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Zumindest nach der Folklore großer technischer Systeme entwickeln diese mit ihrem Wachs­

tum eine Eigendynamik, die sie in Ausdehnung und Funktionsumfang immer größer, damit mächtiger und steuernden Eingriffen von außen immer weniger zugänglich werden läßt. Ab­

weichungen von diesem M uster werden darauf zurückgeführt, daß die Systembetreiberorgani­

sationen tiefgreifende technologische, ökonomische oder politische Wandlungen nicht erkannt, nicht berücksichtigt haben oder die Konsequenzen daraus nicht umsetzen konnten, so daß sie in einer veränderten Umwelt nicht überleben können. Dieses in der Organisationstheorie für Bürokratien schon seit langem gebräuchliche Bild kann auch au f die institutioneile Seite großer technischer Systeme übertragen werden. Miß-Management und daraus resultierend Mißerfolg wären danach die Ursachen für ein Zerfallen in Teilsysteme.

Dies scheint in der Telekommunikation nicht der Fall zu sein. Das Femmeldewesen ist fast 100 Jahre erfolgreich expandiert. In seiner ökonomischen Analyse der Netzwerkentwicklung spricht Noam, wie schon erwähnt, von der Tragödie des Erfolgs, die darin besteht, daß erfolg­

reiche Netzexpansion zur Zersplitterung fuhrt, weil die Gewinnerwartungen den politischen Druck zur Deregulierung und den Markteintritt neuer Wettbewerber zur Folge haben. Dies ist, wie Noam selbst einräumt, eine Variation des Schumpeterschen Entwicklungsmodells. Aus wirtschaftspolitischer und politikwissenschaftlicher Sicht gibt es noch eine zweite Tragödie oder, vorsichtiger ausgedrückt, eine zweite Paradoxie: In dem Maße, wie versucht wurde und wird, die Telekommunikation für medien- und wirtschaftspolitische Ziele zu instrumentalisie­

ren, sank und sinkt aufgrund der ergriffenen Maßnahmen die Steuerbarkeit. Und dieser Kurs in die Nicht-Steuerbarkeit wurde nicht etwa von außen gegen den erbitterten Widerstand der Leitung des Systems erzwungen, sondern von dieser Leitung forciert. Wie kann diese Beob­

achtung erklärt werden, und was folgt daraus?

4.1 Steigender Steuerungsbedarf

Es ist unbestritten, daß das Femmeldewesen Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre aufgrund der technologischen Innovationen im Bereich der Mikroelektronik, der Entwicklung neuer Medien im Ausland, der Verbreitung der Datenverarbeitung, der Intemationalisierung der Wirtschaft, insbesondere durch multinationale Konzerne, auf jeden Fall Änderungen unterwor­

fen werden mußte. Ein strenges Femmeldemonopol für alle neuen Dienste wäre weder sinnvoll noch kontrollierbar gewesen. Es gab eine größere Anzahl technischer Optionen und eine zu erwartende größere Anzahl von Akteuren. Die traditionelle hierarchisch-bürokratische Organi­

sation der Deutschen Bundespost und das clan-artige Amtsbaufirmenkartell waren nicht in der

Lage, die erforderliche Koordination zu leisten und dabei auch noch einen breiten gesell­

schaftlichen Konsens über technische und organisatorische Innovationen zu erzeugen. Die letztlich durchgefiihrte Postreform hat die Chancen nicht verbessert. Der Steuerungsbedarf er­

scheint heute jedoch noch größer als vor zehn Jahren.

(1) Für die zukünftige Telekommunikationsinfrastruktur im Sinne der Netze gibt es heute eine Reihe technischer Optionen, die in substitutiven Beziehungen zueinander stehen, hohe Ent­

wicklungskosten auftveisen, nicht alle parallel eingeführt und dann auch langfristig rentabel betrieben werden können. So bietet das analoge Fernsprechnetz noch Nutzungsmöglichkeiten für neue Leistungsmerkmale, die mit dem ISDN konkurrieren. Im Breitbandbereich konkurrie­

ren Breitband-ISDN und ATM-Technik Mobilfunksysteme stehen in Konkurrenz zu dem schmalbandigen Netz, Satellitensysteme auch zu dem breitbandigen. Wenn neue Massendienste (hochauflösendes Fernsehen, Bildfemsprechen) eingefuhrt werden sollen, müssen dafür Endge­

räte entwickelt werden und dazu muß festgelegt werden, in welchen Netzen diese Dienste an­

geboten werden sollen.

(2) Die Zahl der Akteure im Bereich der Hersteller und auch der Netzbetreiber und Dienstean­

bieter steigt. Dies erfordert neue Aushandlungsarenen und Koordinationsmechanismen.

(3) Mit zunehmender Verbreitung neuer Formen der Telekommunikation nehmen die Schnitt­

punkte mit gesellschaftlich geregelten Anforderungen zu und entstehen neue Regelungsbedarfe über die Wettbewerbs- und Preiskontrolle hinaus. Wenn der institutioneile Rahmen diesen Anforderungen nicht entspricht, kommt es zu Verzögerungen und Veränderungen technischer Planungen. Beispiele dafür sind Datenschutzanforderungen an das ISDN56 oder Anforderungen des Gesundheitsschutzes an Mobilfunksysteme.57

Es gibt sicher keinen einfachen institutionellen Rahmen, der diese Steuerungsanforderungen umsetzen kann. Die ideologische Alternative Staat oder M arkt hilft dabei ebensowenig wie die Fixierung auf die zukünftige Rechtsform der Telekom (Aktiengesellschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts). Die Regierungskommission Femmeldewesen hat leider viele der hier an­

gesprochenen Fragen nicht behandelt. Und auch zur Zeit findet keine öffentliche Regulierungs­

oder Steuerungsdiskussion statt. Dies ist um so erstaunlicher, als es einerseits empirisch etwa in den USA ein ausgebautes Regulierungssystem auf der Ebene der Bundesstaaten gibt, das sich zunehmend auch Fragen des Daten- und Verbraucherschutzes zuwendet58 und die EG­

Kommission einen Entw urf für eine spezielle Datenschutzrichtlinie vorgelegt hat, und anderer­

seits auch in der sozialwissenschaftlichen Literatur von Autoren au f entsprechende Defizite hingewiesen wird, die weder als technikfeindlich noch als marktfeindlich charakterisiert werden können. So beendet Schneider seinen mehrfach zitierten Artikel über den paradigmatischen Wandel der Governance-Strukturen in der Telekommunikation mit einem Abschnitt: »Die Entstehung von Sicherheitsnroblemen, negative externe Effekte und deren Regulierung«.59 Er erwähnt insbesondere Probleme der technischen Sicherheit, der Verletzlichkeit und des Daten­

schutzes, die früher in den Postverwaltungen selbst reguliert wurden und für die nach der Auflösung der alten Strukturen nun neue fehlen:

»The trend toward less direct governmental control at the level o f economic governance seems to be accompanied by a trend toward more externality regulation by the state. This, in turn, leads to new forms and procedures o f regulatory state interventions, as well as new mixtures o f self-regulatory arrangements between private and public actors«.60

56 ITG, 1990; Kubicek, 1990; KubicekZBach, 1991.

57 ITG, 1992.

58 Noam, 1991; Kubicek/Mohr/Falke, 1992.

59 Schneider, 1991, S. 33ff.

60 Schneider, 1991, S. 35.

Von Pattay spricht in diesem Zusammenhang von einem Paradoxon der Telekommunikation und meint damit die Erfahrung, daß der Wettbewerb nicht miteinander verbundener Dienste innovationshemmend und preistreibend wirkt.61 Seiner Auffassung nach fördert der W ettbe­

werb die Entwicklung und das Wachstum der Telekommunikation nur in bestimmten Phasen des Produktlebenszyklus, während er in anderen Phasen das Gegenteil bewirkt. Der entschei­

dende Grund liegt darin, daß anders als bei der Verteil- oder Massenkommunikation oder Un­

terhaltungselektronik die Teilnahmeentscheidung stark davon abhängt, wieviele Kommunika­

tionspartner man über ein Netz erreicht. Wenn sich diese Partner au f mehrere unverbundene Netze verteilen, ist keines attraktiv genug, um die sogenannte kritische Masse zu erreichen.

Um diese Blockade zu vermeiden, schlägt v. Pattay vor, daß der Wettbewerb zwar Ideen pro­

duzieren soll, aus denen dann aber in den Normungsgremien diejenigen im Konsens ausgewählt werden sollen, die den größten Markt erwarten lassen. A uf diesem M arkt genormter kompati­

bler Dienste und Endgeräte soll dann wieder Wettbewerb gelten.

Wohl wissend um die Schwächen der bisherigen Strukturen kritisiert er, daß in den derzeitigen Plänen für die Postreform 2 keine Instanz benannt ist, die bestimmte Normen für bestimmte Netze und Dienste fordern und durchsetzen kann. Für die Realisierung des von ihm konzipier­

ten Modells der Beschränkung des Wettbewerbs au f normkonforme Produkte hält er einen

»Bauherrn« für N etze und Massendienste für unverzichtbar.62

Entsprechende Schritte sind in der aktuellen Telekommunikationsdiskussion, wie schon betont, nicht erkennbar.

4.2 Die Paradoxie der Telekommunikationspolitik

Die Verkennung des von Pattay herausgestellten Paradoxons der Telekommunikation hat zu einer bemerkenswerten Paradoxie in der Telekommunikationspolitik geführt. Zu Beginn der 80er Jahre gab es noch ein langfristiges technisches Ausbaukonzept für die Telekommunika­

tionsinfrastruktur. Dieses Konzept konnte nicht umgesetzt werden. Es ist bisher jedoch auch durch kein anderes ersetzt worden. Die einen setzen au f den Mobilfünk, andere auf Breitband und Multimedia. Beides zusammen ist flächendeckend nicht zu finanzieren. In dem Maße, wie der Monopolbereich der Telekom durch Mobilfünklizenzen ausgehöhlt wird, werden ihr die Mittel entzogen, um Vorleistungen bei der Errichtung von Breitbandnetzen zu tätigen. Ohne langfristige Aussagen zu den Breitbandnetzen wird es jedoch keine Endgeräteentwicklung für Massendienste geben.

Das derzeitige Fehlen jeglicher Infrastrukturpolitik wird besonders deutlich am Beispiel des hochauflösenden Fernsehens (HDTV). Der Einstieg in diese Technik wird von der Bundesre­

gierung und der EG-Kommission als ein strategisch wichtiger Faktor im Wettbewerb mit den USA und Japan im gesamten Bereich der IuK-Techniken herausgestellt. Denn es geht nicht nur um Fernsehapparate, sondern um die gesamte Produktionskette und auch um neue Schnittfel­

der aus Video und Datenverarbeitung. Es ist aber völlig unklar, wie die Infrastruktur aussehen soll, über die die hohen Bitraten in die Privathaushalte transportiert werden sollen. Das im November 1992 vorgelegte Förderkonzept Informationstechnik enthält zu dem Thema »Neue Kommunikationsinfrastrukturen« nur unverbindliche Allgemeinplätze.63

61 v. Pattay, 1993, S. 91 62 v. Pattay, 1993, S. 181f.

63 BMFT, 1992, S. lOOff.

Die Postreform hat nicht nur keine neuen Verfahren und Instanzen für die Infrastrukturplanung geschaffen,64 Sie hat, wie es Klumpp formulierte, »vor allem den Effekt, ... für fast drei Jahre eine eingeschwungene Organisation lahmzulegen« 65 Inzwischen kann man diese Zeitspanne au f fünf Jahre erhöhen, da nun über die Postreform 2 debattiert wird. In der gesamten Zeit sind nicht nur die Kompetenzen und neuen Rollen zwischen Ministerium und »Unternehmen« un­

scharf geblieben. Die Mitarbeiter mußten und müssen sich au f neue Aufgaben, neue Ziele und persönliche Bewertungskriterien einstellen, mit Veränderungen bekannter Karrieremuster fer­

tigwerden, und nicht wenige sind verunsichert, wenn von der Herauslösung aus dem öffentli­

chen Dienstrecht die Rede ist. Und weil diese Reform nicht vorankommt, bleibt die Ungewiß­

heit und bleibt die Planlosigkeit.

Planbarkeit und Berechenbarkeit für die femmeldetechnischen Interessen waren jedoch gerade die industriepolitischen Ziele, mit denen der ehemalige Postminister Schwarz-Schilling Mitte der 80er Jahre die neue Telekommunikationspolitik begründete. Und hier liegt die politische Paradoxie: In dem Maße, wie versucht wurde, das gtS Femmeldewesen für medien-, wirt­

schafts-, industrie- und finanzpolitische Ziele zu instrumentalisieren, wurde tendenziell das Gegenteil erreicht. Die Kabelfemsehnetze belasten die Telekom heute noch. Die aktuellen Hiobsbotschaften über Arbeitsplatzabbau in der Telekommunikationsindustrie zeigen, wie sehr die industriepolitischen Ziele verfehlt worden sind. Die deutschen Hersteller haben au f dem In­

landsmarkt nicht nur Marktanteile an ausländische Konkurrenten verloren, sondern dabei auch noch erhebliche Reduzierungen ihrer Gewinnspannen hinnehmen müssen, ohne daß die immer schon hohen Exportanteile hätten ausgeweitet werden können. Das Fehlen einer koordinierten Infrastrukturplanung und die technische Zersplitterung sowie die ungewisse finanzielle Zukunft des öffentlichen Netzbetreibers machen eine langfristige Produktplanung für die Hersteller nach altem Muster der Ausschreibung und Absprache unmöglich und führen zu erheblicher Verunsi­

cherung.

Das große technische System Femmeldewesen ist ohne Zweifel in Turbulenzen geraten. Noch steigt die Zahl der Femsprechanschlüsse, so daß der technische und institutioneile Kern noch nicht spürbar betroffen ist. Doch schon jetzt ist die Finanzkraft überfordert. Die Telekom macht Verluste. Die Eigenkapitalquote ist außerordentlich niedrig. Die in Verbindung mit der Postreform 2 geforderte Aufhebung des Netzmonopols und des Femsprechmonopols würde die bisherigen Hauptfinanzierungsquellen für Erweiterungs- und Modemisierungsinvestitionen zum Versiegen bringen.

So steht die Deutsche Bundespost Telekom zu Beginn der 90er Jahre in geradezu paradoxem Gegensatz zu allen Beteuerungen ihrer Schlüsselfünktionäre in einer äußerst schlechten Verfas­

sung da:

- Es gibt kein technologisches Leitbild und kein Infrastrukturkonzept.

- Die Binnenorganisation muß weiter gestrafft werden (insbes. durch Auflösung der Organisationsebene der früheren Oberpostdirektionen), was erhebliche Unruhe auch auf der mittleren Leitungsebene erzeugt.

- Der Markt ist national und international sehr unübersichtlich geworden.

- Das Ministerium kam mit seiner Postreform 2 nicht recht voran. Und schon wurde in der Fachpresse gefragt, ob man bei weiterer Deregulierung überhaupt noch ein Ministerium für Post und Telekommunikation benötigt.

64 Das als Infrastrukturrat bezeichnete Gremium dient der politischen Beteiligung der Bundesländer, soll und kann jedoch keine inhalüiche Planung leisten.

65 Klumpp, 1991, S. 204.

In dieser Krisensituation reicht der zuständige Minister Anfang 1993 seinen Rücktritt mit einer wenig überzeugenden Kritik an dem seit Jahren praktizierten Regierungsstil von Bundeskanzler Kohl ein. Es liegt nahe, das Bild vom Kapitän zu bemühen, der als einer der ersten das Schiff verläßt, das er in eine schwierige Situation manövriert hat. Wie aber ist das Schiff Telekom­

munikation in diese krisenhafte Situation geraten?

4.3 Globale und lokale Faktoren

Die hier für Deutschland beschriebenen Entwicklungstendenzen sind auch in anderen Ländern zu beobachten und stellen einen globalen Trend dar. Wie Schneider in einer historischen und international vergleichenden Analyse der Entwicklung der Governance-Strukturen zeigt, kon­

vergierten unterschiedliche Ausgangsbedingungen im Laufe der Zeit zu einem »organisatori­

schen Paradigma«, das er wie folgt beschreibt:

»Es verbindet eine starke öffentliche Kontrolle in Form einer öffentlichen Verwaltung (oder eines öffentlichen Unternehmens), eine quasi vertikale Integration von Netzbetrieb und Endgeräteproduktion durch eine hierarchische Koordinationsform und in den meisten Län­

dern eine vollständige horizontale Integration von Briefpost, Telegraphie und Femspre­

chen. Das öffentliche Eigentum integrierte dabei mehrere Funktionen: die Planung, Kapital­

beschaffung, den Netzbetrieb, die Standardisierung, die Forschung und Entwicklung u.a.m.

N ur die USA bilden einen Sonderfall: Die ursprüngliche Wettbewerbsordnung wandelte sich schnell zu einem privaten Monopol, das dann zunehmend durch den Staat reguliert wurde ,..«.66

Zur Erklärung dieser internationalen Konvergenz fuhrt Schneider insbesondere an, daß das Telegraphenwesen als zuerst militärisch genutzte Technik entweder aus Sicherheitsgründen oder als Konkurrenz für die staatliche Briefpost und Bedrohung der daraus resultierenden staatlichen Monopolgewinne nicht privaten Unternehmen überlassen wurde. Der damals starke Staat beendete private Initiativen relativ bald. Beim Telefon unterscheidet Schneider zwischen Ortsnetzen und Femverkehrsnetzen. Femsprechortsnetze wurden zumeist und zunächst nicht als Konkurrenz zu Briefpost und Telegraphie gesehen. Viele Regierungen schätzten die Ge­

winnmöglichkeiten gering ein und vergaben Konzessionen. Die Konzessionsnehmer begannen als Monopolisten oder kauften die lokalen Konkurrenten auf. Mit den Worten von Schneider:

»The inherent nature o f telephone networks -- i.e. economics o f scale combined with network externalities -- then transformed initial competition sooner o r later into a monopoly«.67 Im Fernverkehr war demgegenüber die Konkurrenz zu Briefpost und Telegraphie von Anfang an offensichtlich. Die Regierungen als Inhaber des Postmonopols erkannten die Einnahmechancen und erweiterten ihr Postmonopol um das Femmeldemonopol für Weitverkehrsnetze. Als weite­

re Gründe für die Entstehung und Legitimation von öffentlichen Femmeldemonopolen oder staatlicher Kontrolle privater Monopole nennt Schneider die Vermeidung hoher Monopoltarife und diskriminierender Anschlußpraktiken. Unzufriedenheit in der Bevölkerung veranlaßte Re­

gierangen auf zentraler und regionaler Ebene zur staatlichen Regulierung.

N un setzt ein gegenläufiger, aber ebenfalls konvergierender Prozeß ein, der international auf eine institutioneile Dispersion hinauszulaufen scheint. Dieser generelle Trend weist, wie Grande und Schneider fiir Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zeigen, durch­

aus nationale Variationen auf. Grande und Schneider führen diese Variationen au f unter­

schiedliche politische Konstellationen zurück und nennen als relevante Faktoren insbesondere die »Stärke der konstitutionellen und legalen Restriktionen im Bereich der Tele­

66 Schneider, 1991, S. 25.

67 1991, S. 28.

kommunikation«, »die Organisation der staatlichen Entscheidungsprozesse und die Einbindung des Telekommunikationssektors in die Staatsstruktur« und »die Konstellation sozialer Akteure«.68 Schneider und Werle haben mit empirischen Mitteln versucht, das »Policy Network« zu bestimmen, das die Postreform eingeleitet und durchgefuhrt hat. Solche politischen Netzwerke bestehen ihrer Auffassung nach in heutigen Gesellschaften aus korporativen Akteuren im Sinne von Organisationen.69 Die über 30 befragten korporativen Akteure bzw. deren Vertreter stimmten bis auf eine Ausnahme darin überein, daß das Postministerium mit Abstand den größten Einfluß gehabt und ausgeübt habe. Allerdings wird nicht genauer differenziert, welche Abteilungen im Ministerium dabei welche Rolle gespielt haben. Diese Frage erscheint nicht unerheblich, weil frühere Reformansätze ja im wesentlichen an dem Ministerium gescheitert sind.

Bei aller gebotenen Skepsis, die etwa Joerges gegen die heroisierenden Darstellungen großer Männer (system builders) bei der Entwicklung und beim Aufbau großer technischer Systeme äußert, sollten andererseits personelle Momente nicht völlig als Erklärungsfaktoren ausge­

schlossen werden. Im vorliegenden Fall drängt sich eine personenbezogene Betrachtung gera­

dezu auf. Die hier behandelte Phase der technischen Modernisierung, insbesondere durch das ISDN und der institutioneilen Reform fallt weitestgehend zusammen mit der Amtszeit von Postminister Schwarz-Schilling und wurde auch inhaltlich wesentlich von ihm geprägt. Als medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte er das Postmonopol wie auch das Rundfunkmonopol mehrfach heftig kritisiert. Als er das Postministerium übernahm, wollte er, wie es Schneider und Werle in dem einzigen auf eine Person bezogenen Satz formu­

lieren, »eine Reform um jeden Preis einleiten«.70 In der Regierungserklärung von Bundeskanz­

ler Kohl im Oktober 1982 wurde das Ziel, »den Staat au f seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben Zurückzufuhren« auch auf den Rundfunk und das Femmeldewesen bezogen.71 Zwar wurden diese Monopole dann auch weitestgehend aufgehoben, die damit angekündigten volkswirtschaftlichen Ziele wurden jedoch nicht erreicht.

Ohne Zweifel sind ökonomische Interessen, technologische Entwicklungen und allgemeine Ideologien für die Reform der Telekommunikation in allen Ländern maßgeblich. Im internatio­

nalen Vergleich wurde in Deutschland die Deregulierung zum Teil noch weiter getrieben als in Großbritannien. Dies ist durch lokale Faktoren zu erklären. Hinzu kommt, daß die Wirkungen als besonders groß angekündigt wurden und eine der stärksten femmeldetechnischen Industrien Europas noch weiter gefordert werden sollte. Gemessen an diesen hohen Zielen wirkt der Mißerfolg besonders krass. Und die Betroffenheit der deutschen Femmeldeindustrie durch die Mißerfolge ist sehr viel konkreter als in anderen Ländern: E s läuft nichts mehr zwischen dem Ministerium und den früheren Amtsbaufirmen.

4.4 Wie Leitbilder fehlleiten können

Wenn in der Literatur von Leitbildern die Rede ist, dann werden zumeist solche Visionen, Kon­

zepte oder Modelle identifiziert, die nachträglich eine bereits vollzogene Entwicklung ver­

ständlich machen sollen. Teilweise wird versucht, diese au f Verstehen gerichteten Deutungen konstruktiv-pragmatisch zu wenden und eine Orientierung an Leitbildern als Konzept für das Management von Innovationsprozessen und/oder für eine antizipative Technikfolgenabschät­

68 Grande/Schneider, 1991, S. 466; vgl. auch Grande, 1989 69 Schneider/Werie, 1991, S. 98.

70 ebenda, S. 119

71 Grande/Schneider, 1991, S. 462.

zung empfohlen.72 Die jüngste Geschichte der Telekommunikation sollte in dieser Hinsicht eher als Warnung dienen. Die hier verfolgten Leitbilder haben eine erstaunliche Stabilität er­

reicht und doch dazu beigetragen, daß die Ziele gerade nicht erreicht wurden. Dies gilt für das technologische Leitbild ebenso wie für das ordnungspolitische.

Als technologisches Leitbild wurde das Konzept des integrierten Universalnetzes verfolgt, das alle bisherigen und viele neue Telekommunikationsdienste integrieren sollte und als Infra­

struktur Investitionen in Endgeräte und Anwendungen auslösen sollte. Es ist hier leider nicht der Platz, um die Fehlannahmen in diesem Leitbild genauer darzustellen und ihr Zustandekommen auch zu erklären.73 D er Grundfehler liegt darin, daß die gesamte Planung von Technikern entwickelt wurde, die ihre berufliche Sozialisation durch das Telefonnetz mit seiner nutzungsoffenen und -indifferenten Technik erfahren haben, diese Erfahrungen unge­

prüft au f das ISDN übertragen und die grundlegend andere technische Struktur der Datenfernverarbeitung nicht erkannt haben. Wegen dieser Unterschiede ist die aus der Sicht des Netzbetreibers vorteilhafte Austrocknung der teuren Spezialnetze für die Datenüber­

tragung nicht durchsetzbar gewesen. Die Vielfalt der Netze für die Datenübertragung war eben nicht, wie von Nachrichtentechnikern wahrgenommen, Wildwuchs, sondern nur Wider­

spiegelung der vielfältigen Anwendungen der Datenverarbeitung. Zu den falschen Ableitungen aus der Geschichte des Telefons gehört auch die Hoffnung auf Infrastruktureffekte, die Netzinvestitionen auslösen. Während dies beim Telefonnetz so ist, ist die Entwicklung der Datennetze tendenziell umgekehrt gewesen: Die installierten Rechner wurden früher oder später so vernetzt, wie es für die jeweilige Verkehrsstruktur des Datenaustauschs zweckmäßig erschien.

Für Techniker, die mit dem Telefonnetz groß geworden sind, mag es schwierig sein, die andere Welt der Datenverarbeitung zu verstehen. Es war jedoch nicht unmöglich. Zum einen sind

Für Techniker, die mit dem Telefonnetz groß geworden sind, mag es schwierig sein, die andere Welt der Datenverarbeitung zu verstehen. Es war jedoch nicht unmöglich. Zum einen sind