• Keine Ergebnisse gefunden

legitimer reproduzenten organischen Kapitals“

Im Dokument eugenische vernunft (Seite 165-200)

in Zusammenhang mit dem einsatz einer staatlich kontrollierten verwendung des Men-schen durch eine qualitative Bevölkerungspolitik, der etablierung einer sozialhygiene des Lebenslaufes und einer eugenischen bzw. rassenhygienischen „Pflege des Lebens-stammes“ als fortpflanzungshygiene wurden im Bereich der gesundheitskontrolle der Bevölkerung durch die Medizin Kriterien etabliert, welche frauen wie Männer zuneh-mend unter dem gesichtspunkt ihres eugenischen „reproduktionswertes“ beurteilten.

Dazu griffen Kliniker und Ärzte auf den mangelhaften Wissensbestand hinsichtlich des „erbganges“ beim Menschen zurück, der in den Diskursen der Konstitutions- und vererbungslehre, der „entartungslehre“ der Psychiatrie, der Lehre einer „sozialen Pa-thologie“ der sozialen Medizin und der rassenhygiene ventiliert wurde. Mit den darin eingearbeiteten eugenischen Kriterien betonten sie jene eigenschaften von frauen und Männern, von denen angenommen wurde, dass sie die Qualität künftiger generationen beeinflussen würden. Die heterosexuelle Paarbeziehung wurde von seiten der Medizin als grundlage der Produktion von „erbgesunden“ nachkommen konzipiert und auf eine

„eugenische fortpflanzungsgemeinschaft“ reduziert.

Die daraus resultierenden medizinischen eingriffe in die natur und Kultur der gene-rativen reproduktion etablierten auf der Basis von Massenuntersuchungen eine euge-nische geschlechterordnung. Dazu wurde bei Männern auf die untersuchungen zur Militärdiensttauglichkeit zurückgegriffen, bei frauen auf untersuchungen der medizinischen schwangerenvorsorge und auf indikationskriterien für einen schwangerschaftsabbruch.

Die einführung der Allgemeinen Wehrpflicht für Männer zwischen dem 21. und 42. Lebensjahr in Österreich im Jahr 1868 ermöglichte u.a. die Durchführung medi-zinischer reihenuntersuchungen an gesunden Männern im rahmen der Prüfung ih-rer Militärdiensttauglichkeit (Assentierung1, Musterung). Die eugenische Auslese der Männer als durch die Medizin legitimierte reproduzenten des „organischen Kapitals“

nach psychophysischen Kriterien entsprach, wie in der folge gezeigt wird, den tests der Wehrmedizin im rahmen der Assentierung, bei der die eignung der Männer zu soldaten geprüft wurde.

1 Assentierung ist ein österreichischer, veralteter Begriff für die untersuchung von Männern hinsichtlich ihrer Militärdiensttauglichkeit. heute wird von „stellungsuntersuchung“ oder „Musterung“ gesprochen.

Auf seiten der frauen sollte die seit Beginn des Jahrhunderts zwar stets propagierte, vorerst aber nur im städtischen Bereich und in den Arbeiterschichten realisierte unter-suchung von schwangeren vor ihrer entbindung die Durchführung von reihenunter-suchungen an gesunden frauen ermöglichen. schon ende der 20er Jahre konstatierte der Pädiater siegfried Weiß : „Die qualitative Bevölkerungspolitik ist in Wien schon im Jahre 1903­ begründet worden durch die frühzeitige gesundheitliche Erfassung der schwan-geren Frauen in den Arbeiterbezirken […]“ (Weiß 1927 : 9). eine allgemeine medizinische erfassung der frauen als Mütter wurde erst mit der einführung der für finanzielle Zu-wendung obligaten „Mutter-Kind-Pass-untersuchungen“ ab den 70er Jahren erreicht.

ein weiterer Bezugspunkt der eugenischen Auslese der frauen als durch die Me-dizin legitimierte reproduzentinnen des „organischen Kapitals“ war die meMe-dizinische einschätzung der Zumutbarkeit einer schwangerschaft und geburt im Zusammenhang mit der frage nach der freigabe des schwangerschaftsabbruches.

Auf Basis der Beurteilung der „Wehrtauglichkeit von Männern“ und der „gebärfähig-keit von frauen“ errichtete sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die euge-nisierung der geschlechterordnung und -beziehung, die als Ort der „höherzüchtung“

der kommenden generation zunehmend idealisiert und kontrolliert wurde.

2.1 Krieg und Erwerbsarbeit als Funktionsprüfung von Männlichkeit :

„Reproduktionswert“ der Männer

Die biostatistische forschung hatte im Bereich der „heeresergänzungsstatistik“ schon seit Mitte des 19. Jahrhundert mit erhebungen begonnen (vgl. Winkler 1924 : 196). Da-mit sollten Wissen über die Wehrfähigkeit der Bevölkerung und statistiken über die körperliche tüchtigkeit des volkes zur verfügung gestellt werden. Obwohl es sich um die Wehrfähigkeit des männlichen teils der Bevölkerung handelte, wurde in den texten stets allgemein von „volk“ und „Bevölkerung“ gesprochen. Dies gibt nicht nur Auskunft über die hierarchisierung der geschlechter, sondern auch darüber, dass die Wehrtaug-lichkeit der Männer als ein Maßstab zur Beurteilung der Qualität des gesamten „volks-körpers“ fungierte, zumal im Krieg der „volksköper“ militärisch als „ein gemeinschaft-licher Körper“ (szana 1916 : 485­) wahrgenommen wurde. Dieser „gemeinschaftliche Körper“ aber war ein männlicher, das Männliche also das Allgemeine. Die medizinisch geprüfte Wehrtauglichkeit sollte damit auch Auskunft über den „reproduktionswert“

des Mannes geben.

Die biologische sinnstiftung des Wehrdienstes zielte auf die herstellung einer männ-lichen exklusivität, der entsprechend Männer erst im Krieg zu richtigen Männern

wer-den würwer-den. und so wie Kriege zu Beginn des ersten Weltkrieges noch als überzeit-liche, nahezu schicksalhafte naturereignisse wahrgenommen wurden, schien auch der Mann als soldat und Krieger von zeitloser „natur“ zu sein. Diese sollte sich in tapfer-keit, Mut und Opferbereitschaft manifestieren (vgl. Kühne 1999).

Diese eigenschaften waren aber nicht nur Bezugspunkt zur feststellung der Wehrtaug-lichkeit, sondern auch zur medizinischen Beurteilung des „reproduktionswertes“ der Männer. so gaben die Analyse der medizinischen Debatten um die Wehrtauglichkeit der Männer in der „Wiener Klinischen Wochenschrift“ auch Auskunft über die euge-nisierung der geschlechterordnung. Die Prüfung der Wehrtauglichkeit der Männer fungierte als sozialtechnologie, um „taugliche“ von „nicht-tauglichen“ Männern einer Bevölkerung zu unterscheiden.2

unter dem titel „Konstitution und Krieg“ veröffentlichte der regimentsarzt Dr. Paul Lukacs 1917 in der „Wiener Klinischen Wochenschrift“ einen Artikel über die fortschritte der Medizin dank des „experimentiermaterials“, das der Krieg bereitstelle (3­20ff.). neben der chirurgie, welche in folge des Krieges einen „enormen Aufschwung“ erhalten habe, versuchte auch die interne Medizin die Lage der Dinge an der front für sich zu nutzen, konnte dies aber nicht in dem Ausmaß realisieren wie die chirurgie. Das

„ist umso bedauernswerter, weil der Krieg dem internisten ein eminent wichtiges und weites feld bietet, wo die Medizin, hauptsächlich aber die Diagnostik und deren Anwendung, auf höchst wichtige fragen antworten muß. Das ist in erster Linie die Beurteilung der Dienst-fähigkeit des Mannes“ (Lukacs 1917 : 3­20).

hinsichtlich dieser „Dienstfähigkeit“ des Mannes beschränkte sich der Autor auf die erörterung der Wechselbeziehung zwischen Krieg und Konstitutionsanomalien. Letztere seien „alle angeborenen fehlerhaften, dass heißt von der norm abweichenden Bildungen, sei es einzelner gewebe, einzelner Organe oder des gesamtkörpers“ (ebd.). für die Beur-teilung der Kriegsdienstfähigkeit differenziert er die „amilitärischen typen“ – dazu rech-nete er die Konstitution der in entwicklung befindlichen jugendlichen Männer und den in retrograder entwicklung befindlichen alternden Organismus älterer Männer – und die

2 Diese funktion übernimmt die „Musterung“ auch dann noch, wenn sie nur mehr als teil allgemeiner „ge-sundheitsvorsorge“ und als Beitrag der Präventivmedizin gelobt wird. exemplarisch dafür steht die Aussage der Ärztin und tiroler Landesrätin für gesundheit aus dem Jahr 2000 : „untersuchungen auf ,herz und nieren’ an jungen Männern werden in der hochmodernen Diagnosestraße durchgeführt, um deren medi-zinische und psychische eignung zum Wehrdienst festzustellen. Aus gesundheitspolitischer sicht kommt dieser flächendeckenden untersuchung besondere Bedeutung zu“ (Zanon-zur nedden 2000 : 6). Bis heute bleibt die „stellungsuntersuchung“ auch ein „Übersetzungsfeld“ eugenischer ideale und Mythen.

„echten Konstitutionsanomalien“, deren Diagnose dem Mediziner große schwierigkeiten bereite. Denn die echten Konstitutionsanomalien könnten, so Lukacs, bisher meist nicht diagnostiziert werden, sondern zeigten sich erst im tatsächlichen Kriegseinsatz :

„Die nicht erkannte oder durch verborgene Zeichen angedeutete konstitutionelle Minder-wertigkeit äußert sich bei der funktionsprüfung als eine ausgesprochene reaktion, wir sehen, dass diese Minderwertigen gegenüber den Außenreizen anders reagieren als der typussol-dat“ (Lukacs 1917 : 3­21).

Der Begriff der „Minderwertigkeit“ war also auch im heeresjargon gebräuchlich und konnte problemlos mit einer eugenisch beurteilten „Minderwertigkeit“ verbunden werden. Lukacs besprach in seinem Artikel „Konstitution und Krieg“ (1917) also das Problem der „nicht-feststellbarkeit“ bzw. der unsicherheiten bei der feststellung der Konstitutionsanomalien bei der Prüfung der Wehrdiensttauglichkeit und damit die unsi-cherheit bei der medizinischen Beurteilung der Wehrtauglichkeit überhaupt. Denn erst die Kriegsteilname selbst würde die tatsächliche „funktionsprüfung“ darstellen, und erst im feld ließe sich die frage der Wehrtauglichkeit tatsächlich beantworten. selbst festge-stellte Anomalien würden im feld nicht unbedingt zur Kriegsuntauglichkeit führen :

„Wir sehen, dass die mit diesen Zeichen gewisser Minderwertigkeit markierten soldaten ver-schieden auf die exogenen reize des Krieges reagieren. Wir sehen, daß Lymphatiker, Asthe-niker, juvenile Konstitutionen und vagotoniker mit ausgeprägten Merkmalen nicht patholo-gisch reagieren, die Kriegsstrapazen gut vertragen, ja sogar gediehen. Wir sehen aber auch das entgegengesetzte. Wir beobachten Leute, bei denen keine Zeichen einer Minderwertig-keit vorhanden waren und bei denen solche veränderungen auftraten, deren ursprung man auf rechnung einer konstitutionellen Minderwertigkeit schreiben muß. Wir erkennen also die Minderwertigkeit nicht, oder wenn wir sie erkennen, können wir sie nicht verwerten, ehe sie zum Ausbruch einer Krankheit veranlassung gegeben haben“ (Lukacs 1917 : 3­21).

Die unsicherheiten in der Diagnostik und die erfahrung der widersprüchlichen reak-tion der Männer auf die Anforderungen und Anspannungen an der Kriegsfront führten aber auf seiten der Medizin nicht zu infragestellung des Konzeptes der Konstitution und der Konstitutionsanomalien oder gar zur infragestellung des Krieges, im gegenteil : Der Kriegsschauplatz selbst wurde als die gelegenheit beurteilt, durch teilnehmende Beobachtung an der front und im feldlazarett die „Offenbarung der konstitutionellen Minderwertigkeit“ (ebd.) abzuwarten und darüber ein instrumentarium zur Beurteilung des „konstitutionellen faktors“ zu entwickeln.

Der Krieg sollte dem medizinischen fortschritt dienen und die tatsächliche Auslese

„minderwertiger“ von „höherwertigen“ und damit wehrtauglichen Männern schon bei der Assentierung ermöglichen, indem die innere Medizin den Krieg durch Professiona-lisierung ihrer Diagnostik vorwegnahm. von diesem „fortschritt“ versprach man sich einen wissenschaftlichen Aufschwung und die Möglichkeit, das heer und die gesell-schaft vor den „gefahren“ der „tatsächlichen schwächlinge“ und „Kriegsversager“ zu bewahren – also eine durch und durch prophylaktische strategie.

Aus bevölkerungspolitischer Perspektive wurde das Problem diskutiert, dass die Kriegsteilnahme zwar zeige, wer die „tauglichsten“ Männer seien, der Krieg aber gerade diese zugrunde richte und die körperlich und geistig „Miserablen“ für die fortpflanzung erhalten blieben. Darin zeigt sich die widersprüchliche haltung der Bevölkerungspoliti-ker zum Krieg, der einerseits als „reinigung der nervösen schwäche und Kraftlosigkeit der Männer durch das stahlbad des Krieges“ betrachtet und begrüßt, andererseits aber auch völlig gegensätzlich als gefahr für den „Bevölkerungskörper“ (tandler 1916 : 446) und für die „erblich-organische höherentwicklung in europa“ (vaerting 1916 : 401) the-matisiert wurde.

Julius tandler warf in einem vortrag bei der sitzung der „K. K. gesellschaft der Aerzte in Wien“ am 24. März 1916 zum thema „Krieg und Bevölkerung“ die frage auf, inwiefern der Krieg dem Bevölkerungskörper nütze oder schade (tandler 1916 : 445­–45­2). er kritisierte jenen standpunkt, welcher den nutzen des Krieges betonte, ihn als „die Probe auf die tüchtigkeit eines volkes“ pries, als „erziehung zu härte und unnachgiebigkeit“ begrüßte und als „stahlbad der völker“ auszeichnete (ebd. : 446).

tandler zog den standpunkt, dass der Krieg einen selektionistischen Wert hätte, nicht nur in Zweifel, sondern sprach dem gegenteil das Wort. er kritisierte, dass der Krieg die „reproduktiv wertvollste volksgruppe“ treffe :

„Die in gefahr sind, die fallen oder geschädigt werden, sind die Mutigsten und Kräftigsten, die Besten ; die ohne Gefahr zu Hause bleiben, am Leben bleiben, nicht geschädigt werden, sind die für diesen Kampf ums Dasein Untauglichsten“ [Hervorhebung. M.W.] (tandler 1916 : 446).

Der Krieg wurde von tandler unter rückgriff auf die darwinistische Konzeption vom

„Kampf ums Dasein“ naturalisiert. Die auf Basis der medizinischen Prüfung der Militär-diensttauglichkeit für diesen „Kampf ums Dasein“ bevorzugte form der Männlichkeit erschien als von natur aus dazu prädestiniert. „höherwertige“ Männlichkeit wurde mit tötungs- und todesbereitschaft gleichgesetzt.

3­ vgl. Anmerkung 5­9 in Kap. i. 3­.1.

Diese verbindung von todesbereitschaft und Männlichkeit verweist auf eine tradi-tionell patriarchale geschlechterkonzeption, nach der Männer für den tod und das töten, frauen für das Leben und die erhaltung des Lebens zuständig sind (vgl. Mies 1988 : 63­ff.).

Diese Konzeption geriet nun aber in einen Widerspruch zu eugenischen Zielen, nach denen nur „höherwertige“ Männer für die fortpflanzung in frage kämen. tandler ver-wies zur untermauerung seiner Kritik auf die quantitativen und qualitativen Beschä-digungen des „Bevölkerungskörpers“ durch den Krieg. Zu den quantitativen schäden zählte er nicht nur den tod der frontsoldaten, sondern auch die Zunahme der todes-fälle in der Zivilbevölkerung, die vor allem aus der hohen Kindersterblichkeit resultierte.

Die hohe Kindersterblichkeit wurde als direkte Auswirkung der Kriegswirtschaft be-trachtet, welche unterernährung zur folge hätte und vor allem beim schwächsten teil der Bevölkerung – bei Kindern, Kranken und Alten – Abwehrkräfte reduziere und zum frühen tod führe. Zu den quantitativen schäden rechnete er auch die rückkehr „syphi-litischer soldaten“, die potenziell zu einer verseuchung der fast gesamten Bevölkerung beitrage, worin sich eine langfristig sterilisierende Wirkung des Krieges zeige. Die sy-philis führte aber nicht nur zu sterilität bei Männern wie frauen, sondern wäre auch ursache tödlicher frühgeburten, erhöhter Kindersterblichkeit und behinderter Kinder.

Zu den qualitativen schäden rechnete tandler auch die große Anzahl von invali-den. selbst wenn invalidität nicht vererbbar sei, veranschlagte er die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der familiengründung als gering. tandler unterschied chirurgisch invalide von herz-, Lungen- und nierenkranken sowie rheumatiker und geisteskranke, deren Widerstandsfähigkeit nach dem Krieg im „Kampf ums Dasein“ eben geschwächt sei. Diese schwächung reduziere den gesamten Wohlstand des volkes (ebd. : 447). Aber nicht nur der Wohlstand galt ihm als bedroht, sondern auch die Bevölkerungsqualität.

Aus der höheren sterbeziffer der Wehrtauglichen schloss tandler auf eine

„höhere fortpflanzungsmöglichkeit der körperlich untüchtigen, und je gröber das sieb der Assentierung ist, umso mehr bleiben die körperlich Miserablen für die fortpflanzung erhal-ten, ein umstand, der für die Degeneration der Bevölkerung nicht ohne Bedeutung ist“ (ebd. : 448).

„Wehrtauglichkeit“ und „Zeugungstauglichkeit“ wurden hier widerspruchslos in eins ge-setzt. Die nicht rekrutierten Männer wurden als gefahr für den qualitativen Zustand des

„Bevölkerungskörpers“ beurteilt. Zu ihnen rechnete tandler Männer mit störungen der sinnesorgane und Konstitutionsanomalien. Dem verbleib dieser, für die reproduktion aus bevölkerungspolitischer Perspektive unerwünschten, Männer in der heimat lastete

tandler die veränderungen des Milieus großer Bevölkerungsgruppen durch verarmung, zunehmenden verbrauch von genussmitteln wie Alkohol und tabak, rassenmischung, Prostitution und verwahrlosung der Jugend – vor allem die Zunahme jugendlicher ver-brecher – an.

Als äußerst problematisch beurteilte er den geburtenrückgang, den er u.a. auf die ver-breitung von antikonzeptiven Mitteln, die Zunahme von schwangerschaftsabbrüchen, der frauenarbeit und der frauenemanzipation und den frühzeitigen tod der für die reproduktion als „wertvoll“ beurteilten Männer zurückführte (ebd.). gerade der Krieg entreiße die besten Männer dem Leben, noch bevor diese sich fortgepflanzt hätten.

Männer erhielten aus bevölkerungspolitischer Perspektive erst mit der Zeugungsfähig-keit und ZeugungstätigZeugungsfähig-keit einen gesellschaftlichen Wert. Diesbezüglich bemühte tand-ler den vergleich mit der tierzucht :

„Wenn wir eine gegebene Zucht von gebrauchstieren numerisch hochbringen wollen, dann gibt uns bezüglich der züchterischen Auslese der Abzutötenden nicht die gesamtzahl dieses stammes eine Auskunft, sondern einzig und allein die Zahl und die Qualität der Mutter- und vatertiere“ (ebd. : 45­0).

Aus bevölkerungspolitischer und eugenischer Perspektive wird der Mensch nur mehr hinsichtlich seines nutzens für die gesellschaft – als „gebrauchstier“ – beurteilt. einen gebrauchswert erhält er dann, wenn er qualitativ brauchbare nachkommen zeugt, zur Welt bringt und aufzieht.

Diesbezüglich lehnte tandler eine von ihm nach dem Krieg konstatierte, gesteigerte tendenz, „überall zu helfen“ (1916 : 45­1), als kontraproduktiv ab, da sie die qualitative

„Minderwertigkeit“ der Bevölkerung noch erhöhe. Das dagegen von ihm geforderte rationale vorgehen sollte mit der „Qualitätsverbesserung“ beim Kind anfangen. Dieses eugenische „Anfangen beim Kind“ setzte bereits vor der Zeugung ein : Bekämpfung der geschlechtskrankheiten, des Alkoholismus und der Prostitution wurden wegen der gesundheit der nachkommen gefordert und nicht wegen der gesundheit der Betrof-fenen.

Die Maßnahmen behandelten Praktiken männlicher sexualitätsgestaltung wie einen rechtsanspruch, der nicht in frage gestellt wurde. Bordellbesuche oder vergewalti-gung wurden nicht abgelehnt, aber frauen, die sexuelle Dienste verkauften, sollten medizinisch überwacht werden. ebenso medizinisch überwacht werden sollten die soldaten vor der entlassung aus dem heeresverband in ehe und familie, jener ins-titutionen, in der Männer und frauen nicht nur die legitimen, sondern nun auch die qualitativ hochwertigen nachkommen zeugen und aufziehen sollten. er gemahnte

auch daran, was staatliche Maßnahmen zur unterstützung der Kriegsinvaliden nicht vergessen dürften :

„Der Kampf ums Dasein ist nicht aufgebaut auf Mitleid und caritative tätigkeit, sondern ist ein Kampf, in welchem der stärkere und tüchtigere schon im interesse der erhaltung der Art siegen muß und siegen soll“ (tandler 1916 : 45­1).

Daher seien auch „Minderarbeitsfähige“ auf Posten zu bringen, auf denen sie noch kon-kurrieren könnten. Der Mann hat seine Männlichkeit also auch an der „Arbeitsfront“

unter Beweis zu stellen.

in der Diskussion wollte der Psychiatrieordinarius erwin stransky (1877–1962)4 selbst bei der „Assentierung in letzter Minute“ noch vorbeugend ansetzen und empfahl, auch

„psychopathisch Minderwertige“ rekrutieren zu lassen. Das aus zweierlei gründen : Zum einen würden an der front mehr Disziplinarmittel zur verfügung stehen, um selbst

„minderwertige“ Männer in der stellung zu halten. Zum anderen seien die meisten

„psychopathisch Minderwertigen“ körperlich durchaus rüstig und könnten aufgrund ihrer „impulsiven verwegenheit“ an der front geradezu nützlich werden. „schneidige Disziplinarmaßnahmen“ und strenge „Alkoholabstinenz“ beurteilte er als heilenden einfluss auf „ethisch defekte Minderwertige“.

„Das feld wäre so eine Art freiluftklinik für derlei individuen, in der ganz schöne sympto-matische erfolge zu erzielen wären, um so schönere, als deren sonst mehr der gesellschaft und dem staate zur Last fallenden physischen Kräfte und psychischen eigenheiten hier in sehr ersprießlicher Weise einem wahrhaft guten Zweck dienstbar gemacht werden könnten“

(stransky 1916 : 5­3­2).

Der Krieg wird hier als therapie für „psychopathisch Minderwertige“ beurteilt. Die als

„minderwertig“ beurteilten Männer sollten die familienväter und -erhalter ersetzen, wel-che ihrerseits zum Landsturm hinter die Kampffront zurückgezogen werden sollten, da

„an deren gesunderhaltung gesellschaft und staat im interesse der reproduktion ein viel dringenderes interesse haben als an jener krimineller Minderwertiger, die heute, als

waffen-4 erwin stransky war ein schüler von h. Obersteiner und J. Wagner-Jauregg, habilitierte sich für neurologie und Psychiatrie und war ab 1915­ universitätsprofessor in Wien, Mitglied der „Österreichischen gesellschaft für Bevölkerungspolitik“ und Mitbegründer der modernen schizophrenielehre. Werke u.a. : „Das klinische gesicht der Multiplen sklerose“, 195­1 (mit J. K. Waldschütz) ; „staatsführung und Psychopathie“, 195­2 ;

„Psychische hygiene“, 195­5­ (hg. mit e. Brezina).

untauglich ausgeschieden, in scharen nicht nur das hinterland bevölkern, sondern dank ih-rem leider meist sehr regen geschlechtstrieb und ihrer leider ebenso sprichwörtlichen An-ziehungskraft auf das weibliche geschlecht die durch die zeitweilige Abwesenheit legitimer reproduzenten entstandenen reproduktionslücken in höchst problematischer Weise ausfül-len helfen. vielleicht lohnte sich selbst in diesem vorgeschrittenen stadium des Krieges noch eine nachmusterung auf derlei elemente.“ (ebd.).

um die von der Psychiatrie prognostizierte und befürchtete „ungünstige“ verschiebung der verhältnisse zwischen psychisch „normalen“ und „abnormalen Bevölkerungsele-menten“ im sinne des Überhandnehmens von „verrückten“ nach dem Krieg zu verhin-dern, empfahl stransky, die einberufung noch zu korrigieren.

Dieser einsatz für die „reproduktionswürdigen“ und gegen die „reproduktionsunwür-digen“ Männer zeigt unmissverständlich, dass auf seiten der Medizin bei der vererbung noch immer dem Mann die hauptrolle unterstellt wurde. Den medizinischen einsatz gegen die von der Medizin als illegitim erachteten reproduzenten begründete stransky mit dem hinweis auf die „unsolide geschlechtsmoral“ der frauen, die

„keineswegs immer dem Kriegsdienste leistenden männlichen Anteile so dankbar sich er-weist, wie es dessen alles in den schatten stellende physische und seelische Leistung in

„keineswegs immer dem Kriegsdienste leistenden männlichen Anteile so dankbar sich er-weist, wie es dessen alles in den schatten stellende physische und seelische Leistung in

Im Dokument eugenische vernunft (Seite 165-200)