• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel vierKapitel vier

Im Dokument Kristina Valentin Herzblitze (Seite 29-32)

Kapitel vier

I

ch hatte gedacht, dass er wenigstens kurz mit ins Haus kommen würde, aber das tat er nicht. Er hielt vor unse-rem ehemaligen gemeinsamen Zuhause an, ließ mich aussteigen und meine Tasche aus dem Kofferraum holen, dann hob er grüßend die Hand, schenkte mir ein durchaus freundliches Lächeln und gab Gas. Ich sah ihm hinterher und stand dann einigermaßen bedröppelt auf dem Bürgersteig rum. Vor achtzehn, also eigentlich neun-zehn Jahren hatte er mich hier schon einmal abgesetzt.

Da hatte ich allerdings keine Tasche dabeigehabt, sondern Madeleine. Frisch entbunden, klein wie ein Zwerg und völlig zerknautscht hatte mein Kind in meinem Arm ge-legen, während mein Mann wieder weggefahren war. Auf eine Baustelle. Damals hatte ich mich ganz ähnlich ge-fühlt. Verwirrt. Orientierungslos. Langsam griff ich nach meiner Tasche und ging die zwei Stufen zum Gartentor hoch.

Unser Haus war aus den Dreißigerjahren. Wir hatten es vor fast zwanzig Jahren gekauft, umgebaut und reno-viert. Es war klein und wirkte mit seinem riesigen roten Ziegeldach, den weiten Dachüberständen und den weiß gestrichenen Kastenfenstern aus Holz immer ein wenig wie aus einem Rosamunde-Pilcher-Roman, nur leider

ohne die grandiose Landschaft von Cornwall hinter dem Gartenzaun. Ich liebte dieses Haus, hatte es von der ers-ten Minute an geliebt, und daran hatte sich nichts geän-dert, auch wenn das Abwasserrohr regelmäßig verstopfte, die Regenrinnen mittlerweile ein wenig windschief hingen und die Haustür dringend einen Anstrich brauchte.

Mark mochte das Haus nur am Anfang. Ziemlich bald fand er es hutzelig. Ein für meinen Sprachschatz neues Wort. »Hutzelig« bedeutete faltig und alt. Vermutlich war das hutzelige Haus irgendwann nicht mehr repräsentativ genug gewesen für jemanden, der hauptberuflich design-technisch anspruchsvolle Sichtbetonhäuser für die Neu-baugebiete der Stadt plante, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Unzählige Male hatte er umziehen wollen, aber ich hatte mich geweigert. Denn das hier war mein Zu-hause. Und in dieser Frage hatte ich es tatsächlich ge-schafft, mich durchzusetzen.

Ich trat durch das ewig quietschende Tor in den noch im Winterschlaf befindlichen Garten. Ein gepflasterter Weg schlängelte sich durch zwei Beete bis zur Eingangs-tür. Langsam ging ich darauf zu und staunte. Die Beete waren aufgeräumt. Keine trockenen Stauden, die sich zum bedeckten Märzhimmel hochreckten. Alles war fein säuber-lich abgeschnitten, sogar das Unkraut war verschwunden.

Nur ein einzelner Löwenzahn hatte trotzig Stellung zwi-schen den Fugen des Pflasters zu meinen Füßen bezogen.

Dabei hatte dieser Garten in den letzten Jahren ganzen Horden von Löwenzahn Herberge geboten.

Langsam ging ich die ausgetretenen Steinstufen zur Haustür hoch, die zum Glück immer noch so aussah, wie

ich sie in Erinnerung hatte. Die vergilbte weiße Farbe blätterte an vielen Stellen ab, und der Kit der kleinen Butzenscheiben im oberen Bereich bröckelte heraus. Die Tür war so alt wie das Haus und vermutlich in den gan-zen neunzig Jahren vielleicht zweimal gestrichen wor-den – direkt nachdem sie eingebaut worwor-den war und dann noch einmal während unserer Renovierung. Jedes Jahr hatte ich mir auf meine To-do-Liste geschrieben:

Haustür streichen. Und jedes Jahr war vorbeigegangen, ohne dass ich es getan hatte.

Ich zog meinen Schlüssel aus der Tasche und schloss die Tür auf. Dabei gab der Beschlag ein kratziges Schnar-ren von sich. Mein Nach-Hause-Komm-Geräusch, denn schon bei der Besichtigung mit dem Makler vor über zwanzig Jahren hatte uns dieses Geräusch begrüßt.

Als ich eintrat, umfing mich die Stille. Ich hörte nur meinen eigenen Atem, der plötzlich schneller ging. Lang-sam ließ ich meine Tasche auf den Wollteppich im Flur gleiten und schlüpfte aus den Schuhen. Im Wohnzimmer blitzte die Sonne durch die streifenfrei geputzten boden-tiefen Fenster. Das Haus war aufgeräumt. Hatte Made-leine noch Ordnung geschaffen, bevor sie gefahren war?

Auf Socken wanderte ich durch das Wohnzimmer zur offenen Küche hinüber, die sich dahinter erstreckte. Auf dem Tresen stand ein Blumenstrauß. Tulpen in allen Far-ben neigten sanft ihre Köpfe aus der alten Glasvase, die meine Mutter mir zur Hochzeit geschenkt hatte. Eine Karte mit roten wirbelnden Herzen stand dagegen ge-lehnt. Ich nahm sie und drehte sie um.

Mamalein!

Herzlich willkommen!

Im Kühlschrank steht Essen, und ich habe für dich einge-kauft. Es tut mir leid, dass ich schon wieder zurückmusste.

Ruf mich an, wenn du zu Hause bist!

Dein Kind!

»Danke, mein Kind«, murmelte ich und legte die Herz-chenkarte sorgfältig auf den Küchentresen. Und dann stand ich eine ganze Weile herum und starrte ins Nichts.

Der Kühlschrank fing leise an zu brummen, und die auf antik gemachte Uhr, die ich vor zwei Jahren mit Mark in Amsterdam gekauft hatte, begleitete das Brummen mit einem regelmäßigen Klacken. Ansonsten war es gespens-tisch still. Ich war allein. Hatte ich mich im vergangenen Jahr an die Abwesenheit von Mark gewöhnt? Das musste harte Arbeit gewesen sein. Ich war nicht gerne alleine.

Nach unserer Trennung war ich zutiefst dankbar gewesen, dass Madeleine noch ein Jahr lang bei mir wohnen würde.

Gewohnt hatte, korrigierte ich mich selbst. Das lag in der Vergangenheit. Nur weil ich mich nicht daran erinnerte, hieß es nicht, dass es nicht stattgefunden hatte. Vielleicht hatte ich mich ans Alleinsein gewöhnt. Wenn dem so war, hatte ich leider auch das vergessen.

Plötzlich fühlte ich mich furchtbar schwach. Das war so ein altertümliches Wort zur Beschreibung eines körper-lichen Zustands, aber offenbar war ich bisher in meinem Leben nie wirklich schwach gewesen, sonst hätte ich ge-wusst, wie treffend dieses Wort war. Ich stolperte nach hinten und ließ mich in meinen ausladenden Lesesessel

Im Dokument Kristina Valentin Herzblitze (Seite 29-32)

ÄHNLICHE DOKUMENTE