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Material und Vorgehen in den Realbedingungen 1. Instruktion und Cover-Story 21

Hypothese 1: In idealtypischen Zivilcourage-Situationen ist die mittels Fragebögen erfasste, antizipierte Bereitschaft, zivilcouragiert zu intervenieren, höher als das Ausmaß

3.2. Überblick über die Experimente

4.2.2. Material und Vorgehen in den Realbedingungen 1. Instruktion und Cover-Story 21

Die Vpn wurden telefonisch zu einer Untersuchung zum Thema „Preiswahrnehmung“

eingeladen. Der eigentliche Untersuchungsgegenstand wurde dabei nicht erwähnt. Wenn die Vp zum verabredeten Termin erschien, traf sie vor dem Laborraum auf einen vermeintlich weiteren Versuchsteilnehmer. In Wahrheit war diese Person ein Konföderierter des Versuchsleiters. Der Versuchsleiter erschien kurz darauf, begrüßte beide Personen und führte sie in den Laborraum. Dieser Raum bestand aus zwei Arbeitsplätzen, an denen die Vp und der Konföderierte getrennt voneinander Platz nehmen sollten und einem Garderobenständer, an dem mehrere Jacken und Mäntel hingen. Der Versuchsleiter erklärte, dass die vorhandenen Jacken an der Garderobe angeblich anderen Vpn gehörten, die in den angrenzenden Räumen arbeiteten. Danach erläuterte er, dass das Ziel der Studie in der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Preiswahrnehmung und physiologischer Erregung bestehe. Der Versuchsleiter erklärte anschließend den Ablauf des Experiments. So erfuhr die Vp, dass das Experiment aus zwei Teilen bestehe, wobei nur einer der beiden Teilnehmer (echte Vp oder Konföderierter) an der zweiten Hälfte des Experiments teilnehmen müsse. Der erste Teil, so der Versuchsleiter, bestehe darin, Fragebogen zum Thema Preiswahrnehmung auszufüllen. Im zweiten Teil solle einer der Versuchsteilnehmer ein Mittel einnehmen, das kurzzeitig das Erregungsniveau erhöht. Die Wirkung des Mittels beinhalte Pulserhöhung und Konzentrationsschwächen für eine Dauer von maximal 10 Minuten.

21 Eine ausführliche und wörtliche Darstellung der Instruktion findet sich im Anhang D.

Das Mittel wurde vom Versuchsleiter als unangenehm, aber medizinisch völlig unbedenklich beschrieben. Dann betonte der Versuchsleiter, dass es egal sei, wer von den beiden Teilnehmern das Mittel einnehme; wichtig für die Gültigkeit des Experiments wäre aber, dass einer von beiden Teilnehmern am zweiten Teil des Experiments teilnehme. Der Versuchsleiter erklärte, dass die Hälfte aller eingeladenen Personen vorab bei der Terminvereinbarung gefragt worden wäre, ob sie bereit wären, im Rahmen der Studie ein Mittel einzunehmen. In Wirklichkeit wurde keine der eingeladenen Vpn danach gefragt. An dieser Stelle meldete sich der Konföderierte zu Wort und gab an, bei der Terminvereinbarung sein Einverständnis zur Einnahme eines Mittels gegeben zu haben. Nachdem der Konföderierte erneut zustimmte, im Anschluss an den ersten Teil des Experiments das Mittel einzunehmen, wandte sich der Versuchsleiter an die echte Vp und teilte ihr mit, dass für sie somit nach dem ersten Teil das Experiment beendet sei und sie danach gehen dürfe. Der zweite Teil des Experiments umfasste nach den Angaben des Versuchsleiters einen Zeitraum von 5-10 Minuten, so dass die Vp diese Aufgabe hätte übernehmen können, ohne die im Vorfeld vereinbarte Dauer des Experiments zu überschreiten. Gleichzeitig sollte durch die geringe Dauer der unangenehmen Aufgabe auch verhindert werden, dass Vpn ihre Hilfe nur deshalb anbieten, weil sie unerwartet viel Zeit nach dem ersten Teil des Experiments übrig hatten. Nach dieser Instruktion füllten die Vp und der Konföderierte Fragebögen zum Thema Preiswahrnehmung aus.

Der Versuchsleiter verließ nach einigen Minuten den Raum.

4.2.2.2. Manipulation und Intervention in der Hilfe-Situation

Der Konföderierte wartete zunächst, bis die Vp die Bearbeitung des Fragebogens abgeschlossen hatte, um sich ihre Aufmerksamkeit zu sichern. Dann begann er plötzlich, aufgeregt seine Tasche zu durchwühlen mit den Worten:

„Oh nein, ich glaube ich habe meinen USB-Stick zu Hause vergessen! Oh nein, bitte nicht!“ Nachdem er seine Tasche durchsucht hatte, wandte er sich an die Vp und erklärte: „Ich muss dann noch ein Referat drüben im Blauen Turm halten.22 Dazu brauch ich aber den USB-Stick, da ist meine Präsentation drauf. So ein Mist, jetzt muss ich noch mal nach Hause und ihn holen, ich kann das Referat doch nicht auswendig halten. Und das Experiment! Mist, beides schaff ich nicht mehr.“

22 Der Blaue Turm ist ein Verwaltungs- und Seminargebäude auf dem Campus der Georg-August-Universität Göttingen.

Der Konföderierte durchsuchte noch einmal seine Tasche und wartete still auf die Rückkehr des Versuchsleiters. Reaktionen der Vp wurden als Hilfeverhalten gewertet, wenn sie dem Konföderierten oder später dem Versuchsleiter anbot, stellvertretend den zweiten Teil des Experiments zu übernehmen und das Mittel einzunehmen.

4.2.2.3. Manipulation und Intervention in der Zivilcourage-Situation

Auch in der Zivilcourage-Bedingung wartete der Konföderierte zunächst, bis die Vp die Bearbeitung des Fragebogens beendet hatte. Danach stand er auf und ging mit den Worten „Ich hol mir mal einen Kaugummi“ zur Garderobe. An der Garderobe nahm er einen USB-Stick in die Hand, der zwischen den Jacken hing und fragte die Vp: „Ist das deiner?“ Nachdem die Vp dies verneinte (alle Vpn verneinten diese Frage), steckte der Konföderierte den USB-Stick in seine Hosentasche und sagte dabei: „Na dann ist es jetzt meiner!“ Mit diesem Dialog sollte zum einen sichergestellt werden, dass die Aufmerksamkeit der Vp auf das Verhalten des Konföderierten gerichtet ist. Zum anderen sollte der Dialog auch verdeutlichen, dass der Konföderierte nicht der rechtmäßige Eigentümer des USB-Sticks ist. Als zivilcouragierte Intervention gegenüber dem Konföderierten wurden alle Reaktionen der Vp gewertet, die entweder eine direkte Aufforderung, den USB-Stick zurückzuhängen, oder die Drohung den Versuchsleiter über den Vorfall zu informieren, beinhalteten.

4.2.2.4. Abschluss und Aufklärung

Der Versuchsleiter kehrte 90 Sekunden nachdem er den Versuchsraum verlassen hatte wieder zurück und der Konföderierte verließ unter einem Vorwand den Raum. Jetzt hatte die Vp die Möglichkeit, in Abwesenheit des Konföderierten zu intervenieren, also entweder dem Versuchsleiter anzubieten, das Experiment stellvertretend weiterzuführen (Hilfeverhalten) oder den Versuchsleiter über den Diebstahl zu informieren (Zivilcourage). Im Falle einer Intervention wurde der Versuch abgebrochen und die Vp über das wahre Untersuchungsziel aufgeklärt. Wenn die Vp nicht intervenierte, wurde sie ausgezahlt und verabschiedet. Bevor sie den Raum verließ, bat der Versuchsleiter, sie noch kurz über die Hintergründe der aktuellen Studie informieren zu dürfen. Dann begann auch hier die Aufklärung.

Zunächst wurde die Vp darüber informiert, dass die Studie der Untersuchung von Hilfeverhalten und Zivilcourage diente. Dann wurde der Konföderierte wieder in den Raum gebeten und als Mitarbeiter der Untersuchung vorgestellt. Die Vp bekam dann die

Möglichkeit, ihre Gedanken und Gefühle zu der eben erlebten Situation mitzuteilen. Das Gespräch diente neben der Aufklärung über den Untersuchungsgegenstand vor allem dem Zweck, die Vp nach der erlebten Notsituation wieder „aufzufangen“, also Schuldgefühle oder Wut über die experimentelle Täuschung und das eigene, gegebenenfalls passive Verhalten zu verarbeiten.

Im Anschluss daran wurde die Vp darüber aufgeklärt, dass der gesamte Versuch mit versteckter Videokamera aufgezeichnet wurde. Der Versuchsleiter erklärte, dass diese Daten nur unter ausdrücklicher Zustimmung der Vp verwendet werden würden und dann auch nur Projektmitarbeitern zu Zwecken der Datenanalyse zugänglich sei. Alle Teilnehmer dieser Studie stimmten der Verwendung des Videomaterials zum Zweck der Datenanalyse zu. Nach dem ausführlichen Aufklärungsgespräch wurden die Vpn gebeten, noch einen abschließenden Fragebogen auszufüllen. Dieser Fragebogen erfasste soziodemografische Aspekte wie Alter und Geschlecht und enthielt zudem noch einige Fragen zur affektiven und normativen Wahrnehmung der erlebten Notsituation.

Abschließend bedankte sich der Versuchsleiter bei den Vpn für ihre Teilnahme und verabschiedete sie mit der Bitte, den Untersuchungsgegenstand nicht an potentielle Teilnehmer dieser Studie weiter zu erzählen.