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I. TEIL: MICHEL FOUCAULT

3. Foucaults Konzept der Gouvernementalität

3.2. Macht und Herrschaft

Innerhalb der frühen Arbeiten Foucaults findet sich keine explizite Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft.23 Durch die ähnliche Verwendung beider Begriffe ist es nur schwer möglich, zwischen ihnen zu differenzieren. Das Problem der Herrschaft war bei Foucault vielmehr als historische Tatsache vorausgesetzt und bildete den (äußeren) Ausgangspunkt seiner Machtanalyse.

Die Frage der Konstitution von Herrschaft hingegen begegnet Foucault erst mit der Konzeptualisierung der Macht als „Regierung“, wobei dem Begriff eine Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft implizit ist. Wenn sich nämlich – wie im vorigen Kapitel dargestellt – Macht durch Führung auszeichnet und „Freiheit“ eine integraler Bestandteil der Machtbeziehungen ist, dann ist es nur folgerichtig zwischen „freien“ Formen der Macht und solchen, die alternative Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten ausschließen, zu unterscheiden. Foucault wählt hierfür die Begriffe der Machtbeziehungen bzw. der strategischen Spiele und der Herrschaftszustände.

Machtbeziehungen sind durch einen Handlungsmodus gekennzeichnet, der auf das Handeln anderer einwirkt. Daraus folgt, dass Machtbeziehungen einer Gesellschaft nicht äußerlich sind, sondern „tief im sozialen Nexus“ (Foucault 2005b, 258) verwurzelt. Aus der Perspektive eines solch weit gefassten Machtbegriffs bilden Machtbeziehungen keine der Gesellschaft zusätzliche oder gegenüberstehende Struktur, vielmehr sind sie die Bedingung der Möglichkeit von Gesellschaft (vgl. ebd. 258/307):

„In Gesellschaft leben bedeutet: es ist stets möglich, dass die einen auf das Handeln der anderen einwirken. Eine Gesellschaft ohne `Machtbeziehungen` wäre nur eine Abstraktion“. (ebd. 258)

23 Lemke verweist auf drei mögliche Gründe für das Fehlen einer solchen Unterscheidung: Erstens wollte er damit die Frage der nach der moralisch-rechtlichen Legitimität der Macht umgehen; zweitens wollte er durch die Betonung der „Allgegenwart der Machtbeziehungen“ die Vorstellung eines macht- bzw. herrschaftsfreien Raums unterbinden und drittens sollte durch die Abwesenheit einer solchen Differenzierung die Aufmerksamkeit von den staatlich-institutionellen Apparaten auf die materiellen Praktiken gelenkt werden (vgl. Lemke 1997, 306)

Lemke bemerkt, auf welch elementarer Ebene gesellschaftliche Machtbeziehungen verankert sind, die sich nicht auf die Sphäre des Politischen beschränken oder in einzelnen Institutionen konzentriert sind. „Da mit jeden gesellschaftlichen Verhältnis vielfältige Formen individueller Ungleichheiten, von Zielkonkurrenzen, Institutionalisierungen und Organisationskomplexen etc. einhergehen, kommt keine Gesellschaft ohne Machtbeziehungen aus: in diesem Sinne ist Macht eine `soziales Spiel`, das unauflösbar mit dem Funktionieren einer Gesellschaft verbunden ist.“ (Lemke 1997, 307/308)

Von den strategischen Spielen unterscheidet Foucault nun Herrschaftszustände, die sich dadurch charakterisieren, dass sie das Feld der Machtbeziehungen blockieren und unbeweglich machen und somit eine dauerhafte Asymmetrie etablieren, in der keine alternativen Handlungsmöglichkeiten bereitstehen. Dies bedeutet, dass die prinzipiell freien (allgegenwärtigen) Machtbeziehungen durch politische, ökonomische oder militärische Praktiken als Herrschaftszustände institutionalisiert und verfestigt werden können.

Macht und Herrschaft wird bei Foucault allerdings nicht einfach gegenübergestellt, sondern es wird der Begriff der Regierung bzw. der Regierungstechnologien dazwischengeschaltet.

„Man muss zwischen Machtbeziehungen als strategischen Spielen zwischen Freiheiten (…) und Herrschaftszuständen unterscheiden, die das sind, was man üblicherweise Macht nennt. Und zwischen beiden, zwischen den Spielen der Macht und den Zuständen der Herrschaft, gibt es die Regierungstechnologien, wobei dieser Ausdruck einen sehr weitgefassten Sinn hat (…) Die Analyse dieser Techniken ist erforderlich, weil sich mit ihrer Hilfe die Herrschaftszustände errichten und aufrechterhalten. In meiner Machtanalyse gibt es drei Ebenen: strategische Beziehungen, Regierungstechnologien und Herrschaftszustände.“ (zit. nach: Lemke 1997, 308/309)

Regierungstechnologien sind „mehr oder weniger systematisierte, regulierte und reflektierte Formen der Machtausübung, die über den spontanen und unregulierten Charakter der strategischen Spiele hinausgehen, ohne die Dauerhaftigkeit und Fixiertheit von Herrschaftszuständen anzunehmen“. (Lemke 2006, 482/ ausführlicher: Kapitel 3.3.)

Regierungstechnologien fungieren als Bindeglied zwischen Macht und Herrschaft und erlauben es die Stabilisierung und Verfestigung von flexiblen Machtverhältnissen zu Herrschaftszuständen zu erklären.

Macht und Subjektivität

Die Betonung der Dimension der Freiheit innerhalb der Regierungsproblematik ermöglicht Foucault nicht nur eine Unterscheidung zwischen Macht und Herrschaft, sondern führt auch zu einer genaueren Untersuchung der Verbindung von Macht und Subjektivität.

Da sich das 5 Kapitel dieser Arbeit allerdings ausführlicher mit dem Thema des Subjekts bzw.

der Subjektivierung auseinandersetzen wird, ist es mir an dieser Stelle nur wichtig, einige grundsätzliche Unterscheidungen anzuführen, die für den Komplex der „Regierung“ von Bedeutung sind.

Im Gegensatz zu frühen Arbeiten erkennt Foucault nun, dass es nicht ausreicht, gegen die Annahme einer freien und autonomen Subjektivität deren Herstellung in Macht-Wissenskomplexen hervorzuheben. (vgl. Lemke 1997, 311) Es ist wichtig den Doppelcharakter von Subjektivierungsprozessen – als gleichzeitiger Unterwerfung und Produktion – und die Wechselwirkung zwischen Autonomie und Heteronomie in die Analyse mit einzubeziehen, um zu untersuchen, wie Subjekte sich selbst und andere „regieren“. Es ist der Doppelsinn des Begriffs „Führung“, der Fremd- und Selbstführung umfasst und es Foucault erlaubt, zwischen Herrschaftsmechanismen und Subjektivierungsprozessen zu unterscheiden und diese unter einer einheitlichen analytischen Perspektive zu untersuchen.24

Foucault These ist nun, dass moderne Machtmechanismen gerade „mittels“ spezifischer Subjektivierungsformen operieren. Subjektivität markiert nicht die äußerliche Grenze der Machtbeziehungen oder ist bloßes Anwendungsfeld ihrer Technologien. (vgl. ebd. 260)

„Man muss die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Technikformen – Herrschaftszuständen und Selbsttechniken – untersuchen. Man muss die Punkte analysieren, an denen die Herrschaftstechniken über Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien in Zwangs- oder

24 „Ich sage, dass das Regierungsdenken (gouvernementalitè) den Selbstbezug auf sich impliziert, was gerade bezeichnet, dass ich mit diesem Begriff des Regierungsdenkens auf die Gesamtheit der Praktiken abziele, mit denen man die Strategien konstituieren, definieren, organisieren und instrumentalisieren kann, die die Einzelnen in ihrer Freiheit im Hinblick auf die anderen haben können.“ (Foucault: zit. nach: Lemke 1997, 260)

Herrschaftsstrukturen integriert werden. Der Kontaktpunkt, an dem die Form der Lenkung der Individuen durch anderen mit der Weise ihrer Selbstführung verknüpft ist, kann meiner Auffassung Regierung genannt werden.“ (Lemke 1997, 264/ modifizierte Übersetzung: Lemke 2000, 29)

Foucault differenziert an dieser Stelle zwei „Technikformen“: Herrschaftstechniken basieren auf einem einseitigen Machtgefälle und zielen auf die Unterwerfung der Individuen unter Herrschaftszwecke. Im Gegensatz dazu rückt mit den Selbsttechniken das Selbstverhältnis des Individuums in den Vordergrund. „Technologien des Selbst“25 zeichnen sich dadurch aus, dass sie es

„Individuen ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren (…).“ (Lemke 1997, 262)

Um die Wechselwirkung zwischen Herrschaftstechnologien und Selbsttechniken untersuchen zu können, ist es notwendig, auf weitere Begriffe einzugehen, die für Foucaults Konzept der Gouvernementalität und die an ihn anschließenden Gouvernemental Studies wesentlich sind.

In diesem letzten Teil zum Konzept der Gouvernementalität bei Foucault liegt der Akzent auf der Wechselwirkung von politischen Rationalitäten, Programmen und politischen Technologien.