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Das im Jahr 2006 bei der UNO-Generalversammlung in New York verabschiedete und 2008 in Kraft getretenen Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention) macht einen Paradigmenwechsel erforderlich, weg von einer am Fürsorgeprinzip orientierten, hin zu einer an Men-schenrechten und Teilhabe ausgerichteten Behindertenpolitik.

Nach Beschlussfassung des Bundestages im Dezember 2008 ist die UN-Konvention mit der Ratifizierung durch die Bundesregierung seit März 2009 für Deutschland völkerrechtlich verbindlich.

Kommunen befassen sich insbesondere mit der Frage der Umsetzung des Artikels 24 der Konvention, der einen diskriminierungsfreien Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Bildungssystem beinhaltet. Die Vertragsstaaten werden hier verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu gewährleisten.

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Inklusion ist ein Begriff, der eine humane Gesellschaft kennzeichnet, die Ver-schiedenheit anerkennt und annimmt und auf einen gesamtgesellschaftlichen wer-teorientierten Grundkonsens zielt. Ziel der Inklusion ist es, das gemeinsame Le-ben und Lernen von Menschen mit und ohne Behinderungen als gesellschaftliche Normalform zu etablieren.

Es ist eine rege Diskussion zwischen allen Beteiligten (Politik, Bürger, Eltern, Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler) im Gange, in welcher Form die Vor-gaben der UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Ziel, ein inklusives Bildungs-system zu schaffen, umgesetzt werden soll.

Die Konvention enthält keine Vorschriften zu den Fragen, wie und bis zu welchem Zeitraum die Umsetzung erfolgen soll. Vielmehr ist die staatliche Verpflichtung mit dem Vorbehalt der „progressiven Realisierung“ versehen. Die Vertragsstaaten müssen regelmäßig Bericht über den Stand der Umsetzung erstatten, zunächst innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten und anschließend mindestens alle vier Jahre. Für Deutschland ergibt sich die Verpflichtung, die Zielsetzung der Kon-vention in Landesrecht umzusetzen.

Der Schulausschuss der Kultusministerkonferenz hat am 29.04.2010 die „Empfeh-lungen zur sonderpädagogischen Förderung in Schulen der Bundesrepublik Deutschland“ überarbeitet und diese der Intention der Konvention entsprechend weiterentwickelt. Sie sollen als Impuls für eine bundesweite Diskussion über die Umsetzung der Konvention im Schulsystem verstanden werden. Es wird hierin die Notwendigkeit eines Gestaltungsprozesses gesehen, ausgehend von den beste-henden Strukturen und Rahmenbedingungen, die entsprechend weiterentwickelt werden müssen.

Am 01.12.2010 ist der Landtag NRW der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung, die Konvention zur Inklusion in der Schule umzuset-zen, gefolgt. Hierin ist unter anderem der Rechtsanspruch auf Inklusion enthalten, der mit einer deutlichen Verbesserung der für die Umsetzung erforderlichen Rah-menbedingungen einhergehen muss. Danach ist die allgemeine Schule Regelför-derort. Die sonderpädagogische Förderung in der Schule soll im Sinne der Inklusi-on so umgestaltet werden, dass alle Schülerinnen und Schüler optimal gefördert werden und für die sonderpädagogische Förderung kein Qualitätsverlust eintritt.

Eltern sollen jedoch weiterhin für ihr Kind eine Förderschule wählen können.

Die Landesregierung wird aufgefordert, unter Einbeziehung aller Beteiligten und mit wissenschaftlicher Begleitung eine Weiterentwicklung der sonderpädagogi-schen Förderung im Sinne der Konvention vorzunehmen. Unter anderem sollen die personellen und finanziellen Rahmenbedingungen für einen schrittweisen Ausbau des Gemeinsamen Unterrichts an allen Schulformen geschaffen und den Kommunen ein verlässlicher Ressourcen- und Zeitrahmen gegeben werden.

Die Landesregierung NRW will bis zum Sommer 2011 die Eckpunkte eines Lan-desinklusionsplans vorlegen und die nötigen schulgesetzlichen Änderungen vor-bereiten.

115 Es wurde folgendes Vorgehen beschlossen:

• Unter Berücksichtigung erster Ergebnisse der Pilotphase des Ausbaus von Förderschulen zu Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung soll ein wissenschaftliches Gutachten die regionalen Gesamtkonzepte auf ihre Impulse zur Umsteuerung zu einem inklusiven schulischen Bildungs-system überprüfen. Es wird erwartet, dass konkrete Indikatoren für den Prozess durch die erfolgreiche Arbeit einiger Pilotregionen gewonnen wer-den können. Neue Kompetenzzentren sonderpädagogischer Förderung werden nicht mehr genehmigt.

• Die Inhalte und Vorgehensweisen, die in der Bildungskonferenz zu den an-deren bildungspolitisch zentralen Themen wie Ganztag und Gemein-schaftsschule vereinbart wurden, sollen mit dem Querschnittsthema Inklu-sion und einem Leitbild von „InkluInklu-sion als gemeinsamer pädagogischer Aufgabe“ zusammengeführt werden.

• Im Sommer 2011 sollen die landesweiten Eckpfeiler eines Inklusionsplanes vorgestellt werden, die dann in regionale, inklusive Schulentwicklungspläne münden. Diese Schulentwicklungspläne werden vor Ort unter Einbeziehung der unterschiedlichen Beteiligten die konkrete Umsetzung zu einem inklusi-ven Bildungssystem in planvollen Schritten ausgestalten. Ziel ist es, min-destens ein „inklusives Bildungsangebot“ in jeder Schulstufe und in jedem Bildungsgang unter Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten zu ermöglichen.

Dieses sukzessive Vorgehen beschreibt auch die UN-Behindertenrechts-konvention, indem sie auf „angemessene Vorkehrungen“ hinweist, die unter Ab-wägung der sonstigen staatlichen Aufgaben getroffen werden müssen. Gemeint sind notwendige und geeignete Änderungen und Modifikationen, die keine unver-hältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und gewährleisten, dass Men-schen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle MenMen-schenrechte und Grundfreiheiten genießen und ausüben können. Dies bedeutet, dass Eltern mit den schulgesetzlich vorzunehmenden Änderungen die Möglichkeit gegeben wird, ein „inklusives Bildungsangebot“ zu wählen, das wohnortnah ausgerichtet ist – möglicherweise zunächst an Schwerpunktschulen. Allerdings ist es erforderlich, den Prozess des Übergangs durch administrative Klarstellungen voranzubringen.

Aktuell entscheidet die Schulaufsicht über den sonderpädagogischen Förderbe-darf, die Förderschwerpunkte und den Förderort. Sie kann mit Zustimmung des Schulträgers Gemeinsamen Unterricht oder Integrative Lerngruppen einrichten, wenn die sächlichen und personellen Voraussetzungen gegeben sind und der Schulträger zugestimmt hat.

Der bestehende Gestaltungsspielraum soll schon jetzt im Sinne des Völkerrechts, in diesem Fall der UN-Behindertenrechtskonvention, genutzt werden. Das heißt, dass Schulaufsicht und Schulträger aufgefordert sind, in den vorhandenen Struk-turen und mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen dem Elternwunsch zum gemeinsamen Lernen so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Dabei gilt nach wie vor, dass im Rahmen der derzeit gültigen Rechtslage kein

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ser Rechtsanspruch auf Beschulung an einer bestimmten allgemeinen Schule be-steht; es besteht jedoch ein erhöhter Anspruch auf eingehende materielle Prüfung, ob im Einzelfall eine inklusive Beschulung möglich ist. Ein pauschaler Verweis auf entgegenstehendes Landesrecht reicht nicht aus, es muss die tatsächliche Situa-tion des Kindes in der gewählten Schule in den Blick genommen werden. Schul-träger und Schulaufsicht sind gehalten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Elternwunsch so weit wie möglich Rechnung zu tragen.

Um kommunale Inklusionspläne im Rahmen ihrer Schulentwicklung zu entwickeln, muss den Kommunen ein verlässlicher Ressourcen- und Zeitrahmen gegeben werden. Durch das Land sind belastbare Daten über die Auswirkungen, insb. über die Kosten und Kostentragung zwischen Bund, Land und Kommune vorzulegen.

Den geänderten pädagogischen Anforderungen durch die Entwicklung zur inklusi-ven Schule ist auch auf räumlicher Ebene durch entsprechende Raumprogramme Rechnung zu tragen. Dieser Aspekt findet in dem erst kürzlich von der Stadt Pa-derborn verabschiedeten überarbeiteten Raumprogramm Berücksichtigung.

Die Lehrerstellen für den „Mehrbedarf“ integrativer Lerngruppen müssen erhöht werden.

In der Stadt Paderborn stellt sich die Situation derzeit wie folgt dar:

9.1 Integration im Elementarbereich

Im Elementarbereich gibt es unterschiedliche Angebotsformen zur Betreuung von Kindern mit Behinderung in folgenden Einrichtungen:

Heilpädagogische Kindertageseinrichtung St. Hildegard, Schloß Neuhaus und St. Christophorus, Sennelager

sowie in insgesamt 24 Kindertageseinrichtungen kommunaler, konfessioneller und freier Trägerschaft. Im Kindergartenjahr 2010/2011 werden 76 Kinder in den bei-den heilpädagogischen Einrichtungen betreut und 127 Kinder im Rahmen der Ein-zelintegration in den 24 Regeleinrichtungen.

Im Rahmen der oben erläuterten UN Behindertenkonvention werden die beiden heilpädagogischen Einrichtungen in einen Umstrukturierungsprozess zukünftig additive Betreuungsangebote entwickeln.

Der quantitative Platzbedarf für Kinder mit Behinderung ist in den letzten Jahren in den Regeleinrichtungen deutlich gestiegen. Es gibt aber keine verlässlichen Daten darüber, ob diese Entwicklung auch in Zukunft anhalten wird.

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9.2 Gemeinsamer Unterricht in der Primarstufe

Im Gemeinsamen Unterricht (GU) werden Schülerinnen und Schüler der Regel-schule mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet.

Je nach Art der Behinderung erhalten diese Kinder zielgleichen Unterricht (nach den Richtlinien und Lehrplänen der Regelschule) oder zieldifferenten Unterricht (nach den Richtlinien und Lehrplänen der entsprechenden Förderschule).

Dabei sind in möglichst vielen Stunden ein/e Sonderschullehrer/in und eine Grundschullehrerin gemeinsam in der Klasse (Klassenteams), die den Unterricht gemeinsam planen und durchführen, um eine individuelle Förderung aller Schüler zu gewährleisten.

Die Klassengröße richtet sich nach der Größe des Jahrgangs. Die Integrations-klasse weist aufgrund der Heterogenität der Lerngruppe (es werden Kinder ver-schiedener Behinderung unterrichtet) eine geringere Schülerzahl als die Parallel-klassen auf.

Soweit möglich werden alle Schüler im Klassenverband unterrichtet, soweit nötig arbeiten sie in Kleingruppen.

Grundschulen mit Schülerinnen und Schülern im Gemeinsamen Unterricht (§ 20 Abs. 7 SchulG)

Anzahl Schüler „GU“

Marien 23 Dionysius 22 Bonifatius 11 Bonhoeffer 9

Summe 65

Darüber hinaus besuchen nach der aktuellen Schulstatistik noch jeweils ein/e Schüler/in mit Behinderung die Grundschule Theodor und die Grundschule Luther.

9.3 Integrative Lerngruppen in der Sekundarstufe I

Im Schuljahr 2010/11 besuchen 42 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogi-schem Förderbedarf eine der sechs Integrationsklassen in der Gesamtschule Pa-derborn-Elsen.

In jedem Jahrgang der Sekundarstufe I (5. - 10.Klasse) gibt es jeweils eine Integ-rationsklasse - die aktuell nach Erlass gültige Bezeichnung ist Integrative Lern-gruppe - in der der gemeinsame Unterricht stattfindet. Für jede Klasse ist ein Klas-senlehrerteam verantwortlich, zu dem Sonderpädagogen/-innen zählen. Dieses wird unterstützt von den jeweiligen Fachlehrerinnen/ Fachlehrern.

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Eine Zivildienst-Stelle steht für die Integration im Moment nicht zur Verfügung, diese wird ausschließlich den Grundschulen mit Gemeinsamem Unterricht ge-währt. Einzelne Schüler/-innen bekommen auf Antrag individuell eine(n) Integrati-onshelfer/-in zugewiesen und in der Berufsvorbereitung steht der Schule eine hal-be Stelle einer Sozialarhal-beiterin zur Verfügung.

Weitere 11 Schüler/innen mit Behinderung besuchen andere Paderborner weiter-führende Schulen.

Zum Schuljahr 2011/2012 wird in der Realschule Am Niesenteich die erste Inte-grative Lerngruppe in der Jahrgangsstufe 5 eingerichtet. Je eine weitere schließt – soweit erforderlich – in der Jahrgangsstufe 5 der nachfolgenden Schuljahre an.

Die Schule wird bis zum Beginn des neuen Schuljahres ein schuleigenes Konzept erstellen, das Anteile gemeinsamen Lernens von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf aufzeigt.

Abschließend ist anzumerken, dass der Ausbau von Angeboten zum gemeinsa-men Lernen nicht nur abhängig von der personellen und sächlichen Ausstattung ist, sondern auch von einem Einstellungswandel, denn: Inklusion beginnt in den Köpfen.