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Kryptoanalyse - das vergessene Werkzeug

Im Dokument DIE SPRACHE DER STEINE (Seite 184-200)

DIE DECHIFFRIERUNG INDIANISCHER FELSSCHRIFT ist eine ideale Aufgabenstellung für die Wissenschaft der Kryptoanalyse. Und sie ist die einzigeWissenschaft, die dazu geeignet wäre.

Die Grundforderung für eine Dechiffrierung oder Entschlüsselung ist ein gewisser Mindestvorrat an Rohmaterial, eine Voraussetzung, die durch das amerikanische Angebot an Felsschrift mit Tau-senden von weit übers Land verstreuten Bildern in reichem Maße erfüllt wird.

Bevor ein unbekanntes Kommunikationssystem entschlüsselt werden kann, muss gesichert sein, dass es über eine Konsistenz in der Bedeutung seiner Symbole, Schriftzeichen oder Buchstaben und auch in seiner Struktur verfügt. Ist das System konsistent, so ist es auch entschlüsselbar, egal wie primitiv es sein mag. Dieses Prinzip der sogenannten Konsistenz ist unverzichtbare Grund-voraussetzung einer jeden Sprache; ohne sie ist keine Sprache verständlich. Ohne Konsistenz gäbe es auch keine Kryptoanalyse.

Die Wissenschaft der Kryptoanalyse, ergänzt mit einer soliden Erfahrung auf Seiten des Forschers (der Bleistift ist nicht akkurater als der Mensch, der ihn führt), ist das Werkzeug, mit dessen Hilfe eine Konsistenz festgestellt und ein unbekanntes Kommunikationssystem früher oder später ent-schlüsselt werden kann. Da Kryptoanalyse anhand der konsistenten und etablierten Eigenschaften von Kommunikationen vorgeht, sind ihre Methoden “die einer Naturwissenschaft” (Kahn 1967).

Wenn indianischen Felsschriften die Absicht zugrunde liegt, eine Information zu übermitteln, die von anderen Indianern zur selben Zeit am selben Ort lesbar und verständlich ist, müssten die Sym-bole eine erkennbare Konsistenz aufweisen. Die auf diese Schriften angewandte Kryptoanalyse konnte diese Konsistenzen aufspüren und die Schriften so als Kommunikationssystem bekunden!

Die meisten Schreibsysteme bezwecken nicht, den Leser zu narren. Dies gilt nur nicht für Codes und Chiffren, die absichtlich dazu eingerichtet sind, Konsistenz zu verschleiern, um eine Ent-schlüsselung zu vermeiden oder wenigstens zu verzögern. Jedoch kann auch hier die Konsistenz, obwohl maskiert, nicht völlig aufgegeben werden, und so kommt es dazu, dass selbst die raffi-niertesten Codes und Chiffren doch irgendwann einmal geknackt werden. Und es ist nur durch ständige Veränderung der Codes und Chiffren - wodurch erreicht wird, dass dem Gegner nie genü-gend Zeit und Material zufließt - überhaupt erklärlich, warum derartige Systeme heute noch mit Erfolg eingesetzt werden.

Ein grundsätzliches Werkzeug zur Entschlüsselung der einfacheren Chiffren sind Häufigkeits-listen, die von der Tatsache ausgehen, dass in einer Schrift einige Elemente häufiger vorkommen

und andere seltener. So ist zum Beispiel in der englischen Sprache (und auch in der deutschen) der häufigste Buchstabe das e. Im Englischen sind die Nächsten acht Buchstaben in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit die folgenden: t, a, o, n, r, i, s, h. Daher würde für jeden chiffrierten Text, in wel-chem die Symbole bestimmte Buchstaben des englischen Alphabets ersetzen, gelten, dass das am häufigsten vorkommende Zeichen mit der Bedeutung für egleichzusetzen wäre. Arbeitet man die Häufigkeitsliste weiter ab, so hat man bald schon Wortgerüste, die sich leicht füllen lassen. Beim achten Buchstaben der Häufigkeitsliste ist schon über die Hälfte einer englischen Buchstaben-menge entschlüsselt und eine Botschaft zumeist bereits lesbar. Uns ist bewusst, dass diese Darstel-lung des Problems vielleicht unzulässig stark vereinfacht, aber es gibt ja auch noch andere Fre-quenztypen und kryptoanalytische Regeln, die zur Hilfe bereit stehen.

Häufigkeitslisten stützen sich allerdings auf konsistente Ausspracheregeln, die eine moderne Sprache auch dringend benötigt. Sie lassen sich nicht so ohne weiteres auf das indianische Bilder-schriftsystem anwenden, da letzteres keine Laute enthüllt und daher (neben Ausspracheregeln) auch kein Alphabetisieren und Buchstabieren kennt. Trotzdem können die häufigsten Symbole mit ihren Bedeutungen erfasst werden*. Jede von anderen verstandene und somit praktisch anwend-bare Piktographie wird automatisch gewissen Sprechmustern folgen und Wörter und Phrasen ver-wenden, von denen die einen häufiger und andere seltener sind. Das gilt gleichermaßen für Zeichensprache, in der viele Zeichen öfter gemacht werden als andere, natürlich immer auch abhängig von der Textart.

Wenn nun bei indianischen Felsschriften gezielt mit Häufigkeitslisten experimentiert wird, stellt sich heraus, dass sich die häufigsten Symbole mit den häufigsten Vokabeln assoziieren lassen. Es ist allerdings ein perfektes Verstehen nicht nur einer Indianersprache nötig, denn der sprachliche Ausdruck der Indianer variiert von Stamm zu Stamm. Man darf beispielsweise nicht erwarten, gemeinsprachliche Hopi-Wörter wie kiva**, Gebetsstock, clan, kachina*** bei einem Nomaden-volk anzutreffen, das für diese Wörter keine Verwendung hat. Viele Stämme unterscheiden zum Beispiel umgangssprachlich nicht zwischen blau und grün oder zwischen rot und orange. Andere Stämme wieder kennen kein Wort für “will” und “braucht” und “nehmen” dafür aber das Wort

“möchte”.

Gleichermaßen lassen sich gewisse indianische Wörter nicht zu englischen Begriffen in Beziehung setzen. Man findet zum Beispiel keine echten Äquivalente für die englischen Wörter faith(Glaube) und hope(Hoffnung) in vielen Indianersprachen. Diese Sinnesinhalte werden oft mit indianischen Wörtern wie believe (meinen), holding on to(festhalten an), know (wissen) wiedergegeben, die nach indianischem Verständnis ähnlich konzipiert sind, das heißt ähnliche Vorstellungen wecken.

Wortlisten, die diesen und manchen anderen Umstand mit in Betracht ziehen, können bei der Entschlüsselung indianischer Piktographie wertvolle Dienste leisten, und im Gegensatz ist das Ergebnis, wenn derartige Hilfsmittel unberücksichtigt bleiben, manchmal überhaupt nichts wert.

Häufigkeitslisten dienen in erster Linie dazu, die Verifizierarbeit bei der Entzifferung unbekannter Symbole zu reduzieren. Aber da Häufigkeitslisten niemals alle Symbole umfassen, und speziell nicht Symbole hoher oder niedriger Häufigkeit, sind sie bei Piktographien von nur begrenztem Wert.

* ... und von diesen sind die einfachen, zugleich die kombinatorischen und inkorporativen, Grundsymbole die wertvollsten - vergleiche Tafel 9. (Zus.Anm.d.Übs.)

** Zeremonienraum oder -bau der Pueblo-Indianer (nach Webster 1971).

*** kachina, auch katcina, katchina, cachina[Hopi qacina- übernatürlich] bezeichnet vergötterte Geister Verstorbener, die nach dem Glauben einiger Pueblo-Völker von Zeit zu Zeit die Heimstätten der Lebenden aufsuchen, um Regen und anderes zu bringen. Kachinaist auch die Maske des kachina-Tänzers, der bei Zeremonien des Ackerbaus einen solchen Geist darstellt.

Hopi-Kinder erhalten von diesem Tänzer eine Kachinapuppeaus Baumwollwurzel (nach Webster 1971).

Die Hauptlast der Aufgabe fällt denn auch anderen Disziplinen der Kryptoanalyse zu, als da sind Themenausschließung, grammatische Eliminierungen, Experimentsteuerung, Affinitätskontrollen und -tests, Deduktion und Induktion.

Die meisten dieser Tests sind so eingerichtet, dass sie den Umfang der erforderlichen Deutungs-arbeit reduzieren sollen, um dann die Genauigkeit der verbleibenden Deutungen an Konsistenz-tests zu erproben. Ein Konsistenztest lässt sich allerdings nicht durchführen ohne ein Instrumen-tarium von einigen gut entwickelten Deutungen, das heißt anhand von Urteilen, die man zwar ohne genaue Kenntnis, aber nach der Wahrscheinlichkeit und aufgrund eigener Erfahrung gesammelt hat. Ein Konsistenztest schließt zunächst alles Unpassende aus und überprüft den Rest mit Hilfs-mitteln wie Vorstellungsvermögen, Intuition, Symbolsuggestivität, Quellen- und Umfelderfor-schung. Alle diese Deutungs- oder Schätzarbeit muss sorgfältig auf Konsistenz geprüft werden;

ansonsten bleibt von all dem nur eines Menschen Meinung. Seriöse Übersetzungsversuche sind immer wieder gescheitert, weil der Übersetzer den Konsistenztest nicht angewendet hat. Dabei muss der Urheber eines unbekannten Schreibsystems nicht verfügbar sein, um eine schlüssige und akkurate Übersetzung zu erstellen. Alle Kommunikationssysteme erweisen sich als solche dank ihrer eingebauten Konsistenz von selbst.

Die Wetten stehen mehrere tausend zu eins gegen jemanden, der versucht, die Bedeutung eines willkürlich gewählten Symbols ohne kryptoanalytische oder andere Hilfe abzuschätzen. Ohne Schlüssel liegen alle Vokabeln der Sprache als mögliche Lösung vor ihm - eine schier unlösbare Aufgabe! Gelingt es aber dem Deuter, alle bis auf wenige für jedes Symbol auszuschließen, dann ist er schon auf einem guten Weg zu einer erfolgreichen Übersetzung.

Um die Grenzen des zunächst grenzenlos erscheinenden Deutungsfeldes abzustecken, stellt man zunächst eine sich anbietende vorläufige Textthematik auf und schließt alle Wörter aus, die dieser Thematik fremd sind. So ist davon auszugehen, dass Schlachtenberichte, Wanderungen oder reli-giöse Zeremonien jeweils ihren spezifischen Wortschatz haben. Eine Schilderung des Regen-machens wird man schwerlich in einem Kriegsbericht vorfinden. (Andererseits haben alle Themen auch gemeinsame Ausdrücke, aber das kann sich auch als hilfreich erweisen.) Den Schlüssel zur Isolierung des Themas eines Bildes erhält man durch Auffindung von ein oder zwei enthaltenen Symbolen, die eben nicht allgemeinthematisch sind. Und der Textgegenstand eines Felsbildes muss unbedingt eine Beziehung zu solchen, bereits bekannten Symbolen haben.

Der Inhalt von Phrasen und Sätzen lässt sich weiter aufhellen, wenn man die Deutungsmöglich-keiten weiter einengt. Es geht um die Auffindung von Kollokatoren, das heißt von passenden Bei-wörtern, von Wörtern, die gern in der Nachbarschaft bestimmter anderer Wörter stehen, die mit ihnen zusammen als natürliche Ergänzung wirken, wie zum Beispiel Beiwörter wie hoch, schroff oder schneebedeckt zusammen mit einem Hauptwort wie Berg. Hier haben wir eine echte Ver-wandtschaft oder Affinität; in traditionellen Grammatiken würde man sagen, die genannten Epitheta dienen der näheren Bestimmung des Berges. Ebenso gilt das Gegenteil: Das Wort Berg wird man selten oder nie mit Wörtern wie später, bereit, heuteoderjetztzusammen finden. Solche Wörter haben eben nichts gemein, keine Affinität oder Bindung zueinander, und ihr Gebrauch würde am gesunden Menschenverstand der Verfassers zweifeln lassen. Dies berücksichtigen heißt den Prozess der Übersetzung weiter vereinfachen.

KRYPTOANALYSE - DAS VERGESSENE WERKZEUG

Phönix, Ariz.

In einigen Fällen, in denen sich die Untersuchung auf nur zwei Symbole beschränkt, von denen jedes nur einem Wort Äquivalent ist, wird die Entschlüsselung durch einfache grammatische Eli-minierung unterstützt. In den häufigeren Fällen, in denen ein Symbol bedeutungsäquivalent zu mehreren Wörtern oder einer kurzen Phrase in unserer modernen Sprache ist, bleibt als Aufgabe die Ermittlung einer sinnvollen Satzergänzung. Es gibt eigentlich in jeder Sprache nicht viele Wörter und Satzteile, die zur Ergänzung eines bekannten Symbols taugen. Dieses kryptoanalyti-sche Prinzip, das Affinität-Eliminations-Verfahren, ist also sehr wertvoll, denn es kann den Deutungsumfang enorm reduzieren.

Die Bedeutung und Notwendigkeit, über ein paar bekannte Symbole zu verfügen, wird hiermit zugleich offensichtlich.

Ein Beispiel dafür, wie Ausschließung durch Affinität manchmal direkt zu einer Totalelimination führt, kann anhand von Tabelle 9 demonstriert werden. Diese Mehrfachtabelle oder Universaltafel ist nur ein starkes Konzentrat aus zahlreichen längeren, von verschiedenen Kulturfundorten um-ständlich zusammengestellten Tabellen, die angewendet werden, wenn man einzelne Indianer-symbole knacken will. Spalte Astellt dabei die Grundsymbole dar, die nicht weiter zerlegt werden können, ohne ihre Bedeutung zu verändern. Jedes dieser Symbole vertritt eine zugeordnete Phrase, Vokabel oder Idee, die seine Form suggeriert. Die Symbole in Spalte Bsind einige ihrer zahlrei-chen Variationen, Kombinationen und Inkorporationen, also die Erscheinungsformen, in denen das Symbol in Spalte A auf Stein angetroffen wurde - und jedes dieser Formen enthüllt das jeweilige Grundsymbol als Teil seiner Aufmachung. Die Tafel kategorisiert und kennzeichnet auf diese Weise Kombinationen, Inkorporationen und Basissymbole.

Beispielsweise zeigt das Symbol in Zeile 3, Spalte Adie Grundbedeutung ausweichenoder gebo-gen. Diese Bedeutung muss das Symbol in allen Erscheinungsformen gemäß Spalte B einhalten und dieses zusätzliche, sprachlich relevante Bedeutungselement in diesen Einlagerungen klar und sinnvoll formulieren. Eine Menge Deutungsarbeit erübrigt sich dadurch, da keine allzu große Mengen von Sinnesinhalten vorhanden sind, die sich mit der Bedeutung dieses Grundsymbols ver-binden lassen.

Wie gesagt, müssen die Symbole in Spalte B ihre Grundbedeutungen bewahren. Kraft der Form ihrer Erscheinung und Abwandlung suggeriert auch das Komplexsymbol oft schon seine Bedeutung. So ist zum Beispiel das Grundsymbol a in Zeile 5 bekannt als Bedeutungsträger für dichtoder nahe. Wenn es nun auf dem Kopf steht, wie Symbol b, dann bietet es von sich aus die Bedeutung nicht weit hinaban. Symbol clautet sinngemäß dicht darüberoder kurzer Weg bergan, und Symbol cheißt gebündelt oder dicht zusammen. Wenn diese sich anbietenden Bedeutungen wirklich korrekt sind, dann müssen sich diese Übersetzungen in Zusammenstellungen mit anderen Symbolen beim Lesen von Felsbildern jederzeit als erkennbar und richtig erweisen.

Die Tafel dient uns nicht nur im Eliminierungsprozess, sondern ebensogut für einen effektiven Konsistenztest, sind nur erst einmal ein paar Symbole bekannt. So müssen die beiden Symbole krummund nahein allen ihren Verkörperungen in Spalte Bkonsistent sein - unter der Prämisse, dass sie richtig entschlüsselt sind, dass keine Symbole in der Tafel falsch plaziert sind und dass keine stammesbezogenen Bedeutungsunterschiede existieren. Die letzteren werden als solche identifiziert und automatisch ausgeschlossen, denn sie erfüllen die Kriterien der Konsistenz nicht.

KRYPTOANALYSE - DAS VERGESSENE WERKZEUG

Lincoln Co., Nev.

Eine andere Anwendungsmethode für die Tafel ergibt sich als Form eines Konsistenztestes zur Überprüfung der Gültigkeit einer Deutung. Gemeint ist folgendes: In den Zeilen 6 bis 10 haben wir fünf Basissymbole, denen unter B immer die gleichen Anhängsel zugefügt wurden. Überall, wo nun eine Deutung für die Sinnesinhalte dieser Anhängsel vorliegt, muss dieser Sinnesinhalt auch im Anhang der anderen Symbole vorliegen, sonst stimmt er nicht. Für einen solchen Fall muss man sich allerdings eine gesicherte Kenntnis der Bedeutungen sämtlicher Basissymbole als Vorausset-zung wünschen.

Aber auch wenn man anfangs vielleicht nur von einem oder zwei dieser Basissymbole ausgeht, kann doch eine gewisse Genauigkeit den Anhangsymbolen zugewiesen werden, wenn sie diesen Test bestehen. Wenn sich eine Deutung nicht durchsetzt, muss ein neuer Ansatz gesucht werden.

Die Effizienz dieses Tests wächst mit der Zahl der bekannten Symbole.

Der Inhalt von Tafel 9 gibt ein hervorragendes Beispiel für die Wirkungsweise der Kryptoanalyse ab. Leider fehlt der Platz, um die Tabelle in ihrer ganzen Vielfalt zu entwickeln; immerhin wird hier eindringlich demonstriert, dass in der indianischen Piktographie linguistische Prinzipien gel-ten. Die Tafeln dieses Typs waren am Anfang der beschriebenen Untersuchungen erklärlicherweise grob und enthielten oft falsch plazierte Symbole, aber sie wurden immer besser und reichhaltiger, je mehr Erfahrung und Symbolbedeutungswissen hinzukam.

Die linguistischen Prinzipien in der indianischen Piktographie lassen sich noch besser herausar-beiten, wenn man selbst einmal hypothetische Symbole bildet, wie hier in Tafel 10 skizziert. Diese imaginären und künstlichen Kombinationen und Inkorporationen von Basissymbolen gemäß Tafel 9 gibt es in Wirklichkeit nicht, und diesen Arrangements fehlt es an grammatischer Logik und Affinität. Das zeigt, dass die indianische Piktographie nur mit einer bemerkenswert begrenzte Zahl von Symbolen und Methoden ausgestattet ist, mit der sie ihre kommunikativen Aufgaben erfüllt.

Dies gilt für alle Schreibsysteme, ist aber in den einen mehr und in den anderen weniger ausge-prägt. Im Englischen ist zum Beispiel eine Sequenz von zwei xoder q, also die Schreibung xxoder qq, undenkbar und wird in korrekter Buchstabierung eines geschriebenen Wortes nicht vorkom-men. Ebenso fehlen in der Regel Wörter, die nur aus mehreren Konsonanten oder Vokalen beste-hen. Tafel 10 demonstriert nun dieselbe Regel, angewandt auf die indianische Piktographie. Die

Möglichkeiten, derartige hypothetische künstliche Kombinationen wie in der Tafel zu schaffen, sind unbegrenzt. Und es wäre immerhin ja auch möglich, dass einige dieser Kombinationen tat-sächlich irgendwo ein Dasein fristen! Es sind noch viele Felsbilder zu untersuchen, und sicherlich werden diese uns noch viele Lehrstunden erteilen.

Würde die linguistische Strenge fehlen, dann wäre man berechtigt, von künstlerischer Betätigung, Gekritzel oder Zauber zu sprechen - denn derart ist bekanntlich nicht an Sprachgesetze gebunden.

Aber keine Bilderschrift kommt ohne die semantische* Einschränkung aus, und deren Grenzen für die Anwendung eines jeden Basissymbols liefern ein direktes Indiz für den Umfang und die Schlagkraft des ganzen Systems. Aus den vielen Symboltafeln, die bisher schon erstellt wurden, ergibt sich, dass die indianische Bilderschrift nicht weniger kommunikativ ist als ihre Dialekte.

Abgrenzungen, Affinitäten und andere linguistische Prinzipien sind über weite Landesstrecken ziemlich konsistent und widerlegen die Theorie, wonach Felsschrift nur eine individuelle oder lokale Bedeutung habe. Würde jeder Kulturkreis und jedes Stammesgebiet eine andere piktogra-phische Methode aufweisen, dann allerdings müssten die oben beschriebenen Tests erhebliche regionale Schwankungen in Affinität und Abgrenzung zeigen. Im Rahmen unserer Untersuchun-gen hat sich aber nicht eine einzige ausgesprochene Abart nachweisen lassen.

Der kurze Abriss über einige Prinzipien der Kryptoanalyse mag genügen; er dürfte den Wert, ja ihre Unverzichtbarkeit für die Entschlüsselung der indianischen Piktographie deutlich gemacht haben. Ihre offensichtliche gute Anwendbarkeit auf eine Untersuchung wie diese spricht für der Universalität der kryptoanalytischen Wissenschaft.

Geeignete kryptoanalytische Prinzipien sind leider nicht fertig gefasst in Form eines Regelwerkes erhältlich. Aus diesem Grund, und weil von einigen vergessenen Schreibsystemen so gut wie nichts bekannt ist, ist oft ein erheblicher zeitlicher Aufwand nötig, um sich ein funktionstüchtiges kryptoanalytisches Instrumentarium zu schaffen. Die Schwierigkeiten, geeignete Methoden zu erarbeiten, ist die Ursache dafür, warum die Entschlüsselung eine unbekannten Schrift so sehr viel länger dauert als die eines Codes oder einer Chiffre.

Bei der Entschlüsselung ehemals unbekannter alter Schreibsysteme - wie das Altägyptische, die Keilschrift, die sogenannte Linear-B-Schrift, das Hethitische und Teile der Maya-Schrift - hat diese Wissenschaft ihren entscheidenden Anteil. Ihre Anwender waren nicht immer geübte Kryptoana-lytiker, hatten aber eine gute Einsicht in ihre Prinzipien und konnten so Präzedenzfälle schaffen, die dieser Art von Entschlüsselung die Richtung wiesen. Auch waren diese Männer zumeist anth-ropologische Laien. Sie kamen mit unterschiedlichen und ganz anders gearteten Qualifikationen wie die eines Lehrers, Armeeoffiziers, Architekten oder Ingenieurs. Allerdings hatten sie in der Re-gel ein ausgesprochen hohes Interesse an der Landesgeschichte, sprachen mehrere Sprachen flie-ßend und hatten vor allen Dingen eine positive Einstellung hinsichtlich der Entschlüsselbarkeit der von ihnen studierten Schrift. Ohne diesen positiven Ansatz wären wohl viele Schreibsysteme und ihr jeweiliger historischer Hintergrund niemals der Vergessenheit entrissen worden. Aber die Vor-stellung, ein unbekanntes Schreibsystem ließe sich ohne seinen Schöpfer nicht entschlüsseln, ist veraltet und gründet sich auf totale Ignoranz hinsichtlich der kryptoanalytischen Wissenschaft und ihrer Fähigkeiten.

* Semantik: die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Zeichen

KRYPTOANALYSE - DAS VERGESSENE WERKZEUG

Kane Co., Utah

Aufzeichnungsverfahren

ES IST SCHWER, einen Künstler davon zu überzeugen, dass die Skizzen, die er von indianischen Felsschriften angefertigt hat, etwa nicht akkurat sind! Und ebenso schwer ist es, ihm einzuschär-fen, wie wichtig Präzision ist, besonders, wenn er glaubt, “Felskunst” vor sich zu haben und keine Schrift. Die ganze Dechiffrierung und Interpretation der Felsschrift hängt aber ganz wesentlich von einem sauberen und präzisen Aufzeichnungsverfahren ab. Ich selbst hatte diese Lektion auch erst nicht ernst genommen und meine eigenen Ungenauigkeiten nicht bemerkt, als ich bereits viele Jahre mit mühevollem Abzeichnen Tausender von Felsbildern verbracht hatte.

Mein Stolz und mein Vertrauen in meine frühen Skizzen erhielten in dem Moment einen weiteren Dämpfer, als ich das Prinzip der Symbol- und Felsinkorporation erkannte. Da wurde es auf einmal erforderlich, Fundorte noch einmal aufzusuchen und die Aufzeichnungen von neuem mit den Originalbildern abzugleichen. Es kamen so viele Fehler zum Vorschein, dass ich die Zeichentech-nik schließlich fast völlig aufgegeben und durch Fotografieren ersetzt habe.

Tafel 11 zeigt einige Allgemeinsymbole, die oft falsch abgezeichnet werden. Dabei enthält Spalte Adie Symbole in ihrer Echtform und Spalte Bdie Form des Abbildes. Einer der häufigsten Fehler ist das Abrunden rechteckiger Winkel oder umgekehrt (Zeilen 1 bis 6). Ein anderer böser Verstoß ist das Runden von Seiten, die eigentlich geradlinig sein sollen (Zeilen 7 und 8). Die richtige Anordnung von Hörnern wird oft vernachlässigt. Beispielsweise gehen in Zeile 9 die Hörner vom

Tafel 11 zeigt einige Allgemeinsymbole, die oft falsch abgezeichnet werden. Dabei enthält Spalte Adie Symbole in ihrer Echtform und Spalte Bdie Form des Abbildes. Einer der häufigsten Fehler ist das Abrunden rechteckiger Winkel oder umgekehrt (Zeilen 1 bis 6). Ein anderer böser Verstoß ist das Runden von Seiten, die eigentlich geradlinig sein sollen (Zeilen 7 und 8). Die richtige Anordnung von Hörnern wird oft vernachlässigt. Beispielsweise gehen in Zeile 9 die Hörner vom

Im Dokument DIE SPRACHE DER STEINE (Seite 184-200)