstellungen konzeptueller Zusammenhänge, die als solche erst auf das einer Darstellung zugrundeliegende ‚enzyklo­

pädische Wissen‘ schließen lassen.

27 mantischen Zusammenhangs der Muße geistiger Tätigkeit in einzelnen Wort­

verwendungen und konzeptuellen Ausführungen ist in den hier untersuchten Texten in narrative Formen der Darstellung eingebettet. Dies gilt beispielsweise für die Predigten Meister Eckharts, wenn in diesen die Möglichkeit eines ge­

lassenen Lebens im Handeln der Figuren oder in spezifischen Räumen geisti­

ger Tätigkeit zur Darstellung kommt. Auch die bereits vorgestellte Ausgestal­

tung der Gelassenheitslehre in Seuses Vita kann als Beispiel für eine solche Dar­

stellung gesehen werden, wurde doch das kalkulierte Missverständnis und die dialo gische Auseinandersetzung des Dieners mit seinem Lehrer als wesentliche Grundlage der Vermittlung des Textgehaltes aufgewiesen. Derartige Formen ge­

hen dabei deutlich über zu untersuchende einzelsprachliche Zusammenhänge des Textes in Bezeichnungen und konzeptuellen Ausführungen hinaus, sind sie doch in der Lage, auch unabhängig von einer nachweisbaren Verwendung ein­

schlägiger Bezeichnungen oder von konzeptuellen Ausführungen einen Zusam­

menhang wie den der Muße geistiger Tätigkeit in der Darstellung aufzurufen.

II.1 Zum methodischen Vorgehen

Der Weg der hier vorliegenden Untersuchung führt dabei in die gegenläufigen Richtungen zweier „grundlegende[r] sprachwissenschaftliche[r] Methoden“2: Anhand einer semasiologischen Fragestellung kann zunächst die Bedeutung einzelsprachlicher Bezeichnungen oder Formulierungen geklärt werden, wie dies einleitend bereits beispielhaft anhand der Formulierung der ledig m2ssekeit in ihrer Verwendung in der Vita Seuses durchgeführt wurde. Eine solche Unter­

suchung wird in einem zweiten Schritt von einer onomasiologischen Vorgehens­

weise begleitet: Die Bezeichnungen und Konzepte eröffnen in der ihnen eigenen Verwendungsweise im untersuchten Kontext einen besonderen Bedeutungszu­

sammenhang, jenen der Muße geistiger Tätigkeit. Ein solcher Zusammenhang ist dabei in den Texten nicht als solcher benannt, doch aber präsent. Seinen se­

mantischen Gehalt genauer zu bestimmen und dann nach den Möglichkeiten seiner Benennung in Bezeichnungen und Konzepten, aber auch seiner Darstel­

lung in der mystischen Literatur zu fragen, ist das Ziel onomasiologischer Frage­

stellungen in dieser Untersuchung.

2 Kurt Baldinger, „Semasiologie und Onomasiologie“, in: Roland Posner/Klaus Robe­

ring/Thomas A. Sebeok (Hg.), Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grund­

lagen von Natur und Kultur, 2. Teilbd., Berlin/New York 1998, 2118–2145, hier 2118.

II.1 Zum methodischen Vorgehen

Semasiologie und Onomasiologie

Bei den genannten Verfahren handelt es sich dabei, so kann mit Andreas Blank zum Ausdruck gebracht werden, „nicht wirklich um verschiedene Disziplinen, sondern um unterschiedliche Herangehensweisen an den Gegenstand, die zu je­

weils eigenständigen Ergebnissen führen“3. Die semasiologische und die onoma­

siologische Vorgehensweise hängen eng zusammen, insofern zunächst anhand semasiologischer Fragestellungen ein möglicher semantischer Zusammenhang einer Bezeichnung mit anderen identifiziert werden muss, um dann anhand ei­

ner onomasiologischen Orientierung weitere mögliche Bezeichnungen und Be­

schreibungen eines solchen Zusammenhangs fassen zu können. Die der ono­

masiologischen Analyse vorgelagerte Semasiologie verfolgt also zunächst eine Strategie, die, wiederum mit den Worten Blanks, „vom sprachlichen Zeichen als konstantem Element ausgeht und […] versucht, seine synchronische Bedeu­

tungsstruktur zu beschreiben“4. Sie richtet sich so auf die möglichen Bedeutun­

gen eines bestimmten sprachlichen Zeichens in verschiedenen Sprechsituationen und Textzusammenhängen.5 Demgegenüber hat die Onomasiologie, so fassen Elke Hentschel und Harald Weydt den Zusammenhang in ihren Ausführungen im Handbuch der deutschen Grammatik, eine „Perspektive, die von der bezeich­

neten Wirklichkeit ausgeht und sich fragt, welche sprachlichen Zeichen dafür in Frage kommen“6. Diesen Zusammenhang sieht auch Blank und nimmt ihn als Ausgangspunkt seiner Kritik an der semasiologischen Methode. „Diese sema­

siologische Perspektive“, so führt Blank aus, „reicht jedoch nur ein Stück weit:

Wir können nämlich auf diese Weise nicht systematisch erkennen, wie denn nun bestimmte Sachverhalte und Konzepte typischerweise konzeptualisiert und versprachlicht werden.“7 Eine onomasiologische Fragestellung gehe demgegen­

3 Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 120. Vgl. für eine Übersicht über die historische Entwicklung der Onomasiologie ebd., 121 sowie Baldinger, „Semasiologie und Onomasiologie“, 2118–2139.

4 Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 154.

5 Vgl. Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 119: „Unser Blick auf die Phäno­

mene ging dabei bisher vom sprachlichen Zeichen als konstantem Element aus. Wir haben beobachtet, welche Bedeutung(en) es hat, wie die Sprecher ihm neue Bedeutungen ‚ver­

schaffen‘ und wie seine synchronische Bedeutungsstruktur beschrieben werden kann. Eine solche Herangehensweise nennt man semasiologisch“. Die Semasiologie erfasst so auch „die verschiedenen Ableitungen, Komposita und Fügungen auf der Basis eines bestimmten Wor­

tes“ (ebd.).

6 Elke Hentschel/Harald Weydt, Handbuch der deutschen Grammatik, 4., vollst. über­

arb.Aufl., Berlin/New York 2013, 87. Dementsprechend fasst Blank die Onomasiologie als

„Herangehensweise, die vom Konzept oder von den Referenten als konstantem Element ausgeht und von diesem auf die Bezeichnungen des Konzepts in einer bestimmten Sprache schließt“ (Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 154).

7 Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 120. Blank macht dabei vor allem den sprach­ und kulturvergleichenden Aspekt der Onomasiologie stark, der in der vorliegen­

den Analyse nicht von entscheidender Bedeutung ist: „Gibt es für bestimmte Konzepte und

29 über „vom Konzept, evtl. sogar vom Referenten, zu den Bezeichnungen dieses Konzepts in einer bestimmten Sprache. Die Konstante ist also das Konzept, die Variable ist die Bezeichnung.“8 So wird es möglich, verschiedene Bezeichnungen eines Konzeptes in ihrem Zusammenhang, aber auch in Abgrenzungen und Be­

deutungsverschiebungen zu untersuchen. Ein solches Vorhaben verbindet da­

bei onomasiologische mit semasiologischen Fragestellungen, insofern sich die Stoßrichtung der Untersuchung permanent wenden muss: Die onomasiologi­

sche Frage nach verschiedenen Bezeichnungen innerhalb eines konzeptuellen Zusammenhangs setzt ja ein semasiologisches Verständnis der jeweiligen Be­

zeichnungen voraus und umgekehrt.

Eine solche Verbindung semasiologischer mit onomasiologischen Fragestel­

lungen, wie sie auch den einführenden Überlegungen bereits als Methode diente, ist, wie Seraina Plotke in ihrem Beitrag zu Semantiken der Seelenruhe9 zusam­

menfasst, als „Paradoxie eines onomasiologischen Verfahrens“10 problematisiert worden. Der Sinn onomasiologischer Fragestellungen scheint sich tatsächlich zunächst aufzuheben, stellt man zu Recht fest, dass onomasiologischen Beschrei­

bungen immer semantische Analysen vorausgehen müssen, um einen onoma­

siologischen Zusammenhang zunächst aufzuweisen und in der Folge die Frage nach möglichen weiteren Elementen dieses Zusammenhangs zu stellen. Dass ein solches Vorgehen notwendig ist, bestätigte aber beispielhaft die Eingangsana­

lyse des Zusammenhanges der Muße geistiger Tätigkeit in der Formulierung der ledig m2ssekeit bei Seuse: Die im Handeln der Figuren zur Darstellung ge­

brachte Semantisierung der Bezeichnungen als Termini der Muße geistiger Tä­

tigkeit konnte nur anhand einer Verbindung von Überlegungen zur Semantik der einzelnen Bezeichnungen, so insbesondere ihrer Doppeldeutigkeit, mit deren Rückwendung auf einen möglichen onomasiologischen Zusammenhang nach­

vollzogen werden. Ein solches Vorgehen bietet so gegenüber der Frage nach der Bedeutung einer bestimmten Bezeichnung in der semantischen Analyse einen wichtigen Mehrwert: Kontrastiert man Einzelbezeichnungen mit gemeinsamen Semen in einem sogenannten Archisemem, aber auch semantische Unterschiede der einzelnen Elemente, so erweist sich mit den Worten Plotkes erst „die Idiosyn­

Konzeptfelder universelle Strategien, d. h. können wir als Menschen diese Konzepte nur auf eine bestimmte Weise wahrnehmen? Oder ist die Wahrnehmung eines Sachverhaltes von Sprache zu Sprache oder von Kulturgruppe zu Kulturgruppe unterschiedlich und ist seine Konzeptualisierung daher eher kulturspezifisch­einzelsprachlich?“ (Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 120).

8 Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 120. Vgl. für detaillierte Ausführun­

gen zur Methodik der Onomasiologie Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 122ff.

9 Vgl. Seraina Plotke, „Semantiken der Seelenruhe. tranquillitas, serenitas und impas­

sibilitas in der paganen Antike, bei den Kirchenvätern und im lateinischen Mittelalter“, in:

Burkhard Hasebrink/Susanne Bernhardt/Imke Früh (Hg.), Semantik der Gelassenheit. Ge­

nerierung, Etablierung, Transformation, Göttingen 2012, 80–112, hier 82.

10 Plotke, „Semantiken der Seelenruhe“, 82. Vgl. für eine Übersicht der Kritik ebd.

II.1 Zum methodischen Vorgehen

krasie des einzelnen Terminus“11 und markiert damit dessen Position innerhalb der Bezüge eines onomasiologisch aufzuweisenden Zusammenhangs.

Elemente eines dynamischen semantischen ‚Feldes‘

Die Onomasiologie richtet ihr Untersuchungsinteresse auf verschiedene Be­

zeichnungen eines durch diese Bezeichnungen benennbaren Zusammenhangs, dessen Funktionsweise es näher zu untersuchen gilt, will man den Status eines Zusammenhanges wie den der Muße geistiger Tätigkeit innerhalb der unter­

suchten Texte verstehen. Mit Überlegungen Kurt Baldingers kann ein solcher Zusammenhang „verschiedener, durch einzelne Seme unterschiedene, grund­

sätzlich aber in einem Archisemem verwandte Lexeme“12 als Zusammenhang eines semantischen ‚Feldes‘ gefasst werden. Die einzelnen Bezeichnungen in ei­

nem solchen ‚Feld‘ sind semantisch verbunden, insofern sie den Zusammenhang des ‚Feldes‘ auf verschiedene Weise benennen. So ist beispielsweise auch der hier untersuchte Zusammenhang der Muße geistiger Tätigkeit als ein Beispiel für ein solches ‚Feld‘ aufzufassen: Bezeichnungen wie abegescheidenheit, gelâzenheit, le­

decheit oder ruowe spannen hier den Zusammenhang der Muße in ihrer jeweili­

gen Verwendung und Semantik auf.

Neben einzelnen Bezeichnungen können auch einzelne Konzepte und kon­

zeptuelle Ausführungen im Zusammenhang eines solchen ‚Feldes‘ gesehen werden, insofern diese ebenso einzelsprachliche, in ihrer Semantik beschreib­

bare Komplexe darstellen.13 Auch das hier untersuchte ‚Feld‘ der Muße geisti­

11 Plotke, „Semantiken der Seelenruhe“, 83.

12 Vgl. Baldinger, „Semasiologie und Onomasiologie“, 2123: „Man kann aber auch von einem onomasiologischen Feld im weiteren Sinn sprechen, dann nämlich, wenn es sich nicht um Synonyma, sondern um semantisch eng verwandte Bezeichnungen handelt, d. h.

Bezeichnungen, die eine Reihe von Semen, also ein Archisemem gemeinsam haben“.

13 Vgl. zur Verhältnisbestimmung von Bezeichnungen und Konzepten, auch als außer­

sprachliches enzyklopädisches Wissen, 26, Anm. 1. Vgl. zur Beschreibung semantischer Zu­

sammenhänge in so genannten ‚Wortfeldern‘ die folgenden Ausführungen. Dem Problem der so genannten ‚Dreschflegel­Onomasiologie‘, einer Onomasiologie also, welche allein Bezeichnungen einzelner dinglicher Korrelate untersucht, ist in erster Linie Ferdinand de Saussure begegnet. Mit seinem dyadischen Modell von Bezeichnetem und Bezeichnendem, Vorstellungs­ und Lautbild, sind alle möglichen Ausgangspunkte onomasiologischer Fra­

gestellungen denkbar: Das Bezeichnete kann neben realen Gegenständen auch ein Phäno­

men oder dessen Begriff meinen, den sich ein Individuum von einem Sachverhalt macht.

So unternehmen Rudolf Hallig und Walther von Wartburg 1952 erste systematische Ver­

suche, auch für den Bereich der Onomasiologie ‚Felder‘ zu beschreiben, die mit Bezügen auf außereinzelsprachliche Konzepte statt auf dingliche Korrelate operieren. In ihrer Arbeit orientieren sie sich an einem Begriffssystem, welches „zum Beispiel die Körperteile nach sachlichen Gesichtspunkten“ (Baldinger, „Semasiologie und Onomasiologie“, 2119; Bezug nehmend auf Rudolf Hallig/Walther von Wartburg, Begriffssystem als Grundlage für die Le­

xikographie. Versuch eines Ordnungsschemas, Berlin 1952) ordnet. Darauf bauen wiederum onomasiologische Untersuchungen des Wortschatzes einzelner Autoren von anderen For­

31 ger Tätigkeit weist so zwei Klassen von Elementen auf: die bereits genannten einzelsprachlichen Bezeichnungen eines solchen Zusammenhangs, also abege­

scheidenheit, gelâzenheit, ledecheit und ruowe sowie Konzepte, die wiederum in einzelsprachlichen Darstellungen beispielsweise der Möglichkeit geistiger Abge­

schiedenheit, der Offenheit des abgeschiedenen Geistes, der Erfülltheit in Gelas­

senheit oder in der Ruhe zum Ausdruck gebracht werden. Für die Untersuchung des semantischen Zusammenhangs der Muße geistiger Tätigkeit wird eine ge­

naue Analyse dieser zentralen Elemente – sowohl relevanter Bezeichnungen wie konzeptueller Darstellungen – verfolgt.

Mit der Bezeichnung des ‚Feldes‘, die hier für einen solchen Zusammenhang gebraucht wird, ist dabei zunächst die Vorstellung einer umfassenden, struk­

turalistischen Untersuchung der semantischen Zusammenhänge von Bezeich­

nungen und konzeptuellen Ausführungen verbunden. Den Begriff des ‚Wort­

feldes‘ hat Jost Trier in dem 1931 veröffentlichten Band Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes14 geprägt und damit den entscheidenden Grund­

stein zur Entwicklung der Wortfeldforschung gelegt. Trier versteht ein Wortfeld als gegliedertes, abgeschlossenes Ganzes der Beziehungen verschiedener Worte untereinander und damit als (vermeintliche) Möglichkeit, synchrone Bedeu­

tungszusammenhänge einzelner Bezeichnungen einer Sprache erschöpfend zu beschreiben. In einem ‚Feld‘ verbundende Worte seien „Begriffsverwandte[]“15.

„Sie bilden“, so führt Trier gleich zu Beginn des genannten Textes aus, „unter sich und mit dem ausgesprochenen Wort ein gegliedertes Ganzes, das man Wortfeld oder sprachliches Zeichenfeld nennen kann.“16 Das Wortfeld, so Trier weiter, sei „zeichenhaft zugeordnet einem mehr oder weniger geschlossenen Begriffs­

komplex, dessen innere Aufteilung sich im gegliederten Gefüge des Zeichenfel­

des“17 darstelle. Ein solches ‚Wortfeld‘ speist sich also, hier nach der Darstellung Andreas Blanks, „aus Wörtern mit ähnlicher bzw. gegensätzlicher Bedeutung“18, deren jeweiliges Verhältnis genau zu erfassen der Anspruch der Wortfeldanalyse ist: „[G]etreu dem Saussureschen Diktum, dass es in der Sprache nur Gegensätze gebe“, so führt Blank diesen Zusammenhang mit Blick auf die Grundlegung schenden auf. Die Annahme eines onomasiologischen ‚Feldes‘ gegenüber der Beschreibung einer hierarchisch zu systematisierenden Ordnung begegnet dabei in gewisser Weise der Problematik, dass mit einzelsprachlichen Bezeichnungen immer auch solche angesprochen sind, welche nicht in einer klaren Opposition zu anderen Bezeichnungen zu fassen sind, also so genannte inklusive Oppositionen darstellen. Vgl. zum Problem Eugenio Coseriu, Das romanische Verbalsystem, Tübingen 1976, 11–12. Ein bestehendes Problem aller genannten Ansätze liegt aber weiterhin darin, dass sie Vollständigkeit und einen statischen Aufbau der beschriebenen ‚Felder‘ suggerieren.

14 Vgl. Jost Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Von den Anfän­

gen bis zum Beginn des 13.Jahrhunderts, Heidelberg 1931 (2.Aufl. Heidelberg 1973).

15 Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, 1.

16 Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, 1.

17 Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes, 1.

18 Blank, Einführung in die lexikalische Semantik, 15.

II.1 Zum methodischen Vorgehen

der Wortfeldtheorie in der strukturalistischen Sprachwissenschaft Ferdinand de Saussures aus, „besteht der semantische ‚Wert‘ (die valeur) eines Wortes dann ge­

nau in den Aspekten, die es von den anderen Feldmitgliedern unterscheidet.“19 Tatsächlich verfolgt schon Trier einen solchen Anspruch der erschöpfenden se­

mantischen Beschreibung eines Wortes: „Und daß wir genau wissen, was mit ihm [dem Wort, A.K.] gemeint ist, das liegt gerade an diesem Sichabheben von den Nachbarn und diesem Sicheinordnen in die Ganzheit der den Begriffsbe­

zirk überlagernden Wortdecke, des lückenlosen Zeichenmantels.“20 Ein Wortfeld bezeichnet also, so können die Überlegungen mit den Worten Hadumod Buß­

manns noch einmal zusammengefasst werden, eine „Menge von sinnverwand­

ten Wörtern, deren Bedeutungen sich gegenseitig begrenzen und die lückenlos (mosaikartig) einen bestimmten begrifflichen oder sachlichen Bereich […] ab­

decken sollen“21.

Versucht man, die Untersuchungsmethode der Wortfeldtheorie auf eine Be­

zeichnung aus dem hier zentralen, äußerst komplexen Zusammenhang der Muße geistiger Tätigkeit anzuwenden, wird schnell deutlich, dass die so wertvolle Be­

schreibung semantischer Beziehungen, Ähnlichkeiten und Abgrenzungen im se­

mantischen ‚Feld‘ unzureichend ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man mit dem ‚Wortfeld‘ die Erwartung einer erschöpfenden semantischen Be­

schreibung verbindet, also die bei Trier und Bußmann formulierte Vorstellung eines ‚lückenlosen Zeichenmantels‘ zur Grundlage der Untersuchung macht. Ein

‚Wortfeld‘, verstanden als semantisches Bezugssystem, das selbst wiederum in­

nerhalb verschiedener semantischer Bezüge steht, ist gegenüber einer solchen

nerhalb verschiedener semantischer Bezüge steht, ist gegenüber einer solchen

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