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Da trifft es sich gut, dass in das Berichtsjahr die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fiel. Die Enthüllung des ungeahnten Ausmaßes der Überwachung durch private und staatliche Organisationen und die damit verbundene Erkenntnis, dass in Zeiten von Big Data auch die Gefährdungen für die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme riesig geworden sind, machen deutlich, dass es in der nächsten Legislaturperiode für den Schutz der Kommunikationsgrundrechte viel zu tun gibt.

1.2.1 Forderungen der Datenschutzkonferenz

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder appellierte auf ihrer Herbsttagung in Bremen an alle Akteurinnen und Akteure der 18. Legislaturperiode, sich für die Stärkung des Datenschutzes auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene einzusetzen. Angesichts der anlasslosen und umfassenden internationalen Überwachungsaktivitäten von Nachrichtendiensten forderten die Datenschutzbeauftragten von dem Bundesgesetzgeber und der neuen Bundesregierung wirksame Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation und der Privatsphäre. Dazu gehören auch die oben genannten Konsequenzen aus der NSA-Debatte.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder nahmen zu drei für die Datenschutzgrundrechte besonders bedeutsamen Bereichen Stellung. In ihrer Entschließung zur öffentlichen Sicherheit betonte die Datenschutzkonferenz dringenden Handlungsbedarf für diesen besonders eingriffsintensiven Bereich. Sie forderte insbesondere eine rechtsstaatlich transparente Kontrolle der Nachrichtendienste im nationalen wie im internationalen Rahmen. Darüber hinaus müssten diesen Behörden, deren Tätigkeit tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingriffen, enge Grenzen gesetzt werden. Auch für Grundrechtseingriffe anderer Sicherheitsbehörden seien wirksame Beschränkungen erforderlich. Mit der Entschließung zur "Stärkung des Datenschutzes im Sozialwesen und Gesundheitswesen" forderte die Konferenz angesichts der mit dem zunehmenden Wettbewerb im Sozialwesen und Gesundheitswesen verbundenen Risiken für die informationelle Selbstbestimmung die Stärkung der Schutzrechte für die Privatsphäre und Intimsphäre von Patientinnen, Patienten und Versicherten. In ihrer Entschließung "Sichere elektronische Kommunikation gewährleisten – Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einsetzen und weiterentwickeln" setzte sich die Datenschutzkonferenz für die Förderung der Vertraulichkeit und Integrität elektronischer Kommunikation ein. Sie forderte, dass der öffentliche Bereich

mit gutem Beispiel vorangeht und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unter Verwendung des in Bremen entwickelten Standards OSCI-Transport (Online Services Computer Interface) flächendeckend einsetzt.

1.2.2 Auf anlasslose Vorratsdatenspeicherung verzichten

Eine weitere Forderung bleibt angesichts der Enthüllungen über die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in den USA in der neuen Legislaturperiode auch hierzulande aktuell: Auf die anlasslose Vorratsdatenspeicherung muss verzichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 die deutsche Variante der Vorratsdatenspeicherung der Verbindungsdaten gekippt und dabei auch eine Aussage zur quantitativen Grenze für anlasslose Datensammlungen gemacht: "Durch eine vorsorgliche Speicherung der Telekommunikationsverkehrsdaten wird der Spielraum für weitere anlasslose Datensammlungen (…) erheblich geringer". Das vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Gesetz sollte die europäische Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie umsetzen.

Einiges deutet darauf hin, dass der europäische Gerichtshof kurz davor steht, die europäische Richtlinie selbst für unvereinbar zu erklären mit dem Recht der Menschen in Europa auf Datenschutz. Die Informationen darüber, wer wann wie lange mit wem telefoniert und wer welche Internetseite wie lange geöffnet hat, dürften dann nicht mehr ohne Anlass monatelang gespeichert werden.

Die Skepsis gegenüber der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist angebracht,

- weil ihre Eignung, ihre Erforderlichkeit und ihre Angemessenheit für die verfolgten Zwecke der Strafverfolgung und Strafprävention noch immer nicht erwiesen sind,

- weil die Anhäufung von unglaublichen Datenmassen verfassungswidrige missbräuchliche Nutzungen nicht nur durch ausländische Geheimdienste ermöglicht,

- weil auf Vorrat gesammelte Daten neue Nutzungsideen und Nutzungswünsche sogar hervorrufen können.

Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode heißt es zum Thema Vorratsdatenspeicherung: "Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten umsetzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dabei soll ein Zugriff auf die gespeicherten Daten nur bei schweren Straftaten und nach Genehmigung durch einen Richter sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben erfolgen. Die Speicherung der deutschen Telekommunikationsverbindungsdaten, die abgerufen und genutzt werden sollen, haben die Telekommunikationsunternehmen auf Servern in Deutschland vorzunehmen. Auf EU-Ebene werden wir auf eine Verkürzung der Speicherfrist auf drei Monate hinwirken."

Bedeutsam an dieser Formulierung ist, dass die Vermeidung von Zwangsgeldern, die der EuGH verhängen könnte, und nicht die Eignung der Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten zur Verbrechensbekämpfung als Begründung für eine Vorratsdatenspeicherungsregelung herangezogen wird. Dies ermöglicht eine vorgängige ernsthafte Auseinandersetzung mit der Eignung und der Erforderlichkeit der Speicherung aller Kommunikationsverbindungsdaten zur Verbrechensbekämpfung, zu der sich auch der Europäische Gerichthof nach Presseberichten in der mündlichen Verhandlung zur Rechtmäßigkeit der EU-Vorratsdatenrichtlinie sehr kritisch geäußert hatte. Europäischer Rat, Kommission und Parlament hätten keine belastbaren Zahlen präsentieren können, inwieweit auch die verdachtsunabhängige Speicherung aller Telekommunikationsdaten bei der Aufklärung von Straftaten helfen. Auch das Votum des Generalanwaltes ist hier sehr skeptisch. Es zeichnet sich also ab, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes die Eignung und Erforderlichkeit von anlasslosen Speicherungen der Telekommunikationsdaten zumindest ausführlich diskutieren, wenn nicht sogar ablehnen wird. Es ist höchste Zeit, die nach dem 11. September 2001 aus dem Ruder gelaufene Praxis der riesigen Datensammlungen auf das nach der europäischen Grundrechtecharta zulässige Maß zurückzufahren.

Dr. Imke Sommer

2. Bremische Bürgerschaft – Ergebnisse der Beratungen des