• Keine Ergebnisse gefunden

2. STILISIERTE FAKTEN

2.1. Langfristiges Wachstum

Um die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der vier betrachteten Volkswirtschaften während der letzten 40 Jahre besser erfassen zu können, wird hier in einem ersten Schritt das langfristige Wachstum betrachtet. Im nächsten Unterkapitel 2.2. werden dann in einem zweiten Schritt die kurzfristigen, konjunkturellen Tendenzen untersucht werden.8 Wenn man das reale Bruttoinlandsprodukt auf das Jahr 1972 indexiert, wird in ABBILDUNG

1 schnell ersichtlich, dass das BIP Liechtensteins seit jenem Jahr mit Abstand am stärksten gewachsen ist. Es hat sich in jener Zeit circa vervierfacht, während es sich in den anderen drei Ländern in etwa verdoppelt hat.9

7 Die realen BIP-Daten für Österreich und Deutschland entstammen der „National Accounts Main Aggregates Database“ der Statistics Division der Vereinten Nationen, welche die Zahlen der nationalen statistischen Ämter verwenden, bei den aktuellen Jahren 2010 und 2011 vereinzelt aber auf Zahlen der OECD zurückgreifen. Für Deutschland wurde der Strukturbruch – ausgelöst durch die Wiedervereinigung – in der Database bereits bereinigt, indem das reale BIP des neuen Bundesgebietes anhand des Wachstumsraten Westdeutschlands retropoliert wurde. Für die Schweiz entstammen die realen BIP-Daten der historischen Tabelle auf der Homepage des schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Die nominalen BIP-Zahlen Liechtensteins stammen aus AMT FÜR STATISTIK [2012b] (BIP 1998–2010), AMT FÜR STATISTIK

[2013a] (BIP 2011) und BRUNHART [2012b] (BIP 1972–1997). Die realen Zahlen wurden daraus unter Verwendung des schweizerischen BIP-Deflators berechnet, welcher vom schweizerischen Bundesamt für Statistik publiziert wird, da für Liechtenstein ein Preisindex fehlt. Schweizerische Deflatoren für die Inflationsbereinigung nominaler (in Geld gemessener) Grössen der liechtensteinischen Volkswirtschaft zu verwenden ist plausibel und wird auch von OEHRY [2000, S.345] und SCHLAG [2011, S.43] vorgeschlagen.

Dies wird üblicherweise so praktiziert und lässt sich durch die grosse Verflechtung Liechtensteins mit der Schweiz rechtfertigen (Wirtschafts-, Zoll- und Währungsunion). Die Relevanz schweizerischer Preisindizes wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass das liechtensteinische Amt für Statistik Zahlen des Bundesamtes für Statistik für den schweizerischen Landesindex der Konsumentenpreise übernimmt und in seine Publikationen integriert. Datenstand für die Analysen in diesem Papier ist März 2013. Die Datenreihen, welche in diesem Papier verwendet wurden und deren Quellen sind unter folgender Adresse abrufbar: http://andreas.brunhart.com/publications. Für die statistischen Datenanalysen wurden die Programme Excel 2010, EViews 7.2, Stata/SE 12.1 und gretl 1.9.9 verwendet.

8 Weitere Beiträge, welche sich speziell dem Wachstum und der Konjunktur Liechtensteins widmen (auch international vergleichend), sind SCHLAG [2004], KELLERMANN UND SCHLAG [2008a] und BRUNHART,KELLERMANN UND SCHLAG [2012].

9 Eine interessante Beobachtung in diesem Zusammenhang ist, dass das reale Wachstum in Deutschland und Österreich für lange Zeit beinahe deckungsgleich (siehe ABBILDUNG 1) ist, nach der deutschen Wiedervereinigung wuchs Deutschland dann aber langsamer als der kleinere Nachbar.

ABBILDUNG 1: Reales Bruttoinlandsprodukt (indexiert: BIP im Jahr 1972 1)

Was aber erst ersichtlich wird, wenn man das langfristige Trendwachstum ermittelt, ist die Tatsache, dass das Trendwachstum (durchschnittliches Wachstum) in Liechtenstein ab Ende der 1990er-Jahre stark nachgelassen und sich kontinuierlich dem Niveau der anderen drei Staaten angepasst hat. In BRUNHART,KELLERMANN UND SCHLAG [2012] wird, basierend auf deskriptiven, grafischen Analysen des Trendwachstums verschiedener realer Zeitreihen Liechtensteins (BIP, Exporte, aggregierte Einkommen), das Jahr 1998 als Strukturbruch im Wachstumspfad festgelegt. ABBILDUNG 2 zeigt diese Konvergenzentwick-lung deutlich.10 Um dies zu untermauern, werden nun statistische Tests auf Strukturbruch nach CHOW [1960] und nach FISHER [1970] durchgeführt: Der deskriptive Eindruck (das Jahr 1998 als liechtensteinischer Strukturbruch) kann auf ökonometrischer Basis bestätigt werden.11

10 Die extrem tiefen Werte des schweizerischen BIP hängen wohl auch mit der Start- und Endpunktproblema-tik von symmetrischen Filtern, wie es der HP-Filter ist, zusammen (zu dieser ThemaEndpunktproblema-tik: siehe BRUNHART

[2013, S.162]). Das mit längeren Datenreihen berechnete Wachstum des Produktionspotentials in ABBILDUNG 3 weist ein Trendwachstum von etwa zwei Prozent für die Jahre 1973 und 1974 aus. Zudem wird das geglättete Wachstum von sehr starken konjunkturellen Einbrüchen in der Schweiz im Zuge des Erdölschocks Mitte der 70er-Jahre und der zu dieser Zeit angewandten restriktiven Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank zur Stabilisierung des Preisniveaus geprägt, welche Investitionen und Exporte belastete.

11 Dabei wurden die logarithmierten Differenzen des liechtensteinischen realen BIP in ein ARMA-Modell mit Konstante eingepasst. ARMA[1,1] und ARMA[0,2] stellten sich bei einer maximalen Lag-Länge von zwei als passendste Spezifikationen heraus, die Resultate der Tests auf Strukturbruch (CHOW [1960] und FISHER

[1970]) finden sich in TABELLE 19 im Anhang. Die Tatsache, dass sich die Volatilität im liechtensteinischen BIP ändert (wie in diesem Papier später mehrfach gezeigt wird), kann in diesem Kontext statistisch vernachlässigt werden: Tests von WHITE [1980] weisen keine Heteroskedastizität (zeitliche Abhängigkeit der Varianz der Fehler) in den angewandten ARMA-Modellen nach.

ABBILDUNG 2: Wachstum des Produktionspotentials (Trendwachstum des realen BIP)

In ABBILDUNG 3wurde eine Verlängerung (1954-1971) einer provisorischen Version der in BRUNHART [2012b] zurückgeschätzten BIP-Reihe (1972-1997) vorgenommen. Dabei lässt sich erkennen, dass zu dem starken Rückgang des Trendwachstums des liechtensteini-schen Bruttoinlandsproduktes ein zweiter Strukturbruch Mitte der 1970er-Jahre dazukommt, wo es nach einem extrem starken (aber zurückgehenden) Trendwachstum zu einer Stagnation der Wachstumsraten gekommen ist, wenn auch immer noch auf hohem Niveau.

ABBILDUNG 3: Trendwachstum des realen BIP der Schweiz und Liechtensteins

Quelle: BRUNHART,KELLERMANN UND SCHLAG [2012, S.10]

Neben der Identifikation der Strukturbrüche und der Wachstumskonvergenz-Tendenzen zur Schweiz betonen BRUNHART, KELLERMANN UND SCHLAG [2012, S.16–20] auch, dass das Trendwachstum in Liechtenstein stark durch ein Beschäftigungswachstum getrieben ist.12 Die Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität hingegen waren in einzelnen Jahren des vergangenen Jahrzehnts sogar negativ.

12 Die Beschäftigung im Inland wuchs von 20’037 Beschäftigten im Jahre 1992 auf 35’253 in 2011 (vgl. AMT FÜR STATISTIK [2012a]), bei einer Wohnbevölkerung von 36’475 (18’279 tägliche Zupendler) in 2011.

Die aktuelle Finanzkrise wird in der wissenschaftlichen Analyse oft schon als weiterer Strukturbruch gewertet. Dieser Bruch wird also nicht nur als konjunkturelles Phänomen gesehen, sondern es wird gefolgert, dass gewisse Wirkungen persistent sind und die Volkswirtschaft als Folge auf einem tieferen Wachstumspfad wachsen wird (vgl.

BRUNHART,KELLERMANN UND SCHLAG [2012, S.15]).