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Wie lässt sich die Sicht junger Kinder auf ihre Lebenswelt ermitteln?

6.1. Die Herausforderung

Erhebt man den Anspruch, die „Kinderfreundlich-keit“ von Lebensräumen und die Rahmenbedin-gungen für eine gesunde Entwicklung mit Inhalten und politischen Zielvorstellungen zu füllen, ist es unumgänglich, die Sicht der Direktbetroffenen mit einzubeziehen. Leider muss festgestellt werden, dass z.B. im Bereich der Orts- und Stadtteilplanung der Einbezug von Kinderanliegen nach wie vor eine Ausnahme darstellt (vgl. Muri Koller 2010). Woran liegt es, dass die Sichtweise junger Kinder nicht be-rücksichtigt wird, wenn es um die Ausgestaltung ih-rer Lebensräume geht? Wie in der Einleitung darge-legt, gibt es dafür zwei Gründe: Zum einen werden Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren nicht als kom-15 Beim Studium der Atmosphären geht es um die Frage, wie man sich in Umgebungen mit bestimmten Qualitäten fühlt, d.h. wie man die Qualitäten im eigenen Befinden spürt (vgl. Böhme 2006).

petent genug erachtet, zu Fragen dieser Art Stellung zu nehmen. Zum anderen stellt es eine Herausforde-rung dar, Erhebungsmethoden zu finden, die es jun-gen Kindern ermöglichen, ihre Befindlichkeit und ihre Bedürfnisse zu bekunden.

6.2. Die Voraussetzungen

6.2.1 Anerkennung des Kindes als sozialer Akteur

Eine echte Partizipation16 von Kindern setzt voraus, diese als eigenständige Personen wahrzunehmen und ihre Kompetenzen anzuerkennen. Mit anderen Worten: wir müssen uns vom Paradigma des Kin-des als unreifes Entwicklungswesen, das erst mit Erreichen des Erwachsenenalters als gleichwertiges Mitglied unserer Gesellschaft ernst genommen wer-16 Erst wenn Kinder an Entscheidungen mitwirken, die sie betreffen, wenn sie in wichtigen Belangen mitbestimmen und auf diese Weise aktiv ihre Lebensbereiche mitgestalten, kann von Partizipation im eigentlichen Sinne gesprochen werden (vgl. Hart 1997).

den kann, verabschieden und Kinder stattdessen als

„Seiende“, als kompetente Akteure und Personen aus eigenem Recht anerkennen (vgl. James et al.

1998). Wir müssen akzeptieren, dass die Anliegen und Meinungen von Kindern ebenso bedeutungs-voll sind wie die unsrigen.

Kinder sind eigenständige Subjekte, die aktiv ihre Umwelt gestalten und dabei Einfluss auf diese neh-men (Kaltenborn 2001). Sie sind schon bei Geburt mit Lern- und Entwicklungskompetenzen ausge-stattet. Um sich Welt aneignen zu können, müssen sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln, und dafür brauchen sie ihr eigenes Tun. Jedes Kind entwickelt so von Anfang an sein eigenes Wissen und schafft sich sein eigenes Bild der Welt. Aus neurobiologi-scher Sicht (vgl. Spitzer 2002, Walk 2011) bedeutet das: Jedes Hirn baut seine eigene Struktur, seine ei-gene Architektur auf. Wenn es also darum geht, eine kinderfreundliche Umwelt zu gestalten, kommen wir nicht umhin, die Erfahrungen und die Sicht der betroffenen Kinder mit zu berücksichtigen. Dafür empfindendes Subjekt

sehendes Subjekt handelndes Subjekt

gestimmter Raum

Anschauungs-raum Aktionsraum Raumwahrnehmung beeinflusst

die Stimmung des Subjekts Stimmung des Subjekts beeinflusst die Raumwahrnehmung

Überlappung der verschie-denen

Raumwahrnehmun-gen ist möglich

Handlung des Subjekts wird durch den Raum ermöglicht

oder verhindert Subjekt nimmt

Anschauungs-raum aus bestimmter Perspekti-ve wahr und ergänzt ihn ggf.

durch „gewussten“ Raum

Aktionsraum kann durch Handlungen des Subjekts

verändert werden Anschauungsraum zeigt

sich dem Subjekt

Abb. 23: Modelle der verschiedenen Wahrnehmungsformen des Raumes (Haupt 2006: 72)

sind die betroffenen Kinder als „Experten/innen in eigener Sache“ anzuhören und in die Planung einzu-beziehen. Das bedeutet, dass wir als Erwachsene nicht nur vor die Herausforderung gestellt sind, die subjek-tive Sicht junger Kinder auf ihre Welt in Erfahrung zu bringen, sondern auch, uns dem Tempo der Kinder anzupassen, ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu verste-hen und ihre Wünsche und Vorstellungen gleichbe-rechtigt in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.

Die Frage lautet: Wie kann Kindern das Recht auf Meinungsbildung und Anhörung in Belangen, die sie direkt betreffen (vgl. Art. 12 der UN-Kinderrechts-konvention17) gewährt werden? Wie können sie aktiv in den Forschungsprozess einbezogen werden?

6.2.2 Haltung und Rolle der Forscherin Ein partizipatives Projekt zeichnet sich dadurch aus, Forschung „vom Kinde aus“ und nicht Forschung

„über Kinder“ zu betreiben. Dafür muss der/die Forscher/in nicht nur eine offene Haltung einneh-men und unvoreingenomeinneh-men an die Forschungs-partner/innen herantreten, sondern er/sie muss den Fokus dabei auf deren Fähigkeiten und Stär-ken legen. Die Rolle der Forscherin besteht folglich nicht nur darin, sich einen „verstehenden Zugang“

zu den Forschungssubjekten zu verschaffen, son-dern vor allem auch darin, den Forschungspartner/

innen Raum zu geben, ihre Ansichten und Bedürf-nisse auszudrücken und sie darin zu unterstützen, ihr Potential zu entfalten und zu nutzen. In der For-schungszusammenarbeit mit jungen Kindern stellt dies eine besondere Herausforderung dar.

Dieses Verständnis der Rolle des/der Forscher/in ent-spricht einem systemtheoretischen, insbesondere aber einem konstruktivistischen Wissenschaftsverständnis.

Aus Sicht der Kybernetik 2. Ordnung ist er/sie nicht eine neutrale, objektive Beobachter/in, sondern ge-staltender und mitagierender Teil des Forschungspro-zesses. Dadurch verändert sich seine/ihre machtvolle Position zugunsten einer Kooperation mit den For-schungsteilnehmer/innen. Wichtig ist, dass der/die Forscher/in sich dieser konstituierenden Rolle bewusst ist und diese im gesamten Verlauf des Forschungspro-zesses kritisch reflektiert (vgl. Meyer 2010).

Für das Projekt „Fremd- und Selbstevaluation der Lebensqualität von Kindern zwischen 3 und 6 Jah-ren in urbanen und ländlichen Lebenswelten des 17 Art. 12 Abs.1 CRC: Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern, und berücksichtigen die Mei-nung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.

Kantons Zürich“ gilt es also, eine forschungsmetho-dologische Verortung vorzunehmen, in der junge Kinder als selbsttätig handelnde Subjekte und Kon-strukteure ihrer eigenen Umwelt wahrgenommen und ernst genommen werden. Forschungstechnisch erfordert dies eine aktivierende Praxis, die im Rah-men einer qualitativ-explorativen Studie18 umge-setzt werden soll19.

6.3 Partizipative Methoden für die Ar-beit mit jungen Kindern

Wie es möglich ist junge, Kinder ab 3 Jahren in die Planung und Gestaltung von Lebensräumen mit-einzubeziehen, hat Clark (2010) in ihren Studien exemplarisch und wegweisend zeigen können. Sie hat nicht nur die kindliche Wahrnehmung von Ein-richtungen im vorschulischen Bereich untersucht, sondern in Zusammenarbeit mit Architekt/innen, Eltern und Erzieher/innen den Umbau einer Kita nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der be-troffenen Kinder initiiert und begleitet20.

Für die Befragung21 der jungen Kinder hat Clark mit Peter Moss zusammen den sog. „Mosaic Approach“

(Clark/Moss 2010) entwickelt. Bei der Mosaik-Me-thode handelt es sich um einen MultimeMosaik-Me-thoden- Multimethoden-ansatz, der Fotografien der Kinder, gemeinsame Begehungen (Wahrnehmungsspaziergänge), selbst-gestaltete „Landkarten“ mit Interviews, Beobach-tungen und Erzählungen der Kinder kombiniert.

Dank der Variation dieser verschiedenen Herange-hensweisen ist es möglich, ein tieferes Verständnis für die Perspektive junger Kinder auf ihre Räume und Orte zu erlangen.

Für die Architekt/innen im Team, die dem Vorhaben von Clark, eine Kinderkrippe nach den Vorstellun-gen und Visionen der Kinder umzubauen, am An-fang skeptisch gegenüber gestanden hatten, stellten 18 Einen explorativen Zugang zum Forschungsfeld zu wählen, bedeutet, dass man „voraussetzungsarm, keineswegs aber voraussetzungslos, d.h. theorielos Forschung betreibt“

(vgl. Heinze 2001).

19 Die Sicherung und Prüfung der Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse erfolgt hier auf zwei Wegen: einerseits über die Dokumentation des Forschungsprozesses, der Erhe-bungsmethoden, der Daten und der Auswertungsmethoden, andererseits durch die Triangulation, die kommunikative Validierung und die Interpretation der Daten in Gruppen.

20 Nachzulesen in: Alison Clark (2010): Transforming Children’s Spaces. Children’s and adults’ participation in designing learning environments. London, Routledge.

21 Befragung meint hier nicht „Abfragen von Wissen“ oder

„Interview“, sondern stellt einen Prozess dar, in dem Wissen (ko-) konstruiert wird im Sinne eines Bewusstwerdungsprozesses.

insbesondere die visuellen Methoden eine Plattform bereit, um sich mit der Raumwahrnehmung und Raumerfahrung junger Kinder auseinandersetzen zu können. In Nachhinein erachteten sie die Zusam-menarbeit mit den jungen Benutzer/innen als einen wertvollen Erkenntnisgewinn. Wie die Nachunter-suchung zeigten, waren die Kinder mit ihrer neuen Umgebung sehr zufrieden (vgl. Clark 2010).