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Indikatoren als Frühwarnsystem für Verdrän- Verdrän-gung

Kurzvorstellung des Maßnahmenbereichs

Um Verdrängung effektiv verhindern zu können, ist es wichtig, Gentrifizierungs- und Verdrängungstenden-zen in einem bestimmten Stadtgebiet frühzeitig aufzu-decken. Die Landeshauptstadt München setzt bereits ein Monitoring der sozialen Entwicklungen in der Stadt ein, das kleinräumige Daten zu sozialräumli-chen Veränderungen und Aufwertungsprozessen be-inhaltet, um Handlungsbedarfe zu erkennen. Zusätz-lich verfügt die Stadt über ein Indikatorensystem, das Aussagen über Gentrifizierungsdynamik, Aufwer-tungspotenzial und Verdrängungsgefahr in bestimm-ten Gebiebestimm-ten zulässt und für die Ausweisung und Ab-grenzung von Erhaltungssatzungsgebieten herange-zogen wird. Diese bereits vorhandenen Datengrundla-gen könnten mit Informationen zu weiteren, verdrän-gungsrelevanten Faktoren angereichert und damit zu einer Form des Verdrängungsmonitorings weiterent-wickelt werden.

Begründung

Verdrängung bettet sich üblicherweise in räumliche Aufwertungs- und Gentrifizierungsprozesse ein. Ge-biete, in denen funktionale, sozioökonomische und bauliche Aufwertungen stattfinden, sind typischerwei-se auch von einer überdurchschnittlichen Verdrän-gungsdynamik betroffen. Um effektiv und rechtzeitig in diese Dynamik eingreifen und diese dahingehend beeinflussen zu können, dass das Ausmaß von Ver-drängung so gering wie möglich gehalten wird, muss sie zuallererst frühzeitig erkannt werden.

Hinweise zu Wirksamkeit, Weiterentwicklung und Grenzen des Instruments

Die bereits vorhandenen Datengrundlagen der Lan-deshauptstadt München (Monitoring der sozialen Ent-wicklungen und Indikatorensystem zur Ausweisung und Abgrenzung von Erhaltungssatzungen) können kombiniert, um weitere verdrängungsrelevante Daten ergänzt und damit zu einer Form des Verdrängungs-monitorings weiterentwickelt werden. So könnten bei-spielsweise kleinräumige Daten zu Verkäufen von Wohnimmobilien und zur Erteilung von Abgeschlos-senheitsbescheinigungen einfließen, da diese

Vor-gänge bei gehäuftem Auftreten in aller Regel Gentrifi-zierungsprozesse anzeigen.

Da Verdrängung zu einem großen Teil auf bauliche Aufwertungsprozesse zurückgeführt werden kann, wären Statistiken zu stattfindenden Modernisierun-gen, Sanierungen und Neubauvorhaben hilfreich. An-hand von Bauanträgen bzw. Baugenehmigungen wäre es möglich, Informationen über die Art und den Umfang der zu erwartenden baulichen Maßnahmen in Zusammenhang mit der Lage des betreffenden Ge-bäudes oder Grundstücks zu sammeln. So könnte etwa ermittelt werden, ob in einem bestimmten Gebiet im Vergleich zu anderen Stadtvierteln eine starke Zu-nahme an Bauanträgen beispielsweise für luxuriösen Modernisierungen oder Dachgeschossausbauten zu verzeichnen ist. Da in Erhaltungssatzungsgebieten alle baulichen Vorgänge einer Genehmigung bedür-fen, könnte die Auswertung der genehmigten Maß-nahmen den Modernisierungszustand der betreffen-den Gebäude noch detaillierter abbilbetreffen-den und bei wei-teren Anträgen für dasselbe Gebäude gegebenenfalls genutzt werden, um die Angemessenheit weiterer Mo-dernisierungsvorhaben zu bewerten.

Der vermutlich wichtigste Indikator für (wachsenden) Verdrängungsdruck ist die Entwicklung des Mietni-veaus. Da Mieterhöhungen nicht amtlich erfasst wer-den, fehlt diesbezüglich allerdings eine belastbare Datengrundlage. Die Entwicklung der Angebotsmiet-preise kann durch die Auswertung von Immobilienpor-talen stattfinden, auf denen Mietwohnungen angebo-ten werden. Im Zuge von Untersuchungen zur mögli-chen Ausweisung von Erhaltungssatzungsgebieten werden in München entsprechende Daten bereits ge-nutzt. Inwiefern bei den angebotenen Wohnungen eine Erhöhung des Mietpreises stattgefunden hat, lässt sich dabei allerdings nur eingeschränkt feststel-len. Außerdem sind Erhöhungen in Bestandsmietver-trägen nicht berücksichtigt. Für ein Monitoring der Be-standsmietenentwicklung wären in regelmäßigen Ab-ständen wiederholte Befragungen von Haushalten zielführend, die in nicht-preisgebundenen Mietwoh-nungen leben. Über das Melderegister ließe sich hier-für eine repräsentative Stichprobe ziehen. Aufwand und Kosten solcher Primärerhebungen sind allerdings vergleichsweise hoch.

Neben baulichen Aktivitäten und Mieterhöhungen trägt auch die Zweckentfremdung von Wohnraum zur Verknappung des Wohnraumangebots und zur Gen-trifizierung bei. Darunter fällt zum Beispiel neben ei-ner Vermietung von Mietwohnungen an Tourist:innen auch der beabsichtigte (spekulative) Wohnungsleer-stand. In den Interviews zeigte sich, dass Wohnungs-leerstände auch von Münchner Mieter:innen als Pro-blematik wahrgenommen werden. Um Leerstände oder andere Formen der Zweckentfremdung zu mel-den, wird im Onlineauftritt des Amtes für Wohnen und Migration ein entsprechendes Formular bereitgestellt, das Bürger:innen ausfüllen können. Eine schriftliche oder persönliche Meldung eines Verdachtsfalls ist ebenfalls möglich. Häufen sich entsprechende Leer-standsmeldungen in einem Haus, könnte dies als In-diz für Verdrängungsprozesse bzw. als Aufforderung zum proaktiven Eingreifen interpretiert werden. In ähnlicher Form könnte auch ein Online-Tool etabliert werden, in dem die Bürger:innen Verdrängungsfälle melden und deren Umstände beschreiben können.

Die hierüber gewonnenen Daten könnten in ein Moni-toring von Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen aufgenommen werden. Eine solche Datenbank könn-te zudem um Informationen der kommunalen Mietbe-ratung bzw. der integrativen Anlaufstelle für von Ver-drängung Betroffene, beispielsweise zu den Orten der Verdrängung, den zu beobachtenden Verdrängungs-auslösern und den Eigentümertypen, ergänzt werden.

Auch wenn hierbei keine statistische Repräsentativität erreicht werden kann, ergäben sich valide Hinweise auf stadtgebietsspezifische Entwicklungstendenzen.

Verdrängungsprozesse in der Landeshauptstadt München | Eingriffsmöglichkeiten für Politik & Planung

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Fazit

Die Verdrängung von Mieter:innen ist ein bedeuten-des Thema in der Lanbedeuten-deshauptstadt München. So-wohl die befragten Expert:innen als auch die Presse bewerten dieses Thema als hoch relevant. Die mit von Verdrängung betroffenen oder bedrohten Perso-nen geführten Interviews belegen diese Erkenntnis.

Verdrängung wird insbesondere in den Stadtteilen in-nerhalb des Mittleren Rings als große Herausforde-rung wahrgenommen, wo die Anspannung des Woh-nungsmarktes am größten ist. Verdrängung tritt nach Meinung der Expert:innen und der Presse aber mitt-lerweile auch in Gebieten außerhalb des Mittleren Rings auf. Die hohe Anzahl der geführten Interviews mit Verdrängten und von Verdrängung bedrohten Per-sonen in Schwabing und Obergiesing deutet darauf hin, dass diese Gebiete überdurchschnittlich stark be-troffen sind, während in Milbertshofen und Neuper-lach/Ramersdorf wenig Personen zu Interviews bereit waren. Diese Erkenntnis sollte allerdings nicht überin-terpretiert werden, da das Sampling für die qualitati-ven Interviews über Multiplikator:innen keinen validen Vergleich zwischen den untersuchten Wohngebieten ermöglicht.

Eine genaue Quantifizierung von Verdrängungspro-zessen in München ist mit dem Forschungsdesign der vorliegenden Studie nicht möglich. Eine der wenigen quantitativen Studien zur Verdrängung hat für die in-nerstädtischen Wohngebiete Berlins herausgefunden, dass über 20 % der Umzüge auf Verdrängungsfakto-ren zurückzufühVerdrängungsfakto-ren sind. Auch wenn sich Wohnungs-markt und Bevölkerungsstruktur in München und Ber-lin voneinander unterscheiden, dürfte die Verdrän-gungsrate in München kaum niedriger sein, da we-sentliche Rahmenbedingungen denjenigen in der Bundeshauptstadt ähneln, insbesondere der Nachfra-geüberhang nach Wohnraum, die starke Dynamik auf dem Immobilienmarkt und der signifikante Wande-rungsgewinn gegenüber anderen deutschen Regio-nen sowie dem Ausland. Zum Phänomen des Ver-drängungsdrucks ohne Umzug gibt es keine verlässli-chen quantitativen Studien. Nichtsdestotrotz kann von einer relevanten Zahl an von Verdrängung bedrohten Mieter:innen in München ausgegangen werden – ein Indiz hierfür ist nicht zuletzt, dass im Rahmen der vor-liegenden Studie deutlich mehr von Verdrängung be-drohte (aber bislang nicht umgezogene) Mieter:innen als tatsächlich aufgrund einer Verdrängung umgezo-gene Mieter:innen ausfindig gemacht werden konn-ten. Angesichts des im deutschlandweiten Vergleich

sehr hohen Niveaus der Angebotsmieten in der baye-rischen Landeshauptstadt ist dies nicht überraschend, da ein signifikanter Teil der von Verdrängung bedroh-ten Menschen gar nicht umziehen kann.

Mit Blick auf die Ursachen von Verdrängung (Verdrän-gungsauslöser) liefern alle drei im Rahmen der vorlie-genden Studie eingesetzten Erhebungsmethoden ähnliche bzw. konsistente Ergebnisse: Dabei zeigen insbesondere die Interviews mit Betroffenen, dass Verdrängung in der Regel ein multikausales Phäno-men ist, das sich zeitlich über einen längeren Zeit-raum erstreckt, und dass die Betroffenen üblicherwei-se mehreren potenziellen Verdrängungsauslöüblicherwei-sern ausgesetzt sind, auf die sie jeweils eine Antwort su-chen (müssen). Als zentrale Verdrängungsauslöser zeigen sich Mieterhöhungen, Störungen durch Bautä-tigkeiten, Entmietungsstrategien sowie auch Eigenbe-darfskündigungen. Verdrängung ist typischerweise in gebietsbezogene immobilienwirtschaftliche Aufwer-tungsprozesse eingebettet, die sich beispielsweise in Dachausbauten und Nachverdichtungsmaßnahmen oder auch einem steigenden Preisniveau in Geschäf-ten, Restaurants und Kneipen im Wohnumfeld mani-festieren. Solche Aufwertungen können den durch vermieterseitige Maßnahmen erzeugten Verdrän-gungsdruck bei den Betroffenen verstärken.

Die betroffenen Haushalte reagieren auf Verdrän-gungsdruck unterschiedlich. Manche versuchen sich individuell oder gemeinschaftlich gegen Verdrängung zu wehren, andere akzeptieren Mieterhöhungen und schränken sich beispielsweise in anderen Lebensbe-reichen ein, wieder andere ziehen um. Häufig wählen die betroffenen Mieter:innen im Verlauf einer Verdrän-gung auch unterschiedliche Strategien, um ihre Situa-tion zu verbessern. Fast alle Verdrängten leiden unter negativen Folgen ihrer Verdrängung. Dazu zählen Emotionen wie Angst, Unsicherheit, Stress und Wut sowie finanzielle Sorgen, aber auch der Verlust von sozialen Kontakten nach erfolgtem Umzug.

Verdrängungsprozesse in der Landeshauptstadt München | Fazit

Die individuellen Ressourcen, die den von Verdrän-gung betroffenen Personen zur VerfüVerdrän-gung stehen (z.B. Einkommen, Bildung), aber auch ihre Lebens-umstände (z.B. Haushaltszusammensetzung, Bin-dung an den Wohnort) haben einen großen Einfluss darauf, wie sie auf Verdrängungsdruck reagieren und wie sie Verdrängungsfolgen kompensieren (können).

In zahlreichen der geführten Interviews wird deutlich, dass die betroffenen Mieter:innen einen hohen Bera-tungsbedarf haben und sich generell eine stärkere Unterstützung von Politik und Planung wünschen, da sie sich mit ihren Sorgen und Ängsten häufig alleinge-lassen fühlen.

Die Landeshauptstadt München versucht bereits seit Jahrzehnten, die Anspannung des städtischen Woh-nungsmarktes zu verringern und Verdrängung zu ver-hindern. Im vorliegenden Bericht werden zahlreiche Maßnahmen und Instrumente diskutiert, wie erstens Verdrängung verhindert, zweitens Verdrängungsfol-gen gemindert und drittens vorlieVerdrängungsfol-gende Daten als In-dikatoren für Verdrängungsprozesse bzw. -gefahren genutzt werden können. Dabei zeigt sich, dass auch auf kommunaler Ebene eine Reihe grundsätzlich ge-eigneter Instrumente existieren, die aber in der Praxis Verdrängung nicht vollständig verhindern können.

Darüber hinaus bedarf es – insbesondere auf der Ebene des Bundes – flankierender (gesetzlicher) Maßnahmen.

Einen zentralen Ansatzpunkt zur Verhinderung von Verdrängung stellen die Verdrängungsauslöser dar.

Insbesondere der Bundesgesetzgeber wäre in der Lage, diese Verdrängungsauslöser mit regulativen In-strumenten zu adressieren – beispielsweise im Rah-men des Mietrechts (Senkung der Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen oder Modernisierungsumlagen;

Erschwerung von Eigenbedarfskündigungen). Auf kommunaler Ebene steht der Landeshauptstadt Mün-chen insbesondere das bereits intensiv genutzte In-strument der Erhaltungssatzung zur Verfügung, um Verdrängungsauslöser, die auf baulichen Veränderun-gen beruhen, einzudämmen. Eine zweite Option für die Landeshauptstadt München, Verdrängungsdyna-miken gegenzusteuern, besteht im Ausbau der bereits existierenden Mietberatung zur zentralen Anlaufstelle für von Verdrängung bedrohte Mieter:innen. Dies setzt eine ausreichende Vernetzung und (verwal-tungsinterne) Kommunikation zwischen den relevan-ten Verwaltungseinheirelevan-ten voraus. Darüber hinaus ist

es sinnvoll, die Anstrengungen, die bereits mit dem Ziel einer Entspannung des Wohnungsmarkts unter-nommen werden, aufrechtzuerhalten und nach Mög-lichkeit noch zu intensivieren, um die bestehende drängungsdynamik abzuschwächen und den Ver-drängten alternative Wohnangebote zur Verfügung zu stellen. Besonders wichtig sind Maßnahmen zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums für Haushalte mit geringen oder mittleren Einkommen.

Um Verdrängung effektiv verhindern zu können, ist es erforderlich Verdrängungstendenzen in einem be-stimmten Stadtgebiet frühzeitig zu entdecken. Ein ein-zurichtendes Frühwarnsystem könnte beispielsweise Daten des bestehenden sozialen Monitorings sowie des Indikatorensystems, das auch zur Ausweisung von Erhaltungssatzungsgebieten herangezogen wird, kleinräumig integrieren und um weitere Daten ergän-zen. Ergänzend zur offiziellen, repräsentativen Statis-tik könnten auch freiwillige Meldungen von Bürger:in-nen, zum Beispiel über einzelne Verdrängungsfälle, (über ein Online-Tool) erfasst und in ein Monitoring zu Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen integriert werden. Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, Daten der kommunalen Mietberatung über Verdrängungsfäl-le als Indikatoren zu verwenden.

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass es für Poli-tik und Planung durchaus Möglichkeiten gibt, Verdrän-gung zu verhindern oder zumindest zu begrenzen.

Voraussetzung für die Einführung und Anwendung wirksamer Instrumente gegen Verdrängung ist aller-dings der Wille der wohnungspolitischen Akteure, hierfür die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Experteninterviews dokumentieren, dass in diesem Zusammenhang zwei Argumentati-onslinien existieren: Während die Vertreter:innen der Wohnungswirtschaft und der Eigentümer:innen das Besitzrecht am Immobilieneigentum in den Vorder-grund rücken, wird von der Seite der Mieter:innen und des Sozialreferats mit einem Recht auf Wohnen argu-mentiert. Im Sinne der Mieter:innen Münchens, die in ihrer Stadt wohnen und dort wohnen bleiben möch-ten, sollte diese Kluft von allen beteiligten Akteuren gemeinsam überwunden werden.