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Thomas Straubhaar

Übersicht 1. Einleitung 2. Globalisierung 3. Standortwettbewerb 4. Schlussfolgerungen

1. Einleitung

Das Thema, das Sie mir gegeben haben, ist eine grosse intellektuelle Her -ausforderung. Es überfällt mich in jährlichem Abstand sozusagen wie ein Sommergewitter und zum Schrecken meines Instituts, weil ich dann immer meine Mitarbeiter(innen) beauftrage, mir statistisch zu belegen, wovon ich im tiefsten Herzen überzeugt bin: Dass Kleinstaaten viel effi -zien ter sind als grosse Staaten und dass den Kleinstaaten deswegen die Zukunft gehört. Dann rechnen sie alle, aber leider ist bis jetzt, nach über zehnjährigen Versuchen kein hieb und stichfestes Ergebnis zustande ge -kommen und zwar auch deshalb, weil das ökonomisch erfolgreichste al-ler Länder zugleich das grösste ist – die USA. Deshalb haben wir im mer das Problem, zu statistisch wirklich signifikanten Ergebnissen zu ge -langen.

Aber ich werde heute trotz der fehlenden empirischen Belege ver su chen, ein Plädoyer für Kleinstaaten im globalen Standortwettbe werb zu halten. Ich will mich auch gleich ideologisch «outen» und ge -stehen, dass ich überzeugter Europäer bin. Dennoch kann ich heute bei der EU gewisse Fragezeichen nicht unterdrücken. Es wird wichtiger denn je werden, neben einer Alles-oder-Nichts-Integrationsform im Sinne der Voll mitgliedschaft auch Alternativen anzubieten. Und das ist

eigent lich der Grundtenor dessen, was ich als These meines Beitrags ver -tre ten will.

Wenn wir nach Europa blicken, dann erkennen wir das Phänomen einer zweigleisigen Entwicklung: Einerseits gab es gleich nach dem Zu -sam menbruch des Ostblocks einen Drang in Richtung EU. Die EU hat-te in den neunziger Jahren – bei aller Kritik an der Europäischen Union – un glaublich viele Fortschritte gemacht: Maastricht, die gemeinsame Wirt schafts- und Währungsunion, die Osterweiterung, den Euro als Zah lungsmittel in den zwölf Euroländern. Dem Integrationsprozess ge-genüber steht in Europa eine genau gegenteilige Entwicklung in Form des Zerfalls von Staaten in einzelne Teile: Seit 1989 sind 13 neue Staaten entstanden. Das von Politologen geschriebene Buch «Kleinstaaten konti nent Europa» spricht sogar von 22 Staaten, wenn man Europa geogra -phisch etwas weiträumiger definiert. Das Kleinräumige scheint somit doch einen gewissen Reiz zu haben.

Wenn man in Mittel- und Osteuropa unterwegs ist, dann sagen einem die Bevölkerungen zwei Dinge, die – so glaube ich – auch für Liech tenstein und die Schweiz nicht ganz unwichtig sind. Das Eine: Im Prinzip besteht ein starkes Nachholbedürfnis, eine eigene Nation sozu -sa gen nun erst zu bilden, nachdem die Nationalstaatlichkeit während fünfundvierzig Jahren unterdrückt wurde und alles getan worden ist, um nationale Gefühle nicht ausleben zu können. Das Zweite, was vor allem in kleineren Ländern berichtet wird: Endlich haben wir den Sozialismus abgeschafft, und jetzt kriegen wir ihn durch die Hintertür der Europäischen Union wieder zurück.

2. Globalisierung

Nach dieser Einleitung möchte ich auf die Globalisierung zu sprechen kommen. Das wird etwas sprunghaft wirken, weil ich nur ganz kurz auf-zeigen möchte, wie sich die Welt um uns herum dramatisch ver än dert.

Wenn ich «uns» sage, dann meine ich damit die Schweiz und Liech tenstein gleichermassen – und zwar bezogen sowohl auf die Rück wir kun gen der Globalisierung als auch auf die daraus folgenden Schluss fol -ge run-gen.

Betrachten wir zunächst kurz ein paar empirische Fakten. In den letzten Dekaden sind alle grenzüberschreitenden, internationalen Akti

-Thomas Straubhaar

vi täten stark angestiegen, seien es die realen Exportströme, die Direkt in -vestitionsflüsse oder die Kapitalzuflüsse. Die Entwicklung in den letzten 30, 40 Jahren ist eindeutig: Die grenzüberschreitenden Tätig kei ten sind wesentlich schneller gewachsen als beispielsweise die reale Pro duktion.

Dies hat mit der zunehmenden internationalen Ar beit s teilung zu tun.

Wenn man zudem weiss, dass mittlerweile jeden Tag 1600 Mil liarden US-Dollar Devisen auf internationalen Finanz- und Devisen märkten hin und her geschoben werden, so zeigt das, welches ge waltige Volumen auf den internationalen Märkten tagtäglich um ge setzt wird.

Was bedeutet die Globalisierung zunächst aus ökonomischer und dann auch aus politischer, institutioneller Sicht? Zunächst einmal zeigt sich, dass nationale Märkte einfach gesprengt worden sind, dass alles, was mit nationalem Protektionismus, Distanzschutz, mit nationaler Abschottung zu tun hatte, heute aus verschiedensten Gründen nicht mehr möglich ist. Aktivitäten lassen sich heute nicht mehr national be -gren zen. Dort, wo es versucht wird, ist Abwanderung die Folge. Für die einzelnen Menschen bedeutet das im Wesentlichen, dass der Stand ort -wettbewerb in jeder Disziplin und in jeder Dimension härter geworden ist. Vor allem dieser letzte Punkt scheint mir auch für Liech ten stein und die Schweiz sehr wichtig zu sein, weil immer wieder das Argument zu hören ist: «Das betrifft ja vor allem die weniger Quali fi zierten, dieje ni gen Arbeitskräfte, die wenig zu bieten haben. Wir sind ja höher quali fi -ziert, verfügen über Humankapital, Bildung usw., uns wird das nicht so sehr betreffen.» Diese Argumentation ist ziemlich falsch. Der Stand ort wett bewerb nimmt gerade bei den höher qualifizierten Be ru fen drama -tisch zu. Es sind eben gerade nicht nur die weniger qua li fi zier ten Berufe, die durch EWR, EU oder EU-Osterweiterung besonders unter Druck kommen, sondern vor allem die freien Berufe, jene Berufe, die vorher noch irgendwie wegen Abschottung, durch fehlende Diplom aner ken nung oder wegen spezifischer Erfordernisse, den Beruf ausüben zu kön -nen, geschützt waren – Anwälte, Ärzte, Lehrer, im öffentlichen Dienst Tätige und so weiter. In diesen Berufen und bei diesen Qualifi ka tionen verstärkt sich der Wettbewerb mit einer Kraft und in einer Breite, die auch Nischenstandorte betrifft. Plötzlich werden andere Regionen, an dere Standorte spezialisierte (Dienst)Leistungen ebenso anbieten kön -nen wie Liechtenstein oder die Schweiz, vielleicht im ei-nen oder anderen Fall von derselben Qualität aber eben billiger.

Kleinstaaten im globalen Standortwettbewerb

3. Standortwettbewerb

Im Standortwettbewerb beginnt der kleinstaatliche Gedanke wieder wich tig zu werden. Historische Wettbewerbsvorteile eines Landes oder einer Region hatten sehr viel zu tun mit natürlichen Ausstat tungs vor tei len, mit der Gunst der Lage, mit Meeresnähe oder irgendwelchen Roh -stof fen, die in der Nähe waren.

Es gibt ganz wenige Länder, die als reine Binnenländer so erfolg -reich waren wie die Schweiz und Liechtenstein (Länder, die so weit weg vom Meer liegen). Gerade diese Standortmissgunst hat der Schweiz und Liech tenstein geholfen, rechtzeitig innovativ zu sein und mit diesem Miss stand konstruktiv und positiv umzugehen.

In der neuen globalisierten Welt ist die geographische Lage ver gleichs weise unwichtig geworden. Im Prinzip kann alles überall her ge stellt und angeboten werden. Viel wichtiger ist, wie schnell institutio -nelle Regeln, also das was man machen darf, was man machen kann, was moralisch, was normativ erlaubt und möglich ist, an diese neue Umge bung angepasst werden. Das führt zur Erkenntnis, dass die Wettbe -werbs fähigkeit einer Region, eines Standorts, eines Landes von zwei Kom ponenten gleichermassen abhängig ist. Es braucht erstens unter -neh me ri sches Handeln, es braucht gute Arbeitskräfte, die besser und nicht un be dingt billiger sind. Sie können im Prinzip überall auf der Welt tätig werden, können überall wohnen, überall arbeiten, ihre Wertschöp -fung irgendwo leisten. Die Herausforderung besteht darin, diese Talente, diese wertschöpfungsstarken Aktivitäten anzuziehen, sie also beispiels -weise nach Liechtenstein zu holen. Das ist wohl auch das, was wir mit

«Nischen» meinen – Nischen, die nicht nur gerade die Grenzkosten ein spie len, sondern etwas mehr als die Grenzkosten, um mit diesem Über schuss zum Beispiel auch den Sozialstaat oder andere, über die Öko no -mie hinausgehende Aspekte finanzieren zu können. Das hat zweitens mit der Attraktivität eines Standorts zu tun. Das Problem ist nur, dass natür lich weltweit alle Regionen versuchen, diese Strategie zu fah ren.

Wie hebt man sich in diesem Wettbewerb um Nischen aus dem Durch -schnitt heraus? Das ist die Frage der Zukunft – auch aus institu tio neller Sicht. Diejenigen, die Werte schaffen, müssen sich fragen, «Wohin gehen wir?» und ein Land wie Liechtenstein muss sich fragen, «Was können wir tun, um diesen wertschöpfungsstarken Aktivitäten einen sicheren Hafen zu bieten?»

Thomas Straubhaar

4. Schlussfolgerungen

Was heisst das jetzt mit Blick auf EWR und Liechtenstein in der Zu kunft? Ich habe bereits angedeutet, dass ich mich sicher noch ein paar weitere Jahre immer wieder mit der Frage beschäftigen werde, ob Klein staaten für «Nischen» ein attraktiveres Umfeld anbieten können als grosse Länder. Es ist empirisch (noch!) nicht eindeutig klärbar. Oft sind Niveau und Veränderungen nur schwer zu trennen. Was sind Be stan des wir kungen und was sind dynamische Effekte? Was ist der Bei trag der mobilen und was der Beitrag der immobilen Produktions fak -toren?

Es ist empirisch also ganz schwer zu sagen, ob Kleinstaaten erfolg -reicher sind als grosse Länder. So steht beispielsweise ein sehr grosses Land (Deutschland) bezogen auf das Wachstum des Bruttoinland pro -dukts der letzten zehn Jahre ganz schlecht da. Aber ebenso schwach schneidet die Schweiz ab, also das Gegenbeispiel eines grossen Landes.

Eine genaue empirische Analyse ergibt ein Gemisch zwischen grossen und kleinen Staaten ohne systematisches Muster. Beim Arbeitsmarkt ist es genau so: Wir finden Länder wie etwa Deutschland mit grossen Prob -le men und daneben das k-leine Land Schweden, das es sehr schnell ge-schafft hat, sich anzupassen. Auch das kleine Österreich ist erfolg reich.

Dem stehen die USA gegenüber, die als grosses Land ebenfalls erfolg-reich sind. Also hilft uns auch die Betrachtung des Arbeitsmarktes em-pirisch nicht weiter.

Dennoch gibt es gute Gründe, an die Effizienz der Kleinstaaten zu glau ben. Der erste Grund ist, dass sie aufgrund der Theorie des kol lek ti ven Handelns Entscheidungen schneller und beweglicher treffen kön -nen, dass kleine Gruppen rascher zu bewegen sind, in kleinen Grup pen grösserer sozialer Druck herrscht und homogene, gemeinsame In te res -sen deshalb leichter durchsetzbar sind (was manchmal auch ein Nachteil sein kann!). Der zweite Grund liegt darin, dass die Dezentralität hilft, mikro ökonomische Präferenzen besser ab zu decken. Kleine Staaten kön -nen leichter auf Interessen der Minoritäten Rücksicht nehmen und – als dritter Grund vielleicht das gewichtigste Ar gu ment – sie können sehr ge-nau nach dem Äquivalenzprinzip be steu ern. Wer zahlt, befiehlt und wer befiehlt, der bezahlt. Das sind Vor teile, die für Kleinstaaten sprechen würden.

Kleinstaaten im globalen Standortwettbewerb

Bei den Nachteilen kann ich mich kurz fassen. Die Marktgrösse ist (zu) klein, der Marktzugang ist erschwert. Die Marktmacht ist be schei -den. Die Rechtssicherheit kann nur im grossen Kontext erzielt wer-den.

Die Verhandlungsmacht ist gering. Das sind die bekannten Nachteile.

Wenn wir das saldieren, dann sehen wir, dass wir Alternativen zum EWR oder zum europäischen Weg finden und suchen müssen. Wenn Handelsliberalisierung und jetzt die Dienstleistungsliberalisierung im Rahmen der WTO ohnehin zum Thema werden, dann stellen sich die Fra gen: «Brauchen wir Europa noch? Welches Europa? Wird es de zen -tral genug sein?» Meine Sorge ist, dass es eher in Richtung Zen-tralismus statt in Richtung Wettbewerb der Systeme läuft.

Der letzte Punkt ist vielleicht der spannendste, und ich kann ihn hier leider nur kurz andeuten: Wenn die Entwicklung der EU wirklich eine Geschichte der Liberalisierung sein soll, dann braucht Liechtenstein nicht Mitglied zu werden. Dann kann es alle Vorteile einer Liberalisie -rung auch als Aussenseiter nutzen. Das ist ja im Prinzip das Dilemma der EU: Wenn sie sich wirklich als liberalen Vorreiter der Welt sieht, dann braucht Liechtenstein nicht Mitglied zu werden – genau so wenig wie die Schweiz. Meinen Landsleuten rate ich deshalb: «Wartet mal ab.

Man wird sehen. Wenn die EU offen ist, dann gibt es keinen Grund für einen Beitritt und wenn sie geschlossen ist, dann möchte ich nicht Mit -glied werden.»

Aus dem täglichen Leben wissen wir, dass individuelle Lösungen in aller Regel Standardprodukten überlegen sind. Wir sollten – nicht nur bei der Währungsunion – ein Europa der verschiedenen Geschwindig -kei ten anstreben, und in der europäischen Rechtssprechung, nicht nur viel mehr opting-out-Klauseln, sondern auch opting-in-Klauseln suchen und finden müssen.

Thomas Straubhaar