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6. Ein entrepreneuriales Konzept für die Schule

6.5. Handlungsempfehlungen

6.5.2. Meso-Ebene: Lehrerausbildung und -fortbildung

Sensibilisierung für „neutrale“ Unterrichtsmaterialen

Laut Birgit Rydlewski, Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalens und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Schule und Weiterbildung, ist die Frage, wer konkret Inhalte des Unterrichts in Schulen bestimmt, von zentraler Bedeutung. Ihrer Ansicht nach reicht es nicht aus, wenn fachfremden Lehrkräften oder Lehrpersonal mit möglicherweise geringem Fortbildungsgrad die Unterrichtsausgestaltung anvertraut wird. Hierbei droht die Gefahr, dass Lehrkräfte auf kostenfreie Lernmaterialien von Lobbyverbänden zurückgreifen, die subtil Interessen der Wirtschaft in den Unterricht transportieren (vgl. Landtag NRW 2014b, S. 5413).

Um dieser Gefahr entgegen zu wirken, bedarf es daher fachkundiger Lehrkräfte an Schulen, die mit der Prüfung von Unterrichtsmaterialien vertraut sind. Bei der Entwicklung des entrepreneurialen Konzepts wurden Lehrkräfte daher als ein kritischer Faktor berück-sichtigt. Lehrkräfte sollen in der Lage sein, einen Unterricht zu gestalten, der den Bildungszielen nachkommt und von wirtschaftlichen Interessen losgelöst ist. Dazu sollten Universitäten und pädagogische Hochschulen sowie Institutionen der Fortbildung sowohl angehende Lehrkräfte in der Ausbildung als auch das bestehende Kollegium mit notwen-digen Kompetenzen für eine fachkundige Prüfung von Unterrichtsmaterialen ausstatten.

Eine fundierte Aus- und Fortbildung stellt eine Möglichkeit dar, um Lehrkräfte für die subtilen Kommunikations- und Inszenierungstechniken von wirtschaftlichen Akteuren zu sensibilisieren und ihnen eine angemessene Auswahl von Lerninhalten und eine kompetente Gestaltung von lobbyfreien Lehr-Lern-Arrangements zu ermöglichen.

Ausbildung einer entrepreneurialen Lehrerpersönlichkeit

Neben der Rolle als kritischem Faktor kommt Lehrkräften auch die Aufgabe als Multiplikator zur Förderung eines unternehmerischen Denkens und Handelns zu (vgl. Creuznacher 2009, S. 214). Als Vorbilder sollten Lehrkräfte über entsprechende Haltungen und Einstellungen verfügen, die SuS für eine Entrepreneurship Education begeistern und im Unterrichtsalltag erlebbar machen. Aus- und Fortbildungen von Lehr-kräften sollten daher die Förderung von Lehrerpersönlichkeiten und ihrer Eigenschaften mit einschließen.

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Bestätigt wird diese Forderung durch Aff und Lindern, die Personalentwicklung zur Professionalisierung von Lehrkräften, z.B. durch Lehrerfortbildungen, als unverzichtbar für eine Entrepreneurship Education ansehen (vgl. Aff & Lindner 2005, S. 113). Aff und Lindner untermauern damit die Relevanz von Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und verdeutlichen, dass es maßgeblich von den Lehrkräften abhängt, ob und in welchem Umfang die Förderung von entrepreneurialen Kompetenzen und Entwicklungspotenzialen bei SuS erreicht wird. Diese Anforderungen an Lehrkräfte umfassen auch eine positive Einstellung zur Entrepreneurship Education. Um SuS für eine Entrepreneurship Education begeistern zu können, sollte in der Aus- und Weiterbildung Wert darauf gelegt werden, Lehrkräfte für die Leidenschaft von jungen Menschen zu sensibilisieren und deren Interes-sen zu berücksichtigen. Ein professionelles Handeln von Lehrkräften zeichnet sich darin aus, dass sie SuS aufmerksam zuhören und im Gespräch abholen. Auf diese Weise kann ein kreatives Denken seitens der SuS angestoßen und eine „Machen!“-Mentalität angeregt werden, die Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung seitens der SuS fördern. Mit der Überzeugung für ihr Tun können SuS Neues schaffen, aus sich heraus wachsen und Lern-fortschritte vollziehen. Stehen Lehrkräfte den Begabungen und Talenten von SuS hinge-gen verschlossen gehinge-genüber, kann der Funke nicht übersprinhinge-gen und wirkungsvolle Impulse für einen Lernprozess verlaufen im Sande. Deshalb besteht die Aufgabe der Aus- und Fortbildungen darin, diesem Verlust entgegenzuwirken und Lehrkräfte für die entrepreneurialen Lernprozesse zu öffnen.

Förderung einer konstruktivistischen Perspektive

Von Lehrkräften wird in diesem Zusammenhang auch erwartet, dass sie die Notwendig-keit erkennen, die gegenwärtige, verbürokratisierte Schulstruktur in eine entrepreneuriale Lernumgebung zu überführen und einem „offenen Lehrplan" stärker als formale Inhalte von Lehrplänen zu berücksichtigen (vgl. Europäische Kommission 2011, S. 47). Wurden Lehrer im Jahre 1890 von Kaiser Wilhelm II. noch für das Abschweifen hin zur Ausbildung eines Charakters statt der Konzentration auf Lernen und Wissen kritisiert (vgl. Michael &

Schepp 1993, S. 187), wird dies nach dem heutigen Verständnis eingefordert. Lehrkräfte sollen eine konstruktivistische Sichtweise annehmen und SuS bei ihren Planungstätig-keiten unterstützen und ihre Lernbedürfnisse und -hintergründe entsprechend in den Lernprozessen einbeziehen.

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"Thus teachers need the professional competencies to be able to guide students through the learning process rather than, as in traditional methods, communicating knowledge and information mainly through ‘chalk and talk’”

(Europäische Kommission 2011, S. 19)

Lehrkräfte bilden den zentralen Anknüpfpunkt für die Realisierung einer Entrepreneurship Education in Schulen. Nur mit und durch sie kann eine Einbindung von Entrepreneurship Education in den Unterricht erfolgen. Um diesen Paradigmenwechsel vom Instrukteur zum Konstrukteur vollziehen zu können, müssen Lehrkräfte aber entsprechend vorbereitet werden. Wie die Europäische Kommission feststellt, werden Pädagogen in den Schulen europäischer Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Etablierung einer Entrepreneurship Education nicht unterstützt oder richtig ausgebildet (vgl. Europäische Kommission 2015, S. 67 f.). Es fehlt den Lehrkräften an einem Bewusstsein für die Relevanz von unterneh-merischem Denken und Handeln im Hinblick auf den Unterricht (vgl. Europäische Kom-mission 2015, S. 67 f.).

Förderung eines unternehmerischen Denkens und Handelns

Ohne eine Vermittlung von entrepreneurialen (Schlüssel-)Qualifikationen können Lehr-kräften nur eingeschränkt SuS zu einem entrepreneurialen Lernprozess anleiten und eine Entrepreneurship Education in Schulen realisieren. Gemäß Aff und Lindner bildet die Lehr-kraft per se daher keine Garantie für eine erfolgreiche Implementierung von Entrepre-neurship Education in der Schule (vgl. Aff & Lindner 2005, S. 114 f.). Sie unterstreichen vielmehr die Bedeutung einer entrepreneurialen Aus- und Fortbildung, da Lehrkräfte erst durch sie das nötige Bewusstsein und die erforderlichen Kompetenzen für die Vermittlung eines unternehmerischen Denkens und Handels erwerben.

Um ihrer zukünftigen bzw. alltäglichen Arbeit zur Erfüllung des Lehrauftrags gerecht zu werden, sind Lehrkräfte in der Erstausbildung bzw. beruflichen Praxis auf die Unterstüt-zung von entrepreneurialen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen angewiesen. Es reicht nicht aus, auf die durch eigene Lebensführung erworbenen Alltagskompetenzen zu ver-trauen. Über Aus- und Weiterbildung sollten Lehrkräften grundlegende Vermittlungsan-sätze für ein unternehmerisches Denken und Handeln vermittelt und geeignete Methoden

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und umfangreiches Wissen zur Verfügung gestellt werden. Somit steht die Vermittlung von Fähigkeiten im Mittelpunkt, die weit über fachwissenschaftliches Wissen hinausgehen:

„Overall teachers need to be highly competent as multi-disciplinary facilitators […] with a wide range of personal enterprising skills including ability to handle: problem solving ‘approaches’; experience exchange;

encourage creative thinking and in general facilitate the learning process rather than formally and didactically lead it from an expert position”

(Gibb 1996, S. 15).

Wie eine Untersuchung der Europäischen Kommission festgestellt hat, werden entrepre-neuriale (Schlüssel-)Qualifikationen allerdings selten in der Lehrerausbildung berück-sichtigt. Insbesondere Kreativität ist nicht vollständig in die Ausbildung eingebettet.

Etwa 90 Prozent der Lehrkräfte äußerten, dass sie gerne eine Weiterbildung hinsichtlich Kreativität erhalten würden (vgl. Europäische Kommission 2011, S. 3). Insofern fühlten sich Lehrkräfte bei der Förderung kreativer und innovativer Lernansätze nicht ausreichend unterstützt. Aus- und Fortbildungen sollten an diesem Mangel ansetzen und Lehrkräften entrepreneuriale (Schlüssel-)Qualifikationen und deren Vermittlungsmöglichkeiten näher-bringen, um SuS letztlich die Aneignung eines unternehmerischen Denkens und Handelns zu ermöglichen.

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