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„Jünger und Verkündiger“: Umstrittene Herausgeber

Die Debatte um die beste Art der Veröffentlichung von „Rahel-Briefen“ setzte unmittelbar nach dem Tod der Verfasserin ein.

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Die allererste Briefedition, Rahel. Ein Buch des Andenkens, wurde schon 1833 vom Ehemann veröffent-licht, wenige Monate nach ihrem Tod, in einer limitierten Auflage für Freunde und Bekannte.

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Eine der bedeutendsten Feststellungen an den seit Ende der 1980er-Jahre wieder zugänglichen Quellen war die Notwendigkeit, die Autorin-nenrolle Rahel Levin Varnhagens neu zu bedenken, desgleichen die Bedeutung ihres Mannes als Herausgeber. Unter den Papieren in Kraków fanden sich unter anderem von der Verfasserin selbst angefertigte Listen, die die Struktur des

Korrektur der Orthografie oder „Ausbesserung“ von Metaphern. Feilchenfeldt / Steiner 1983, bes. S. 93–97.

41Seit einigen Jahren finden sich solche Sammlungen auch im Internet. Als Beispiel einer großen Sammlung von „Rahel-Zitaten“, allerdings ohne Zusammenhang und

Quellennachweis: Rahel Varnhagen von Ense: Gedanken, Beobachtungen und Erinnerungen aus ihren Tagebüchern und Briefen, unter: http://www.celtoslavica.de/goetheanica/

varnhagen.html (25. 1. 2010).

42Als Karl August Varnhagen nach dem Tod seiner Frau ihre Briefe von allen Briefpartnern zurück erbat und diesbezüglich an Brinckmann schrieb, geriet er bei diesem an einen gleichrangigen Sammler, der ihm in punkto Leidenschaft und Akkuratesse nichts nachstand, allerdings ein beinahe konträres Verhältnis zum Veröffentlichen von Briefen hatte.

Brinckmanns Überzeugung, seine Freundin hätte nichts veröffentlichen wollen, zog eine interessante briefliche Debatte und mehrfaches Hin- und Hersenden der Briefe nach sich.

Varnhagens Ansatz setzte sich durch. Bezeichnend für die unterschiedliche Herangehens-weise ist die Selbstinszenierung der Männer als Rahel Levin Varnhagens „Jünger“ (Brinck-mann) und „Apostel“ (Karl August Varnhagen). Vgl. dazu Isselstein 1997, S. 201–212, sowie die Rekonstruktion der Debatte in: dies.: „Rein erhabenes Monument“ oder „vollständige Ausgabe“. Zur Mediendiskussion zwischen Karl Gustav von Brinckmann und Karl August Varnhagen um „Rahel“, in: Makkaroni und Geistesspeise, hrsg. von Nikolaus Gatter unter Mitarbeit von Christian Liedtke und Elke Wenzel (Almanach der Varnhagen-Gesellschaft 2), Berlin 2002, S. 187–207.

43 Eine zweite Auflage erschien in drei Bänden 1834 und ist in der „Rahel-Bibliothek“ als GW I–III zugänglich. Zur Geschichte der Publikationen durch Karl August Varnhagen s. die Dissertation von Barbara Hahn: „Antworten Sie mir!“ Rahel Levin Varnhagens Briefwechsel, Basel 1990, bes. S. 27 ff.

Buches und damit ihr Interesse an einer solchen Veröffentlichung andeuten.

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Hatte man Karl August Varnhagen bis weit in das 20. Jahrhundert, am promi-nentesten Hannah Arendt in ihrer Rahel-Biografie, wegen der Darstellungsform im Buch des Andenkens gescholten und abgewertet, so bewies eine in Kraków erhaltene und wieder entdeckte Druckvorlage

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für eine geplante Neuauflage, dass er seine Eingriffe weitgehend rückgängig machen wollte, um den „Origi-nalton“ der Korrespondenz wieder herzustellen.

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Neben dem Schutz der Per-sönlichkeitsrechte noch Lebender war sein wesentliches Motiv für die Ände-rungen, dass er für die Authentizität, die ihm vorschwebte, weder in seiner noch der kommenden Zeit Chancen sah: „Ohnehin wird in der nächsten Zeit nicht leicht etwas ganz so, wie es hier eingetragen steht sich zur Veröffentli-chung eignen, sondern man wird auswählen, und in dem Gewählten manches auslassen müssen“.

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Diese dritte, den Originalen nahe, erst im Jahr 2011

44 Man hätte nicht auf die Wiederentdeckung warten müssen. Rahel Levin Varnhagens Testament von 1831, erhalten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, enthält die Verfügung, dass wenn ihr Mann selbst nicht mehr dazu käme, „meine Briefe und Denkblätter […] zehn Jahre nach unser beider Ableben in öffentlichem Druck erscheinen sollen.“

„Testament der Geh. Legationsrätin Varnhagen von Ense“, Brandenburger Landeshauptarchiv (BLHA), Pr. Br. Rep. 4 A, Testamente 19056, zit. nach: Nikolaus Gatter: „Gift, geradezu Gift für das unwissende Publikum“. Der diaristische Nachlaß von Karl August Varnhagen von Ense und die Polemik gegen Ludmilla Assings Editionen (1860–1880), Bielefeld 1996, S. 299 f.

45 Druckvorlage zur dritten Ausgabe von „Rahel. Ein Buch des Andenkens“ [im Folgenden:

DV BdA], SV 207. Zur Ausführung kam es weder durch ihn noch durch seine Nichte Ludmilla Assing, sondern erst durch Barbara Hahn 2011. Rahel Levin Varnhagen: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Hrsg. von Barbara Hahn. Mit einem Essay von Brigitte Kronauer, 6 Bde., Göttingen 2011. [im Folgenden: BdA 2011].

46 Zwischen die einzelnen Seiten der Ausgabe von 1834 sortierte und heftete er diejenigen Briefe, die er bei einer Neuauflage dazwischen gedruckt sehen wollte. Daneben füllte er an anderen Stellen Auslassungen mit dem Originaltext und vermerkte die echten Namen zu den von ihm ursprünglich verwandten Codes. Die exakte Umsetzung seines Plans und seiner Auswahl verfügte er in seinen Anweisungen zum Druck in derselben Kiste. Zur Bedeutung der verschiedenen Auswahlverfahren und den daraus resultierenden Lesarten siehe besonders: Barbara Hahn: Rahel. Ein Buch des Denkens für die Nachwelt, in: BdA 2011, Bd. 6, S. 11–39.

47 Karl August Varnhagen, 20. 2. 1843, in: DV BdA, SV 207. Auch in: BdA 2011, Bd. 6, S. 83.

(Die gedruckte Ausgabe des vollständigen Buchs des Andenkens erschien nach Abgabe der Dissertation, für die das Original der Druckvorlage eingesehen wurde. Bei Zitatnachweisen aus dieser Version werden daher sowohl die Quellenangabe wie der Seitennachweis im BdA 2011 angegeben.) Der Druckvorlage ist eine Liste der Personen beigegeben, „auf deren Leben Rücksicht zu nehmen [ist], bei allem, was von Rahels Briefen und Tageblättern gedruckt wird“. Ebd.

Abb. 3:Karl August Varnhagen (1785–1858), Portrait von Wilhelm Hensel 1822.

realisierte Ausgabe hätte die Diskussionen um den „Salon“ Levin Varnhagen im 19. und 20. Jahrhundert sicherlich anders verlaufen lassen.

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Engel des Himmels! Gibt es denn eine Sprache auf Erden, in welcher man Ihnen schreiben kann?

Friedrich von Gentz an Rahel Levin Varnhagen, 180349