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Marie-Luise Angerer

Im Dokument MEDIUM McLUHAN (Seite 21-24)

(1) Welche Rolle spielt McLuhan für Sie heute, im Jahr 2019?

Nicht unbedingt eine aktuelle, aber als historische Referenz immer mal wieder. Was McLuhan hierfür anbietet, ist eine unfreiwillige Weitsicht, die sich aus seinen überspitzten Schluss-folgerungen ergibt. So schrieb ich in meiner Analyse des Films Her von Spike Jonze (2013), dass für McLuhan eine non-literale, über das Hören sich konstituierende Gesellschaft eine prämoderne ist, in der sich (noch) keine Individualität ausgebildet hat, sondern diese akustisch organisierte Gemeinschaft gefühls- oder besser instinktgeleitet, spontan und deshalb auch chaotisch agiert. In Her wird eine Gesellschaft vorgestellt, in der der/die Einzelne zunehmend abhängig ist von smarten Systemen, die ihn/sie in seinen/ihren Alltagsgeschäften unterstützen und vor allem emotional-libidinös als Stimme im Ohr begleiten. Doch während McLuhans Lesweise weiter zu einer betäubten, amputierten und narkotisierten Sinnesorganisation führt, habe ich stattdessen das Ohr und damit das Hören als neue Schnittstelle beschrieben,

20 wodurch vor allem die Stimme sich in ihrer Funktion als Objekt klein a in einer sensorisch neu verschalteten Gesellschaft anders entfaltet – als „blinder Fleck des Rufes und als Störung des Ästhetischen“, wie Mladen Dolar (2007, 9) sie (mit Lacan und Zizek) einmal definiert hat.

Man kann an diesem Beispiel gut festmachen, wie mit McLuhan angefangen werden kann, um bestimmte Phänomene und Probleme in den Blick zu rücken, aber seine Schlussfolgerungen sind meist keine tauglichen, sondern erweisen sich als einem bestimmten Weltbild geschuldete Kurzschlüsse – die auf vielen Ebenen und in viele Richtungen heute nicht mehr zulässig sind.

(2) Welche Aufgaben hat Medienwissenschaft heute? Oder stellt sich diese Frage 2019 gar nicht mehr im Singular, muss es immer schon heißen: Medienwissenschaften?

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie wenig sich

Menschen außerhalb der Medienwissenschaft vorstellen können, was diese ist und tut. Und wenn ich Erstsemestrige frage, was sie sich vorstellen und erwarten, dann fällt doch meist der Begriff Massenmedien wie TV und Zeitungen. Nach einigen Hilfe-stellungen meinerseits werden dann auch Computer, Smart-phone oder Film als Medien „erkannt“. Sprache als Medium oder der Körper als solches leuchten leicht ein. Die Unterscheidung zwischen einem umfassenden und einem engen Medienbegriff ist allen nachvollziehbar. Eine Technikgeschichte der Medien ebenso wie eine philosophische. Doch eine kulturgeschichtliche Medien-wissenschaft, der sich in Deutschland manche der medienwissen-schaftlichen Standorte verpflichtet fühlen, ist in meinen Augen nochmal etwas anderes und sollte nachgefragter denn je sein – ist sie aber nicht, muss man ganz offen zugeben. Als Friedrich Kittlers Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft Anfang des 21.

Jahrhunderts erschien, löste diese einen kurzen Disput aus, was den Singular betraf. Doch auch die Medienwissenschaft hier-zulande betont ihren singulären Standpunkt. Ob die Zeitschrift für Medienwissenschaft, die Gesellschaft für Medienwissenschaft

oder die Europäische Medienwissenschaft in Potsdam, sie alle 21 betonen den Singular, um sich von den Medienwissenschaften abzugrenzen. Hinter dieser Ablehnung des Plurals steckt jedoch kein universalistisches Monopol, sondern möglicherweise eben die von Kittler geforderte EINE Kulturgeschichte, um dem Begriff der Kultur auf ihren historische Denk-Spuren zu folgen. Eine Mediengeschichte der Medienwissenschaft analysiert den Begriff des Mediums in seinen vielfältigen historischen, technischen, sozialen, ethischen, ökonomischen u.v.m. Verzweigungen und Verbindungen. Es gälte dann auch die Frage zu stellen, weshalb Luft, Wasser, Licht z.B. zu bestimmten Zeiten Medien sind, um wieder für Jahrzehnte diesen Status zu verlieren, oder warum gerade heute die Infrastrukturen (wieder-)entdeckt werden, nachdem die basalen (= materiellen) Bedingungen von Wissen, Wahrnehmung, Denken, Ideologie etc. schon einmal Thema waren. Das heißt, der Begriff der Medien ist weder statisch noch additiv (also ein Medium tritt zum nächsten hinzu, greift dessen Inhalte auf, und der Computer ist dann das Supermedium), sondern ist Verhandlungssache zwischen den unterschiedlichsten Kräften: was eine Gesellschaft als Medium wahrnimmt, was tech-nisch gefördert wird, was politisch unterstützt wird, in welchem Medium Geschichte wie archiviert wird, welche Kulturen wie repräsentiert, welche Stimmen gehört werden ... und wie non-/

para-humans und ihre Umgebungen von den jeweiligen Medien co-organisiert werden.

(3) „Welche Bereiche unserer Kultur werden in den nächsten Jahren vom Einfluss des Computers verschont bleiben?“ So hat 2007 die Frage gelautet. Wie stellt sie sich 2019?

Kein Bereich wird verschont bleiben, alles wird verlinkt und sensorisch verschaltet werden, außer jene Bereiche, die politisch und ökonomisch als ‚außen vor‘ definiert werden bzw. sich möglicherweise als unrentabel erweisen oder von selbst ver-abschieden. In den unterschiedlichsten Branchen zeigt sich dieses Paradoxon: Ohne geht nicht (mehr) und mit wird vieles

22 nicht unbedingt schlechter, aber auf alle Fälle neu organisiert:

man denke an Verkehr, Tourismus, Information, Bildungszugänge ... wir klicken (oder auch nicht), wir liken (oder auch nicht), wir kaufen, bestellen, schicken zurück (oder auch nicht), um unsere (digitalen) Spuren zu ziehen, die wertvoll sind, indem sie Muster des Likens, Kaufens, Handelns bilden. Autos und Züge sollen bald ohne Fahrer/in fahren, smarte Maschinen ohne humanes Eingreifen Hitze und Kälte, Bewegung und ihre Richtungen etc.

regeln. Hier drängt sich nun allerdings ein McLuhan‘sches Bild tatsächlich nochmals auf: Menschen als Geschlechtsorgane der Maschinen. Dieses von McLuhan mit Blick auf den Playboy entworfene Bild trifft heute jedoch (wenn überhaupt) anders zu – der Status von Bildern und die Bedeutung von Sexualität haben auch das, was Begehren einmal war, längst durch andere mediale Kanäle re-organisiert bzw. inzwischen grundlegend anders positioniert. Triggern, nudging, tracking können hier als mögliche Affizierungsmodi benannt werden.

Literatur

Dolar, Mladen. 2007. His Master’s Voice: Eine Theorie der Stimme. Frankfurt a. M.:

Suhrkamp.

Im Dokument MEDIUM McLUHAN (Seite 21-24)