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Anfossi

-Il geloso in cimento, Liebesduett, Oh bella

Anfossi

180

„L’inimico delle donne“ (III,8)

Dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz tritt in Liebesduetten sehr häufig auf, bei-spielsweise auch in „L’inimico delle donne“ (III,8) von Galuppi und Bertati. Hier treffen sich zwei Missachter der Liebe, der chinesische Prinz Zon-zon und die itali-enische Schiffbrüchige Agnesina, und verlieben sich ineinander zum ersten Mal in ihrem Leben. Erst gegen Ende des dritten Akts gestehen sie sich ihre Liebe ein. Bei der Thematisierung dieses für beide noch unbekannten Affekts handelt es sich – genauso wie bei der Figur des Misogynen – um einen Topos. Im Liebesduett fühlen die beiden zum ersten Mal die Macht der Liebe („Non intendo“, Allegro, C) und spielen das in Liebesduetten häufige Spiel des Sichentfernens, das hier wie eine Art Experiment mit der zum ersten Mal gefühlten Bindungskraft der Liebe anmutet.

(…)

a due : Non intendo cosa sia Questa nuova simpatia : Quanto a voi più m’avvicino,

Più mi sento a vincolar … (restano un poco.) Discostiamoci un pochino … (si discostano.) Agnesina : Ah ! Quell’occhio che mi mira …

Zon-zon : Ah quel viso gentilino … a due : Sento sento che mi ispira …

Che lontan non posso star. (si accostano)

(…)606

Galuppi komponiert dieses „Spiel mit der natürlichen Anziehungskraft“ in enger An-lehnung an den Text und an die szenische Situation : Der Vorsatz „Discostiamoci un pochino“ wird in einem eigenen, sehr kurzen musikalischen Abschnitt (Andantino, 3/4) vertont, das im Verhältnis zum vorhergehenden Allegro (C) auf ein Innehalten deutet. Für das szenische Spiel des Sich-Entfernens wird erneut Takt und Tempo ge-wechselt : Die ersten Takte des Andante sostenuto (C) werden zur Ausführung des szenischen Spiels zunächst rein instrumental vertont, wobei der fanfarenartige Beginn im plötzlichen Forte einen starken Kontrast zum vorhergehenden Abschnitt bewirkt.

Durch die Staccato-Bewegung und die lustig „herunterpurzelnde“ melodische Linie kippt die feierliche Fanfare sofort ins Parodistische und Spielerische.

606 Bertati/Galuppi : L’inimico delle donne. Venedig 1771 (III,8).

&

Ah! quell' oc chio che mi

181

20 Galuppi/Bertati : L’inimico delle donne. Hg. von Helen Geyer-Kiefl. Mailand 1986

„L’inimico delle donne“ (III,8)

Dieses Spiel zwischen Nähe und Distanz tritt in Liebesduetten sehr häufig auf, bei-spielsweise auch in „L’inimico delle donne“ (III,8) von Galuppi und Bertati. Hier treffen sich zwei Missachter der Liebe, der chinesische Prinz Zon-zon und die itali-enische Schiffbrüchige Agnesina, und verlieben sich ineinander zum ersten Mal in ihrem Leben. Erst gegen Ende des dritten Akts gestehen sie sich ihre Liebe ein. Bei der Thematisierung dieses für beide noch unbekannten Affekts handelt es sich – genauso wie bei der Figur des Misogynen – um einen Topos. Im Liebesduett fühlen die beiden zum ersten Mal die Macht der Liebe („Non intendo“, Allegro, C) und spielen das in Liebesduetten häufige Spiel des Sichentfernens, das hier wie eine Art Experiment mit der zum ersten Mal gefühlten Bindungskraft der Liebe anmutet.

(…)

a due : Non intendo cosa sia Questa nuova simpatia : Quanto a voi più m’avvicino,

Più mi sento a vincolar … (restano un poco.) Discostiamoci un pochino … (si discostano.) Agnesina : Ah ! Quell’occhio che mi mira …

Zon-zon : Ah quel viso gentilino … a due : Sento sento che mi ispira …

Che lontan non posso star. (si accostano)

(…)606

Galuppi komponiert dieses „Spiel mit der natürlichen Anziehungskraft“ in enger An-lehnung an den Text und an die szenische Situation : Der Vorsatz „Discostiamoci un pochino“ wird in einem eigenen, sehr kurzen musikalischen Abschnitt (Andantino, 3/4) vertont, das im Verhältnis zum vorhergehenden Allegro (C) auf ein Innehalten deutet. Für das szenische Spiel des Sich-Entfernens wird erneut Takt und Tempo ge-wechselt : Die ersten Takte des Andante sostenuto (C) werden zur Ausführung des szenischen Spiels zunächst rein instrumental vertont, wobei der fanfarenartige Beginn im plötzlichen Forte einen starken Kontrast zum vorhergehenden Abschnitt bewirkt.

Durch die Staccato-Bewegung und die lustig „herunterpurzelnde“ melodische Linie kippt die feierliche Fanfare sofort ins Parodistische und Spielerische.

606 Bertati/Galuppi : L’inimico delle donne. Venedig 1771 (III,8).

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Ah! quell' oc chio che mi

Die Folge der Entfernung ist ein beidseitiges „Schmachten“ („Ah ! Quell’occhio che mi mira“ / „Ah ! Quel viso gentilino“), das möglicherweise ebenfalls parodistisch gemeint ist. Bald ertragen die beiden Liebenden die Entfernung nicht mehr und nähern sich wieder einander im aufgeregten Allegro (2/4). Die beiden disprezzatori haben ihre Lektion erhalten : Am Schluss des Duetts verkünden sie a due, dass man nicht als „nemico d’amor“ leben kann. Hier erfüllt das klassische Entfernungsspiel zwischen zwei Liebhabern also nicht nur die Funktion des Spannungsaufbaus und des die Bindung festigenden Liebesspiels, sondern auch die eines Experiments, das zu einer bestimmten Erkenntnis führt, zur „Moral der Geschichte“, dass man nicht ohne Liebe leben kann. Hinter dem Spiel steckt also ein erzieherischer Zweck : Durch spielerische Erfahrung soll etwas erlernt werden. Die Figuren auf der Bühne lernen aus ihrer eigenen Erfahrung, das Publikum lernt durch symbolisches Miterleben und Teilnahme an der Erfahrung der Figuren mit ; beides geschieht auf eine spielerische Art und Weise.

Le due finte gemelle (II,13)

Die nach Buytendijk für das Liebesspiel typischen Merkmale des Sich-Zierens, der Scham und der Schüchternheit äußern sich besonders im Liebesduett aus Petroselli-nis und PiccinPetroselli-nis „Le due finte gemelle“ zwischen Isabella und Belfiore. Beide begin-nen mehrmals eine Liebeserklärung und unterbrechen sich dann aus Scham. Die Au-toren gehen dabei spielerisch mit der konventionellen Form des Duetts um : Die formal und inhaltlich einem Seria-Duett entsprechende Liebeserklärung – beide Per-sonen singen in elegischem Seria-Ton (Larghetto cantabile) nacheinander einen Vier-zeiler, der jeweils mit einer messa di voce beginnt – wird durch ein schamhaftes „Sich-Zieren“ unterbrochen, das jeweils beim vierten Vers durch ein (in einem Seria-Duett undenkbaren) Kippen in eine lebhafte, tänzerische, neckische Buffa-Musik unterstri-chen wird. Die Liebenden fallen im buffoartigen Allegro vivace (3/8) in ihre eigene Rolle zurück und erscheinen dabei spontan und authentisch, während die vorange-hende seriaartige Liebeserklärung im Vergleich damit „aufgesetzt“, also gewisserma-ßen „gespielt“ wirkt (s. Notenbeispiel 21, S. 183).

Dieses „Spiel“ des Sich-Zierens macht offensichtlich Spaß und wird wiederholt, so dass es zu insgesamt vier abwechselnd von Belfiore und Isabella vorgetragenen Vier-zeilern kommt, die immer aus drei Versen im Seria-Stil und dem Kippen in die Buffa-Sphäre im letzten Vers bestehen. Die Wiederholungstendenz definieren verschiedene Theoretiker als typisches Spielkriterium.607 Hier wird, was anfangs wahrscheinlich

607 „In beinahe allen höher entwickelten Spielformen bilden die Elemente der Wiederholung, des Ref-rains, der Abwechselung in der Reihenfolge so etwas wie Kette und Einschlag.“ (Huizinga, S. 17).

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21 Piccinni/Petrosellini : Le finte gemelle. (A-Wn Mus. Hs. 17828)

Die Folge der Entfernung ist ein beidseitiges „Schmachten“ („Ah ! Quell’occhio che mi mira“ / „Ah ! Quel viso gentilino“), das möglicherweise ebenfalls parodistisch gemeint ist. Bald ertragen die beiden Liebenden die Entfernung nicht mehr und nähern sich wieder einander im aufgeregten Allegro (2/4). Die beiden disprezzatori haben ihre Lektion erhalten : Am Schluss des Duetts verkünden sie a due, dass man nicht als „nemico d’amor“ leben kann. Hier erfüllt das klassische Entfernungsspiel zwischen zwei Liebhabern also nicht nur die Funktion des Spannungsaufbaus und des die Bindung festigenden Liebesspiels, sondern auch die eines Experiments, das zu einer bestimmten Erkenntnis führt, zur „Moral der Geschichte“, dass man nicht ohne Liebe leben kann. Hinter dem Spiel steckt also ein erzieherischer Zweck : Durch spielerische Erfahrung soll etwas erlernt werden. Die Figuren auf der Bühne lernen aus ihrer eigenen Erfahrung, das Publikum lernt durch symbolisches Miterleben und Teilnahme an der Erfahrung der Figuren mit ; beides geschieht auf eine spielerische Art und Weise.

Le due finte gemelle (II,13)

Die nach Buytendijk für das Liebesspiel typischen Merkmale des Sich-Zierens, der Scham und der Schüchternheit äußern sich besonders im Liebesduett aus Petroselli-nis und PiccinPetroselli-nis „Le due finte gemelle“ zwischen Isabella und Belfiore. Beide begin-nen mehrmals eine Liebeserklärung und unterbrechen sich dann aus Scham. Die Au-toren gehen dabei spielerisch mit der konventionellen Form des Duetts um : Die formal und inhaltlich einem Seria-Duett entsprechende Liebeserklärung – beide Per-sonen singen in elegischem Seria-Ton (Larghetto cantabile) nacheinander einen Vier-zeiler, der jeweils mit einer messa di voce beginnt – wird durch ein schamhaftes „Sich-Zieren“ unterbrochen, das jeweils beim vierten Vers durch ein (in einem Seria-Duett undenkbaren) Kippen in eine lebhafte, tänzerische, neckische Buffa-Musik unterstri-chen wird. Die Liebenden fallen im buffoartigen Allegro vivace (3/8) in ihre eigene Rolle zurück und erscheinen dabei spontan und authentisch, während die vorange-hende seriaartige Liebeserklärung im Vergleich damit „aufgesetzt“, also gewisserma-ßen „gespielt“ wirkt (s. Notenbeispiel 21, S. 183).

Dieses „Spiel“ des Sich-Zierens macht offensichtlich Spaß und wird wiederholt, so dass es zu insgesamt vier abwechselnd von Belfiore und Isabella vorgetragenen Vier-zeilern kommt, die immer aus drei Versen im Seria-Stil und dem Kippen in die Buffa-Sphäre im letzten Vers bestehen. Die Wiederholungstendenz definieren verschiedene Theoretiker als typisches Spielkriterium.607 Hier wird, was anfangs wahrscheinlich

607 „In beinahe allen höher entwickelten Spielformen bilden die Elemente der Wiederholung, des Ref-rains, der Abwechselung in der Reihenfolge so etwas wie Kette und Einschlag.“ (Huizinga, S. 17).

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21 Piccinni/Petrosellini : Le finte gemelle. (A-Wn Mus. Hs. 17828)

spontan und zufällig passiert, als Muster bzw. Regel für ein spielerisches Weiterführen verwendet.

Belfiore : Cara sappiate oh Dio, Che il dolce affetto mio, Che amor coi detti suoi … Fatemi grazia di principiar voi.

Isabella : Caro Idol mio sappiate, Che una gentil beltate, A cui l’egual non v’è,

Compatite signor, non tocca a me ; Belfiore : Dirò che da quel giorno,

Che il vostro viso adorno … Spiegarmi più non posso … Mi vergogno davvero, e vengo rosso.

Isabella : Dirò, che un amorosa Fiammella in seno ascosa, Il Cor m’incenerì …

Ho parlato ben mio, basta così.

(…)608

Beim zweiten „Durchlauf“, also beim dritten und vierten Vierzeiler, trauen sich die beiden schamhaften innamorati schon mehr und lassen sich in ausdrucksvolleren und rührenderen Harmonien (f-Moll) und melodischen Wendungen ergehen, wodurch der chiaroscuro-Kontrast zum vorangehenden und zum nachfolgenden Allegro vivace in fröhlichem Dur und hüpfend-tänzerischem 3/8-Takt zusätzlich verstärkt wird (s.

Notenbeispiel 22, S. 185).

Der Mut verlässt die beiden vollkommen im nächsten Abschnitt, in dem die Ein-sätze der Singstimmen dichter werden („Si ferma la parola. / S’arresta nella gola. / Ne posso seguitar“). Die beiden Liebenden trauen sich zwar nicht, eine Liebeserklärung auszusprechen, erkennen jedoch in den Augen bzw. an den Lippen des Partners die Liebesbotschaft, kommen sich langsam näher und geben sich schließlich im konven-tionellen Schluss-a-due die Hand. Dieser Moment der Vereinigung wird durch die

„Da die Regeln eines Spiels Wiederkehr und Wiederholungen sind, läßt sich an ihnen zugleich ab-sehen, welchen Rhythmus und welche Symmetrie ein Spiel hat. Rhythmus ist Wiederkehr in der Zeit, Symmetrie Wiederholung im Raum. Rhythmisierung und Symmetrisierung kennzeichnen die Spiele.“ (Jünger, S. 104).

608 Petrosellini/Piccinni : Le due finte gemelle. Venedig 1783 (II,13).

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22 Piccinni/Petrosellini : Le finte gemelle. (A-Wn Mus. Hs. 17828)

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typischen Liebesspiel-Elemente des leichten Neckens, des Spiels der Blicke („Mi dice quell’occhietto …“), aber vor allem der Schüchternheit, des Errötens und des Sich-Zierens hinausgezögert.

Darüber hinaus „spielt“ der Komponist gewissermaßen mit der „klassischen“ Form des Seria-Liebesduetts : Statt der reinen Erfüllung der Konvention findet ein Variieren innerhalb einer vorgegebenen konventionellen Struktur statt, wobei durch das „Aus-der-Rolle-Fallen“ und die Stilbrüche – in einem Seria-Duett undenkbare Distanzierungsmit-spontan und zufällig passiert, als Muster bzw. Regel für ein spielerisches Weiterführen

verwendet.

Belfiore : Cara sappiate oh Dio, Che il dolce affetto mio, Che amor coi detti suoi … Fatemi grazia di principiar voi.

Isabella : Caro Idol mio sappiate, Che una gentil beltate, A cui l’egual non v’è,

Compatite signor, non tocca a me ; Belfiore : Dirò che da quel giorno,

Che il vostro viso adorno … Spiegarmi più non posso … Mi vergogno davvero, e vengo rosso.

Isabella : Dirò, che un amorosa Fiammella in seno ascosa, Il Cor m’incenerì …

Ho parlato ben mio, basta così.

(…)608

Beim zweiten „Durchlauf“, also beim dritten und vierten Vierzeiler, trauen sich die beiden schamhaften innamorati schon mehr und lassen sich in ausdrucksvolleren und rührenderen Harmonien (f-Moll) und melodischen Wendungen ergehen, wodurch der chiaroscuro-Kontrast zum vorangehenden und zum nachfolgenden Allegro vivace in fröhlichem Dur und hüpfend-tänzerischem 3/8-Takt zusätzlich verstärkt wird (s.

Notenbeispiel 22, S. 185).

Der Mut verlässt die beiden vollkommen im nächsten Abschnitt, in dem die Ein-sätze der Singstimmen dichter werden („Si ferma la parola. / S’arresta nella gola. / Ne posso seguitar“). Die beiden Liebenden trauen sich zwar nicht, eine Liebeserklärung auszusprechen, erkennen jedoch in den Augen bzw. an den Lippen des Partners die Liebesbotschaft, kommen sich langsam näher und geben sich schließlich im konven-tionellen Schluss-a-due die Hand. Dieser Moment der Vereinigung wird durch die

„Da die Regeln eines Spiels Wiederkehr und Wiederholungen sind, läßt sich an ihnen zugleich ab-sehen, welchen Rhythmus und welche Symmetrie ein Spiel hat. Rhythmus ist Wiederkehr in der Zeit, Symmetrie Wiederholung im Raum. Rhythmisierung und Symmetrisierung kennzeichnen die Spiele.“ (Jünger, S. 104).

608 Petrosellini/Piccinni : Le due finte gemelle. Venedig 1783 (II,13).

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22 Piccinni/Petrosellini : Le finte gemelle. (A-Wn Mus. Hs. 17828)

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tel – nicht nur Überraschungsmomente bewirkt werden, sondern auch die für Buffo-Figuren typische und mit dem Spiel assoziierbare Spontaneität auskomponiert wird.

Castrini padre e figlio (I,11)

Ein regelrechter Topos ist das der amanti ritrosi, der zurückhaltenden und schüchter-nen Liebenden, die oftmals nur auf spielerische Art aus der Reserve gelockt werden können. In „Castrini padre e figlio“ von Ferdinando Robuschi und Florimondo Er-mioneo (Pseudonym von Giovanni Greppi) traut sich Giacinto nicht, um die Hand seiner geliebten Liberata anzuhalten, denn er fürchtet die Wut seines Vaters, der sie ebenfalls heiraten möchte. Nur dank einem vom schlauen Diener Mortadella angelei-teten „Spiel“ wird er dazu gebracht, Liberata eine Liebeserklärung zu machen, jedoch nicht im Rahmen eines Liebesduetts, sondern als Rezitativ :

Mortadella rät dem befangenen Giacinto, sich an den Tisch neben Liberata zu set-zen, als diese so tut, als schreibe sie einen Brief. Liberata geht daraufhin zwar zu einem anderen Tisch, hinterlässt aber ein Schreiben. Nun beginnt eine dichte Korrespon-denz zwischen den an zwei verschiedenen Tischen sitzenden Liebenden. Der als Bote dienende Mortadella bewegt sich zwischen den beiden unentwegt hin und her, und die Nachrichten werden vom jeweiligen Empfänger immer laut vorgelesen, so dass der Zuschauer den ganzen Inhalt und Verlauf der Korrespondenz mitverfolgen kann. Bei den Liebeserklärungen angelangt, kürzt Mortadella durch seinen Kommentar „ È un po’ lungo, mi sembra, questo gioco“ das Spiel ab, um schnell ein Heiratsversprechen herbeizuführen. Die ganze Szene wirkt wie ein Spiel, Mortadella selbst bezeichnet sie als „gioco“. Einerseits verleiht das szenische Element, nämlich die ständige Hin- und Herbewegung des Boten, der Szene eine gewisse Mechanik und einen spielerischen Charakter, andererseits baut die Verlangsamung der Kommunikation eine Spannung auf, denn das Publikum muss, um den Inhalt des Briefes zu erfahren, jeweils warten, bis der Empfänger ihn vorliest.

Dieses „Spiel“ ist in den übrigen untersuchten Opere buffe kaum anzutreffen, stammt aber offenbar aus einem typischen lazzo der Commedia dell’arte, dem „dia-logo in terzo“, der folgendermaßen beschrieben wird : „gioco scenico che per riuscire sfrutta lo spazio teatrale del palcoscenico : due personaggi situati ai lati estremi del palco dialogano attarverso un terzo personaggio – un ruolo spesso affidato allo Zanni nella commedia dell’arte – che si sposta incessantemente fra l’uno e l’altro.“609

609 Melania Bucciarelli : „Parto o bella, ma con qual cuore…“. Riflessioni sulla drammaturgia del dramma per musica e il suo rapporto con l’arte comica. In : Paologiovanni Maione und Alessandro Lattanzi (Hg.) : Commedia dell‘Arte e spettacolo in musica tra Sei e Settecento. Neapel 2003, S. 244.

Aus psychologischer bzw. pädagogischer Sicht könnte man dieses „Spiel“ unter die

„Spiele mit willkürlicher Regel“610 einordnen. In dieser Art von Spielen, geht es da-rum, „daß die Willkürregel ein Hindernis liefern soll, mit dem man fertig werden muß“.611 Die Regel würde hier darin bestehen, dass man etwas nicht direkt mündlich mitteilen darf, sondern über den Umweg des vom Diener übermittelten Briefs. In die-sem Fall ist keine Regel vorher ausgemacht, und das Spiel ergibt sich spontan mithilfe des Intriganten Mortadella. Es handelt sich dabei insofern um ein Liebesspiel, als es die spielerische Annäherung zwischen zwei schüchternen Liebenden bewirkt und zu einer Liebeserklärung führt.

L’astratto (III,6)

Eine andere Möglichkeit des Spiels, das in Liebesduetten gelegentlich vorkommt, ist das Spielen einer regelrechten Schauspielszene, also ein „Als-ob-Spiel“. In Piccinnis Oper „L’astratto“ macht sich der bürgerliche Leandro einen Spaß daraus, seiner aus dem Volk stammenden Braut, der Gärtnerin Laurina, die Manieren der höheren Stände beizubringen, indem er eine kleine galante Szene spielt. Im Rezitativ skizziert er die von ihm dabei gespielte Rolle und kündigt somit das „Spiel“ an :

Leandro : (Che spirito ! Che grazia !

Voglio prendermi spasso.) Figuratevi, Che un Cavaliere io sia

Che venga a visitarvi ! Ma di quelli alla moda, Che alle spose d’intorno

Van facendo i galanti, ed i Zerbini : Prima con mille inchini,

Con mille cerimonie io mi presento.

Poi con vezzo così sciolgo l’accento.612

Der Beginn der Als-ob-Szene fällt  – wie es bei solchen „Ebenenwechseln“ in der Opera buffa häufig der Fall ist – mit dem Beginn der musikalischen Nummer zu-sammen. Leandro spielt die Rolle eines galanten, modischen, verführerischen cicisbeo, Laurina geht auf das Spiel ein, ohne jedoch ihre Identität aufzugeben. Im galanten,

610 Vgl. Jean Château : Spiele des Kindes. Stuttgart 1974, S. 51ff. (französische Originalausgabe unter dem Titel Jeux de l’enfant. In : Jeux et Sports. Paris 1968).

611 Ebd. S. 52.

612 Petrosellini/Piccinni : L’astratto o Il giocator fortunato. Venedig 1772 (III,6).

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schmeichlerischen Larghetto (3/4) versucht er zunächst ihre Hand zu küssen. Auf Lau-rinas abwehrende Reaktion hin tut er so, als würde er in Ohnmacht fallen, um das Herz seiner „Beute“ zu erweichen. Als sich dieses Mittel als erfolglos erweist, beginnt nach Leandros rezitativischem Kommentar („Non giovano le buone“) ein neuer ra-scherer musikalischer Abschnitt (Allegro, 2/4), in dem er versucht, sich mit Gewalt seinem „Opfer“ zu nähern („Per forza m’avvicino“), das sich aber entschlossen wehrt („Io prenderò un bastone“). Auch der letzte Versuch mit dem üblichen Entfernungs-spiel scheitert an Laurinas Unerschütterlichkeit. An dieser Stelle fällt Leandro aus dem Rollenspiel in die Wirklichkeit zurück, enthüllt seine echte Identität und bittet Laurina um ihre Hand.

Leandro : Ah Sposa fedele Leandro son io.

Vi chiedo ben mio La destra, e l’amor.

Laurina : Leandro voi siete ? Che gioja ch’io provo : Tenete, tenete La mano, ed il cor.613

Der Rollenwechsel wird musikalisch durch einen abrupten Tempo- und Taktwechsel untermalt – vom raschen, entschlossenen Allegro im 2/4-Takt des gewalttätigen Cava-liere hin zum weichen und wiegenden Andantino im 6/8-Takt, der dem zärtlich lieben-den Leandro entspricht (s. Notenbeispiel 23, S. 189).

Von hier an mischt sich das Spiel mit der Wirklichkeit : Leandros explizite Ankün-digung über seinen Rollenwechsel („Leandro son io“) sollte eigentlich ein klares Sig-nal für das Ende des Als-ob-Spiels sein, aber Laurina gibt sich überrascht, spielt also das Rollenspiel gewissermaßen weiter. Sie fragt sicherheitshalber nach, ob er wirklich Leandro ist, und reicht ihm schließlich die Hand, wodurch die Hochzeit symbolisch besiegelt wird. Laurinas Überraschung über die wahre Identität ihres Gegenübers und ihre Nachfrage („Leandro voi siete ?“) kann nur gespielt sein, aber die Freude ist echt, wie der darauffolgende typische Schluss-Jubel im a due („Evviva gli sposi / Evviva l’amor“) beweist, dem sich unüblicherweise alle übrigen Personen im Tutti

Von hier an mischt sich das Spiel mit der Wirklichkeit : Leandros explizite Ankün-digung über seinen Rollenwechsel („Leandro son io“) sollte eigentlich ein klares Sig-nal für das Ende des Als-ob-Spiels sein, aber Laurina gibt sich überrascht, spielt also das Rollenspiel gewissermaßen weiter. Sie fragt sicherheitshalber nach, ob er wirklich Leandro ist, und reicht ihm schließlich die Hand, wodurch die Hochzeit symbolisch besiegelt wird. Laurinas Überraschung über die wahre Identität ihres Gegenübers und ihre Nachfrage („Leandro voi siete ?“) kann nur gespielt sein, aber die Freude ist echt, wie der darauffolgende typische Schluss-Jubel im a due („Evviva gli sposi / Evviva l’amor“) beweist, dem sich unüblicherweise alle übrigen Personen im Tutti