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chon zur Bauzeit wurde in Beschreibungen von Kreuzen­

stein auf die Metapher des Bildes zurückgegriffen, um die außergewöhnliche Erscheinung einer mittelalterlichen Burg in der Gegenwart des frühen 20. Jahrhunderts einigermaßen tref­

fend zu charakterisieren.587 Wenn ein Bauwerk, das selbst in ver­

stärktem Maß als » Bild « wahrgenommen wurde, hier mit zeit­

genössischen Bildmedien in Korrespondenz gesetzt wird, dann sollen dadurch nicht nur spezifisch mediale Qualitäten seiner Architektur zum Vorschein gebracht, sondern auch Verbindun­

gen zu anderen visuellen Formen der Rekonstruktion und Ver­

gegenwärtigung von Geschichte hergestellt werden, die ihrer­

seits nicht ohne Einfluss auf die Konzeption von Kreuzenstein geblieben sind. Diese verschränkende Betrachtung erlaubt es zu­

dem, Kreuzenstein innerhalb einer Kultur zu positionieren, die wie keine vor ihr von einer erweiterten visuellen und raum­zeit­

lichen Wahrnehmung geprägt war.588 Es ist daher kein Zufall, dass gerade Kreuzenstein bereits um 1900 eine zweite, außeror­

dentlich wirkungsvolle Realität im Medium der Fotografie eta­

blierte, war der Bau doch von Anbeginn zugleich für eine bild­

mäßige Betrachtung als » begehbares Bild « konzipiert worden.

Die aufregende Vorstellung, an einen anderen Ort oder in eine andere Zeit reisen zu können, kam in Kreuzenstein ebenso zum Tragen wie in den Massenvergnügungen der ersten historischen Themenparks. Das Nachstellen historischer Ereignisse im Tab­

leau vivant, die den Betrachter umfassende Inszenierung des Pa­

noramas und die authentische Visualisierung von Geschichte im Historienbild erfuhren in Kreuzenstein ihre Erweiterung in die dritte Dimension. Mit den vielfältigen Bezügen zu diesen Me­

dien des 19. Jahrhunderts, die in bild­ und wahrnehmungstheo­

retischer Hinsicht bereits spätere Entwicklungsschritte in der medialen Repräsentation von Geschichte und der Konstruktion virtueller Räume ankündigen, wird die Modernität von Kreuzen­

stein offensichtlich. Dass sich schließlich gerade Kreuzenstein

S

bestens als Filmkulisse eignet und dadurch eine zweite mediale Existenz jenseits seiner gebauten Realität entwickelt hat, ist un­

ter dem Gesichtspunkt des Aufeinandertreffens und Interagie­

rens zweier gewissermaßen kompatibler Medien nicht verwun­

derlich. Der Schritt vom begehbaren Bild zum bewegten Filmbild war in Kreuzenstein ebenso konsequent wie kurz.

Fotografie

Seine erste mediale Erweiterung erfuhr Kreuzenstein in der Fo­

tografie. Jene historischen Aufnahmen, die bis heute die Rezep­

tion der Burg bestimmen, sind keineswegs das Ergebnis einer zu­

fälligen Bildproduktion, sondern gehen auf eine systematische, jahrzehntelange fotografische Kampagne zurück. Auch wenn wir keine Belege dafür besitzen, ist anzunehmen, dass der Bau­

herr von Kreuzenstein den Prozess und das Resultat des Wieder­

aufbaus nicht nur bestmöglich fotografisch dokumentieren las­

sen wollte, sondern darüber hinaus auch zu bestimmen versuchte, welche Bilder an die Öffentlichkeit gelangten. Von der schlichten Ansichtskarte bis zum repräsentativen Mappenwerk wurde die fotografische Darstellung Kreuzensteins, wie es scheint, bewusst gesteuert – ein regelrechter Bilderkanon entstand, der bis heute andeutet, in welcher Weise die Architektur der Burg und ihre Aus­

stattung nach den Wünschen des Bauherrn gesehen und interpre­

tiert werden sollten.

Die Entscheidung, den Wiederaufbau von Kreuzenstein foto­

grafisch zu begleiten, muss früh gefallen sein : Der junge Foto­

graf Wilhelm Burger nahm bereits in den 1860 er Jahren die kärg­

lichen Reste der alten Burg auf und schuf damit die Vorlagen für die spätere eindrucksvolle Gegenüberstellung mit dem Geleiste­

ten. 〚 43 〛 Burger sollte den Unternehmungen des Bauherrn treu bleiben : Nachdem er zwischen 1868 und 1870 die k. k. Expedition nach Ostasien begleitet hatte, wurde er 1872 von Wilczek einge­

laden, seine Eindrücke der Expedition fotografisch zu fixieren.589 Wohl noch vor der Reise hatte sich der spätere Bauherr von Kreu­

zenstein bei Burger zu einem ernstzunehmenden Amateurfoto­

grafen ausbilden lassen.590 Welch große Bedeutung Wilczek der Fotografie als Medium der Dokumentation und Darstellung sei­

ner Unternehmung beimaß, belegt eine dem Kronprinzen gewid­

mete Kassette mit 50 Albuminabzügen und 43 Stereoaufnahmen der Polarxpedition, die die alleinige Signatur Wilczeks tragen, obwohl sie tatsächlich zum Großteil von Burger stammen dürf­

ten.591 In jedem Fall galt Burger nach der Rückkehr nach Wien als einer der führenden Spezialisten der Expeditionsfotografie.592

Zwischen seinen zahlreichen Reisen widmete sich Burger in den folgenden Jahren und Jahrzehnten auch der Dokumentation von Wilczeks größtem Projekt, die er » als eine Art Cultus « betrieb.593 Dabei war die räumliche Nähe zu seinem Auftraggeber und des­

sen Architekt sicherlich von Vorteil : Seit 1885 befand sich sein Atelier im Palais Wilczek in der Wiener Herrengasse, wo zu jener Zeit auch der Architekt von Kreuzenstein, Karl Gangolf Kayser, wohnte ; ab 1894 hatte der nunmehrige k. u. k. Hof­Fotograf im Pa­

lais zudem seinen Wohnsitz.594

Burgers Fotografien von Kreuzenstein, deren Umfang sich der­

zeit nur annähernd anhand von mehr als 300 Glasnegativen im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek bestimmen lässt,595 sind zum Großteil datiert und in unterschiedlich numme­

rierten » Serien « geordnet. Burgers Aufnahmen waren » so glän­

zend « durchgeführt, » daß er den berühmten kgl. Preußischen Hofphotographen Anschütz bei ähnlichen Arbeiten ( Ansicht von Marienburg ) weit überflügelte «, wie der Präsident der Photogra­

phischen Gesellschaft in Wien, Josef Maria Eder, im Jahr 1904 an das Ministerium für Kultus und Unterricht schrieb.596

Die Fotografien wurden in unterschiedlicher Form veröf­

fentlicht. Im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien hat sich ein unvollständiges Mappenwerk mit dem Titel

» Aus der Burg Kreuzenstein « erhalten.597 Schriftlich überliefert sind außerdem drei Exemplare eines Albums mit dem Titel » Bei­

träge zur Kenntnis des Baues der Burg Kreuzenstein « mit 115 Fo­

tografien Burgers, die sich im Besitz Kaiser Wihelms II., seiner Mutter, der Kaiserin Friedrich, und des Fürsten Johann II. von Liechtenstein befanden.598 Der von Walcher von Molthein 1914 veröffentlichte Band » Burg Kreuzenstein an der Donau « wandte sich dagegen bereits an ein größeres, wenn auch immer noch aus­

gesuchtes Publikum und präsentierte Burgers Fotografien, dar­

unter besonders viele vor neutralem Hintergrund freigestellte Aufnahmen von Sammlungsobjekten, auf 200 Tafeln.599 Burger selbst vertrieb um 1900 nicht weniger als 160 verschiedene Num­

mern, » Photographische Originalaufnahmen von Kreuzenstein in Großquartformat als Mattdrucke oder Platinotypien [ … ], enthal­

tend die Außenansichten u. sämtliche Interieurs der Burg «, die er auf dem Umschlag einer Ansichtskartenserie nach eigenen Auf­

nahmen bewarb. Im Gegensatz zu den teureren großformatigen Abzügen, die vor allem bei Sammlern und Museen auf Interesse stießen, fanden die wohl vor Ort käuflich zu erwerbenden Korre­

spondenzkarten im Intaglio­Druckverfahren als » Kreuzensteiner Souvenir «, in zwei Serien zu je 12 bzw. 24 Aufnahmen oder stück­

weise große Verbreitung beim Publikum. Auf diesem Wege wurde ein offiziöses » Image « der Burg verbreitet, und die Silhouette von

Kreuzenstein geriet zu einem der populärsten und bekanntesten Motive in der Umgebung Wiens. Bereits lange vor der Fertigstel­

lung im Jahr 1906 hatte sich Kreuzenstein als Ausflugsziel etab­

liert, was nicht zuletzt auch in der Vielzahl von Ansichtskarten mit Motiven unabhängiger Fotografen zum Ausdruck kommt.

Sie beschränken sich allerdings, soweit bisher bekannt, auf Au­

ßenaufnahmen. Es ist daher anzunehmen, dass Burger an dieser Stelle exklusive Rechte eingeräumt worden waren. Auffällig ist, dass Baustellenfotos, die uns aufgrund ihres eigenartigen Effekts der fotografischen Wiedergabe einer » mittelalterlichen « Bau­

stelle heute besonders faszinieren, auf keiner der bisher bekann­

ten Ansichtskarten überliefert sind.600 Burger hat allerdings ge­

rade die Wiederaufbauarbeiten ausführlich dokumentiert ; seine Fotografien dienten auch als Grundlage für die weitere Planung einzelner Bauabschnitte.601 Darüber hinaus umfasste Burgers Do­

kumentation sämtliche Innenräume der Burg, die oft in mehre­

ren Ansichten festgehalten wurden, sowie eine große Zahl von Objekten aus der Sammlung des Bauherrn ; auch die Zerstörungen durch den Brand von 1915 wurden von ihm festgehalten.

Die Verwendung außergewöhnlich großer Glasplatten er­

laubte Abzüge mit bis in die Textur der Objekte reichender Tie­

fenschärfe. Dramatische Inszenierungen waren Burgers Sache nicht, wenn er sich auch bei Aufnahmen wie jenen des Burggra­

bens 〚 58, 59 〛 dazu herausgefordert gesehen haben mag, die Wir­

kung der örtlichen Gegebenheiten durch die Fotografie zu stei­

gern. So finden sich kaum Nahaufnahmen der Burg von außen mit starken Überschneidungen, wie sie die reale Wahrnehmung bestimmen, vielmehr wird die Silhouette des Baues als Ganzes und aus allen Himmelsrichtungen beschrieben. Auch bei den In­

terieurs stand die möglichst präzise und umfassende Dokumen­

tation des Vorhandenen und seiner Aufstellung im Vordergrund, wobei auch Veränderungen in der Präsentation – etwa im Fall der Waffensammlung – festgehalten wurden. Das Festhalten oder Er­

zeugen einer besonderen » Stimmung « war offensichtlich nach­

rangig. Die Fotografien erfassen die größeren Räume zumindest aus zwei Richtungen, wobei Eckansichten häufig sind. Die Zahl der Fotografien einzelner Räume lässt dabei auf ihre Bedeutung für den Bauherrn schließen : Rüstkammer, Kapelle und Herren­

stube – das private Refugium des Bauherrn – wurden am häu­

figsten aufgenommen. Das einströmende Tageslicht ist für Bur­

ger nicht störend, er lässt es vielmehr durch die Räume fluten.

Künstliches Licht dürfte Burger nur dort verstärkt eingesetzt ha­

ben, wo die Verhältnisse es nicht anders zuließen, wie etwa in der durch einen Scheinwerfer ausgeleuchteten Seitenapsis der Kapelle. 〚 78 〛 Insgesamt zeugen die Fotografien in ihrer ruhigen