• Keine Ergebnisse gefunden

1 Das interkulturelle Spannungsfeld

Die Beherrschung des interkulturellen Manage-ments, d.h. die Fähigkeit, Synergien zwischen Mitarbeitern und Führungskräften unter-schiedlicher Kulturen zu erzeugen, wird ein entscheidender Faktor für den unternehmeri-schen Erfolg in den nächsten Jahrzehnten sein.

Obwohl die interkulturelle Kommunikation

bereits seit vielen Jahren, insbesondere von der amerikanischen Wissen-schaft, erforscht wird, herrscht Konfusion bei der – meist zu wissen-schaftlichen – Definition interkultureller Konflikte und deren Behand-lung.

Wir schlagen Ihnen in diesem einführenden Kapitel einen praxisorientier-ten Weg vor, der eingefahrene Gleise und Modelldenken verlässt und mit einigen, aus unserer Sicht, fundamentalen Irrtümern aufräumt. Bitte arbeiten Sie das Kapitel sorgfältig durch, denn die folgenden Darlegungen bauen darauf auf. Sie erfahren,

was interkulturelle Konflikte sind, auf welchen Ebenen sie auftreten,

warum bei der Vermittlung von interkulturellem Wissen fundamentale Irrtümer begangen werden,

warum reines Effizienzdenken gefährlich ist,

wie ein Quantensprung in der Produktivität erreicht werden könnte.

1.1 Was sind interkulturelle Missverständnisse?

Erhalten Sie gerne Ohrfeigen?

Oder teilen Sie lieber welche aus? Vermutlich weder noch. Wenn Sie aber mit Franzosen effizient zusammenwirken wollen, dann sollten Sie zunächst einmal aufhören, Ihre französischen Partner dauernd zu

ohrfei-Die Fähigkeit, Synergie zwischen Mitarbeitern und Führungskräften zu erzeugen, wird einer der entscheidenden Faktoren für den Unternehmenserfolg in der Zukunft sein.

gen! Wie bitte? Sie sind sich dessen gar nicht bewusst? Wir können Sie beruhigen: Das ist genau das Kenn-zeichen eines interkulturellen Miss-verständnisses.

Zu dessen Darstellung eignet sich trefflich ein viel zitiertes Beispiel aus der Tierwelt: Ein Hund sieht eine Katze, die mit dem Schwanz wedelt.

Freudig erwidert er den vermeintli-chen Gruß, nicht wissend, dass die Katze dieses Signal als Warnung versteht: „Stopp, nicht weiter, sonst zeig’

ich dir die Krallen!“ Das Ende der Geschichte kennt jeder: Die Katze kratzt, und der Hund beißt ... und die Erbfeindschaft nimmt ihren Lauf.

Interkulturelle Missverständnisse entstehen nicht aus bösem Willen heraus, sondern aus für die Beteiligten zunächst unerfindlichen Grün-den. Sie werden ausgelöst durch Fehlinterpreta-tionen von Signalen und Verhaltensweisen, die in der eigenen Kultur als effizient, freundlich, feindlich usw. gelten. Um es ganz plastisch auszu-drücken:

Ein interkulturelles Missverständnis wirkt dergestalt, dass der eine sich unge-rechtfertigterweise geohrfeigt fühlt, während der andere gar nicht merkt, dass er eine Ohrfeige ausgeteilt hat!

Das macht sie gerade so heimtückisch: Interkulturelle Missverständnisse schlagen voll auf die emotionale Ebene durch und bilden den Humus für

„emotionale Viren“ (Angst, Vorurteile, persönlicher Stolz usw.). Da den Beteiligten überhaupt nicht bewusst ist, was abläuft, breiten sich die emo-tionalen Viren ungehindert aus und „infizie-ren“ die Beziehung mit Misstrauen und Revan-chegelüsten: Der „virtuell“ Geohrfeigte wird sich natürlich revanchieren wollen, womit aus dem Missverständnis ein Konflikt wird, der sich kettenreaktionsartig aus-weiten kann und eine negative Synergiespirale in Gang setzt (siehe Kapi-tel 2.2 „Die Grenzen des Autopiloten“, S. 76 ff.).

Die Reaktionen auf diese vermeintliche Aggression sind je nach Business-Kultur vollkommen unterschiedlich. Wir unterscheiden zwischen der 1 Das interkulturelle Spannungsfeld

Interkulturelle Missverständnisse sind „vir-tuelle Ohrfeigen“

Interkulturelle Missverständnisse entstehen nicht aus bösem Willen heraus.

„Emotionale Viren“

infizieren die Beziehung.

direkten und der indirekten Reaktion, innerhalb derer wir jeweils drei Stufen, je nach Intensität der provozierten Emotion, differenzieren:

Global gesehen sind die Reaktionen in den skandinavischen Ländern, Amerika und Deutschland eher direkt und in romanischen, lateinameri-kanischen und ostasiatischen Ländern eher indirekt. Wenn Sie bereits Frankreicherfahrung haben, dann dürften Ihnen einige typische indirekte Reaktionen Ihrer französischen Partner vor Augen stehen.

Ein typisch deutsch-französischer Konflikt während einer Besprechung spielt sich denn auch wie folgt ab:

Franzose: „Ich habe eine Idee: Sollten wir nicht einmal versuchen ...“

Deutscher: (unterbricht) „Lassen Sie uns bitte erst unsere Tagesordnung durchbringen!“

Freundlicher, aber deutlicher Hinweis auf Fauxpas

Franzose: „Aber wir könnten doch mal etwas ganz Neues machen!“

Gibt zu verstehen, dass er sich angegriffen fühlt

Deutscher: (ärgerlich) „Wir haben schon genug Verspätung. Für Ihre Utopien haben wir jetzt keine Zeit!“

Maßregelung

Franzose: „Schade, aber wie Sie wollen.“

Direkte Reaktion Indirekte Reaktion 1. Stufe: Der „Aggressor“ wird auf den Dem „Agressor“ wird

Fauxpas deutlich hingewiesen. indirektzu verstehen gegeben, dass er einen Fauxpas begangen hat.

2. Stufe: Der „Aggressor“ wird Verzögerte Revanche:

gemaßregelt. Der „Angegriffene“ bleibt

offensichtlich höflich, schluckt seinen Ärger herunter, um sich zu einem späterenZeitpunkt zu revanchieren.

3. Stufe: Es werden sofortige Revanche- Der „Aggressor“ wird nicht maßnahmenergriffen. mehr respektiert: Man

ver-sucht, ihn laufend aus dem Konzept zu bringen.

Praxisbeispiel 1.1 Was sind interkulturelle Missverständnisse?

Abb. I.1: Direkte Reaktion/Indirekte Reaktion im interkulturellen Spannungsfeld

Die Besprechung geht weiter, ohne dass der Franzose sich beteiligt. Nach drei Minuten:

Franzose: „Entschuldigen Sie mich bitte kurz!“. Geht aus dem Raum heraus und kommt erst zehn Minuten später wieder.

Kein Respekt mehr.

Wir könnten diesen Dialog natürlich noch bis zur Eskalation fortsetzen.

Wichtig ist festzustellen, dass beide Seiten zunächst gutwillig in diese Besprechung hineingingen, aber durch – kulturell bedingt – unterschied -liche Vorstellungen über Sinn und Ablauf einer solchen Besprechung ungewollt in einen interkulturellen Konflikt hineingeschlittert sind.

Ebenen für interkulturelle Missverständnisse

Interkulturelle Missverständnisse spielen sich auf vielen Ebenen ab, von denen wir die drei wichtigsten nachfolgend mit Beispielen belegen wollen:

1. Körpersprache: Gestik, Zeichen, Körperhaltungen

2. Sprache: Wortbedeutung und Art der Übermittlung 3. Einstellung: Werte, Normen und die daraus folgenden

Motivationen und Zielsetzungen

Beispiele für interkulturelle Missverständnisse im Bereich Körpersprache Das Missverständnis zwischen Hund und Katze siedelt sich eindeutig im Bereich der Körpersprache an. Zwischen Personen unterschiedlicher Kul-turen laufen genau dieselben Schemata ab:

Bei Lateinamerikanern und auch bei Japanern gilt es z.B. als unhöflich, sich zu sehr in die Augen zu schauen, da dies ein Eindringen in die Intimsphäre darstellt. Wir Europäer interpretieren dies als Ausweichen und sind sogar der Meinung, dass der andere uns etwas verbirgt oder uns anlügt.

Amerikaner schauen fremde Personen sehr viel länger an als Europäer. So beklagte sich eine Ame-rikanerin, dass sie in der Pariser Metro laufend belästigt würde.

Europäische Männer hatten den offenen und langen Blick der Ameri-kanerin ganz einfach als Interesse interpretiert.

Wenn Franzosen sich an die Stirn tippen, dann bedeutet das normalerweise: „Ich hab's!“ Bei uns Deutschen kann diese Geste leicht mit: „Der spinnt!“ verwechselt werden.

1 Das interkulturelle Spannungsfeld

Ausweichender Blick

Interessierter Blick

Mit dem Finger an die Stirn tippen: „Aha“ oder „Der spinnt“