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Auch in Reichs italien legte das salische Gesetz fest, dass Lehen nicht an die weibliche oder illegitime Linie vererbt werden konnten. Doch zahlreiche Beispiele aus der südli-chen Peripherie des Reiches zeigen, dass die Kaiser der Frühen Neuzeit aus staatspoliti-schen Überlegungen heraus bereit waren, das Gesetz zu beugen. So erreichte Vespasiano Gonzaga di Sabbioneta (1531 – 1591) von Kaiser Ferdinand I., dass sein einziges Kind, die Tochter Isabella, Ehefrau von Luigi Carafa, Fürst von Stigliano, ihm im Reichslehen folgen und somit ein anderes Haus hier die Herrschaft übernehmen durfte. Doch das beste Beispiel diesbezüglich ist die Übernahme des Reichslehens Mantua durch die Sei-tenlinie der Gonzaga-Nevers nach dem Ableben des kinderlosen Vincenzo II. 1627.579

Nicht anders hatten es die frühen Este-Fürsten mit kaiserlichem und päpstlichem Einverständnis gehandhabt. Für fast 150 Jahre hielten illegitim geborene Mitglieder der estensischen Dynastie die Herrschaft in Ferrara und Modena-Reggio. Während die meisten der europäischen Monarchien seit der Mitte des 15.  Jahrhunderts die Nachfolge von Illegitimen ausgeschlossen hatten, blieb es in Italien länger üblich, noch den einen oder anderen »Bastard« unter den eigenen Herrschern zu dulden : so hatten die Malatesta aus Rimini fünf in ihren Reihen. Doch nach dem Tod von Borso 1471 übernahm auch im Haus d’Este kein Illegitimer mehr die Herrschaft, was u. a. an den an die Herzogswürde geknüpften Investiturbedingungen von Papst und Kaiser lag.580

Die Wahl eines Nachfolgers entsprang nach Jane Fair Bestor bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts den Überlegungen nach der Eignung für das Amt, der Heiratspolitik und der von den Lehensherren ausgehenden Macht der Legitimierung. Das Fehlen eines legitimen Nachfolgers oder die gleichzeitige Existenz von legitimen und illegi-timen bzw. legitimierten Söhnen war für eine Dynastie immer ein Risikofaktor, denn es rief die Debatte über brüderliche Gleichberechtigung und die Frage nach dem Vor-rang der Legitimität vor dem Altersanspruch (Erst- bzw. Frühergeborenenanspruch) hervor. Die Gleichberechtigung von Brüdern und die gemeinsame Regentschaft von diesen war in Norditalien ein relativ weitverbreiteter Usus, auch wenn er nicht die Illegitimen miteinbezog, obwohl sie von gleichem Blut waren und von Natur aus »zum Haus« gehörten. Obwohl das Recht des Älteren Vorrang hatte, war es meist undenkbar, dass ein Illegitimer, weil älter, in der Nachfolge vorgezogen wurde, auch weil Papst und Kaiser die Macht hatten, diesen zu legitimieren. Im Mittelalter zogen es die Este wie auch andere italienische Fürsten vor, bei fehlenden männlichen Nachkommen eher ihre illegitimen Söhne zur Nachfolge zu bringen – gegebenenfalls durch

Legitimie-579 Spagnoletti, Le donne, 30.

580 Bestor, Bastardy, 549f, auch italienisch und mit anderen Beispielen : Gli illegittimi.

rung – als ihre legitimen Töchter mit der Erbschaft der Macht zu betrauen. Dies ergab sich aus dem sozialen und kulturellen Verständnis von Nachfolge in ausschließlich agnatischer Linie. Schließlich floss in den Adern der »Bastarde« dasselbe Blut, sie gehörten zur Dynastie und trugen meist den gleichen Namen. Außerdem wurde die Wahl eines Illegitimen als Nachfolger mit der zwingenden Verpflichtung des Weiter-bestehens der Herrschaft und somit des Friedens und Wohlergehens der Untertanen gerechtfertigt. Frauen hingegen waren und blieben Trophäen, eine hoch- oder höher-rangige Braut zu erobern, galt als Auszeichnung und Möglichkeit, die eigene soziale Stellung zu verbessern. Die Este zeichneten sich in ihrer Staatsführungspraxis aber laut Bestor durch beide Faktoren aus : »bastardy and hypogamy«.581

Waren die »Überwinder« der mittelalterlichen Kommunen, die neu etablierten Herrscher auch im Rahmen der Wahl per Volksakklamation bemüht, ihre illegitimen Nachfolger auszuschließen, so nahmen die Este gerade am Anfang ihrer Etablierung diese Regelung wenig ernst. Der erste illegitime Este war Obizzo II., der 1264 noch minderjährig gewählt wurde. Er konnte auf dem schon etablierten Namen des Hauses Este aufbauen, das wiederum von den großen Besitzungen, vom Markgrafentitel und von einer Reihe von bedeutenden Heiratsallianzen sowie von der Vorherrschaft der Guelfenpartei in der Mark Treviso profitierte. Obizzo folgte dem Gewohnheits- und Feudalrecht und bestimmte in seinem Testament seine drei legitimierten Söhne Azzo, Aldobrandino und Francesco als gemeinsame Nachfolger und Erben. Doch der älteste Azzo monopolisierte die Macht und den Besitz. Er stillte seinen Durst nach interna-tionalem Ruhm 1305 mit der Heirat mit einer Tochter von König Charles II. von An-jou. Diese Ehe war ausschlaggebend für eine Änderung der Nachfolgeregelung. Azzo führte die Primogenitur in seinem Fürstentum ein, an die er sich jedoch selbst nicht hielt, da er in seinem letzten Willen die Nachfolge Fresco, dem Sohn seines ältesten il-legitimen Sohnes, übertrug und seinem Sohn ausdrücklich die Nachfolge verweigerte.

Auch Obizzo III. hatte keine legitimen, stattdessen 11 illegitime Kinder, die er – als Beweis dafür, dass er sie für die Nachfolge geeignet hielt – allesamt nach seinen Vorfahren benannte. Die ersten sieben waren während seiner rechtmäßigen, kinderlos gebliebenen Ehe geboren und daher als spurii vor einer rechtmäßigen Legitimierung durch Kaiser oder Papst nicht zur Nachfolge oder Erbschaft berechtigt. Die Kinder, die nach dem Tod seiner Frau aber noch vor seiner Heirat mit deren Mutter Lippa Ariosti582 geboren worden waren, waren illegitim oder naturales, entsprungen einer Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau, die frei von einer ehelichen Bindung

581 Bestor, Bastardy, 556.

582 Die Konkubinen der Este kamen nicht oder nur sehr selten aus den großen Familien Ferraras, Mo-denas oder Reggios. Es waren vielmehr kleinadelige oder bürgerliche Töchter, für die die Ehre einer Liaison mit dem Fürsten die Schmach übertraf : Dazu gehörten Familien, die erst kürzlich nach Ferrara gekommen waren und sich etablieren wollten (Ariosti, Albaresani) oder in Armut gefallene ländliche Eliten (Roberti). Die vom Fürsten anerkannten Söhne und Töchter wurden ab einem Alter von sechs bis acht Jahren am Hof erzogen und ausgebildet. Bestor, Gli illegittimi, 83.

waren. Diese natürlichen Kinder hatten begrenzte Erbrechte und wurden durch die – auch nachträgliche – Heirat ihrer Eltern legitimiert. Doch in beiden Fällen war die Anerkennung durch den Vater und nicht der Grad der Illegitimität ausschlaggebend.

Einige Jahre nach dem Tod seiner ersten Ehefrau beantragte Obizzo bei Papst Cle-mens VI. die Legitimierung seiner außerehelichen Kinder. Der Papst, der die esten-sische Unterstützung benötigte, stimmte der Legitimierung unter der Voraussetzung zu, dass Obizzo die Mutter der Kinder heirate. Dieser ging – aus Kalkül wie Bestor festhält – lange nicht auf diese Bedingung ein : Solange Kinder folgen konnten, war es besser, wenn alle illegitim blieben, als dass vorrangig die nach der Heirat Gebore-nen als legitim galten. Erst als der Este Lippa auf ihrem Sterbebett heiratete, konnte die päpstliche Anerkennung ihren Lauf nehmen. Juristisch gesehen konnte der Papst keine Legitimierung für die Titel und Lehen des Kaisers übernehmen. Doch Cle-mens VI. umging diese rechtlichen Vorgaben und legitimierte Obizzos Söhne auch für deren Nachfolge in den kaiserlichen Lehen mit der Begründung, dass der Papst in einer Zeit der kaiserlichen Vakanz diese Befugnisse besaß.583

Auch Alberto d’Este hatte nur einen illegitimen Sohn, Nicolò, den er legitimieren und namentlich in der Erneuerungsurkunde des kaiserlichen und päpstlichen Lehens-verhältnisses anführen ließ. Wie sein Vater hatte Nicolò bis vor seiner dritten, späten Heirat nur illegitime Söhne. Daraus ergab sich ein Legitimations- und Erstgebore-nenkonflikt. Das Ganze verschärfte sich mit seiner Entscheidung, Herrschaft und Be-sitz seinem ältesten, illegitimen Sohn zu übertragen.584

Tatsächlich baute Nicolò III. die Nachfolge seines natürlichen Sohnes Leonello auf die Allianz mit Gianfrancesco Gonzaga auf. Die Este waren dem Herrn von Mantua eine große Summe schuldig, der sie in die Mitgift seiner legitimen Tochter Marghe-rita umwandelte, die Leonello heiraten sollte. Für diese vorteilhafte Eheschließung ver-sprach Nicolò, die Legitimierung des unehelichen Sohnes beim Papst durchzubringen ebenso wie die Investitur mit Ferrara und mit den kaiserlichen Lehen. Er selbst schloss eine Heirat mit einer Tochter aus dem Haus Saluzzo und näherte sich so den mit diesen verwandten Häusern der Savoyer und Frankreichs. Aus dieser Ehe entstammten Ercole (* 1431) und Sigismondo (* 1433). Ab 1434 war Leonello bereits von seinem Vater mit großen Befugnissen ausgestattet worden und wirkte als Mitregent. Doch zum Univer-salerbe und Nachfolger ernannt wurde er erst auf dem Sterbebett seines Vaters 1441.

Anders als im vorangegangenen Jahrhundert waren die nicht regierenden Brüder nur Mitglieder des dynastischen Familienkörpers und nicht Anspruchsberechtigte auf die Mitregentschaft.585 Nichtsdestoweniger war es gerade die Einbindung der Brüder in die Herrschaft, die Leonello und Borso – trotz ihres Status’ als Usurpatoren – an der Macht hielten. Erst mit Ercole (I.) begann die legitime Linie der Este die Herrschaft zu

583 Vgl. Bestor, Bastardy, 559 – 565.

584 Ebd., 568f.

585 Bestor, Gli illegittimi, 87f.

führen und die Primogenitur wurde unantastbares Gesetz. Ercole I. verfeinerte noch das Blut der Este mit der Heirat mit der legitimen Tochter von König Ferrante von Neapel, Eleonora von Aragón, sodass deren Nachkommen nun zu Kandidat/inn/en für Heira-ten in königliche, kaiserliche und päpstliche Familien avancierHeira-ten. Dieser neue erhöhte Status ergab sich nach Bestor nicht zuletzt durch den Übergang zur legitimen Linie und zum Ausschluss von Illegitimen/Legitimierten von der Nachfolge. Um ganz auf Nummer sicher zu gehen und diese Nachfolgelinie des Erstgeborenen zu wahren, verbot Ercole seinem jüngeren Sohn zu heiraten, bevor der Thronfolger Alfonso an die Macht gekommen war und selbst die Primogenitur garantieren konnte. Außerdem wies er den Jüngeren an, dem älteren Bruder und zukünftigen Herrscher in Gehorsam und Treue zu dienen und beendete somit eindeutig die einstige Tradition der Mitregentschaft.586 Ab diesem Moment versuchte kein Bastard – wie vorher noch üblich – seine Nachfolgean-sprüche zu erkämpfen, was mitunter auch am dynastischen Hierarchisierungsprozess innerhalb des Staatensystems gelegen haben könnte. Schließlich war ein Erfolgskon-zept der dynastischen Herrschaft die Unterbindung von internen Machtkämpfen und die dadurch hervorgerufene Schwächung nach außen. Stabilität, Frieden und Konsoli-dierung von Wohlstand im Fürstentum verlangten Einigkeit und Zentralisierung der Macht im Herrscherhaus. Die Zunahme der Bedeutung von Ehre als persönliche und dynastische Eigenschaft ließ zudem illegitim Geborene in der Hierarchie des Hauses trotz ihrer Blutsbande und des Familiennamens nach unten steigen. Die Schwierigkeit für den kinderlosen Alfonso II. einen Sohn aus der illegitimen Linie der Este akzep-tieren zu müssen, zeigt, wie sich die Auffassung im 16. Jahrhundert gegenüber den Ge-pflogenheiten des 14. und z.T. 15. Jahrhunderts geändert hatte. Verbindungen mit den wichtigsten Häusern Europas hatten zu einem hohen sozialen Status geführt, der nun durch Kinderlosigkeit gefährdet war. Es war also ein Wettkampf zwischen dem mittler-weile etablierten Nachfolgerecht und der Verpflichtung zur Reinheit der Blutlinie, deren Bedeutung im Präzedenzstreit mit den Medici wiederholt betont worden war, und der Notwendigkeit des Überlebens und der Weiterführung der Dynastie.587

1.3.1 Die Belehnung der Seitenlinie mit den kaiserlichen Lehen und der Beginn einer neuen Beziehung zum Reich

Die Verhandlungen mit dem Kaiser, die schlussendlich zur Entscheidung führten, Ce-sare d’Este aus der Seitenlinie der Markgrafen von Montecchio 1597 als Nachfolger des kinderlosen Alfonso II. mit Modena, Reggio und Carpi zu belehnen, begannen

586 Bestor, Bastardy, 575f.

587 Der Makel der illegitimen Herrscher des 15. Jahrhunderts war für die Hofchronisten eine große He-rausforderung in der Rechtfertigung der »ungebrochenen« Ehre dieses Herrscherhauses gewesen. Vgl.

die dahingehenden Bemühungen bei Bestor, Bastardy, 577 – 581.

bereits in den späten 1580er Jahren. Im Frühjahr 1587 ließ Alfonso II. seinen Ge-sandten Ascanio Geraldini dem Kaiser andeuten, dass der Papst Ansprüche auf die kaiserlichen Lehen Modena und Reggio stelle, die – dies sollte der Diplomat nebenbei erwähnen – im Jahr nicht mehr als 200 Dukaten an Rendite abwarfen. Außerdem fügte er den Instruktionen für den Gesandten eine Liste aller Gründe für die Wei-terführung der Este-Herrschaft nach seinem Tod bei. Darunter waren Argumente zu finden wie die ständige Verteidigung der Reichsrechte durch die Familie d’Este gegen die Ansprüche der Kirche, und das – so Alfonso – obwohl die Este von der Kirche bes-sere Bedingungen als vom Kaiser hätte erhalten können (»che hanno intraprese guerre fin contra i Pontifici per difendere i diritti Imperiali anchorche havessero potuto haver partiti molto migliori da loro che dall’Imperatore«) ; weitere Gründe zugunsten seines Fürstengeschlechts waren die vorangetriebenen kostspieligen Verbesserungen und die territoriale Vergrößerung des Reichslehens (»che i miglioramenti sono stati fatti nel feudo, et sono debiti al Vassallo per giustizia, sono di tanta stima […], che le spese sarebbero inestimabili«) und schließlich die Tatsache, dass die Este mit Reichsrechten und Einkünften ausgestattet, besser dem Kaiser dienen könnten.588 Tatsächlich hatten alle Estefürsten zur Vergrößerung, Festigung und Verschönerung ihres Fürstentums beigetragen, auch wenn sie sich dabei weniger der kaiserlichen Lehen als vielmehr des päpstlichen Lehens Ferrara angenommen hatten. Hier hatten sie die Pflasterung von Straßen, den Bau von delizie (Copparo und Montagnola), die Trockenlegung des Polesine sowie die Erweiterung der Verteidigungsanlage vorangetrieben.

Im November 1587 berichtete der Gesandte vom Kaiserhof von den Schwierigkei-ten, Unterstützung für die Nachfolge Cesares zu finden. Er präzisierte, dass man sich einflussreichen Räten wie Vizekanzler Weber und Reichshofrat Harrach,589 die ja dem Kaiser die Causa vorbrachten, zumeist mit 25 – 30 Gulden für jeden erkenntlich zei-gen musste.590 Prinzipiell sei der Kaiser nicht abgeneigt, die Investitur der Seitenlinie zu gewähren, wenn zwei Punkte geklärt seien : Der Kaiser ließ über den Gesandten fragen, wer dieser Don Cesare eigentlich sei, in welcher Beziehung er zu Alfonso II.

stehe und wie er bzw. dessen Nachfolger das kaiserliche Lehen weiterzuführen ge-denke. Zweitens – und das war wohl das eigentlich Wichtige – solle mitgeteilt werden, was Alfonso bereit sei für den Kaiser zu tun, um diese Investitur zu bekommen.591 Im

588 Alle Zitate : ASMo, ASE, Casa e Stato, Carteggio di Ambasciatori, Germania b 46, Istruzioni an Ascanio Geraldini, November 1587. Ähnliche Istruzioni mit denselben Gründen folgten im Februar und März 1588.

589 Leonhard Freiherr von Harrach, Hofkanzler (1514 – 1590), Reichshofrat, Obersthofmarschall, Oberst-kämmerer, Obersthofmeister. Vgl. Fellner/Kretschmayr, Die österreichische Zentralverwaltung, Anhang : Verzeichnis der Inhaber der obersten Hofwürden und der Vorstände der Zentralbehörden 1526 – 1749, 275, 277, 278, 280.

590 Wie bescheiden dieses Bestechungsgeld war, zeigt der Vergleich mit den oben genannten Summen, die von den Medici für die kaiserliche Großherzogswürde an die Minister weitergereicht wurden.

591 ASMo, ASE, Casa e Stato, Ambasciatori per la Germania b 46, Minute di dispacci per Germania an

darauffolgenden Frühjahr erbat sich Alfonso vom Kaiser die Zusendung eines der ita-lienischen und deutschen Sprache mächtigen Vertrauten, um die Causa der Investitur zu besprechen. Diesem Wunsch scheint der Kaiser entsprochen zu haben, wenn im Juli darauf hingewiesen wird, dass Rudolf II. »mit eigenen Augen sehen konnte«, wie gut es den Menschen unter der Herrschaft der Este ergehe.592

Die Verhandlungen zogen sich in die Länge und füllten die Gesandtenberichte und Instruktionen der folgenden zehn Jahre. Der jeweilige estensische Gesandte wurde genauestens instruiert, wie er das Investiturgeschäft dem Kaiser und den Ministern vorzubringen habe. Dabei sollte stets auf die Nachteile eingegangen werden, die dem Kaiser entstehen würden, falls er nicht Alfonsos Wille berücksichtigen sollte. In wei-terer Folge wurde auch dadurch Druck ausgeübt, dass, wenn das Reichsoberhaupt sich weiter Zeit ließe, unweigerlich mit Rom verhandelt werden würde, auch weil man sich ja nicht sicher sein konnte, ob der Kaiser einschreiten würde, wenn der Papst Modena und Reggio bedrohen sollte. Provokant sollte auch vorgeschlagen werden, die Investitur mit den kaiserlichen Lehen dem Papst zu überlassen, der – so die gewagte und eher naive Annahme – sicher die Este einsetzen würde. Diese Argumentation kann rückblickend angesichts der päpstlichen Unbeweglichkeit bezüglich einer Wei-terbelehnung mit Ferrara nur als eine der Unentschlossenheit des Kaisers geschuldete Verzweiflungstat verstanden werden, der Alfonso mit Erpressung – und nicht mit Na-ivität – Nachdruck verlieh. Im März 1590 sollte der Gesandte den Ministern »Curtz«

und »Ronff«593 klar machen, wie aufreibend das Warten auf die Investiturzusage sei und dass sein Herr, wenn er nicht die kaiserliche Belehnung erhielte, wohl die päpst-liche annehmen müsse.594 Im darauffolgenden Monat hielt Alfonso den Gesandten Geraldini dazu an, den Kaiser in der Entscheidung der Investitur anzutreiben, aber mit

Ascanio Geraldini, November 1587. Derselbe Gesandte klagte noch 1590, dass der Kaiser Zeit verliere, während seine Minister viel anderes zu tun hätten und ihn deshalb abwimmeln würden, wenn er jeden Tag vorbeikäme und nachfrage. Ebd. B 49, Istruzione per la Germania an Ascanio Geraldini, Juli 1590.

592 ASMo, ASE, Casa e Stato, Ambasciatori per la Germania b 46, Istruzioni an Ascanio Geraldini, Mai/

Juli 1588.

593 Damit sind in italianisierter Lautschrift Reichsvizekanzler Jakob Kurz von Senftenau (1553/8 – 1594) und Wolf Sigmund Rumpf (1536 – 1606) Oberhofkämmerer, Obersthofmeister und Geheimrat des Kaisers gemeint. Beide waren bereits unter Kaiser Maximilian II. tätig und gehörten zusammen mit den beiden Trautson zu den einflussreichsten Günstlingen am Kaiserhof. Rumpf war zusammen mit anderen kaiserlichen Räten wie Dietrichstein auch ein (gut bezahlter) Pensionär König Philipps II.

und dementsprechend eine der bedeutendsten Figuren in der spanischen Gruppierung am Kaiserhof.

Siehe Felix Stieve, Rumpf zum Wülroß, Wolfgang Sigmund, in : ADB 29, Leipzig 1889, 668 f. Wei-terführend auch Friedrich Edelmayer, »Manus manum lavat«. Freiherr Wolf Rumpf zum Wielroß und Spanien, in : Erwein H. Eltz/Arno Strohmayer (Hgg.), Die Fürstenberger. 800 Jahre Herrschaft und Kultur in Mitteleuropa (= Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums N.F. 342), Wien 1993, 235 – 252 ; Edelmayer, Söldner und Pensionäre, 91 – 94. Zu Jakob Kurz siehe Ehrenpreis, Kaiserliche Gerichtsbarkeit, 303 und Noflatscher, Regiment aus der Kammer ?, 218f.

594 ASMo, ASE, Casa e Stato, Ambasciatori per la Germania b 49, Minute di dispacci per la Germania an Ascanio Geraldini, März 1590.

dem Hinweis, dass nicht mehr Geld als vereinbart von ihm kommen werde, da er sich ja auch um die Nachfolge im päpstlichen Lehen Ferrara kümmern müsse ; außerdem ließ er die unterschwellige Drohung einfließen, dass er andernfalls den Gesandten vom Kaiserhof abziehen müsse.595

Im Sommer 1591 wurde dem Kaiser mitgeteilt, dass das Volk in den kaiserlichen Lehen die Este als ihre Fürsten gewählt hätte. Darauf ließ Rudolf II. über die Gesand-ten antworGesand-ten, dass er den beiden StädGesand-ten (Modena und Reggio) nicht das freie Wahl-recht zur Bestätigung der Este gegeben hätte. Die mittlerweile durchgeführte – eine kaiserliche Entscheidung präjudizierende – Wahl müsse somit für null und nichtig er-klärt werden. Doch der Kaiser sei bereit, Alfonso diese rechtliche Dreistigkeit zu ver-zeihen. Der Este durfte – so der erste Ansatz – aufgrund seiner Treue und seiner gu-ten Dienste einen Nachfolger aus der Seigu-tenlinie vorschlagen. Im Gegenzug verlange der Kaiser 400.000 scudi d’oro, das Ende der Ansprüche auf die Mitgift der zwei-ten Gemahlin des Herzogs, Erzherzogin Barbara, und natürlich Treue und Gefolg-schaft im Kampf gegen die Osmanen.596 Somit ist Jan Paul Niederkorn zuzustimmen, wenn er Alfonso II. d’Este unter jenen Potentaten zählte, »die mit dem Ausbruch des ›Langen Türkenkrieges‹ die Gelegenheit zur Erfüllung eigener Wünsche gekommen sahen […]«.597 Zum Jahresende 1591 ließ Alfonso, dem die Verhandlungen zu lang-sam und die Bedingungen zu hoch waren, durch den Gesandten Marcantonio Ricci598 das Gerücht am Kaiserhof verbreiten, dass er nach Rom gehen wolle, um sich vom Papst auch die Belehnung der kaiserlichen Lehen für Cesare zusichern zu lassen. Dies war nicht nur unrechtmäßig und eine Beleidigung der Reichsautorität, sondern über-spannte eindeutig den Bogen und führte zu einem Rückschlag in den Verhandlungen mit dem Kaiser.599 Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen wurde die Drohung, sich

Im Sommer 1591 wurde dem Kaiser mitgeteilt, dass das Volk in den kaiserlichen Lehen die Este als ihre Fürsten gewählt hätte. Darauf ließ Rudolf II. über die Gesand-ten antworGesand-ten, dass er den beiden StädGesand-ten (Modena und Reggio) nicht das freie Wahl-recht zur Bestätigung der Este gegeben hätte. Die mittlerweile durchgeführte – eine kaiserliche Entscheidung präjudizierende – Wahl müsse somit für null und nichtig er-klärt werden. Doch der Kaiser sei bereit, Alfonso diese rechtliche Dreistigkeit zu ver-zeihen. Der Este durfte – so der erste Ansatz – aufgrund seiner Treue und seiner gu-ten Dienste einen Nachfolger aus der Seigu-tenlinie vorschlagen. Im Gegenzug verlange der Kaiser 400.000 scudi d’oro, das Ende der Ansprüche auf die Mitgift der zwei-ten Gemahlin des Herzogs, Erzherzogin Barbara, und natürlich Treue und Gefolg-schaft im Kampf gegen die Osmanen.596 Somit ist Jan Paul Niederkorn zuzustimmen, wenn er Alfonso II. d’Este unter jenen Potentaten zählte, »die mit dem Ausbruch des ›Langen Türkenkrieges‹ die Gelegenheit zur Erfüllung eigener Wünsche gekommen sahen […]«.597 Zum Jahresende 1591 ließ Alfonso, dem die Verhandlungen zu lang-sam und die Bedingungen zu hoch waren, durch den Gesandten Marcantonio Ricci598 das Gerücht am Kaiserhof verbreiten, dass er nach Rom gehen wolle, um sich vom Papst auch die Belehnung der kaiserlichen Lehen für Cesare zusichern zu lassen. Dies war nicht nur unrechtmäßig und eine Beleidigung der Reichsautorität, sondern über-spannte eindeutig den Bogen und führte zu einem Rückschlag in den Verhandlungen mit dem Kaiser.599 Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen wurde die Drohung, sich

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