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4 Kulturkompetenz – Schlüssel zur interkulturellen Kommunikation

Das translatorische Handeln ist ein komplexes Unternehmen, dessen Durchführung in erster Linie voraussetzt, dass der Translator über eine durchaus erwiesene Kulturkompetenz verfügt.

Dazu äußert sich Margret Ammann (1990: 84; Hervorhebg. i. Original) wie folgt:

Dabei ist man sich – zumindest als Praktiker und in zunehmendem Maße auch an den Ausbildungsstätten – bewußt, daß Sprachkompetenz allein bei weitem nicht ausreicht, um interkulturelle Kommunikation zu ermöglichen. An erster Stelle ist ein hohes Maß an Kulturkompetenz gefordert. Der Translator muß um die Normen und Vorstellungen in seiner eigenen Kultur und der fremden Welt wissen. Er muß in der Lage sein, das kulturelle Wissen kontrastiv in Beziehung zueinander zu setzen und dabei die Annahmen der einen Kultur über die andere mitberücksichtigen.

Kenntnisse über die Kultur, in die übersetzt wird, sind eine Selbstverständlichkeit für literarische Übersetzer, weil sie in der Regel dem Kulturkreis des Zielpublikums angehören.7 Mangelnde Kulturkenntnisse sind häufig dort wahrnehmbar, wo sich die Übersetzung auf die Kultur bezieht, aus der das zu übersetzende Werk stammt. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn die geographische und kulturräumliche Distanz zum Zielsprachenland sehr groß ist, wie beispielweise bei der Übersetzung afrikanischer Literatur in europäische Sprachen. Insofern versuchen manche westliche Translatoren, ihre Kenntnislücken über den Kulturhorizont des afrikanischen Autors zu schließen, bevor sie den Auftrag zum Übersetzen dessen Werk ausführen. Während sich die einen darauf beschränken, Recherchen über die Ausgangskultur im Internet, in Romanen, Sachbüchern, Nachschlagwerken etc. zu machen, ziehen die anderen es vor, sich im Land des Ausgangstextproduzenten aufzuhalten, um dessen Kultur vor Ort zu erleben. Diesen Schritt unternahm die freie Übersetzerin Cornelia Panzacchi, ehe sie die deutsche Übersetzung des Romans L’appel des arènes (1982) von Aminata Sow Fall anfertigte,

7 Dies erklärt Fritz Güttinger (1963: 20) mit diesen Worten: „Wenn es aber etwas gibt, worüber sich jedermann einig ist, dann ist es die Feststellung, dass eine literarische Übersetzung immer eine solche in die eigene Sprache ist.

Offenbar soll sich der Übersetzer in der Sprache, die er schreibt, völlig zu Hause fühlen, und nur in seiner eigenen Sprache fühlt man sich zu Hause, alle andern, so vertraut sie einem sein mögen, sind gewissermaßen nur Abstiegequartiere.“

wie sie im Rahmen eines Interviews mit dem senegalesischen Germanisten Louis Ndong (2014:

63) bestätigte:

Vermutlich hätte ich Schwierigkeiten gehabt, mir das Erzählte vorzustellen, wenn ich vorher nicht mehrmals in Senegal gewesen wäre, viel mit Senegalesen über ihr Land gesprochen und zahlreiche Romane und auch Artikel und Sachbücher usw.

gelesen hätte. Ich fände es schwierig, z.B. einen indischen Roman zu übersetzen, weil ich noch nie in dem Land war und mich mit dortiger Kultur, Sprache, Alltag etc. nicht eingehend beschäftigt habe.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hat die Übersetzerin von La grève des Bàttu das Beispiel von Cornelia Panzacchi befolgt, denn sie weist eindeutig vertiefte Kenntnisse und Erfahrungen über die senegalesische Kultur auf, wie der folgende Argumentationsschritt belegt.

Schon in den ersten Buchseiten stellt die Übersetzerin mit der Übertragung des kulturverankerten Wortes talibés unter Beweis, dass sie ein profundes Wissen über die Kultur der Schriftstellerin besitzt. Das unten stehende Beispiel dient zur Veranschaulichung:

Originaltext: Ce matin encore le journal en a parlé : ces mendiants, ces talibés, ces lépreux, ces diminués physiques, ces loques, constituent des encombrements humains (5).

Übersetzung: Heute morgen stand schon wieder etwas über sie in der Zeitung: Diese Bettler, diese talibés, diese Leprakranken, diese physischen Krüppel, diese Wracks stellen eine wuchernde menschliche Plage dar (7).

Der in der Übersetzungsvorlage unverändert wiedergegebenen Kulturspezifik fügt Caroline Gutberlet einen wichtigen Kommentar in einer Fußnote bei, nämlich:

Im französischsprachigen Westafrika verbreitete Bezeichnung für die Schüler der Koranschule, für die die Lehre vorschreibt, dass sie sich während der Unterrichtszeit nur vom Erlös aus der Bettelei ernähren dürfen. Die speziellere Bedeutung, auch im hiesigen Kontext ist: der arme kleine Straßenbettler (ebd.).

Diese Anmerkung zeigt deutlich, wie sich die Translatorin in der Ausgangskultur zu Hause fühlt.

Sie hat sich nicht damit begnügt, talibés durch Straßenkinder zu übersetzen – Straßenkinder, die oft für die Wiedergabe von talibés verwendet werden, ist keine sinngemäße Übersetzung des Wolof-Begriffs, denn sie weckt beim Leser den Eindruck, dass die talibés Stadtstreicher sind, die auf der Straße bzw. am Rande der Gesellschaft leben –, sondern sie hat, wie eben gesagt, das kulturspezifische Wort unverändert in den Zieltext übernommen und es mit einem aufschlussreichen Kommentartext versehen. Auf diese Weise hat sie ihre Rolle als Kulturvermittlerin perfekt gespielt. Die Translatorin hat tatsächlich das Zielpublikum befähigt, die religiöse, soziale und kulturelle Bedeutungsdimension des Wolof-Wortes tabilés sinnentsprechend zu rezipieren.

Das letzte zu erörternde Beispiel bekräftigt die Aussage, dass sich Caroline Gutberlet die senegalesische Kultur angeeignet hat:

Originaltext: Pour nourrir et habiller ses deux épouses et ses huit bouts de bois, Madiabel décida à son tour de monter à la Ville (17).

Übersetzung: Um seine zwei Ehefrauen und seine acht Holzstücke ernähren und kleiden zu können, beschloss Madiabel seinerseits in die Stadt zu gehen (24f.).

Da sich die Translatorin bewusst war, dass das ziel- und fremdkulturelle Publikum auf unüberwindbare Schwierigkeiten treffen könnte, um Holzstücke nachzuvollziehen, kam sie zum Entschluss, das kulturell geprägte Wort mit diesen Worten zugänglich zu machen: „Wörtliche Übersetzung des französischen Ausdrucks. Gemeint sind die Kinder. Nach einem Aberglauben soll man Holzstücke statt lebende Wesen zählen, um nicht das Schicksal herauszufordern“ (ebd;

Hervorhebg. i. Original). Wie die Anmerkung der Übersetzerin nahelegt, gibt es im Senegal einen weitverbreiteten Brauch, der will, dass man bei der Aufzählung der Nachkommenschaft lieber den Wolof-Ausdruck banti maam Yàlla (Gottes Holzstücke) als Kinder benutzt, um zu vermeiden, dass die Progenitur frühzeitig aus dem Leben scheidet. Diese kulturelle Information hat die Übersetzerin aufgrund ihrer profunden Ausgangskulturkenntnisse gut verstanden und dem Zielleser in verständlicher Weise weitergegeben.

Aus dieser Befundlage lässt sich ableiten, dass sich die Kulturkompetenz literarischer Übersetzer als eine unerlässliche Bedingung zur Erfüllung ihrer Rolle als Kulturvermittler erweist. Letztere müssen sich sowohl in der Ausgangskultur als auch in der Zielkultur zu Hause fühlen, um die interkulturelle Kommunikation auf dem literarischen Gebiet zwischen Ausgangs- und Zielpublikum herzustellen. Dieses Ziel hat die Übersetzerin von Aminata Sow Falls Roman La grève des Bàttu erreicht. Aufgrund ihrer bikulturellen Kompetenz ist es ihr gelungen, den Dialog auf der kulturellen Ebene zwischen dem Senegal und Deutschland zu ermöglichen.

5 Schlussfolgerung

Die interkulturelle Kommunikation auf dem literarischen Terrain zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturwelten kann trotz der großen geographischen und kulturräumlichen Distanz hergestellt werden, wenn der/die Translator(in) nicht nur gute Kenntnisse über die Ausgangssprache und Zielsprache besitzt, sondern sich auch in der Kultur des Autors/der Autorin und des Zielpublikums zu Hause fühlt. Zu diesem Ergebnis ist die Abhandlung zur Übersetzung senegalesischer Romanliteratur ins Deutsche anhand von Aminata Sow Falls Werk La grève des Bàttu gekommen. Durch ihre Kenntnisse der Sprache und Kultur der Wolof, aber auch durch die hohe Priorität, die sie dem Originalwerk beim Übersetzungsvorgang gab, hat Caroline Gutberlet ihre Aufgabe als Brückenbauerin zwischen dem senegalesischen und deutschsprachigen Kulturraum am Effizientesten ausgefüllt. Trotz vereinzelter Unzulänglichkeiten, die letztendlich jeder Übersetzung innewohnt – wie Johann Wolfgang Goethe schon im Jahr 1827 mit diesen Worten bemerkte: „[d]enn was man auch von der

Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr“ (zit. n. Shaban Mayanja: a.a.O.: 2) – hat die Übersetzung von La grève des Bàttu das Verdienst, die deutschsprachige Leserschaft in die Lage zu versetzen, eine Palette von Informationen aus dem senegalesischen soziokulturellen Raum zu rezipieren.

Literatur

Ammann, Margret (1990): Fachkraft oder Mädchen für alles? – Funktion und Rolle des Translators als Dolmetscher und Begleiter ausländischer Delegationen. In: Interkulturelle Kommunikation, Kongreßbeiträge zur 20. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V., B. Spillner (Hrsg.). Frankfurt am Main, Verlag Peter Lang GmbH, 84-85.

Bachmann-Medick, Doris (1996): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin, Erich Schmidt Verlag.

Fall, Aminata Sow (1979): La grève des Bàttu ou les déchets humains. Dakar, LesNouvelles Éditions Africaines du Sénégal.

Fall, Aminata Sow (1991): Der Streik der Bettler oder der menschliche Abfall (übersetzt von Gutberlet, Caroline). Frankfurt am Main, Verlag Otto Lembeck.

Fall, Khadi (1996): Ousmane Sembènes Roman „Les bouts de bois de Dieu“: Ungeschriebener Wolof-Text, französische Fassung, deutsche Übersetzung. Eine Untersuchung zu Problemen einer literarischen Kommunikation zwi-schen Schwarzafrika und dem deutschen Sprachraum. Frankfurt, IKO – Verlag für Interkulturelle Kommunikation.

Güttinger, Fritz (1963): Zielsprache. Theorie und Praxis des Übersetzens. Zürich, Manesse Verlag.

Lederer, Marianne (1994): La traduction aujourd’hui. Paris, Hachette.

Mayanja, Shaban (1999): »Pthwoh! Geschichte, bleibe ein Zwerg, während ich wachse!«.

Untersuchungen zum Problem der Übersetzung afrikanischer Literatur ins Deutsche.

Hannover, Revonnah.

Nayan, Nina (2007): Im Senegal. Die afrikanische Variante des Glücks. Schweinfurt, Wiesenburg Verlag.

Ndong, Louis (2014): Kulturtransfer in der Übersetzung von Literatur und Film.Sembène Ousmanes Novelle Niiwam und deren Verfilmung Niiwam. Der lange Weg. Göttigen, Cuvillier Verlag.

Poltermann, Andreas (1995): Literaturkanon – Medienereignis – Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung“. In: Literaturkanon – Medienereignis – Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung, Band 10, A.

Poltermann (Hrsg.). Berlin, Schmidt: 1-58.

Senghor, Léopold Sédar (1958). Vorwort zu Les nouveaux contes d’Amadou Koumba. Paris, Présence Africaine: 7-23.

Snell-Hornby, Mary (2002): Übersetzen als interdisziplinäres Handeln. In: Übersetzen als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, J. Renn, J. Straub und S. Shimada (Hrsg.). Frankfurt. New York, Campus Verlag: 144-160.

Tene, Alexandre Ndeffo (2004): (Bi)kulturelle Texte und ihre Übersetzung. Romane afrikanischer Schriftsteller in französischer Sprache und die Problematik ihrer Übersetzung ins Deutsche. Würzburg, Königshausen & Neumann.