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LEXIKALISCHE CHARAKTERISTIK

In diesem Kapitel wird eine kurze s tru k tu re lle Charakteris- t i k des Wortschatzes unserer Denkmäler g e lie fe r t; die a u sfü h rli- che Beschreibung der wichtigsten Termini und Wortgruppen enthält schon das Kapitel mit der Analyse der Ubersetzungstechnik (4.4.), hier werden einige lexikalische Einheiten als zentral oder peri- pher einstufende Elemente des alttschechischen lexikalischen T e il- systems (6.1.) und als Träger der lexikalischen Entwicklungsvor- gänge (6.2.) untersucht.

6.0.1. Zum Begriff ,das lexikalische System'

Das lexikalische System besteht aus organisierten Gruppie- rungen sprachlicher Zeichen; die durch grammatische, morphonolo- gische und phonologische M i tt e l gebildeten Einheiten fungieren als sprachliche, die Semantik der aussersprachlichen R ealität widerspiegelnde Bezeichnungen eines generalisierenden Benennungs- Vorganges. Diese Einheiten des lexikalischen Systems, die Lexeme, stehen in einer engen Beziehung sowohl zu anderen sprachlichen Teilsystemen als auch zu den "Systemen” der Realität und werden

in ih re r Funktion von diesen beiden Hauptfaktoren stark

beein-00051581

flu s s t . Die Erklärungen des Entstehens, des Unterganges und der Bedeutungsverschiebungen bei den Lexemen sind also nicht nur in der Innenstruktur des lexikalischen Systems, sondern auch in den Änderungen innerhalb anderer Teilsysteme der Sprache und der Rea-

l i t ä t zu suchen.

6.0.2. Die bisherige Lite ra tu r zur alttschechischen Lexik

Der alttschechische Wortschatz kam in den sonst sehr zahl-reichen Abhandlungen über das Alttschechische bisher zu kurz. Die-ser Mangel i s t nur teilweise dadurch erklärbar, dass es bis heute kein vollständiges alttschechisches Wörterbuch g ib t. Das von GEBAU־־

ER herausgegebene Wörterbuch erschien in zwei Bänden, aber nur bis zum Wort

n e t b a n l i v o a t

. 68 Das neue akademische alttschechische Wör- terbuch, bearbeitet vom lexikographischen K o lle k tiv des In s titu ts fü r tschechische Sprache der ČSAV in Prag unter der Leitung von

С

Q

B. HAVRÂNEK und I . NËMEC , s o ll die moderne, nach s t r u k t u r a lis t i- sehen Gesichtspunkten zusammengestellte Fortsetzung des WÖrterbu- ches von Gebauer sein» Erst diese lexikographische K ollektivarbeit war Anlass dazu, sich auf Grund eines sehr umfangreichen le x ik a li-

sehen Archivs nicht nur lexikographisch, sondern auch lexikologisch eingehender mit dem alttschechischen Wortschatz zu beschäftigen.

Es entstanden mehrere theoretische Aufsätze, in denen ihre Verfas- ser (vor allem I . Nëmec und E. Michálek) moderne methodologische Grundlagen für die wissenschaftliche Durchforschung des alttsche- chischen lexikalischen Systems darlegten. In dieser Hinsicht sind zwei Arbeiten am bedeutendsten: für die Analyse der alttschechi- sehen Terminologie die Monographie über die alttschechischen Recht sterrili n i von E, MICHAŁEK,^ fü r die allgemeine s tru k tu re lle Beschreibung des alttschechischen lexikalischen Systems in seiner Dynamik die umfcingreiche Abhandlung von I . NËMEC.^ Die letztge- nannte Arbeit als repräsentativste Darstellung der lexikologischen Theorie der Prager Schule beeinflusste methodisch massgebend die

68 J. GEBAUER, Slovnfk staroâeskÿ, I , I I , Praha 1903, 1916.

69 Staroâeskÿ slovnik, Autorenkollektiv unter Leitung von B. HA- VRÂNEK und I . NËMEC, Hefte 1-7, Praha CSAV, s e it 1968. Das Wörterbuch beginnt mit dem Buchstaben «; bis j e t z t erschienen:

Einführungsheft mit den Prinzipien und dem Quellenverzeichnis und 7 Hefte von

na

bis

o b - .

70 E. MICHÄLEK, Ceskÿ právní jazyk üdobí pfedhusitského a doby Hu־*

sovy, in der Serie: Rozpravy ČSAV, Praha 1970, Heft 2, 74 S.

Rezensiert von J. VINTR,

NaSe

?

e3

54 (1971) 308-310.

־ 8 7

־

folgende s tru k tu re lle Charakteristik des Wortschatzes unserer Evangel i arhandschri f ten.

6.1. Die zentralen und peripheren lexikalischen Erscheinungen

Das zahlenmässig und thematisch begrenzte lexikalische Mate־

r i a l unserer Texte erlaubt uns nur bescheidene U rteile Über das System des alttschechischen Wortschatzes im XIV. Jh. Die Übersicht der thematischen Wortgruppen in ih re r V ariierbarkeit wurde schon unter 4.4. dargeboten. Die Erklärung, warum einzelne Lexeme in demselben Kontext im Laufe der Zeit durch andere ersetzt wurden, darf man nicht bloss in einer mehr oder weniger subjektiven Repro-duktionsfäiiigkeit oder in einem besseren oder schlechteren Sprach-gefühl der Kopisten und Korrektoren suchen. Beim Vergleich unserer Textstrukturen muss man die lexikalischen Varianten als Zeugen und Folgen der Änderungen im lexikalischen System betrachten, genauer gesagt, als Reflexionen des ständigen Austausches zwischen dem Systemzentrum und der Systemperipherie.

Im lexikalischen System unserer Textstrukturen kann man die Verschiebungen zwischen dem Systemzentrum und der Peripherie am besten an den biblischen Termini erkennen 72: im lateinischen O ri- ginal gehören die Ausdrucke wie

D o m i n u s

,

d a e m o n i u m

,

s a c e r d o s

,

p o n -

t i f e x

usw. zum Zentrum; in den ältesten alttschechischen Evangeli-

aren findet man fü r diese Termini zweierlei Äquivalente ־ die alten noch aus dem Altkirchenslavischen stammenden

{ H o s p o d i n

,

b ë s , p o p )

konkurrieren mit den neueren heimischen (

P d n , d i â b e l

,

knëz> b i s

־

k u p

) . Die älteren Handschriften A, C, D, S haben meist noch die älteren Lexeme, in den jüngeren Hss. R und W werden diese durch heimische, in das ganze lexikalische und morphonologische System fester eingegliederte und darum zentrale lexikalische Einheiten ersetzt. Die bohemisierten lexikalischen Paläoslovenismen, die schon in der zweiten Hälfte des XIV. Jhs. als Historismen mit we- nlgen Bindungen an das Zentrum des alttschechischen lexikalischen Systems wahrgenommen wurden, darf man als an die Peripherie ver- drängte Lexeme ansehen. Durch die Trennung vom Altkirchenslavischen

71 I . NËMEC, Vÿvojové postupy Českē slovní zásoby, ČSAV-Verlag, Praha 1963, 194 S.

72 Zu den genauen Kriterien der Zugehörigkeit von Lexemen zum Zentrum oder zur Peripherie vgl. J. FILIPEC, Probleme des Sprachzentrums und der Sprachperipherie im System des Wort- schatzes, in : Travaux lin g u ist.d e Prague 2 (1966) 264ff.

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und durch die dem Alttschechischen fernstehenden oder durch eine mehr spezialisierte Semantik schon besetzten stammbildenden Mor-pheme verlieren diese Historismen die Fähigkeit, sich auf Grund eines semantisch produktiven Grundmorphems im Zentrum durch die Schaffung mehrerer eigener lexikalisch-grammatischer Relationen zu erhalten (z.B. auch die älteren Adjektivableitungen

p o p o v ÿ , b ë

-e o v ÿ

werden durch

k n ë â s k ÿ , d i d b e l s k ÿ

e r s e t z t ) . 73 Solche auch heimi-sehe lexikalische Einheiten, die wegen der wenigen Verbindungen zu den anderen Lexemen oder wegen eines unproduktiven Suffixes schon an der Peripherie stehen, werden aus dem lexikalischen System ver-drängt: das Wort

o b i d a

(L 2,34: , r u in a ', S, D) wurde vom Kopisten der Handschrift R nicht mehr verstanden und auf

b i e d a

׳ Not׳ geän-dert, die Evangeliare der zweiten Redaktion haben hier schon

p a d e -n i e , p d d , s p a d e -n i e ;

das alte

k v a 5 ë n € n

fü r discumbens, recumbens,

c i z o z e m e n t n

für alienigena mit unproduktivem Suffix

- ё п € п

74 wird durch

k o s t , o i z o z e m e c

ersetzt (Mc 6,22:

k v a š a n o m

W, Mc 6,26:

p r o h o s t ë

W; L 7,49:

k v a ê ë n é

W; L 17,18:

c i z o z e m e n ć n

S,

o i z o z e m e c

R, W). Die angeführten Beispiele bezeugen, dass die lexikalischen Varianten nicht nur als subjektive Eingriffe eines Kopisten, son- dern als systembedingte Reflexionen anzusehen sind.

6.2. Die Entwicklungsvorgänge im Wortschatz unserer Texte

Die Änderungen im alttschechischen lexikalischen System - Entstehung oder Untergang lexikalischer Einheiten oder Bedeutungen -werden vor allem durch zwei Typen von Faktoren verursacht: durch die sprachlichen (6.2.1.) und durch die aussersprachlichen (kul-turhistorischen) Faktoren (6.2.2.). Es g ib t noch eine d r i t t e Grup-pe, die der psychischen Faktoren, 75 durch die meist nur Änderungen bei den Fremdwörtern verursacht werden. Da die Fremdwörter in un- seren Texten vereinzelt Vorkommen, und die Lehnübersetzungen schon behandelt wurden (4.4.), konzentrieren wir uns auf die sprachlichen und aussersprachlichen Faktoren der lexikalischen Entwicklungs- Vorgänge.

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־

73 Zur Entwicklung

p o p

—►

k n ë z

vgl. J. BAUER, Zur Auffassung des sprachlichen Zeichens, in : Zeichen und System der Sprache I I , Berlin 1962, 11.

74 Vgl. I . NËMEC, o.c. (Fn. 71) 166.

75 Vgl. I . NËMEC, o.c. (Fn. 71) 40.

6-2.1. Die sprachlichen Faktoren der Entwicklungsvorgänge

im lexikalischen System werden durch die Auswirkungen der Strukturänderungen im phonologischen, morphonologischen und gram- matischen System repräsentiert. Wir wollen dabei aber noch betonen, dass ein einziger Faktor fast nie die einzige Ursache der Änderung i s t ־ es handelt sich eher um ein Zusammenspiel mehr oder weniger dominierender Faktoren. Für die Behandlung der phonologischen und morphonologischen Faktoren i s t unser Material zu beschränkt, wir bleiben bei einigen Beispielen fü r die grammatikalischen Faktoren in der Entwicklung des

Wortschatzes-Die lexikalischen Folgerungen der Änderungen grammatikalischer Systemkategorien sind in unserem Material vor allem im Bereich des Nomens und des Verbums fe s ts te llb a r. Bei den Nomina findet man in der Lexik noch Nachklänge des Umbaues der alten lexikalisch-gramma- tikalischen Kategorie des Stamnes zur grammatikalischen Kategorie des Genus. Die alten doppelgeschlechtigen Bezeichnungen werden für Maskulina und Feminina d i f f e r e n z i e r t ־ L 15,9: amicas et vicinas

p P d t e l a 8 ú 8 ê d

S, R,

p P € t e l k y n ë a 3 u s e d y

W (vgl. L 15,6: amicos et vicinos

p M t e l a 8 ù 8 ë d

S,

p M t e l a s t í a e d õ v

R,

p P d t e l y a 8 t i 8 e

-

dy

W). Im Bereich des Verbums sind in unseren Texten immer noch Reste der zerfallenden Kategorie der I n g r e s s i v it ä t/ D u r a ti v i tä t , die durch das sich immer noch im Ausbau befindende Tempus-Aspekt- system ersetzt wird, zu finden. So z.B. geht die speziell alttsche- chische ingressive Konstruktion

v z i e t i

׳ nehmen׳ + Akk.Subst. unter - Mc 16,16: baptizatus f u e r i t

k č e e t vezme

S,

k č e a t p č t j m e

R, po-

k č š č e n b u d e

W; genauso schwinden die alten Ingressiva mit V o rs il- ben va-,

p o - ,

und werden durch unpräfigierte Verba mit anderen Aspektpräfixen oder durch Synonyma ersetzt - Mt 22,12: obmutuit

p o m l å e

S,

p o m l ö e v

R,

m l å e

W; Mc 16,18: b ib e rin t

v z p i j ï

S, W,

v y - p î j t

R; L 12,36: venerit et pulsaverit

p ï ï d e a p o t l u ë e

W; J 11,

36: dixerunt

{ v ) z m l u v i e c h u

W,

k i ï i ë i e c h u

R,

ï e d e c h u

D; J 11,43: