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Annelies Marie Frank wurde am 12. Juni 1929 in Frankfurt/Main als zweite Tochter einer deutsch-jüdischen Familie geboren. Ihr Vater Otto Frank, Sohn eines Bankdirektors, studierte ab 1908 kurze Zeit Kunstgeschichte an der renommierten deutschen Universität Heidelberg. Er brach sein Studiu-m allerdings für ein PraktikuStudiu-m iStudiu-m New Yorker Warenhaus Macy’s ab.

Sechs Jahre, nachdem er 1909 wieder nach Deutschland heimgekehrt war, um seine Mutter bei der Leitung des Familienunternehmens zu unterstüt-zen, wurde Otto Frank zum Dienst in der deutschen Armee einberufen. Im Zuge der Inflation, die 1923 ihren Höhepunkt erfuhr, erlitt das Familienun-ternehmen erhebliche Verluste. Otto Frank entschied sich, nach Amster-dam, in das neue Zentrum des europäischen Devisenhandels zu gehen, um dort die Bank M. Frank en Zonen zu gründen. Zwei Jahre später heiratete Otto Frank die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Aachen stam-mende Edith Holländer in der Aachener Synagoge. Am 16. Februar 1926 wurde ihre erste Tochter Margot Betty Frank in Frankfurt/Main geboren.

Drei Jahre später erblickte Annelies Marie Frank das Licht der Welt. Nach dem Börsencrash 1929, dem sogenannten „Schwarzen Freitag“, erlitt Otto Franks Bankgeschäft erhebliche Einbußen. Die Familie zog in eine kleinere Wohnung in die Ganghoferstraße 24 in Frankfurt/Main. In diesen Jahren er-hielten die Nationalsozialisten durch antisemitische und populistische Lo-sungen immer mehr Zulauf aus der Bevölkerung. 1932 begannen Edith und Otto Frank erstmals, über eine Auswanderung aus Deutschland nach-zudenken.289 Otto Franks Schwager brachte schließlich den Vorschlag ein, Otto Frank solle sich um die Position des niederländischen Repräsentanten der Kölner Opekta-Werke bewerben, die Geliermittel für die Marmeladen-herstellung produzierten. Als Otto Frank in Amsterdam begann, seine neue berufliche Existenz vorzubereiten, verließ im Juni 1933 eine erste Welle von

289 Heyl, 16; Müller: Mädchen, 57 f.

etwa 26.000 Juden Deutschland.290 Am 5. Dezember 1933 bezogen Otto Frank und seine Frau eine Wohnung am Merwedeplein in Amsterdam, zwei Tage darauf folgten ihre beiden Töchter, die zunächst bei den Großel-tern in Aachen geblieben waren. Ab 1935 besuchte Anne Frank den Ams-terdamer Kindergarten der Montessorischule. Mit dem sechsten Lebensjahr wechselte sie in die erste Klasse der gleichnamigen Schule. Der Klassenleh-rer Herr van Gelder erinnerte sich an Anne Frank. Sie sei kein „außerge-wöhnliches“, kein Wunderkind gewesen, wohl aber „sympathisch, gesund, ein bisschen zart vielleicht“, doch das habe sich später gegeben. „In man-chen Dingen“, so van Gelder, sei sie zwar „sehr reif, aber in anderen dafür auch wieder ganz ungewöhnlich kindlich“ gewesen, und auf dieser Mi-schung habe ihre Anziehungskraft beruht. Van Gelder beobachtete, dass sie mehr erlebt habe als andere Kinder:

Man kann sogar sagen, sie hörte auch mehr, auch das Lautlose, und manchmal hörte sie Dinge, von denen man fast vergessen hat, dass es sie überhaupt gibt. So etwas kommt ja bei Kindern vor. Und es ist eine Chance […] – ihr Talent.291

Anne Frank war zugleich ungestüm, fordernd und zart. Sie verhielt sich damals wie viele Mädchen in ihrem Alter. Anne Frank liebte, so ihre dama-lige Freundin Hannah Goslar „Geheimnisse und schwätzen, und sie sam-melte Fotos von Filmstars, wie man sie noch an den Wänden des Anne Frank Hauses sehen kann“.292 Goslar weiter: „Sie fing an zu schreiben, und sie war bereit, jeden Spaß mitzumachen.“293 Goslars Mutter schätze Anne Frank so ein: „Gott weiß alles, aber Anne weiß alles besser.“294

Große Gewinne erzielte Otto Frank mit seiner Firma bis zu diesem Zeit-punkt nicht. Zu seinen Mitarbeitern zählten Victor Kugler, der seit 1920 in den Niederlanden ansässig und mit der Branche besser vertraut war als Otto Frank, und Hermine Santrouschitz, von Otto Frank und seiner Familie nur Miep genannt, und ihr späterer Ehemann Jan Gies. Die weitere

Expan-290 Heyl, 18; Michalka, 715.

291 Herr van Gelder, zitiert nach: Schnabel: Spur, 40; Müller: Mädchen, 96; Lee: Beast, 82.

292 Hannah Pick-Goslar in einem Interview mit Willy Lindwer im Dezember 1987, zitiert nach:

Lindwer, 30.

293 Ebd.

294 Ebd.

Das Leben der Anne Frank 105

sion des „Dritten Reiches“ beunruhigte die kleine Familie Frank und seine Angestellten. Insbesondere nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Rest-ČSR und ins Memelgebiet im Frühjahr 1939 wuchs die Unsicher-heit. Am 10. Mai 1940 marschierten deutsche Truppen in die Niederlande ein, die bereits fünf Tage später kapitulierten. Erste antijüdische Maßnah-men der deutschen Besatzungsmacht folgten. Sie zielten auf die Ausgren-zung der Juden aus den niederländischen Luftschutzverbänden und aus dem öffentlichen Dienst. Dessen Angestellte und Beamte mussten eine

„Ariererklärung“ abgeben. Im November 1940 folgte die Entlassung der jü-dischen Beamten und Lehrer.295 Im Herbst 1940 wurde von den deutschen Besatzern die Ausweispflicht für alle Niederländer ab dem vierzehnten Le-bensjahr eingeführt. Zur selben Zeit erschienen an den Eingängen von mehr und mehr Cafés und Restaurants Schilder mit der Aufschrift „Joden niet gewenscht“ – „Juden unerwünscht“.296 Ab dem 9 Januar wurde der Verband der Kinobesitzer angewiesen, Juden den Zutritt zu verwehren.297 Ende 1941 wurde in einer weiteren Verordnung bestimmt, dass Ausweise von Juden mit einem „J“ markiert werden sollten. Ende Januar 1941 wurde der im September 1940 im Deutschen Reich angelaufene antisemitische Propagandafilm Jud Süß dem niederländischen Publikum zur Einstimmung auf die geplante Eskalation der Verfolgung präsentiert.298 Zur selben Zeit begann die der deutschen SA ähnliche „Weerbaarheidsafdeling“ (WA) der niederländischen Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) mit einer massi-ven antisemitischen Kampagne.299 Ab März 1941 wurde Juden erst auf loka-ler Ebene und dann bald landesweit der Zugang zu Hotels, Restaurants, Cafés, Kinos, Theatern, öffentlichen Bibliotheken, Versammlungslokalen und Schwimmbädern verboten, Schilder mit der Aufschrift „Voor Joden verboden“ wurden Pflicht.300

Zu Beginn des Schuljahres 1941 mussten Anne Frank und ihre Schwes-ter schließlich das jüdische Lyzeum besuchen. Bereits zu Anne Franks drei-zehntem Geburtstag, an dem sie das bekannte rot-braun-weiß-karierte

Ta-295 Romijn, 302; Heyl, 43.

296 Romijn, 309; Lee: Beast, 99; Müller: Mädchen, 174.

297 Romijn, 308; Schnabel: Spur, 52.

298 Heyl, 44.

299 Romijn, 299; Heyl, 44; Lee: Beast, 94.

300 Romijn, 308; Heyl, 70; Müller: Mädchen, 181.

gebuch geschenkt bekam, hatte Otto Frank beschlossen, mit seiner Familie unterzutauchen. Hermann van Pels, ein Freund von Otto Frank und Mitar-beiter seiner Firma, kam zu dem Schluss, dass es die beste Lösung sei, sich im Hinterhaus ihres Bürogebäudes zu verbergen.301 Das Ehepaar Frank ent-schied sich schließlich dazu, gemeinsam mit Hermann und Auguste van Pels sowie deren Sohn Peter unterzutauchen. Überraschend früh kam Mar-gots Aufruf zum „Arbeitseinsatz“ in Deutschland. Am 6. Juli 1942, drei Wo-chen nach Anne Franks Geburtstag, tauchte die gesamte Familie im Hinter-haus unter. Sieben Tage später traf auch die Familie van Pels mit ihrem Sohn Peter van Pels, im Tagebuch Peter van Daan genannt, ein. Am 16. No-vember 1942 wurde der Zahnarzt, Fritz Pfeffer, von Anne Frank in ihrem Tagebuch „Dussel“ genannt, als achte Person in das Hinterhaus aufgenom-men. Anne Frank musste sich fortan das Zimmer mit Pfeffer teilen.

Die folgenden zwei Lebensjahre von Anne Frank waren bestimmt vom Leben im Versteck, den einzuhaltenden Regeln, der Angst, entdeckt zu werden, von den Konflikten mit ihrer Mutter, dem Loslösen von den Eltern und der ersten großen Liebe zu Peter van Pels. In dieser Zeit entstand das Tagebuch der Anne Frank. Anne Frank berichtete in ihrem Tagebuch, am 28. März 1944 eine von Radio Oranje (Radiosender der niederländischen Exilregierung in London) übertragene Rede von Gerrit Bolkestein, Minister für Unterricht, Künste und Wissenschaft der niederländischen Exilregie-rung in London, gehört zu haben.302 Bolkestein sagte:

Geschichte kann nicht nur aufgrund offizieller Unterlagen und Archi-vakten geschrieben werden. Soll das nachkommende Geschlecht voll und ganz begreifen, was wir als Volk in diesen Jahren mitgemacht und überstanden haben, dann brauchen wir gerade einfache Schriftstücke, ein Tagebuch, Briefe eines Arbeiters aus Deutschland, die Ansprachen-reihe eines Pfarrers oder Priesters.303

Anne Frank beschloss nach diesem Aufruf, ihr Tagebuch zu überarbeiten und einen Roman über das „Hinterhaus“ herauszubringen.304

301 Heyl, 53.

302 Stroom, 67; Tgb., 658, a-Fassung. 29.3.1944.

303 Gerrit Bolkestein, zitiert nach: Stroom, 69.

304 Tgb., 658, a-Fassung. 29.3.1944.

Das Leben der Anne Frank 107

Am 4. August 1944 wurden die acht Untergetauchten von einem bis heute Unbekannten verraten und von SS-Oberscharführer Karl Silberbauer und mehreren niederländischen Mitarbeitern des „Judenreferats“ des SD verhaftet. Anne Frank hatte keine Gelegenheit, ihr Tagebuch mitzunehmen.

Die Angestellten Miep und Jan Gies sowie Elisabeth van Wijk-Voskuijl fan-den später Anne Franks Bücher und Schreibpapiere auf dem Bofan-den ver-streut.305

Die acht Untergetauchten sowie die Helfer Johannes Kleiman und Kug-ler wurden in das Amsterdamer SD-Gebäude in der Euterpestraat ge-bracht. Die beiden Helfer kamen noch am selben Tag in das Untersu-chungsgefängnis am Amstelveenseweg. Ein Prozess gegen sie wurde nicht geführt, auch nicht gegen viele andere Niederländer, die wegen Unterstüt-zung von Juden verhaftet worden waren.306 Die Familien Frank und van Pels sowie Fritz Pfeffer wurden noch am 4. August von den beiden Helfern getrennt und kamen zunächst in eine Haftanstalt in der Weteringschans.

Sie wurden am 8. August 1944 vom Amsterdamer Hauptbahnhof in einem Personenzug in das Durchgangslager Westerbork gebracht.307

Am 2. September 1944 erklärte der damalige Lagerkommandant Wester-borks, Albert Konrad Gemmeker, aus Den Haag sei der Befehl gekommen, das Lager zu „evakuieren“.308 Drei Wochen zuvor waren die Alliierten in Südfrankreich gelandet, eine Woche lag die Befreiung von Paris zurück, und die Alliierten standen bereits unmittelbar an der Grenze zwischen Frankreich und Belgien.

Am 3. September 1944 fand der letzte Transport von Westerbork nach Auschwitz statt. 498 Männer, 442 Frauen und 79 Kinder, zusammen 1.019 Personen, bestiegen den Zug, unter ihnen befanden sich alle acht Unterge-tauchten.309 Sie trafen in Auschwitz in der Nacht vom 5. auf den 6. Septem-ber 1944 ein. 549 Personen, darunter alle Kinder unter fünfzehn Jahren, wurden gleich bei der Selektion für den Tod in den Gaskammern bestimmt.

305 Vernehmung Jan Gies, Miep Gies, Elisabeth van Wijk-Voskuijl. 29.9.1959.

306 Paape: Gefangenschaft, 55.

307 Lindwer, 76; Paape: Gefangenschaft, 56.

308 Heyl, 122.

309 Ebd., 123; Lindwer, 182.

258 Männer und 212 Frauen aus dem Transport wurden getrennt als Häft-linge in das Lager eingewiesen.310

Hermann van Pels war der erste der vier Männer aus dem Hinterhaus, der in Auschwitz im Oktober 1944 seinen Tod in der Gaskammer fand. Au-guste van Pels verließ Auschwitz am 26. November in Richtung Bergen-Belsen, wo sie Anne und Margot Frank noch einmal wiedersah und vor der Befreiung dieses Lagers verstarb. Peter van Pels gelangte am 25. Januar 1945 mit einem der Todesmärsche aus Auschwitz in das österreichische Konzentrationslager Mauthausen. 73 Tage war er zur Zwangsarbeit im Ar-beitskommando in Melk eingesetzt. Mitte April kam er zurück in das Kon-zentrationslager Mauthausen, das am 5. Mai 1945 befreit wurde. Am selben Tag starb Peter van Pels.311 Edith Frank starb am 6. Januar 1945 in Auschwitz aufgrund einer Atemwegsinfektion mit Fieber. Fritz Pfeffer fand am 20. De-zember 1944 im Konzentrationslager Neuengamme den Tod. Anne und Margot Frank wurden Ende Oktober oder Anfang November 1944 nach Bergen-Belsen gebracht. Das Lager befand sich in einem katastrophalen Zustand, beide erkrankten bald darauf an Typhus.

Anne Frank und ihre Schwester Margot starben im März 1945 im Lager Bergen-Belsen an Typhus.312 Zwei Monate später wurde das Lager von den britischen Alliierten befreit. Am 3. Juni 1945 kehrte Otto Frank nach einer viermonatigen Odyssee nach Amsterdam zurück. Er überlebte als einziger der acht Untergetauchten das nationalsozialistische Regime. Als im Som-mer 1945 durch den Brief einer Überlebenden, Lien Rebling-Brilleslijper aus Rotterdam, auch der Tod von Anne und Margot Frank bittere Gewiss-heit wurde, übergab Miep Gies an Otto Frank das bis dahin für Anne ver-wahrte Tagebuch.313

310 Heyl, 126; Paape: Gefangenschaft, 56.

311 Paape: Gefangenschaft, 58.

312 Rachel van Amerongen-Frankfooder: „In der Baracke traf ich Anne und ihre Schwester Margot wieder. Ihre Eltern waren nicht da. Die Mädchen Frank waren fast unkenntlich da-durch, dass ihnen die Haare abgeschnitten waren […] und sie froren […] Die Mädchen Frank waren schon stark abgemagert und sahen schrecklich aus. Man sah sie wirklich sterben.“

Nach Lindwer, 134.

313 Vernehmung Miep Gies 29.9.1959.