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Kritische Würdigung der Agrarreform und ihrer Wirkungen

37) Siehe Seite 33

38) Revaler Bote Nr. 222 vom 5. 11. 1920.

39) Staataanzeiger 1919, Nr. 15.

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Die beiden ständischen Kreditinstitute, der Estl. Adelige Güter-Kredit-Verein und die Livländische Güter-Kredit-Sozietät bestehen wohl noch heute, ihre Tätigkeit im früheren Sinn^ ist jedoch als beendet zu betrachten. Sie erteilen z. Zt. Iceine neuen Kredite mehr, sondern betreiben lediglich die Rückzahlung der Darlehen, welche sie den Guts­

besitzern und den Bauern gewährt haben. Wie wteit sie auf Rück­

zahlung der den Gutsbesitzern gegebenen Kredite rechnen können, hängt von der noch ungelösten Entschädigungsfrage ab, auf die im nächsten Paragraphen näher einzugehen sein wird.

Zur Bereitstellung des erforderlichen Kredits für die neuen Pächter hat das Agrargesetz die Gründung einer Land-Bank vorgesehen und die nähere Regelung einem Spezialgesetz überlassen.

Diese Aufgabe ist mit vielfachen Schwierigkeiten verbunden. Eine Lösung ist bis heute noch nicht erfolgt.

Pläne des Landwirtschaftsministeriums, die zu begründende Land-Bank mit den beiden ständischen Kreditinstitutionen zu verschmelzen10), sind nicht geglückt, weil die jetzige Lage der Dinge einen ganz anders gearteten Kredit erfordert. Man muß das Wesen einer Land-Bank, wie sie das Agrargesetz im Auge hat, und das der früheren Boden­

kreditanstalten vergleichen, um die Sachlage beurteilen zu können.

Bei den früheren Kreditinstituten handelte es sich um Erteilung von Krediten gegen hypothekarische Sicherstellung, die der Darlehnsnehmer durch Verpfändung seiner Liegenschaft bestellte. Solche Kredite konnten daher nur Grundeigentümer erhalten und solche, die Land mit geliehenem Gelde zu Eigentum erwerben wollten, gegen hypothekarische Verpfändung des zu erwerbenden Landes an die Darlehnsgeberin.

Ganz anders gestaltet sich die Lage jetzt, wo die neu geschaffenen Ansiedlungen von den Bewirtschaftern nicht zu Eigentum erworben, sondern vom Staate nur in Pacht zur dauernden Nutznießung ver­

geben werden. Um einen hypothekarischen Kredit im engeren Sinne des Wortes kann es sich daher jetzt nicht handeln. Es kommt somit jetzt nicht die Beschaffung von Mitteln zum Erwerb von Grundbesitz in Frage, denn es werden ja die neuen Siedlungen ohne Kapitalanzahlung gegen eine bloße Rente vergeben, sondern eine persönliche Kredit­

gewährung zur Beschaffung von totem und lebendem* Inventar und für andere Betriebszwecke.

Ein für diese Kredite zu schaffendes Institut wäre seinem Wesen nach als ein Siedlungsunternehmen zu betrachten. Es hätte mithin alles Risiko zu tragen, das mit einem solchen Unternehmen ver­

bunden ist.

Ein privates Kredit-Institut kann diese Aufgabe wegen des großen Risikos nicht übernehmen. Deshalb ist die Gründung einer staat­

lichen Agrarbank, wie sie auch das Gesetz vorsieht, unumgänglich.

Der Staat hat auch aus dem Grunde die Verpflichtung, die neuen Siedler, welche einem Pnvat-Kreditinstitut keine Sicherheit bieten

40) Revaler Bote Nr. 35 vom 11. 12. 1919.

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können, zu unterstützen, weil er sie ja geschaffen hat, und demnach an ihre Existenzfähigkeit auch glauben muß.

Eine Verschmelzung^ler bestehenden Kredit-Institute mit der neuen Agrarbank wäre auch noch aus einem anderen Grunde unangebracht Die beiden Kreditinstitute sind nicht Staatsinstitute, sondern private Vereine von Interessenten mit gegenseitiger solidarischer Garantie. Der den Kurs bestimmende Wert der Pfandbriefe dieser Institute wird daher von dem kaufenden-Publikum nur danach beurteilt, wie diese Institute operieren und welche Sicherungsgrenzen bestehen. Sind die Voraussetzungen günstig, so stellen die Pfandbriefe auch wirklich den Wert da, für welchen sie gelten sollen.

So ist es tatsächlich auch mit den Pfandbriefen der beiden Kredit­

institute gewesen, und nur der Krieg und! die überaus unglückliche Regelung des Umrechnungskurses zwischen Rubel und Mark41) während der deutschen Okkupationszeit haben zeitweilig einen Druck auf den Kurs ausgeübt.

Die Land-Bank dagegen wäre ein Staatsinstitut, welches Staats­

kredit geben würde. Die Rentenbriefe der Landbank würden daher notgedrungen das Schicksal der Staatspapiere teilen.

Nun kann aber bei einem jungen Staat, der überdies in der schweren Lage war, seine Existenz mit einem Kriege beginnen zu müssen, der Staatskredit unmöglich schon die Sicherheit erreicht haben, wie erst-stellige Hypotheken auf Grundbesitz sie bedingen.

Da die Durchführung der Agrarreform sehr große Kredite er­

fordert, so ist anzunehmen, daß die Menge der auf den Markt ge­

worfenen Rentenbriefe eine starke kursdrückende Wirkung üben würde.

Der Kurs dieser staatlichen Rentenbriefe würde deswegen bedeutend niedriger stehen als die alten Emissionen von Pfandbriefen der früheren Kreditinstitute. Aus diesem Grunde wäre auch die Vereinigung einer staatlichen Land-Bank mit privaten Kreditunternehmungen kaum denkbar.

Die Verschmelzungspläne sind vom Staate in Erwägung gezogen worden, weil er die schwere Last der Kredite gerne teilweise auf die Privatinstitute abgewälzt hätte. Die finanzielle Lage Estlands ist näm­

lich eine sehr schwierige.

Die Unterstützung, wie sie als persönlichen Betriebskredit die einzelne Neuwirtschaft bedarf, ist auf etwa 50 000 Mark anzuschlagen.

Zur Befriedigung des bestehenden Kreditbedürfnisses müßte somit der Staat im ganzen etwa 2 Milliarden Mark aufwenden.

Außerdem ist folgendes zu berücksichtigen: Da das Land Eigentum des Staates ist, so muß für die Herstellung von Baulichkeiten, Weg-und Straßenanlagen, für die Durchführung von Meliorationen usw., welche über die Interessen des einzelnen Hofes hinausgehen und dem gesamten Kolonisationswerk, somit der Allgemeinheit, dienen, der Staat von sich aus Sorge tragen und die nötigen Mittel für diese Arbeiten 41) Durch Verfügung vom 15. 9. 1918 wurde für die Umrechnung ein russischer Hypothekenrubel" gleich 1,50 Reichsmark gesetzt. Revaler Zeitung Nr. 208 vom 16. 9. 1918.

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-bereitstellen. Das hierfür benötigte Kapital würde noch wesentlich größer sein, als der für die Pächter Weitzustellende persönliche Kredit.

Die erforderlichen Summen dürften schwer aufzubringen sein, da der junge Staat nebenbei für andere Zwecke viel Geld benötigt. So be­

trägt der Etat des Kriegsministeriums für das Jahr 1920 allein ein Drittel aller ordentlichen Ausgaben42). Den Truppenbestand will aber Estland wegen der Nachbarschaft des bolschewistischen Rußlands vor­

läufig nichi verringern.

Weiter verzehren die Kosten für die Lebensmitteleinfuhr jährlich große Summen43), welche bei dem Tiefstand der estnischen Währung in die Milliarden greifen.

Die estnische Mark, welche die Einheit der estnischen Papier­

währung darstellt, hat sich bisher noch nicht stabilisieren können.

Es ist geplant, die estnische Mark dem Werte nach dem Franken gleichzustellen44), d. h. daß eine estnische Mark 0,2903225 Gramm Feingold enthalten soll. Mit der Einführung einer Goldwährung ist jedoch für eine geraume Zeit hinaus nicht zu rechnen.

Folgende Tabelle zeigt die Schwankungen der estnischen Valuta für die Jahre 1919-1921:

Starke Hoffnungen hatte der Staat auf die Einkommensteuer ge­

setzt, doch hat diese keine großen Erträge ergeben46).

Die trostlose finanzielle Lage Estlands schilderte der Minister­

präsident Strandmann im Riigikogu (Reichstag) am 14. Juli 19214,):

„Wir sind ein armes Volk. Früher gab es bei uns eine steuer­

kräftige Bevölkerungsklasse — den Adel. Früher hätten die Guts­

besitzer hohe Einkommensteuern aufbringen können. Aber jetzt sind sie wirtschaftlich vernichtet. Ich bedaure dies nicht, aber ich kon­

Im Dokument Die Agrarreform der Republik Estland (Seite 95-98)