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Zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung

Im Dokument Paradigmwechsel in der politischen (Seite 7-11)

Auch wenn man primär neue Politikformen untersuchen möchte, ist eine interne Ana-lyse des Topos ‚Nachhaltigkeit’ und seiner Gebrauchsweisen notwendig. Zunächst ist es - auch, um zu entscheiden, inwieweit es sich um ein neues Phänomen handelt - unabdingbar, die mit diesem Konzept verknüpften Ziele und Handlungsregeln zu verstehen. Darüber hinaus ist ein hermeneutischer Zugriff zur Beantwortung der Frage notwendig, ob hier ein neuer Rahmen für Konsens oder zumindest Koordination vor-liegt.

Brand (1997b) trennt verschiedene Dimensionen der Neuartigkeit. Zunächst sind Veränderungen in der Gerechtigkeitsdimension auffällig: „Gerechtigkeitsaspekte“ und

„Verteilungsprobleme (...) rücken in den Vordergrund der Debatte“ (Brand 1997b, 9).

Dies geschieht einerseits innerhalb der ökologischen Dimension, in einer Kritik an der Externalisierung ökologischer Probleme durch die Städte (dazu Dangschat 1997a) und an globalen Asymmetrien des Ressourcenverbrauchs, sowie in der Forderung nach einer gerechteren Verteilung unvermeidlicher ökologischer Schäden; andererseits in einer Verknüpfung von ‚ökologischer’ und ‚sozialer’ Dimension: in der Aufwertung des Zusammenhangs von Ökologie und Lebensqualität und in der konzeptuellen Integ-ration der Frage nach den Folgen von Umweltpolitik für die Verfügbarkeit von Ar-beitsplätzen. - Auf der Ebene der Praktiken entspricht dem das Bemühen um neue Formen der Steuerung: „Die Forderung nach neuen, nachhaltigen Formen lokaler Landnutzung oder nach neuen, ‚nachhaltigen Lebensstilen’ setzt (...) indirekte Formen der Steuerung voraus, die an den Binnenmotiven der beteiligten Akteure ansetzen.“

(Brand 1997b, 15). - Schließlich treten entscheidende Änderungen in der

Raumdimen-sion auf. Brand (ebd. 16) verweist auf die „Herausbildung neuer räumlicher Hand-lungsarenen“. Die intrinsische Bedeutung der regionalen oder lokalen Ebene für das Projekt einer ‚nachhaltigen’ Politik betrifft nach Brand (1996) nicht nur das bekannte Problem, daß auch ‚globale’ Probleme in regional spezifischen Formen auftreten, die entsprechende Lösungsansätze berücksichtigen müssen. Die Aufwertung kleinerer Stoffkreisläufe (Nahversorgung etc.) ist ein entscheidendes inhaltliches Element des Programms. Der Bezug auf den nahen Raum soll nach Brand zudem eine ‚Erfahrbar-keit’ des Prozesses (bzw. der bearbeiteten Probleme und der durch ihre Lösung be-wirkten Veränderungen) garantieren, die mobilisierend wirkt: „Integrierte Strategien nachhaltiger Entwicklung haben (...) nur dann eine Chance, wenn ihre Notwendigkeit, aber auch ihre Auswirkungen für den einzelnen nachvollziehbar und beeinflußbar sind.

Das ist nur in einem überschaubaren, kommunalen oder regionalen Rahmen möglich“.

Allgemein formuliert Brand: „Städte sind (...) Ideenpool, Brennspiegel und Forum gesellschaftlicher Veränderungstendenzen“; darum bietet die „regionale oder lokale Ebene besonders günstige räumliche und soziale Bedingungen für politische Beteili-gung, kollektive Mobilisierung und Lernprozesse“. Diese Aufwertung des nahen Rau-mes verweist auf die essentielle Bedeutung der Lokalen Agenda 21.

Feindt (1997) vertritt in seinen demokratietheoretischen Überlegungen zur LA 21 die These, der Begriff der Stadt erfülle eine ähnliche Leitbildfunktion wie jener der Nachhaltigkeit, da es jeweils um eine dauerhafte Koexistenz des Heterogenen gehe.

Sein Text endet - nach einer Analyse des Zusammenhangs der Begriffe ‚Nachhaltig-keit’ und ‚Gerechtig‚Nachhaltig-keit’ - mit einer Aufwertung der Verfahrensdimension, die Prob-leme lösen soll, die durch soziale Differenzierung entstanden sind; dabei bezieht er sich direkt auf Kap. 28 der Agenda 21. Yearley (1996, 65) weist darauf hin, daß in der Nachhaltigkeitsdebatte globale ökologische Probleme teilweise als Ausgangspunkt dienen, um eine neue, auf universelle Inklusion abstellende politische Theorie zu formulieren: „people should see themselves not as citizens of some country, not as members of an ethnic group, not as comrades within a class, but as ‚citizens of planet Earth’“. In der internationalen Diskussion ist hier auch die Geschlechterthematik prominent; Kapitel 24.1 der Agenda 21 fordert die gleichberechtigte Integration von Frauen in Entwicklungsmaßnahmen.3 Eine zusammenfassende Bewertung unter dem Schlagwort ‚Integration’ unternimmt Semrau (1996a, 47). Seiner Auffassung nach geht es bei der Agenda 21 um folgendes: eine Integration unterschiedlicher Politikfelder, eine Integration der nationalstaatlichen Akteure in eine ‚globale Partnerschaft’, eine

3 Ein Beispiel für den Versuch, starke Parallelen zwischen den Problemen von Frauen im ‚Norden’ und im ‚Süden’ herzustellen und auf diese Weise ein weibliches Gesamtsubjekt zu konstruieren, ist der Text von Zillmann (1998).

Integration von NGOs in den Umsetzungsprozeß, und schließlich um eine integrative Durchführung von Entscheidungsprozessen. Semrau steigert dies zu der These, die LA 21 liefere ein Gegenargument zum Verweis auf „ein postmodernes ‚anything goes’

und auf partikulare Einzelrationalitäten“ (ebd. 72).

All das klingt relativ vertraut. Brand (1997b, 9) stellt seine Diskussion unter den Titel „Neubestimmung der Moderne unter dem Leitbild ‚nachhaltige Entwicklung’“4; und tatsächlich scheint es hier schlicht um den Versuch zu gehen, den klassischen Entwicklungsbegriff optimistischer Modernisierungstheorien neu zu formulieren. Das betrifft zunächst die Hoffnung auf eine Koordination antagonistisch erscheinender Dimensionen des Sozialen: Die verschiedenen Sphären einer funktional differenzierten Gesellschaft mögen zwar in bestimmten Fällen in Konflikt zueinander treten; dies sei aber nicht - wie pessimistische Sichtweisen behaupten - strukturell notwendig, sondern Resultat mangelnder politischer Koordination. Bei intelligenten Lösungsvorschlägen können die einzelnen Sphären, und die entsprechenden Dimensionen von ‚Modernisie-rung’, unproblematisch koexistieren, wenn nicht gar einander wechselseitig befördern (vgl. zu diesen Thesen etwa Berger 1996). Das ist eine klassische Argumentationsfi-gur: Auf problematisch erscheinende Differenzierungsprozesse soll mit neuen Ver-knüpfungen von Normen und Werten (oder ‚Leitbildern’) reagiert werden. Diese sollen das Heterogene kommensurabel machen, ohne dabei traditionelle Strukturen wieder-herzustellen. Die Hoffnung auf universellere Normen (wie sie in der Aufwertung der Gerechtigkeitsdimension enthalten ist), auf mehr Inklusion, auf einen Abbau hierarchi-scher Strukturen, und schließlich auf eine durch all dies bewirkte Verbesserung der Umweltanpassung, ist Teil des gleichen Denkstils.5

Dieses Festhalten am klassischen Modernisierungsmodell läßt das Phänomen nicht nur (aus sozialwissenschaftlicher Perspektive) weniger interessant erscheinen; es weckt auch Zweifel an den Erfolgschancen des Programms. Zunächst wecken utilita-ristische Handlungsmodelle Skepsis gegenüber dem Konzept einer immer universelle-ren normativen Integration, die materielle Interessendivergenzen durch Gerechtigkeits-regeln auflöst. So weist Yearley (1996, 98, 132 f) darauf hin, daß der

4 Zu den überraschenden Seiten der Diskussion gehört, daß allgemein der - in den Sozialwissenschaften bisher nicht prominente - Begriff des Leitbilds, der hier von den Engagierten ins Spiel gebracht wurde, umstandslos als deskriptive Kategorie übernommen wird.

5 In der Aufwertung dieser Frage der Umweltanpassung sehen einige Autoren das eigentlich Neue: Das Thema ‚Nachhaltigkeit’ stelle Grundkategorien der Soziologie insofern in Frage, als es auf eine bisheri-ge ‚Naturverbisheri-gessenheit’ des Faches hinweise (so etwa Wehling 1997). Diese Argumentationslinie läuft auf den Versuch hinaus, traditionelle materialistische Konzepte eines Strukturdeterminismus wiederzu-beleben (explizit in diese Richtung: Grundmann 1997). Unklar bleibt, wie diese Positionen den her-kömmlichen Einwänden gegen derartige Systemmodelle entkommen wollen. Conrad (1997) zeigt, daß - entgegen den Thesen Wehlings - die vorliegenden modernitätstheoretischen Konzepte der Soziologie keine großen Schwierigkeiten haben, dieses Thema einzubauen.

Bericht zwar schon mit seinem Titel „Our Common Future“ ein Staaten übergreifen-des, auch die Grenze zwischen ‚Norden’ und ‚Süden’ aufhebendes gemeinsames Inte-resse konstruiert; daß dies aber von zahlreichen Vertretern des ‚Südens’ als imperialis-tischer Akt bzw. als Verschleierung von Interessengegensätzen wahrgenommen wird.

Mehrere Autoren weisen darauf hin, daß im Begriff der nachhaltigen Entwicklung zwei heterogene Gerechtigkeitskonzepte einander gegenüberstehen: Offen bleibt, ob es um die Sicherstellung einer Verteilungsgerechtigkeit in der Gegenwart geht, oder (auch) um eine entsprechende Sicherstellung in der Zukunft; so daß in der Gerechtig-keitsnorm, die integrativ wirken soll, bereits ein intergenerationaler Konflikt angelegt ist (vgl. etwa Jochum/Heimerl 1996, Bruckmeier 1997). Auch differenzierungstheore-tische Argumente laden zur Skepsis ein: Das Konzept ‚Nachhaltigkeit’ zielt auf eine Veränderung bestehender Strukturen funktionaler Differenzierung; die Hypothese liegt nahe, daß diese Strukturen eine Umsetzung dieses Programms hemmen werden.6 Sachs (1997, 98) vermutet einen entsprechenden trade-off zwischen den verschiedenen Zielen: „Jeder Versuch, die Naturkrise zu mildern, droht die Gerechtigkeitskrise zu verschärfen; und umgekehrt: jeder Versuch, die Gerechtigkeitskrise zu mildern, droht die Naturkrise zu verschärfen“. Auch die Hoffnung auf eine Einbeziehung ökonomi-scher Akteure, und die weitergehende Hoffnung, aus einer solchen Einbeziehung Steuerungschancen hinsichtlich des Funktionssystems Wirtschaft zu entwickeln, er-scheinen aus dieser Perspektive unrealistisch.

Zugleich bedeutet allerdings die Aufwertung des nahen Raums und überhaupt der Raumdimension eine wichtige Abweichung von herkömmlichen modernitätstheoreti-schen Konzepten. Üblicherweise stehen dort Vorstellungen der Enträumlichung, als einer Ausprägung von ‚disembedding‘, im Vordergrund. (Das gilt für Giddens, Ha-bermas und Luhmann ebenso wie für ‚post-modernistische’ Autoren wie Deleuze, Guattari und Virilio). Diese Tendenz, die in der aktuellen Debatte über ‚Globalisie-rung’ einen neuen Schub erhält, hat zumindest im bundesdeutschen Kontext durch das Thema ‚ökologische Risiken’ eine Zuspitzung erfahren. Insbesondere Beck (1986, 1988) hat - unter Bezugnahme auf bestimmte Typen von Umweltproblemen - einen allgemeinen Bedeutungsverlust räumlicher Ordnungen postuliert. Die LA 21 bedeutet

6 Pointiert findet sich diese Skepsis bei Luhmann (1986), allerdings in einer das Reflexionsniveau der eigenen Theorie unterbietenden Formulierung. Genauer zu unterscheiden wäre zwischen Hemmnissen, die durch einen Konflikt mit funktionaler Differenzierung überhaupt („Code“) entstehen, und Hemmnis-sen, die durch einen bestimmten Zuschnitt von Differenzierung entstehen („Programme“, „Kopplun-gen“); zu dieser Unterscheidung vgl. Luhmann (1997 I, 376 ff) der damit den Bereich ‚reiner’ funktiona-listischer Erklärungen stark einschränkt. Die im zweiten Fall auftretenden Schwierigkeiten lassen sich nicht einfach auf funktionale Anforderungen zurückführen; ihre Erklärung müßte - neben Trägheitseffekten - vor allem das Interesse subsystemspezifischer Funktionseliten am Erhalt des aktuellen Differenzierungs-Zuschnitts berücksichtigen (vgl. dazu Rüschemeyer 1977).

ein bewußtes Abgehen von dieser Orientierung; sie gibt damit zugleich Gelegenheit, Phänomene zu beobachten, die dieser Enträumlichungsthese möglicherweise wider-sprechen. Die Frage, wie partizipatorische demokratische Verfahren in der Umweltpo-litik sich verändern, wenn sie auf den nahen Raum bezogen werden, könnte den Rah-men herkömmlicher Modelle von (ökologischer) Modernisierung sprengen. Zudem ist diese Aufwertung des nahen Raums kein allein materieller Prozeß; sie ist notwendig mit einer eigenständigen kulturellen Dimension verknüpft. Die Frage, ob hier tatsäch-lich - über die Ebene von Metaphern hinaus - Neues geschieht, hat Konsequenzen für die Einschätzung der Rolle eines ‚kulturellen’ Moments in der Umweltpolitik. Wenn sich feststellen läßt, daß sich mit dem Wechsel der Konstruktion des Problems auch die Praktiken ändern, dann werden damit objektivistische Konzepte unplausibel.7

3) Interpretationen und Aneignungen des Konzepts

Im Dokument Paradigmwechsel in der politischen (Seite 7-11)