• Keine Ergebnisse gefunden

D IMENSION ‚ AKTIONAL – REFLEXIV ‘

Im Dokument Edition Politik (Seite 197-200)

Gruppengespräche in der Auswertung

8. Der Lern-Handlungsraum Bürgerinitiative – Ergebnisse der empirischen Analyse

8.3 D IMENSION ‚ AKTIONAL – REFLEXIV ‘

Lernhandlungen der dritten den Lern-Handlungsraum kennzeichnenden Dimen-sion bewegen sich schließlich zwischen aktionalen und reflexiven Aspekten.

Damit greift diese Dimension die kontroverse Diskussion um die Relevanz poli-tischen Handelns im Rahmen politischer Bildung auf. Aus der Analyse wird deutlich, dass Aktion und Reflexion im Gegensatz zu den häufig getätigten Un-vereinbarkeitszuschreibungen (s. Abschnitt 2), im Rahmen politischer Lernhand-lungen (etwa in Bürgerinitiativen) so eng miteinander verknüpft sind, dass das eine ohne das jeweilig andere nur schwer zu denken ist. Sinnvoll ist es jedoch eine analytische Trennung vorzunehmen, um die Verbindung zwischen aktiona-len und reflexiven Lern-Handlungen einzubeziehen und zu rekonstruieren.

Unter aktionalen Lernhandlungen (A) im Lern-Handlungsraum Bürgerinitia-tive ist dabei unter anderem die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen zu verstehen, die entweder von der Einzelinitiative (A1) oder in Kooperation unter-schiedlicher Initiativen (A2) durchgeführt werden. Hier geht es im Kern um Lern-Handlungen zur Sensibilisierung für das eigene Anliegen in der Bevölke-rung und der oben genannten Ermöglichung der Diskussion alternativer Positio-nen. So wird beispielsweise der eigene Arbeitsschwerpunkt der Initiative, der Straßenausbau und der damit verbundene Anstieg der Feinstaubbelastung, auf die Entwicklung des Weltklimas bezogen und dessen Konsequenzen anhand von Informationsständen, Ausstellungen, Fachvorträgen oder auch in Form eines Straßentheaters usw. öffentlich diskutiert. Einige der durchgeführten Veranstal-tungen wie etwas das Straßentheater sind dabei vor dem Hintergrund differen-zierter Reflexionsprozesse initiiert worden (A3).

Der ausgeprägten Aktionsorientierung steht dabei eine differenzierte Refle-xion (R) der eigenen Arbeit in ihrer gesellschaftlichen Eingebundenheit gegen-über. Diese kann sich individuell oder kooperativ vollziehen (R1). So wird zum einen der je eigene thematische Schwerpunkt sukzessive ausgeweitet, d. h. es werden Zusammenhänge zu anderen Kontexten und Themen auf Ebene des Stadtviertels, der Stadt, der Region etc. bis hin zu globalen Entwicklungen her-gestellt (R2). Zum anderen ist die Übertragung der eigenen Arbeit in einen ande-ren Kontext beobachtbar (R3). So ermöglicht beispielsweise die Übersetzung der eigenen Handlungsform in eine andere Ausdrucksform, wie der eines Theater-stücks, den Aufbau einer reflexiven Distanz jedes Einzelnen zur

Handlungspro-blematik der Initiative. Daneben werden die eigenen Handlungsmöglichkeiten als Bürgerinitiative und weitergedacht dann als Bürger im Allgemeinen, im Kon-text kommunaler Stadtentwicklung und daran anschließend die Funktionsweise des etablierten politischen Feldes reflektiert. Die Reflexion der eigenen Arbeit durch die Initiativenmitglieder bezieht sich einerseits auf themenbezogene und andererseits auf strukturelle Aspekte. Im Mittelpunkt steht die Auseinanderset-zung mit politischen Systemstrukturen und den eigenen Möglichkeiten der Mit-gestaltung von Gesellschaft. Gegenstand ist hier unter anderem das skizzierte Spannungsverhältnis zwischen bürgerschaftlichem Engagement und realer poli-tischer Partizipation. In der Betrachtung reflexiver Lernhandlung ist hier insbe-sondere auf die durch den eigenen Forschungsprozess initiierten Reflexionspro-zesse hinzuweisen (R4). So wurden bezogen auf das Forschungsvorhaben im Rahmen der alltäglichen Bürgerinitiativenarbeit Reflexionsräume zur Diskussion der eigenen Arbeit geschaffen, die zahlreiche reflexive Lernhandlungen freige-setzt haben.

Die Analyse der empirischen Materialen konnte schließlich auf struktureller Ebene drei aktionale Aspekte von Lernhandlungen und vier reflexive Aspekte von Lernhandlungen beschreiben (s. Tab. 5). Die Darstellung aktionaler und re-flexiver Lernhandlungen wird im Rahmen dieser Dimension jedoch die zuvor verfolgte strukturelle Darstellungsebene verlassen und deren Besonderheiten an-hand gegenstandsbezogener Kriterien aufzeigen, um so deren Detailfülle gerecht werden zu können. Im Folgenden werden nun zunächst aktionale Lernhandlun-gen anhand verschiedener Fallbeispiele vorgestellt.

Tabelle 5: Lern-Handlungsraum Bürgerinitiative – Dimension ‚aktional – reflexiv‘

aktional reflexiv

Öffentlichkeit herstellen und Diskussionsanlass bieten:

Vorträge, Feste, Radtouren etc.

Mit dem Verweis auf die in Abschnitt 5 diskutierten lerntheoretischen Überle-gungen, nimmt die Betrachtung von aktionalen Lernhandlungen insbesondere die von Klaus Holzkamp (1995a) ins Zentrum gestellte Handlungsorientierung von Lernhandlungen in den Blick. Ausgangspunkt für Lernen sind demnach in-dividuelle im lebensweltlichen Kontext verortete Handlungsprobleme, denen das Subjekt mit Lernhandlungen begegnet oder auch nicht. Holzkamp versteht die-sen Prozess dabei nicht nur als rein kognitiven Akt, sondern als aktiven Hand-lungsprozess des Subjekts, mit dem Ziel „seine Lebensbedingungen aktiv umzu-gestalten“ (ebd., S. 23). Mit dem Anknüpfen an den individuellen Lebensbedin-gungen des Einzelnen und der Zielperspektive diese durch Lernhandlungen mit-zugestalten sind hier grundlegende Aspekte politischer Partizipation und Bildung angesprochen, in deren Fokus die durch Handlung hergestellt Veröffentlichung des jeweils eigenen Problemgegenstands steht. Aktionale Lernhandlungen bieten dabei die Möglichkeit, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, dass Problem-gegenstände der Initiative zu ProblemProblem-gegenständen der kommunalen Öffentlich-keit und des jeweils anderen werden können. So werden – Holzkamps (vgl. ebd., S. 510f.) Überlegungen zu kooperativen Lernhandlungen weitergedacht – koope-rative Lernhandlungen möglich, die über den Rahmen der Einzelinitiative und auch Initiativen im allgemeinen hinausgehen und jedem Bewohner der Stadt, des Stadtteils zu Eigen werden können. Aktionale Lernhandlungen im Rahmen von Bürgerinitiativen können somit als ein Angebot der Teilhabe an der eigenen Er-weiterung der Weltverfügung an Andere betrachtet werden.

Die Bandbreite der von den Initiativen durchgeführten öffentlichen Aktionen ist sehr umfangreich. Auf der einen Seite stehen Informationsveranstaltungen, in denen die einzelnen Initiativen über ihr Anliegen informieren wollen. Dies er-folgt beispielsweise durch Informationsstände am Ort des jeweiligen Problem-gegenstands und an anderen prägnanten Punkten der Stadt oder auch zu Stadt-teilfesten, Weihnachtsmärkten etc.. Desweiteren wird ebenso öffentlich zu In-formationsveranstaltungen beispielsweise in Stadtteilzentren etc. eingeladen, wo dann durch Vortrag und Diskussion über den jeweiligen Gegenstandsbereich in-formiert wird. Im Vordergrund steht hier die sachliche Vermittlung von Informa-tionen über in der Stadt wahrgenommene Problemgegenstände und den jeweils eigenen Gegenstandsbereich. Eine hieran anknüpfende Aktionsform, die schon im Rahmen der Diskussion aufnehmender und weitergebender Aspekte von Lern-handlungen betrachtet wurde, ist die Durchführung öffentlicher Fachvorträge wie sie insbesondere von Bürgerinitiative 3 ‚Naturschutz‘ durchgeführt wurden. Hier steht jedoch wie in Abschnitt 8.2 bereits angedeutet wurde, nicht die Darstellung

der eigenen Arbeit als Bürgerinitiative im Vordergrund, sondern die fachliche Auseinandersetzung mit einem bestimmten Gegenstandsbereich. Das empirische Material zeigt, dass dieser dabei nicht exakt deckungsgleich mit dem der jeweili-gen Bürgerinitiativen sein muss, sondern Ergebnis der beschriebenen Ausdiffe-renzierungsprozesse der Gegenstandsbereiche sein kann. Deutlich wurde bereits, dass hier das eigene Interesse an der fachlichen Fundierung der Thematik mit der Ermöglichung der Teilhabe anderer am eigenen Wissenserwerb verknüpft ist.

Nachfolgende Gesprächspassage steht hier noch einmal in erweiterter Form ex-emplarisch für diese Form aktionalen Lernhandelns in Bürgerinitiativen:

GPin: dass wir in dem Moment festgestellt haben, es sind viel zu wenig Bürger über-haupt über - diese Düne informiert ja, die wissen gar nicht was das ist. Dünen ha-ben die alle gedacht, gibt es an der See äh und da liegen wir in ner Sonne. […]

Und da habe ich gesagt, ich sage, für mich ist das Entscheidende ich habe gebaut vor 35 Jahren und habe vom Umweltamt von der Stadt - nach und nach immer wieder Briefe bekommen äh, dass ich in der Nähe einer eiszeitlichen Düne lebe, die geschützt werden muss, weil sie ein Relikt aus vergangener Zeit ist, ganz wichtig ja. Und das hat mich fasziniert und da hab ich gedacht, was heißt Düne?

Und dieses was ich jetzt über diese ganze Zeit erfahren habe, habe ich gemerkt weiß kein Schwein auf Deutsch gesagt.

GP: H-hm.

GPin: Und daraufhin habe ich gesagt, dann müssen wir das den Leuten erklären ja. Und wir haben das bei der Radtour gemerkt, da sind aus Bielefeld einige Stimmen ge-kommen, habe ich gehört, Mensch, das ist ja toll was ihr da habt, das finden wir ja interessant und ich habe also in dem Moment gesagt, wir müssen aufklären.

Das wäre jetzt nen Weg. Und das hat sich erwiesen äh, dass das äh nen Mangel einfach ist. […]

Ich habe gesagt, ihr habt gesagt, das ist nen Sandhaufen hat der (unverständlich) gesagt zu mir. Sagte er, was wollen sie eigentlich, das ist doch nur noch nen Sandhaufen. - - - Aber je mehr wir das Bewusstsein eigentlich schärfen, umso mehr kriegen wir vielleicht von den Bürgern mal ne Resonanz und die sagen, Mensch das ist ja toll, - was ihr uns da erzählt, das lohnt sich doch das zu schützen. […]

GP: Ja, weil wir selber hier ja Dünen haben und das Wissen darüber war fast null. Un-ser ne?

GPin: (Lachen)

GP: Und je tiefer man Einblick in die Materie gewinnt, umso mehr erkennt man Zu-sammenhänge und weiß dann eben auch, das eher zu schätzen.

[BI 3 / 682-790]

Im Dokument Edition Politik (Seite 197-200)