• Keine Ergebnisse gefunden

Eine gesonderte Analyse des Einflusses der Distraktorkategorien auf die Leistungsparameter unter der nichtgespiegelten Bedingung ergab, anders als vermutet, keine stärker ausgeprägten Effekte für eine der beiden Gruppen. Die Untersuchung eines direkten Zusammenhangs der kontrollierten Aufmerksamkeitszuweisung und der Rotationsleistung fiel für beide Gruppen nur dann positiv aus, wenn die Betrachtung auf die Aufgaben mit dem jeweils präferierten Distraktor beschränkt wurde.

4.7.1 Die Bedingung correct same

Die Analyse der Daten aus dem zweiten Pilotexperiment ergab akzentuierte Effekte für die nichtgespiegelte Rotationsbedingung. Anhand der Reaktionszeiten für die nichtgespiegelten Stimuli formulierten Shepard und Metzler (1971) ihre Theorie zur mentalen Rotation. Für die gespiegelten Stimuli fanden sie um durchschnittlich eine Sekunde verlängerte Reaktionszeiten.

Paschke (2012) fand in ihrer Studie für gespiegelte Stimuli und Winkeldifferenzen bis 80°

signifikant längere Reaktionszeiten. Für höhere Differenzen (120° und 180°) scheint eine

101 Vorzeichenumkehr stattzufinden und die Reaktionszeiten sinken (bei 180° signifikant) unter die für nichgespiegelte Stimuluspaare. Ihre Daten bestätigen die Theorie von Williams (1989), der eine Verengung des funktionalen Sichtfeldes bei steigender Aufgabenkomplexität annahm. Für die gespiegelten Stimuli fand Paschke (2012) eine reduzierte durchschnittliche Sakkadensprungweite. Es scheint, dass die Lösung der gespiegelten Rotationsaufgaben in 80°

Winkeldifferenz schwieriger ist als bei nicht gespiegelten.

Davon ausgehend, dass ein weniger eingeschränktes funktionelles visuelles Feld (vgl. auch Ikeda und Takeuchi 1975) unter geringerer perzeptiver Belastung den Einfluss der peripheren Distraktoren verstärken müsste (vgl. Lavie 1995), wurde für die nicht gespiegelte Bedingung eine gesonderte Analyse der Verhaltensdaten durchgeführt. Während sich für die heterosexuelle Gruppe für die Fehlerquote der signifikante Haupteffekt Stimulusalter lediglich reproduzieren ließ, erreichte bei der Analyse der Reaktionszeiten für Richtigantworten zusätzlich der Haupteffekt Stimulusgeschlecht Signifikanz. Weibliche Stimuli führten ebenso wie erwachsene Stimuli zu signifikant längeren Reaktionszeiten. Die Fehlerquote für die homosexuelle Gruppe ergab wieder den gleichen Haupteffekt Stimulusalter, für die Reaktionszeiten in der nichtgespiegelten Bedingung fand sich hingegen kein signifikanter Effekt. Die bei erwachsenen Stimuli höhere Fehlerquote bei der homosexuellen Gruppe zeigte noch ausgeprägter, was sich schon in der globalen Analyse abgezeichnet hatte. Entgegen der Tendenz aus den Reaktionszeiten zeigt sich der deutlichste negative Einfluss auf die Rotationsleistung durch Frauen als Distraktoren.

Eine Interpretation dieser Konstellation (kürzere Reaktionszeiten und höhere Fehlerquoten für Frauen im Vergleich zu Männern) als Vermeidungsverhalten der homosexuellen Probanden zu interpretieren, scheint angesichts der eingangs von Samson und Janssen (2011) angestellten Untersuchungen nicht zulässig. Sie konnten dieses Phänomen spezifisch nur bei heterosexuellen Männern für gleichgeschlechtliche Partner finden. Ebenso spricht die geringere Kategoriespezifität der homosexuellen Gruppe (die sich Samson und Janssen aus dem Fehlen von Vermeidungsverhalten erklären) dagegen.

Insgesamt erscheint die gesonderte Analyse der nichtgespiegelten Bedingung keinen grundsätzlichen Vorteil vor der Miteinbeziehung der gespiegelten Stimuli zu bieten. Der Gruppenvergleich zeigt ebenso wie die globalen Daten lediglich einen Haupteffekt des Stimulusalters mit stärkerer Beeinträchtigung der Rotationsleistung durch erwachsene Stimuli.

Mögliche grundsätzliche Unterschiede zwischen kognitiven Subprozessen bei der Bearbeitung beider Aufgaben fallen bei unserer anwendungsorientierten Herangehensweise daher nicht

Anhang

102 maßgeblich ins Gewicht. Es empfiehlt sich eine Einbeziehung beider Rotationsbedingungen, um die Menge der auswertbaren Durchgänge zu maximieren.

4.7.2 Zusammenhänge zwischen Verhaltens- und Blickbewegungsdaten

Es scheint plausibel, anzunehmen, dass eine durchschnittlich längere Betrachtungszeit der Distraktorstimuli mit längeren mittleren Antwortlatenzen einhergeht. Durch den Abstand von 12 Sehwinkelgrad zwischen den Mittelpunkten von Rotationsstimulus und Distraktor sollte während der Betrachtung des Distraktors der erforderliche Abgleich von einzelnen Merkmalen der Rotationsfiguren, wie er etwa von Just und Carpenter (1976) für die erfolgreiche Lösung der Aufgaben analysiert wurde, schwierig bis unmöglich werden. Für die prozentuale Fehlerquote ist dieser Zusammenhang weniger einleuchtend. Ein möglicher Einfluss des Distraktors, bevor eine Entscheidung generiert wird, ist jedoch ebenfalls denkbar. Da solche Zusammenhänge für beide Gruppen gleichermaßen gelten sollten, wurde zunächst eine globale Korrelation von individuellen Mittelwerten zwischen relativer Fixationszeit und Reaktionszeiten bei Richtigantworten beziehungsweise prozentualen Fehlerquoten berechnet. Da beide Analysen nur die große Streubreite der Daten zeigten, jedoch keine signifikanten Ergebnisse erbrachten, wurde anschließend für die beiden Gruppen noch einmal der Zusammenhang der gleichen Parameter in Bezug auf die sexuell präferierte Kategorie untersucht. Der von Wright und Adams (1999) beobachtete SCID-Effekt entsteht spezifisch durch die Verarbeitung sexueller Information und durch die so ausgelöste Beeinträchtigung anderer Informationsverarbeitungsprozesse. Ein wirklicher SCID-Effekt ergäbe sich folglich nicht aus der rein längeren Betrachtung der Distraktoren. Hierzu passend ist der Befund, dass in der über alle Distraktorbedingungen (sexuell relevante und nicht relevante) durchgeführten Korrelationsanalyse kein signifikanter positiver Zusammenhang von relativer Fixationszeit und Reaktionszeiten gefunden wurde. Die isolierte Betrachtung dieser Korrelation in der für die einzelnen Gruppen sexuell relevanten Distraktorkategorie erbrachte hingegen solch positive Zusammenhänge. Dieser Unterschied spricht für differenziell durch sexuelle Stimulusinformationen bedingte Verzögerung kognitiver Prozesse im Sinne eines SCID: Es fanden sich für die homosexuellen Probanden, die durchschnittlich länger auf Männer schauten, längere mittlere Reaktionszeiten und für die heterosexuellen Probanden, die länger auf die Frauen schauten, unter dieser Bedingung längere mittlere Antwortlatenzen.

Diese Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu betrachten: ein Blick auf Abb. 3.25 erlaubt in der homosexuellen Gruppe die Identifikation von zwei deutlichen Ausreißern. Deren Ausschluss führt dazu, dass der Zusammenhang nicht mehr signifikant ausfällt (r = .028, p = .926). Ähnliches geschieht, wenn man in der heterosexuellen Gruppe drei Probanden mit abweichend hohen

103 relativen Fixationszeiten und zwei mit deutlich erhöhten Reaktionszeiten eliminiert (r = .164, p = .395). Es wird ein großes Ausmaß an individuellen Unterschieden deutlich, das keine einfache Aussage über den Zusammenhang von klassischen Verhaltensparametern und Blickbewegungen ermöglicht. In Anbetracht der Bedeutung automatischer Prozesse und der Bedeutung von Informationsverarbeitung in der Peripherie des Gesichtsfeldes steht diese Erkenntnis in keinem grundsätzlichen Widerspruch zu den Grundannahmen des Paradigmas. Da Blickbewegungen lediglich Auskunft über die offene Aufmerksamkeitszuweisung (Posner et al.

1980) geben, ist zumindest ein Teil der beobachteten Alters- und Geschlechtseffekte der Zuweisung verdeckter Aufmerksamkeit zuzuschreiben.