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in der liechtensteinischen Geschichte

4. Liechtensteinisch, nicht äbtisch oder bischöflich

Und als nach den Hexenprozessen und grausamer Auspressung durch den Grafen von Hohenems das Reich auf Vorstellungen der Bevölkerung hin diesen Landesherrn absetzte, mochten Habsburg Interesse und Geld fehlen, die zwei Landschäftlein selber zu erwerben. Das Reich schrieb sie zum Verkauf aus, beide wurden vom liechtensteinischen Fürsten Hans Adam dem Reichen - dem Ersten - gekauft, zuerst 1699 Schellenberg, dar­

auf 1712 Vaduz.

Anschlussgefabren

Dass hierbei als Kaufinteressenten auch der Bischof von Chur und der Abt von Sl Gallen auftraten, zeigt, dass das heutige Liechtenstein, hätten Bischof oder Abt höher geboten, entweder Teil Graubündens oder des äbtischen Fürstenlandes und jedenfalls Teil der heutigen Ostschweiz hätte werden können. Der Bischof von C hur zeigte ein Interesse an Schellen­

berg, weil dieses ihm bei Religionsstreitigkeiten mit den Bündner Protestan­

ten «als Asylum dienen» könnte, während er es, wie er schrieb, wegen den Erträgnissen nicht kaufen müsste. Schon schien der Bischof von Chur mit 100 000 Gulden als Käufer Schellenbergs festzustehen, als plötzlich aus der Ferne Fürst Johann Adam von Liechtenstein dem Kaiser ein höheres Ange­

bot von 115 000 Gulden machte. Der Bischof von Chur bot zwar 110 000 Gulden, überliess Hann aber Schellenberg dem Liechtenstein, der, wie der Bischof enttäuscht schrieb, offenbar überflüssiges Geld habe .

Fürst Hans Adam aber brauchte das reichsunmittelbare Gebiet, um zur Fürstenwürde auch den wirklichen Einsitz auf Reichs- und Kreistagen neh­

men zu können. Da Schellenberg aber flächenmässig noch nicht genügte, erwarb er schliesslich auch Vaduz, das sonst einen andern Weg hätte gehen mögen. Als dem Fürsten übrigens wegen Verzögerungen beim Kauf von Vaduz die Geduld ausging, erwog er ernstlich, auf den Kauf von Vaduz zu verzichten und auch Schellenberg wieder zu veräussem und stattdessen Mindelheim oder eine andere Besitzung zu erwerben. In diesem Falle hätte der Churer Bischof wieder biete n können.9

So bestanden an der geschichtlichen Schwelle zum Fürstentum Liech­

tenstein «Anschluss»-Ideen von Seiten der geistlichen Nachbarn und gewisse Anschlussmöglichkeiten. Diese kamen von aussen, wenn auch den indirekten Anstoss dazu die Bewohner mit ihren schliesslich zum Wechsel der Herrschaft fuhrenden rechtlichen Klagen gegeben hatten. Als entschei­

dend für den Übergang an das Haus Liechtenstein hatte sich die Qualität der Reichsunmittelbarkeit der zwei Gebiete erwiesen. Das 1719 zu m Reichsfürstentum Liechtenstein erhobene Land gehörte nun zum Schwä­

bischen Kreis, einem der zehn Kreise, in welche das Reich eingeteilt war, Liechtenstein war eines von über 300 Staatswesen im Reich, eingefügt und in seinem Bestand gesichert - solange nicht etwa der Fürst wieder an einen Verkauf denken sollte .

Seger, Bodmann, in: JBL 1978,196 ff. - Kaiser, 427 f., 443 f.

5. Li Napoleonischer Zeit: «... der versteckte Wunsch, Osterreichische zu werden» - oder Bayrische?

In den Franzosenkriegen zur Zeit Napoleons litten Land und Volk auch in Liechtenstein verhe erend.10 Die umliegende Staate nwelt geriet in Fluss.

Liechtenstein grenzte am Rhein und bei der Luziensteig nun an die aus der Alten Eidgenossenschaft entstehende Helvetische Republik, an die neuen Kantone St. Gallen und Graubünden. Als das Heilige Römi sche Reich Deutscher Nation zerbrach, rückte das l andhungrige Königreich Bayern durch den Gewinn von Tirol und Vorarlberg 1805 bis an die liech ten­

steinische Grenze vor. Ein «Stu rm der Mediatisierung»11 versch lang viele deutsche Kleinstaaten.

Weil Napoleon den Fürsten Johann I. von Liechtenstein, der in österrei­

chischen Felddiensten stand, als Gegner und Unterhändler schätzen gelernt hatte, nahm er das Für stentum Liechtenstein in den Rh einbund auf. Die Rheinbundakte von 1806 gab Liech tenstein die staatliche Souv eränität.

Bezeichnenderweise protestierte Bayern heftig gegen diese Aufnahme Liechtensteins. Bayern war auch in den Besitz der Güter der Pfarrei Ben­

dern sowie des Patronatsrechts und des Zehnte n in Mauren ge langt und beanspruchte überdies die zuvor österreichische Burg Gutenberg samt Gütern.12 Bayerns Bemühungen, seine königliche Hand auch auf das Für­

stentum Liechtenstein zu lege n, waren offensichtlich.

Wenige Jahre darauf (1809) erhoben sich die Österreicher gege n die Franzosen und im selben Zuge die Tiroler und Vorarlberger, die zu Öster­

reich hielten , auch gegen Bayern . Dadurch angespornt kam es auch in Liechtenstein im Juni 1809 zu einem V olksaufstand,13 der sich ge gen die absolutistische Obrigkeit richtete: Man forderte Befreiung von Lasten und Wiederherstellung der alten Rechte. Als die Vertreter aller Gemeinden sich am 12. Juni 1809 in Vaduz versammelten, drohte Schuppler ihnen mit der Möglichkeit, dass der Fürst das Land verkau fen könnte:

«Wie wäre es, wenn er Euch an andere Regenten abgetreten hätte oder dies, ungnädig wegen Euerer Widerspenstigkeit, in der Folge tun würde? Wäret Ihr dann nicht über all e Massen unglücklich?»

10 Kaiser, 477 f., 484 ff. - Malin, 39 ff.

" Malin, 53.

12 Malin, 51 ff.

13 Malin, 129ff.

Anschlussgefahren

Dann, so fuhr Schuppler fort, müssten die Landesbewohner mehr Abga­

ben und Kriegsdienst leisten.14 In der Tat war Fürst Johann 1806 angefragt worden, ob er das Fürstentum nicht verkaufen wolle.15

Die liechtensteinischen Rebellen drohten, wenn das Oberamt die Forde­

rungen nicht annehme, schlössen sie sich den vorarlbergischen Aufständi­

schen an. Im Juli des gleichen Jahres 1809 vermochte Schuppler nur mit Mühe.Balzner und Triesner, die zum Vorarlberger Landsturm eilen woll­

ten, durch Versprechungen von ihrem Vorhaben abz uhalten. Schuppler verbot auch dem österreichischen Generalkommissar für Vorarlberg, einen Aufruf an die Liechtensteiner, sich den Vorarlberger Volkstruppen anzu-schliessen, zu erlassen. Schuppler qualifizierte Liechtensteiner, die sich dem Vorarlberger Aufstand ansch liessen wollten, als Verräter. Er berichtete schliesslich erklärend nach Wien:

«... nicht nur unausweichliche Aneiferungen der Vorarlberger, sondern auch der versteckte Wunsch, Osterreichische werden zu wollen, verwir­

ren ihre Köpfe... »I6

Zwei Arten von Anschlussgefahren wurden in jenem unruhigen Sommer sichtbar: Von oben die alte, feud al-absolutistische Möglichkeit, dass der Fürst das Land verkaufe; diese Gefahr war nicht gross. Von unten aber, aus der Bevölkerung, kam der «versteckte Wunsch, Österreichische zu wer­

den», als Reaktion auf den obrigkeitlichen Absolutismus und als Folge der von Vorarlber g her lockenden freiheitlichen Erwartungen. Georg Malin wertet jene Tendenzen als «verräterische Absichten»:

«Der Wunsch wirrer Köpfe, sich aus dem kleinstaatlichen Leben zu lösen und sich einer Weltpolitik bestimmenden Grossmacht anzu-schliessen, tauchte hier unzweideutig und nicht zum letzten Male auf.. .»17

Malin schrieb 1954 diese auf 1809 bezogene Wertung nicht ohne Seitenblick auf die eben über standene Zeit des Zweite n Weltkrieges.

14 Proklamation des Landvogtes Schuppler vom 12. Juni 1809, in: JBL Bd. 5, Vaduz 1905, 213.

15 Malin, 135.

16 Zit. Malin, 132 Anm. 22.

17 Malin, 132.

Die Franzosen warfen Österrei ch und Vorarlberg nieder, ersch ienen wieder in Feldkirch, der französische General Frömern presste von dort aus monatelang dem Fürstentum Verpflegung für Mannen und Rosse ab.

General Froment schrieb am 10. Oktober 1809 an Schuppler:

«Der König von Bayern wird wohl bald von des Fürsten von Liechten­

stein seinem Lande Besitz nehmen.»18

Diese Erwartung hielt sich auch als Gerücht in jenem Herbst in Liechten­

stein hartnäckig.

Liechtensteins Situation war durchaus delikat, weil Fürst Johann, dessen Land als Rheinbundstaat mit Napoleon verbündet war, dennoch persön­

lich auf österreichischer Seite gekämpft und verloren hatte. Hätten nun die Bewohner des Rheinbund-Fürstentums sich wirkli ch gegen Napoleon erhoben - an Vorarlbergs Seite so hätte das bundesbrüchige Liechten­

stein von Napoleon kassiert und der bayrischen «Ländergier»19 geopfert werden mögen. Damit ist eine dritte Anschlussgefahr - neben Verkauf und neben Anschluss an Österreic h - in jener Ze it sichtbar geworden.

6. Zugang zum Wiener Kongress und zum Deutschen