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Lernfähigkeit

Im Dokument „Zusammen gegen Rassismus“ (Seite 58-61)

Über Diskriminierung wird vor allem auf gesellschaftlicher bzw. moralischer Ebene diskutiert, doch Diskriminierungserfahrungen haben auch konkrete gesundheitliche Auswirkungen auf die Betroffenen. Diese wirken sich auf alle Lebensbereiche aus und beeinflussen beispielsweise auch, wie gut sich Kinder in der Schule konzentrieren und welche Leistungen sie dort erbringen können. Dies wird im Folgenden am Beispiel Rassismus erläutert, trifft aber in ähnlicher Weise auch auf weitere Diskriminierungsformen zu.

Auf welchen Ebenen geschieht Diskriminierung?

Diskriminierung nimmt ganz verschiedene Formen an: Ungleichbehandlung in Behörden oder der Justiz, schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche, keine Repräsentation in Filmen und anderen Medien, sowie Handlungen von Menschen im Alltag, wie z.B. abwertende Blicke, nicht ernst nehmen, Ausschlüsse oder Beleidigungen.

Außerdem können die diskriminierenden Inhalte verinnerlicht werden, sodass Menschen, die Diskriminierung erfahren, irgendwann selbst glauben, dass sie weniger intelligent seien, weniger könnten oder weniger wert seien als andere Menschen. Dabei geht es Kindern ganz genauso wie Erwachsenen. Wer Diskriminierung erfährt, erhält häufig mehrere abwertende Botschaften am Tag.

von Mitte im Dialog

Fotos© NARUDe.V.

Wie wirkt sich Diskriminierung auf die Gesundheit aus?

Diese abwertenden Botschaften, und der psychische Aufwand, den eine Person betreiben muss, um sie zu verarbeiten, erzeugen Stress und sind anstrengend. Ein Kind sitzt dann beispielsweise nicht nur in der Klasse, und versucht dem Unterrichtsstoff zu folgen, sondern muss gleichzeitig noch die rassistischen Kommentare oder Blicke verarbeiten, die es auf dem Schulweg abbekommen hat. Vielleicht hat es dazu auch noch im Hinterkopf, dass Lehrer*innen aufgrund unbewusster Vorurteile Schwarze, Braune und migrantische Kinder häufig schlechter bewerten1, und denkt daher, dass es doppelt so gut sein muss, um gesehen zu werden. Auch das erzeugt Druck.

Menschen, die Diskriminierung erfahren, erleben mitunter ein Bedrohungsgefühl, das sie in Situationen erleben, in denen sie befürchten, aufgrund eines negativen Stereotyps über ihre Gruppe beurteilt zu werden. Man nennt dieses Phänomen „Stereotype Threat“2. Es bewirkt auch, dass Menschen befürchten, Stereotype über ihre Gruppe durch ihr Handeln zu bestätigen. Die von vielen Menschen gefühlte ständige Wachsamkeit und der durch wiederholte (erwartete) Diskriminierung erzeugte Stress werden auch ‚racial stress‘ oder

‚race-related stress‘ genannt3. Genauso wie anderer Stress erzeugt er verschiedene körperliche und psychische Krankheiten. So haben Studien hauptsächlich in den USA nachgewiesen, dass Racial Stress zu Bluthoch-druck und Herzkrankheiten, Schlafstörungen, Verdauungsproblemen, Konzentrations-störungen sowie vielen psychischen Erkrank-ungen wie Depressionen, Angst-zuständen oder einem kumulativen Trauma mit post-traumatischer Belastungsstörung führen kann4. Ein kumulatives Trauma ist ein Trauma, das statt durch ein einziges, einschneidendes Ereignis, durch viele vermeintlich kleine Ereignisse entsteht, gleichsam der Tropfen, die zusammengenommen das Fass zum Überlaufen bringen.

Was bedeutet das nun beispielsweise für die Bildung?

Es zeigt es einmal mehr, wie unterschiedlich die Bedingungen der Kinder in ein und derselben Klasse sind. Wenn sie Diskriminierung erfahren, wirkt sich das auf ihre Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit aus. Wenn sich Kinder dadurch schlechter konzentrieren oder nicht ihre volle Leistung erbringen können, nehmen Lehrer*innen schnell an, dass diese Kinder eben weniger intelligent oder leistungsstark sind.

Dies trifft bei ihnen auf verinnerlichte rassistische Stereotype, die dazu führen, dass die Lehrkraft nicht weiter hinterfragt, warum das bei diesem Kind so ist. Stattdessen geht sie einfach davon aus, dass das Kind nicht mehr leisten kann. In der Folge wird sich ihr Handeln dem Kind gegenüber ändern und dem Kind eben dies zurückmelden: dass es weniger intelligent oder leistungsfähig, eben weniger

„gut“ ist als andere Kinder. Das Kind wird diese Rückmeldungen verinnerlichen und auch von sich selbst denken, dass es eben nicht mehr kann und seine Leistungen diesen Erwartungen anpassen. Dieser Teufelskreis ist einer der Hauptgründe dafür, dass Kinder mit sogenanntem Migrationshintergrund und Schwarze Kinder signifikant seltener eine Gymnasialempfehlung bekommen, als weiße Kinder. Auch Schulabsentismus, Leistungs-verweigerung und auffälliges Verhalten können Folgen von Diskriminierung sein.

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1Vgl. die Studien: „Max versus Murat“ (Bonefeld/Dickhäuser: Das Open Access-Manuskript „(Biased) Grading of Students‘ Performance: Students‘ Names, Performance Level, and Implicit Attitude" ist erschienen in der Zeitschrift Frontiers in Psychology im Juni 2018) und „Vielfalt im Klassenzimmer“ (Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)/Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR-Forschungsbereich) 2017: Vielfalt im Klassenzimmer.

Wie Lehrkräfte gute Leistung fördern können, Berlin.)

2Begriff wurde geprägt von Claude Steele and Joshua Aronson 1995.

4 Vgl. Carter, R. T. (2007). Racism and psychological and emotional Injury: Recognizing and assessing race-based traumatic stress.The Counseling Psychologist, 35(1), 13-105.

3Vgl. bspw. die Forschung von Dr. Hope Landrine Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es notwendig, dass sich Lehrkräfte, Schulsozial-arbeiter*innen und Eltern dieser Mechanismen bewusst werden, sich darüber informieren und sich gemeinsam darüber austauschen, wie sie die Kinder in dieser Situation bestmöglich unterstützen können. Die Erwachsenen müssen sich in den Prozess begeben, ihr eigenes Verhalten, ihre verinnerlichten Stereotypen und Vorurteile zu erkennen und zu verlernen.

Wichtig ist es hier auch, die eigene Kritik-fähigkeit zu schulen und zu verstehen, dass bei Kritik nicht die ganze Person, sondern eine Handlung dieser Person gemeint ist. Durch das Hören der Kritik kann diese Handlungsweise verändert werden. Auch ist es notwendig, dass sie lernen, wie sie bei diskriminierenden Vorfällen eingreifen können.

Sie sind Vorbilder, und Kinder lernen von ihren Reaktionen auf Diskriminierung – auch von den ausbleibenden. Erwachsene sollten sich auch darüber informieren, wie sie ihre Kinder stärken können, sodass sie nicht durch verinnerlichte diskriminierende Botschaften an Selbstwert-gefühl verlieren.

Neben dieser individuellen Ebene ist es wichtig, dass Menschen sich mit gesamtgesellschaft-lichen diskriminierenden Mechanismen und Strukturen auseinandersetzen und diese erkennen lernen. So können sie sie identifizieren, wenn sie ihnen begegnen, z.B. in Form von Rassismus in den Schulbüchern oder in Medien. Weiter sollten sie lernen, wie sie sich für gesellschaftliche Veränderungen zusammen-schließen und so gemeinsam Diskriminierung abbauen können. Das sind große Aufgaben, und im Sinne einer gleichberechtigten Bildung und Teilhabe für alle Menschen sind sie unsere Pflicht.

Was können wir tun?

Im Dokument „Zusammen gegen Rassismus“ (Seite 58-61)