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Kapitel Der Primat des Seins

Im Dokument des klassischen (Seite 107-134)

Der Eintritt des Christentums in die Ontologiegeschichte

4. Kapitel Der Primat des Seins

Das wichtigste Element in der Modifikation der klassischen Theorie des Seienden als Seienden wurde wohl durch Avicenna eingeleitet, und zwar durch seine Lehre von der gnoseologischen Priorität des Seins. Dies soll aus drei Gründen in einem eigenen Kapitel behandelt werden: erstens, weil hiermit nicht eigentlich Theorieelemente sich unter einer neuen Frage verändern, sondern eine Denkstruktur auf einen zusätzlichen Bereich ange-wendet wird; zweitens, weil diese Theorieerweiterung keinen erkennbaren Anstoß aus der Schöpfungskonzeption der Welt erhalten hat; drittens, weil, was bei Avicenna textlich eher peripheren Status hat, erst in der Rezeption durch die lateinische Scholastik eine immense Bedeutung erlangt hat, die zudem durch eine bloße Zitationsstatistik nicht zu verdeutlichen wäre.

4.1. Die antike Denkform endlicher Ganzheit

Seit Piaton heißt Wille nicht direktionsloser Trieb, sondern eine auf etwas hin intentional strukturierte Tendenz: Wir wollen stets etwas. Gleich-zeitig wollen wir, was immer wir in concreto wollen, nicht schlechthin und unbedingt, sondern um etwas willen. Die Komplexität des Wollens ist also durch die Relation Mittel —Zweck bestimmt. Piaton hat diesen Gedanken mit der Zuspitzung versehen, daß wir eigentlich nur den Zweck wollen, da wir zum einen ohne diesen die Mittel nicht wollten und zum anderen dieser identisch bleibt, während wir unter Umständen die Mittel gerade variieren.1 Die Frage ist allerdings, ob dieser Finalnexus unendlich sein kann. Wäre er dies, insofern schlechthin alle Wollensinhalte instrumen-tellen Charakter haben, so hätte, dies ist Piatons These, das Wollen keinen

Gorg. 467 sq.; da die pure Machtexpansion das falsche Mittel zur Erreichung dessen ist, was wir eigentlich wollen, kann Piaton sagen, die Tyrannen täten nicht, was sie wollen:

Gorg. 466 e

Sinn. Es muß also ein letztes Um-willen geben, das alle partikularen Intentionen dirigiert; dies heißt aber, daß es nicht gleichsam das Ende aller Willensinhalte sein kann, sondern in allen diesen präsent sein muß als Tcpcöiov (piXov.2

Dieses Konzept, daß sinnvolles Wollen nur möglich ist unter der Bedingung endlicher Totalität, hat schon bei Piaton ihr theoretisches Pendant gefunden in der hierarchischen Abstufung der xe^vat und dem final ausgerichteten Bildungsgang der „Politeia", der dort auf die Dialektik, und diese wiederum auf die Erkenntis des Guten zielt.3 Es ist hier weder der Ort für eine historische, noch gar für eine systematische Diskussion der Frage, welches der Sinn einer obersten Wissenschaft sein kann, welche Art von Kompetenz ihr zukommen könnte und sie vor anderen voraus haben könnte. Einzig der Gesichtspunkt der Ganzheit des Wissens unter dem dirigierenden Fixpunkt des Wissens des Guten4, der die Künste und Wissenschaften aus ihrem ranglosen Nebeneinander und der daraus folgenden beliebigen Relevanz nimmt, sei hier akzentuiert.

Obgleich Aristoteles in Piatons Konzeption einer dialektischen Wissen-schaft die Gefahr einer UniversalwissenWissen-schaft sah, nimmt er den Aspekt der Ganzheit sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht auf, diese Unterscheidung der Hinsichten wird erst bei ihm zu einer Differenz.

Die finale Verknüpfung der Willensinhalte kann nur dann sinnvolles Wollen ermöglichen, wenn diese sich nicht ins Unendliche ausdehnt. Da der Gedanke des puren Strebens für Aristoteles ein Ungedanke ist, kann Streben nur innerhalb eines finiten Progresses zur Erfüllung kommen,

2 Lys. 219 e; die Stoa hat den Ausdruck für eine vor allen Optionen liegende Fundamentalop-tion geprägt; öpufiv Tipöc, öpufjc, (SVF III n. 173). — Das Mittelalter hat diese Theorie übernommen: Die Konstatierung der faktisch endlosen Mannigfaltigkeit der Willensin-halte sowie die Analyse dessen, was in all diesen eigentlich und im Grunde gewollt wird.

Dies wird paradoxerweise daran abgelesen, wo der unstete Wechsel der Inhalte zur Ruhe kommt: der Wille erreicht also seine Eigentlichkeit in der Aufhebung der Mittel-Zweck-Differenz: Augustinus, Conf. I, 1, 1; CL 27 p. 1; Boethius, cons. philos. III c. 9, 27; CL 94, 52; besonders: Gregorius Magnus, Moral. XXVI, 44, 79; PL 76, 395; Thomas Aqu., sth. I —II, 2, 8: nihil potest quietare voluntatem hominis nisi bonum universale. Quod non invenitur in aliquo creato, sed solum in Deo. Duns Scotus, ord. I, d. 2 p. 1 q. 1—2 n. 130 (II, 205): experimur actu amandi bonum infinitum, immo non videtur voluntas in alio perfecte quietari.

3 rep. 532 ab: Kai uf) d7rocrcfj Ttpiv äv auxö ö eaxiv dyaOöv aurrj vof|aei A.dßrj, £jt' aöi© yiyvexat T(Ü TOU vonioi) izkzx. R. Spaemann, Philosophie als institutionalisierte Naivität, 140:

„Entweder also, die Philosophie kommt bei ihrem Fragen bei einem Anhypotheton, einem letzten nicht hinterfragbaren Grund an, oder es wäre besser, sie finge gar nicht an."

4 Phil. 62 d.

ci h. sinnvoll sein.5 Dieselbe endliche Ganzheit, die das Wollen sinnvoll, also allererst zum Wollen macht, konstituiert auch das Wissen im aristoteli-schen Sinne. Denn dessen beide Definitionselemente, Notwendigkeit und Begründung6, erfordern eine rangmäßig endliche Ursachenkette. Es heißt anschließend an den eben zitierten Text aus der „Metaphysik": äXka \ir\v Kai ei cnueipd y' f\oav 7tÄ,f|08i ei'5r| xcov atiicov, O6K äv fjv ouö' oöico xö yiyv6aK8iv.7 Es ist leicht einzusehen, daß ein solcher endlicher Begrün-dungszusammenhang gleichwohl nicht homogen sein kann. Denn alle Begründungssätze haben ihre Wahrheit aus anderen und allgemeinen, ausgenommen diejenigen, die ihre Wahrheit in sich selbst haben, mithin evident sind. Die alles andere begründenden ersten Axiome können nur dann in Wahrheit erste sein, wenn sie von sich her überzeugend wirken8, so daß es nun eine Frage der Bildung scheint, ob man weiß, wann das Warum-Fragen ans Ende kommen muß oder ins Leere stößt.9

4.2. Avicennas Übertragung dieser Denkform

Endliche Ganzheit als Bedingung und Sinngrund von Wollen und Wissen haben sich als Charakteristikum sowohl der platonischen wie der aristotelischen Philosophie erweisen lassen. Diese Denkform wird zwar im Mittelalter ohne Einschränkung beibehalten, sie bekommt aber ihre Viru-lenz erst durch eine Erweiterung, die Avicenna vorgenommen hat.

Diese Erweiterung scheint in gewissem Sinne in den beiden klassischen Denkformen vorbereitet: Die Anhaltspunkte dafür finden sich in der aristo-telischen Definitionslehre, nach der zum einen die definitorischen Elemente

„früher" sein müssen1 und zum anderen die jeweils ursprünglicheren Ele-mente in einem nur finiten Regreß sich zurückverfolgen lassen müssen2;

5 Eth. Nie. I, 2; 1094a 18-22; Anal. post. I, 2; 72a 29-30; Met. 994b 9-17.

6 Anal. post. 71 b 9-12; Phys. 184a 12-14.

7 Met. 994 b 28-30.

8 Top. 100 a 30 — 62: eaxi öe dXr|0fj uev Kai rcpaixa xd uf| 5i'£xf.pcov öXka 5i'auxc5v e%ovxa xf)v rciaxiv . . . ; der Ort, an dem die ersten Sätze präsent sind, ist der voöc,: Eth. Nie.

1141a 7-8.

9 Met. 1006 a 6-7; Eth. Nie. 1140 b 31-35; 1142a 25-6; de an. 430 a 26-28; zum aristotelischen Wissensbegriff: O. Höffe, Einführung in die Wissenschaftstheorie der Zweiten Analystik, in: Aristoteles, Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik, Hamburg 1976, zu Poppers Kritik an diesem Wissensbegriff bes. p. XXV-XXVIII.

1 Top. VI, 4; 141a 32-34.

2 Anal. post. 82b 37-40.

aber auch die Theorie des Porphyrios von einer nach Allgemeinheitsgraden gestuften Ordnung der Art- und Gattungsbegriffe (arbor porphyriana)3, mit der Porphyrios die aristotelische Definitionslehre auf die platonische Theorie der Dihairesis abbildet, kann man als antizipatorische Erweiterungen verste-hen. Aber erst Avicenna zieht daraus die Konsequenz und wendet jene be-schriebene Denkform auch auf das Reich der Begriffe an, auf die Elemente der Definitionen und Begründungssätze mithin. Auch diese müssen zuletzt auf schlechthin erste und früheste reduzierbar sein. Sie sind nicht „von Na-tur" früher, sondern sogar „für uns" früher. Dies dokumentiert ein Text, der in der lateinischen Scholastik endlose Male zitiert oder angedeutet wird. In der Metaphysik (Philosophia prima) schreibt Avicenna:

Dicemus igitur quod res et ens et necesse talia sunt quod statim imprimuntur in anima prima impressione, quae non acquiritur ex aliis notioribus se, sicut credulitas quae habet prima principia, ex quibus ipsa provenit per se, et est alia ab eis, sed propter ea.4

Es gibt also nicht nur so etwas wie allgemeinste Axiome, sondern auch allerallgemeinste Begriffe. Ihre Bedeutung läßt sich infolgedessen nicht mehr aus anderen, noch „früheren" gewinnen. Anspruch auf diesen Status haben insbesondere „res" und „ens" (das „necesse" wird in der Scholastik fast ausnahmslos übergangen); das aber heißt: Für das Seiende trifft nicht nur der Status der nicht mehr übersteigbaren Allgemeinheit zu, sondern auch der des schlechthinnigen Bekanntseins; seine Bedeutung ist durch nichts anderes vermittelt. Das heißt allerdings schon bei Avicenna nicht, daß die Bekanntheit den Charakter eines im statistischen Sinne Allgemein-verständlichen habe, durch das sich die ontologische Frage nach dem Sein erübrigen würde. Es muß auch für Avicenna (und die an ihn anschließende Scholastik) expliziert werden; allerdings kann die Bedeutung des Seins nicht definitorisch fixiert, sondern nur mit Methoden erschlossen werden, die das Definitionsverfahren substituieren:

3 die Porphyrios an der Kategorie der Substanz nur exemplifiziert: CAG IV, 1 p. 4 sq.

4 I, 5 (Van Riet 31 sq.): nec dubitabis quin intentio istorum non sit iam impressa in anima legentis hunc librum (p. 34); Sein kann nicht in Substantialität aufgehen, sonst würde die Seinsprädikation von der Substanz tautologisch: Livre de science I p. 114sq.; das, was G. E. Moore „naturalistic fallacy" bezüglich der Definition des „Guten" genannt hat, ist ein ähnliches Argument: R. Spaemann, Moralische Grundbegriffe, 20 sq.; cf.

Goichon, La distinction de l'essence et de l'existence d'apres ibn Sina 1957 p. 3 sqq.; E.

Behler, Die Ewigkeit der Welt, 89: „gleichsam vorprädikativ bewußt und a priori eingeprägt".

Ens non aliter describi potest nisi per nomen; quia est primum principium cuiuscumque descriptionis et ideo describi non potest. Sed eius conceptus statim in mente sistit nulla re mediante; et dividitur quadam in substantia et accidens.3

Dieser Gedanke, der auch bei al-Ghazzali einmal begegnet6, wurde noch in der Neuzeit tradiert7 und hat dort, höchstwahrscheinlich durch seine Verbindung mit dem Gedanken eines deduktiven Systems, in den die Denkform der endlichen Ganzheit transformiert wurde8, und der sich nun die Form eindeutiger und reiner Apriorität gab, dazu geführt, daß Avicennas These erheblich modifiziert und die auf ihn sich berufende Scholastik unverständlich wurde. Nicht nur der Charakter des „Ersten"

als solchen9, sondern auch die nunmehr psychologisierte Erstheit des Seins, die auf diese Weise zur „sonnenklaren Selbstverständlichkeit"1 0 geworden ist, hat die Seinsfrage a limine paralysiert. Die Interpretationsthese: „Das

5 Metaph. Compend. I, 3 (Carame 5); Met. I, 5 (Van Riet 33): nullo modo potest manifestaria aliquid horum probatione quae non sit circularis, vel per quod sit notius illis. Obwohl die Thematisierung des Seins sich ganz der radikalisierten Kontingenzproblematik verdankt, enthält das Wissen des Seins seinen Ursprung nicht, Met. I, 5 (Van Riet 41): esse vero notius est quam non esse, esse enim cognoscitur per se, non esse vero cognoscitur per esse aliquo modo. — Pascal, De l'esprit geometrique (SW IX, 248 sq.) weist daraufhin, daß jede Definition des Seins allein schon durch ihren prädikativen Charakter (c'est ...) das definiendum schon enthielte, d. h. notwendig zirkulär wäre. — Die Behauptung von der Undefinierbarkeit des Seins wäre nur dann ein Hindernis für die sog. Seinsfrage gewesen, wie Heidegger es behauptet (SuZ, GA II, 5 sq.), wenn Definierbarkeit als das einschränkungslose Kriterium für Wissen angesehen worden wäre und deshalb Ontologie als Definitions- und Deduktionszusammenhang more geometrico zu explizieren gewesen wäre; zur Vorgehensweise des Aristoteles: Met. 1048 ab; eine schulmäßige Entfaltung bei Van Steenberghen, Ontologie, p. 62.

6 Logica, prooem. 1 (Lohr 240): Quod autem imaginatur statim sine inquisitione est sicut ,ens' et ,res* et similia.

7 Zu nennen wäre etwa Descartes (VII, 166): In omnis rei idea sive conceptu continetur existentia, quia nihil possumus concipere nisi sub ratione entis; an die Stelle des Wider-spruchsatzes als des ersten Prinzips bei Aristoteles tritt jedoch analog, weil ebenfalls intuitiv erfaßt, das „cogito": prima quaedam notitia est... tanquam per se notam simplici mentis intuitus (VII, 140; cf. IV, 444 sq.); auch der vorkritische Kant sagt, „daß unsere Erkenntnis sich doch zuletzt in unauflösliche Begriffe endige" (Beweisgrund, AA II, 73), so daß einige nicht mehr weiter analysierbar sind, indem sie auf noch einfachere und klarere Begriffe zurückgeführt würden: „Dieses ist der Fall bei unserer Erklärung von der Existenz."

8 Spaemann, Spontaneität und Reflexion, 60 sq.

9 Eine der Idiosynkrasien der Philosophie bestünde darin, schreibt Nietzsche, „das Letzte und das Erste zu verwechseln. Sie setzen das, was am Ende kommt . . . — die ,höchsten Begriffe', das heisst die allgemeinsten, die leersten Begriffe, den letzten Rauch der verdunstenden Realität an den Anfang als Anfang." Götzen-Dämmerung, KGA VI, 3 p. 70.

1 0 Heidegger, SuZ, GA II, 3.

Sein ist das Selbstverständlichste"1 1 erinnert allerdings weniger an die scholastische Theorie als vielmehr an die Logik (und Philosophielehrbü-cher) des 19. Jahrhunderts. Auch Frege etwa behauptet in seinem „Dialog mit Pünjer über Existenz", „dass das Wort, existieren' etwas vollkommen Selbstverständliches bedeutet . . , "1 2. Daß das ens die erste Bestimmung sei, die dem Geist gegeben ist, wie die Scholastik behauptet, erscheint auch E. Tugendhat als Absurdität.1 3 Es ist angesichts dessen bezeichnend für die Verlegenheit, in die man durch die Verschiebung des Gedankens und der Kritik an diesem geraten ist, wenn in einer Ausgabe von Thomas' v. Aquin „De ente et essentia"14 auf entwicklungspsychologische Behaup-tungen zurückgegriffen wird; K . Bühler hat auf „die auffallend frühe Verwendung der Namen, Ding etwas etc. . . . " hingewiesen und darin einen „primitiven entwicklungsgeschichtlichen Ausdruck des apriorischen

Nun scheint in der Tat die Scholastik jene Avicenna-Passage gerade nicht so verstanden zu haben, als gäbe es beim Wort „Sein" nur das zu verstehen, was man schon verstanden habe. Im genannten Thomas-Traktat steht sie sogar am Anfang, offenbar als Begründung dafür, welche Relevanz der Klärung des ens zukommt. Denn, um mit Hegel zu sprechen: „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt.ccu Was meint also die Rede vom Bekanntesten, wenn es doch nicht das Ende eines Erkenntnisprozesses im Sinne seines Überflüssiggewordenseins bedeutet, sondern gerade der Anstoß für einen solchen ist? Zunächst sei nur auf eine vielleicht hilfreiche Analogie bei Augustinus hingewiesen. In der vielzitierten Frage Augustins nach der Zeit wird ebenfalls die Vertrautheit und Bekanntheit festgestellt, die allerdings sofort ausfällt, wenn das Ge-wußte expliziert werden soll: Quid est enim tempus? ... Quid autem familiarius et notius in loquendo commemoramus quam tempus? ... Quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare vel im, nescio.17

1 1 Heidegger, Aristoteles, GA XXXIII, 47.

1 2 Nachgelassene Schriften I, 74 (Hermes).

1 3 Vorlesungen ..., 72: „Wieso dieser Satz, der dem unvoreingenommenen Betrachter ganz uneinsichtig, ja unverständlich erscheinen muß, von einer ganzen Tradition als oberste Evidenz in Anspruch genommen werden konnte, wird erst durch den Begriff des Vorstellens verständlich .. ." cf. p. 87 sqq.

u ed. R. Allers, Darmstadt 1965 p. 118.

1 3 Die geistige Entwicklung des Kindes, Jena 61930 p. 420; es bleibt im Kontext durchaus ungeklärt, ob ein entwicklungspsychologisches Faktum (wenn es denn eines ist!) einen apriorischen Sachverhalt „auszudrücken" vermag.

1 6 Phän., GA IX, 26; Enz. § 1; Gesch. d. Philos., XVII, 49.

1 7 Conf. XI, 14, 17; CL 27, 202; das bemerkenswerteste an den modernen Stellungnahmen

4.3. Thomas von Aquin

Der Satz von Avicenna wird zwar in der gesamten Scholastik zitiert, aber offenkundig hat niemand darin eine Gefährdung für die Thematisie-rung des Seins gesehen. Er wurde vielmehr selbst zum Anstoß für mannig-fache Explikationen. Diese sollen nun an einer (chronologisch geordneten) Reihe von Scholastikern dargestellt werden. Der Sinn der folgenden Paragraphen ist also ein dreifacher: eine der für unser Thema maßgeblich-sten Theorieerweiterungen, die damit erreichte Stütze des Primats des Seins und schon so etwas wie eine Tendenz im Verfolg der Interpretations-geschichte aufzuzeigen. Es handelt sich dann am Ende nicht mehr um eine bloße Theorieergänzung, sondern schon um eine folgenreiche Verwand-lung. Die erste bedeutende Anknüpfung an den Satz des Avicenna nimmt Thomas v. Aquin vor.

Alle Bestimmungen, die Thomas aus diesem Gedanken folgert, lassen sich ablesen an den Formulierungen, die er in den bekannten Passagen zu Beginn von „de veritate" gibt:

Illud autem quod primo intellectus concipit quasi notissimum, et in quo omnes conceptiones resolvit est ens, ut Avicenna dicit in principio Metaphysicae suae.1

zu Augustinus (eine ähnliche Passage übrigens bei Simplicius, in Phys., CAG I X p. 695, 13 — 20) ist weniger, daß Augustins Frage anders beantwortet würde, als vielmehr der Umstand, daß man die Frage als solche für verfehlt hält. Während Wittgenstein die Reflexivität als solche für die Resultatlosigkeit verantwortlich macht (Philos. Unters.

§ 89; Schriften I, 336 sq.), ist es für Heidegger zirkulär, mit einem implizit zeitlich verstandenen Sein (als Gegenwart, „Anwesen") nach der Zeit zu fragen: „Jede Frage nach dem Sein der Zeit hat die Zeit schon mißverstanden." Logik, GA X X I , 339.

ver. 1,1; das Sein ist ebensowenig etwas Selbstverständliches wie seine Thematisierung;

gleichwohl darf man es als eine strukturelle Differenz ansehen, wenn nicht mehr die Mathematik als eine unerläßliche Propädeutik (Piaton, rep. 527 b, 521 d: ÖA,KÖV &7CÖ xoö Yiyvou6voi) £TU xi öv; cf. W. Jaeger, Paideia, I, 401—405; III, 25 — 35; zur akademischen Tradition: Kremer, Metaphysikbegriff 102; Beierwaltes, Proklos 166 sq., 277) vorangestellt wird und auch keine spirituelle Einübung vermittels des Gebetes ihm mehr voraufgeht (wie bei Proklos zu Beginn seines Parmenides-Kommentars; Cousin 617, 1—8). Diese Verschiebung ließe sich wohl zum einen erklären mit den veränderten wissenssoziologi-schen Rahmenbedingungen; wenn Ontologie einen fixierten institutionalisierten Platz eingeräumt bekommen hat, bedarf es nicht mehr einer Thematisierung der pädagogischen Disposition des Geistes; diese ist nicht verlassen, sondern selbstverständlich geworden;

zum anderen hat das sehr wohl zu tun mit dem Seinsbegriff selbst: wenn es nicht mehr ein von anderem unterschiedenes „wahres Sein" meint, das sich absetzt von anderen Regionen dessen, was es gibt, sondern der allgemeine Titel von Wirklichkeit geworden ist, dann muß das Thema seinen existentiellen Charakter verlieren und zu einem rein

„theoretischen" werden.

Zunächst muß die Eindeutigkeit bemerkt werden, die Thomas der Aussage Avicennas gibt. Während Avicenna drei Begriffe aufführt und al-Ghazzali die Zahl derartiger Primärbegriffe im Unbestimmten beläßt, reduziert sie Thomas auf einen und nur einen: das ens. Daß dies allerdings nicht einfach eine universelle Evidenz konstatiert, zeigt sich daran, daß Thomas verschiedene Begründungen dafür gibt. Er selbst hat sie allerdings nirgends systematisch vollständig aufgeführt; die wichtigsten seien daher in rekonstruierender Weise genannt:

— Die Einzigkeit entspricht einer Rückführung alles Seienden auf ein Eines, das allem anderen voraufgeht: omnia entia reducuntur ad pri-mum.2

— Analog dazu werden alle Prinzipien des Wissens auf eines zurückge-führt, das allen anderen den Prinzipiencharakter erst verleiht. Thomas fahrt daher an der nämlichen Stelle fort: ita oportet quod principia demonstrationis reducuntur ad aliquod principium, quod principalius cadit in consideratione huius philosophiae. Hoc autem est, quod non contingit idem simul esse et non esse.3 Seine „Ersthek" (primitas,wie man später sagen wird) gründet wiederum in der des ens: Quod quidem ea ratione primum est, quia termini eius sunt ens et non ens, qui primo in consideratione intellectus cadunt.4 Die formale Parallelität leitet Thomas wie sonst die Scholastik von der doppelten Funktionsweise des Geistes ab: die Vergegenwärtigung einzelner (Wesens-)Inhalte und ihre positive oder negative Verknüpfung, d. h. das Urteil: una, qua cognoscit quod quid est, quam vocatur indivisibilium intelligentia:

alia, qua componit et dividit: in utroque est aliquod primum.5 Der Reduzierungsgrund ist in beiden Fällen der aristotelische: So wie das Wollen, um ein sinnvolles zu sein, auf einen endlichen Finalnexus angewiesen ist, so bedarf das Wissen einer finiten Rekursmöglichkeit

2 in Met. XI, 5 (2211); zur Reduzierung auf das ens: cf. Gilson, Quasi definitio substantiae, 116sq.

3 1. c; sth. I — II, 94, 2: primum principium indemonstrabile est, quod non est simul affirmare et negare, quod fundatur super rationem entis et non entis.

4 So wie die Evidenz des Prinzips: „omne totum est maius sua parte" von der Kenntnis der Begriffe „totum" und „pars" abhängt: in Met. IV, 6 (605). — Durch diese Primatstcl-lung des Begriffes „ens" wird verständlich, warum Thomas die ratio Anselmi im Sinne eines selbstevidenten Satzes verstehen konnte — übrigens ganz parallel wie im eben zitierten Beispiel: de ver. 10, 12.

5 1. c.

auf ein erstes Prinzip. Denn, wie Aristoteles sagt, „Unendliches ist nicht zu durchlaufen."6

— Die Gegebenheit des ens ist kein diskursives Denkresultat, sondern die intuitive Vorbedingung der Ermöglichung solcher Resultate. Dies

— Die Gegebenheit des ens ist kein diskursives Denkresultat, sondern die intuitive Vorbedingung der Ermöglichung solcher Resultate. Dies

Im Dokument des klassischen (Seite 107-134)