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Im vorangegangenen Kapitel wurde bereits dargestellt, nach welchen Kriterien die Mutter eines Kindes bestimmt wird und wie die Mutterschaft dogmatisch funktioniert. Nachdem Verwandtschaft sich aus den Bausteinen Mutterschaft und Vaterschaft in sowohl aufsteigender wie absteigender Richtung vollumfänglich definieren lässt, soll nun die Vaterschaft untersucht werden. Dabei ist es zunächst nicht entscheidend, ob man von einer Blutsverwandtschaft oder eine rechtlichen Verwandtschaft ausgeht. Verwandtschaft entsteht immer aufgrund Mutterschaft oder Vaterschaft, dann ist eben nur die Frage, ob die rechtliche oder die biologische jeweils entscheidend ist. Es muss daher untersucht werden, ob auch für die Vaterschaft stets die biologische oder die rechtliche Vaterschaft den Baustein für die Verwandtschaft darstellt, bevor abschließend ein System der Verwandtschaft aufgezeigt werden kann. Auch hier ist zunächst wieder zu untersuchen, wie die Abstammung im Sinne des § 1592 BGB zu verstehen ist, bevor der Zusammenhang zwischen § 1589 und § 1592 BGB dargestellt werden kann.

Dabei soll vorab der Frage nachgegangen werden, inwiefern die in der Literatur heftig diskutierten Fragen der Abstammungsprinzipien überhaupt eine Rolle für die Dogmatik der Vaterschaft spielen und wenn ja welche, bevor auf die Begründung und Beendigung der Vaterschaft eingegangen wird.

1) Gewicht der „Abstammungsprinzipien“

In der Literatur wurde teilweise versucht, jedem der drei Tatbestandsalternativen des § 1592 BGB ein Prinzip zuzuordnen. Nach diesem behaupteten Prinzip solldie Vaterschaft nach Ansicht dieser Literaturmeinungen jeweils begründet werden.286 Dabei wurden als Gründe für die Herstellung der Abstammung die „biologische Abstammung“ und der „Wille zur Vaterschaft“ oder die

„Wahrscheinlichkeit der Abstammung“ herangezogen. Diese seien jeweils in den unterschiedlichsten Mischformen oder in Reinform Grund für die verschiedenen Formen der Zuordnung nach den §§

1592, 1593 BGB. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Abstammungsprinzipien für die vorliegende Arbeit eine Rolle spielen- Da in der Arbeit ein System des Abstammungsrechts entwickelt werden soll, stellt sich also die Frage: „Beeinflussen diese Prinzipien die Auslegung der §§ 1592ff BGB?“

(a) Darstellung und Analyse der Literatur

Luh gewinnt beispielsweise durch die eingehende Analyse der Abstammungsnormen §§ 1591ff BGB zwar durchaus Erkenntnisse über die dem Abstammungsrecht zugrunde liegenden Wertungen287 und verbessert damit sicherlich auch das Verständnis der Grundgedanken hinter den Normen. Eine Rolle

286 eine ganze Monographie widmet diesem Thema Luh, Die Prinzipien des Abstammungsrechts.

287 Luh, Die Prinzipien des Abstammungsrechts, S. 282ff.

bei der Auslegung der Normen spielen diese Erkenntnisse jedoch nicht. Vielmehr werden daraus insbesondere Erkenntnisse für ein mögliches Abstammungsrecht de lege ferenda gefunden.288

Das liegt sicherlich einerseits daran, dass die Normen in weit geringerem Umfang auslegungsbedürftig sind als andere Normen, die in ihrem Sprachgebrauch wesentlich unpräziser sind. Die §§ 1591ff BGB sind „technische“ Normen, die mit einigen wenigen Tatbestandsmerkmalen auskommen, die einer wertenden Auslegung nicht zugänglich sind.

Im Übrigen stellt sich bei der Auslegung nach der ratio legis die Frage, ob Zweck dieser Normen tatsächlich die in der Literatur dargestellten Prinzipien sind. Ebenfalls in Frage kommt, dass diese technischen Normen vielmehr nur die Zuordnung eines Kindes bezwecken. Wenn die Normen derart konzipiert sind und keine übergeordneten Prinzipien regeln, läuft der Rechtsanwender Gefahr, durch eine Gewinnung der Prinzipien einem Zirkelschluss zu erliegen. In einem ersten Schritt gewinnt man die Prinzipien durch Auslegung aus den Normen und in einem zweiten Schritt legt man sie der Auslegung der gleichen Normen wieder zugrunde und verstärkt somit nur das vorher gefundene Ergebnis.

Bei technischen Normen wäre vielmehr davon auszugehen, dass die den Zuordnungskriterien zugrundeliegenden Ideen durch die Konkretisierung im Gesetz konsumiert sind. Durch das Anknüpfen an weitgehend eindeutige Vorgänge, wie die „Geburt in der Ehe“, „Anerkennung durch den Vater“ und „Feststellung durch das Gericht“ hätte sich die textliche Fassung vollständig vom Zweck gelöst. Für eine Auslegung anhand dieser Prinzipien wäre dann kein Raum, da diese von den Tatbestandsmerkmalen konsumiert sind und nicht erneut bei einer teleologischen Auslegung heranzuziehen sind. Ansonsten käme es zu einer Überbetonung der jeweiligen hinter der Norm stehenden Prinzipien über den Wortlaut und Telos der Norm hinaus.

Tatsächlich besteht auch hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen der jeweiligen Normen vorliegen, kaum Streit, so dass für eine Auslegung von Zweifelsfragen anhand der ratio ohnehin kein Raum besteht. Die Diskussionen verlaufen alle um dahinterstehende systematische und dogmatische Probleme. Allenfalls einige wenige Einzelprobleme werden in der Literatur diskutiert, die sich insbesondere auf die Konkurrenz mehrerer Formen von Vaterschaft wie Anerkennung trotz Ehe, doppelte pränatale Anerkenntnisse u.ä. beziehen.289 Aber auch hier können die Prinzipien keinen Beitrag zur Lösung leisten, weil eine Rangfolge der Prinzipien, wie sie dann nötig wäre, nicht existiert.

288 Luh, Die Prinzipien des Abstammungsrechts, S. 285ff.

289 dazu Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 318 ff.

(b) Fazit

Meines Erachtens ist es daher für die Anwendung der Normen irrelevant, ob die Abstammung in der Ehe auf einer „Wahrscheinlichkeit der Abstammung“ beruht oder anderen gesetzgeberischen Erwägungen. Die Rechtsfolgen, Abstammung vom Ehemann der Mutter bei Geburt, sowie die Auslegung der Voraussetzungen „Ehe“, „Mutter“, „Geburt“ werden dadurch nicht beeinträchtigt. Das gilt auch für die exakt gleiche Frage bei der Anerkennung und der Feststellung. Die Frage mag rechtspolitisch interessant sein, dogmatisch führt sie nicht weiter.

Die Prinzipien sollen also im Folgenden keine (relevante) Rolle spielen. Lediglich dort, wo sie in der Literatur zur Lösung von Problemen herangezogen werden, wird darauf zurückzukommen sein.

2) Begründung und Beendigung von Vaterschaft

Nachdem nun die behaupteten Abstammungsprinzipien als Einfluss auf die Auslegung ausgeschieden werden konnten, widmet sich der folgende Abschnitt der Frage, wie die Vaterschaft in dogmatischer Hinsicht entsteht und beendet wird. Das umfasst die Frage des Entstehungs- und Beendigungszeitpunkts sowie die Frage der jeweiligen Mechanismen. Das Ergebnis wiederum muss in einen Bezug zu § 1589 BGB gesetzt werden, um die Frage, wann Personen miteinander väterlicherseits verwandt sind, beantworten zu können.

Die Vaterschaft findet seit dem KindRG ihre Regelung in § 1592 BGB. Dabei existieren drei Varianten für ihre Begründung: Ehe mit der Mutter bei Geburt (§ 1592 Nr. 1 BGB), Anerkennung durch den Mann (§ 1592 Nr. 2 BGB) und gerichtliche Feststellung der Vaterschaft (§ 1592 Nr. 3 BGB).

Fraglich ist hier insbesondere, ob eine Verwandtschaft mit dem Erzeuger (im Folgenden biologischer Vater) ab Geburt auch ohne Statusakt entsteht und wie das Verhältnis des Kindes zum nicht-biologischen, aber rechtlich zugeordneten Vater (im Folgenden Scheinvater) ausgestaltet ist. Hierauf wird ein Schwerpunkt zu legen sein, um Aussagen darüber treffen zu können wie und wann Vaterschaft im Sinne des § 1592 BGB entsteht.

(a) Sachstand in der Literatur

Bevor in eine eigene Auslegung der Normen eingetreten werden kann, soll zunächst anhand des Sachstands in der Literatur die relevanten Problemkreise dargestellt werden. Im Rahmen der Begründung und Beendigung der Vaterschaft bestehen hier insbesondere folgende Teilkomplexe, die anhand der herrschenden Meinung in der Literatur dargestellt werden sollen und anschließend auf ihre Ursprünge und ihre Relevanz sowie auf ihre dogmatische Notwendigkeit und Alternativen hin untersucht werden.

(aa)Die Rechtsausübungssperren

Als erste Anomalie sollen die Rechtsausübungssperren betrachtet werde. Diese können, um es mit den Worten von Eggert290 zu formulieren, als „Rätselecke“ des Vaterschaftsrechts gelten.

Mit § 1594 I, 1599 I, 1600d IV BGB finden sich im heutigen BGB gleich drei Normen, die von der Literatur und Rechtsprechung als sogenannte Rechtsausübungssperren eingeordnet werden. Ihrer Struktur nach verbieten die ersten beiden die Geltendmachung der Rechtswirkung der Vaterschaft, solange nicht die Anerkennung oder die gerichtliche Feststellung voll wirksam sind. § 1599 I BGB hingegen regelt den Fall, dass die Vaterschaft entfallen soll. Die Existenz solcher Normen ist insofern ungewöhnlich, weil auf den ersten Blick bereits alleine die Tatsache, dass die Anerkennung oder Feststellung noch nicht erfolgt sind, der jeweilige Tatbestand des § 1592 Nr. 2 oder § 1592 Nr. 3 BGB noch gar nicht erfüllt sind und so schon per Definition keine Vaterschaft vorliegen kann. Dieser scheinbare Widerspruch hat denn auch zu vielen Auslegungsschwierigkeiten geführt und zu Rückschlüssen auf das System der Vaterschaft insgesamt.

(aaa) §§ 1594 Iund 1600d Abs. 4 BGB

So sollen die beiden erstgenannten Normen nach Ansicht der h.M. deutlich machen, dass Ansprüche zwischen Vater und Kind vor Anerkennung und Feststellung schon bestehen, aber nicht geltend gemacht werden können,291 diese Ansprüche seien suspendiert.292 Das umfasse Unterhaltsansprüche, Erbrechte, Pflichtteilsansprüche und das Umgangsrecht. Allerdings komme unter gewissen Umständen eine Durchbrechung in Frage.293 Inzidentfeststellungen der Vaterschaft bzgl. dieser Ansprüche seien wegen dieser Normen verboten, diese Feststellung daher generell dem Statusverfahren vorbehalten.294

(bbb) § 1599 I BGB

§ 1599 I BGB soll die Rechtsausübungssperren aus § 1594 I und § 1600d Abs. 4 BGB ergänzen, also die Inanspruchnahme des Scheinvaters bis zur Anfechtung sicherstellen und die anderen möglichen biologischen Väter sperren.295 Die Norm verhindere das Bestreiten der Vaterschaft des zugeordneten Mannes.296 § 1599 I BGB verhindere unkontrollierte „Inzidentanzweiflungen“ der Vaterschaft.297

290 Eggert, MDR 1974, 445.

291 Hahn, in: BeckOK-BGB (29), § 1600d Rn 12; Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1600d Rn 117; Huber, FPR 2005, 189, 189; Gaul, FamRZ 1997, 1441, 1449; Rauscher, FPR 2002, 359, 360f.

292 Schmidt-Recla, in: Soergel (13), § 1594 Rn. 13.

293 Hahn, in: BeckOK-BGB (29), § 1600d Rn 12.

294 Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1600d Rn. 89.

295 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6) § 1600d Rn 117; Schwab, Familienrecht, Rn. 553.

296 Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1600d Rn 91.

297 Schmidt-Recla, in: Soergel (13), § 1592 Rn 37.

(ccc) Allgemeine Folgen

Wegen der Sperren können Ansprüche nicht verjähren, weil sie noch nicht im Sinne des § 1599 I Nr. 1 BGB entstanden sind.298 Auch der Schuldnerverzug ist daher ausgeschlossen.299

(ddd) Sachliche Reichweite

Über die Sperrung von Ansprüchen hinaus verböten die Normen generell, die biologisch wahre Abstammung rechtlich zu beachten.300 Damit ist gemeint, dass auch die Tatsache der anderweitigen als der durch § 1592 BGB vorgegeben Vaterschaft unbeachtlich sein soll. So bspw. wenn die fehlende Abstammung vom Ehemann zum Beweis eines außerehelichen Geschlechtskontakts bemüht werden soll und nicht nur Ansprüche aus der Vaterschaft geltend gemacht werden sollen.

(bb) Beginn der Vaterschaft mit Geburt: die latente Vaterschaft

Wie oben (S. 75) gezeigt, werden die Rechtsausübungssperren als Argument dafür bemüht, dass die Ansprüche aus der Vaterschaft ab Geburt bestehen.301 Weil diese Vaterschaft aber keine Rechtswirkungen zeitigt, denn diese sollen ja gesperrt sein, wird diese von der Literatur behauptete Vaterschaft im Folgenden als „latente Vaterschaft“ bezeichnet. Diese Meinung zeigt sich in Formulierungen wie „Die Anerkennung begründet den gesetzlichen Vaterschaftsbestand des § 1592 Nr. 2 und bestätigt das zwischen dem Kind und seinem Vater von Geburt an bestehende echte Verwandtschaftsverhältnis iSv § 1589 S. 1 […]“.302 Es wird behaupte, die Existenz der Rechtwirkungen der Vaterschaft sei von diesen Normen (§§ 1592ff BGB) unberührt, das Kind sei kraft der biologischen Abstammung nicht vaterlos303 und die Unterhaltsansprüche bestünden von Geburt an, seien aber gehemmt.304

Das wird noch deutlicher, wenn man auch die Frage der Verwandtschaft generell mit in die Betrachtung einbezieht. Die Kommentierungen zu § 1589 BGB beinhalten vielfach die Aussage:

Verwandtschaft entsteht durch Geburt oder Adoption,305 also durch Blutverwandtschaft.

Abkömmlinge seien alle Blutsverwandten absteigender Linie inkl. Adoptivkindern.306 § 1589 S. 1 BGB

298 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1600d Rn 118; Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1594 Rn. 15; Schmidt-Recla, in: Soergel (13), § 1594 Rn. 14.

299 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1600d Rn 118.

300 Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1594 Rn. 8.

301 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 133.

302 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1594 Rn 17; Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1600d Rn 90.

303 Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1594 Rn 8.

304 Schmidt-Recla, in: Soergel (13), § 1594 Rn 14.

305 Schmidt-Recla, in: Soergel (13), Vor §§ 1589 ff Rn 20, § 1589 Rn 1; Hahn, in: BeckOK-BGB (29), § 1589 Rn 1;

Rauscher, in: Staudinger-BGB (Neubearbeitung 2011), § 1589 Rn 20, 21.

306 Hahn, in: BeckOK-BGB (29), § 1589 Rn 2.

wird in der Literatur immer wieder als Argument dafür bemüht, dass die Verwandtschaft mit Geburt entsteht.307

(cc)Konstitutive oder deklaratorische Zuordnung

Ebenfalls auf das Engste mit den beiden vorangegangenen Fragen verwoben ist die Frage, ob die Zuordnung durch Anerkennung oder Feststellungsbeschluss ein konstitutiver oder ein deklaratorischer Akt ist.308 Dahinter steht die gleiche Problematik, die auch hinter der Anerkennung einer latenten Vaterschaft steht. Wenn man eine latente Vaterschaft anerkennt, dann beseitigt die Anfechtung und die anschließende Anerkennung oder Feststellung nur die Wirkung der Rechtsausübungssperren und gibt den Blick auf die schon ab Geburt bestehende, eben latente Vaterschaft frei. Dann ist die Feststellung und Anerkennung nur deklaratorisch und hat keine vaterschaftsbegründende Wirkung.309 Teilweise wird dann für die biologisch unzutreffende Anerkennung und Feststellung, die ja nicht nur den Blick freigeben kann, ausnahmsweise eine konstitutive Wirkung angenommen.310

Nimmt man umgekehrt an, die Vaterschaft bestehe nicht schon latent, sind Anfechtung und Zuordnung zwingend konstitutiv, begründen also die Vaterschaft erst.

Hingegen ist mit dieser Frage nicht notwendig die Rechtsnatur des Beschlusses nach § 1600d BGB verbunden. Auch bei rein konstitutiver Entscheidung kann ein Gestaltungsurteil vorliegen (siehe dazu S. 208).

(dd) Rückwirkung

Ebenfalls mit diesen Fragen verknüpft ist die Frage einer Rückwirkung von Zuordnung und Anfechtung. Für die Befürworter einer latenten Vaterschaft ergibt sich die Rückwirkung schon aus der Natur der Sache, denn der Vater war ja von Geburt an der Vater. Eine echte technische Rückwirkung der Zuordnung müssten sie daher eigentlich nur bemühen, wenn ein Vater festgestellt wird, der nicht der biologische Vater ist. Trotzdem wird hier davon gesprochen, dass die Anerkennung „rechtsgestaltend auf den Zeitpunkt der Geburt zurück“ wirke.311

(ee)Fazit

Dieser kurze Einblick in die herrschende Meinung zu Begründung und Beendigung der Vaterschaft zeigt grundsätzlich ein homogenes Meinungsspektrum, die sich allenfalls in Nuancen unterscheidet,

307 Billig, Der scheidungsakzessorische Statuswechsel gemäß § 1599 II BGB, S. 103; Veit, FamRZ 1999, 902, 904.

308 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 134.

309 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1594 Rn 17.

310 Rauscher, in: Staudinger, § 1592 BGB Rn 34.

311 Wellenhofer, in: MüKo-BGB (6), § 1594 Rn 16.

ohne dass es sich bei diesen Nuancierungen meiner Meinung nach um absichtliche Abweichungen handelt. Diese Äußerungen finden sich so in allen Kommentaren und wird auch monographischen Arbeiten zu Grunde gelegt.

Dabei ist auffällig, dass diese Meinung nicht widerspruchsfrei ist. So soll zwar einerseits die Verwandtschaft ab Geburt bestehen und so die Feststellung nur deklaratorisch sein, aber gleichzeitig die Anerkennung rechtsgestaltend zur Geburt zurückwirken. Wieso aber soll eine solche Rückwirkung nötig sein, wenn die Ansprüche bereits bestehen und nur nicht geltend gemacht werden können?

Auch mutet die Konstruktion einer wirkungslosen „latenten Vaterschaft“ auf den ersten Blick seltsam an.

Es soll daher untersucht werden, ob die §§ 1594, 1600d Abs. 4, 1599 I BGB tatsächlich Argumente für die Existenz solcher latenter Ansprüche sind und ob die „latente Vaterschaft“ im System des Abstammungsrechts eine sinnvolle Funktion hat, oder ob sie lediglich ein funktionsloses Argumentationsgerüst ist, das möglicherweise für die Begründung einer vom Gesetz abweichenden Ansicht bemüht werden kann.

3) Einordnung des § 1592 BGB in der Literatur

Zu beginnen hat die Untersuchung aber bei der Grundnorm der Vaterschaft: § 1592 BGB.

Möglicherweise gibt schon sie allein den Ausschlag in eine bestimmte Richtung.

Nachdem aber Dreh- und Angelpunkt der Argumentation für eine latente Vaterschaft in der Literatur die Rechtsausübungssperren sind, soll später in jedem Fall ausführlich auf diese eingegangen werden und dabei die jeweils aufgeworfenen Fragen beantwortet werden.

Relevant ist hier die, vor allem von Vollersen diskutierte Frage312 nach der rechtstheoretischen Einordnung des § 1592 BGB. Für die Systematik des Abstammungsrechts macht es m.E. einen erheblichen Unterschied, ob es sich in der Terminologie von Vollersen um eine Vermutungsregel, eine Fiktion, eine unwiderlegliche Vermutung oder um eine Definition handelt oder ob gar ein gemischter Typ vorliegt oder ob einer materiell-prozeduralen Deutung der Vorzug zu geben ist.313 Die Einordnung der Norm ist insbesondere für die Anerkennung einer latenten Vaterschaft und für die Frage einer Rückwirkung von Relevanz. Denn die Einordnung als Vermutung würde klar für die Existenz einer latenten Vaterschaft sprechen, die lediglich prozessual durch die Vermutung verdeckt wird.

312 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 87ff.

313 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 88ff.

Gerade bei dieser Frage zeigt sich m.E., dass die oben erörterte Diskussion (S. 72) um die Prinzipien und die Regelungsidee des § 1592 BGB nicht nur irrelevant ist, sondern sogar geeignet ist, Verwirrung zu stiften.

(aa)§ 1592 Nr. 1 BGB als Vermutung?

So wird in der Literatur bzgl. § 1592 Nr. 1 BGB oft argumentiert, es läge eine gesetzliche Vermutung vor, weil das Gesetz aufgrund bestimmter sozialer Umstände die Vaterschaft annehme.314 Damit wird aber m.E. in unzulässiger Weise eine Vermischung zwischen dem Grund für die Regelung und ihrem Inhalt vorgenommen. Tatbestand der Norm ist mit der Ehe tatsächlich ein sozialer Umstand und ebenso, mit der Geburt in der Ehe, eine Tatsache. Aber nicht jede Norm, die typisierend eine soziale Wirklichkeit aufnimmt und ihr eine Rechtsfolge gibt, ist eine Vermutung. Eine Vermutung liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Gesetzgeber einen typischen Sachverhalt als Anknüpfungspunkt nimmt, um auf eine andere Tatsache zu schließen.

Mit der Einordnung der Norm als Vermutung wird daher wohl vor allem eines ausgedrückt:

Vaterschaft soll eine Tatsache sein und kein Rechtsbegriff. Denn nur eine Tatsache kann vermutet und dann nach § 292 ZPO widerlegt werden.

Als Prämisse nimmt daher diese Ansicht hin, dass dem Abstammungsrecht des BGB die biologische Abstammung zugrunde liegt. Dieser Grundsatz wird dem § 1589 BGB entnommen.315 Daher ist Vollersen dahingehend zuzustimmen, dass einiges dafür spricht, dass entweder der Sprachgebrauch der Autoren ungenau ist oder aber der Widerspruch zwischen rechtlicher und biologischer Vaterschaft durch diese Terminologie überdeckt werden soll.316 Letztlich dürfte es sich aber bei vielen dieser Beiträge auch einfach um solche handeln, die nicht eine rechtstheoretische oder rechtsdogmatische Einordnung der Norm vornehmen. Vielmehr handelt es sich um Erörterungen der Frage, ob die Regelung sinnvoll ist.317

Die entsprechende Passage bei Luh beispielsweise stellt explizit darauf ab, dass die Regelung

„gerechtfertigt erscheint“, gerade weil für diese „gesetzliche Vermutung“ eine Korrekturmöglichkeit durch Anfechtung bleibt. Eine echte normtheoretische Einordnung dürfte damit sicherlich nicht verbunden sein, vielmehr dient die Benennung als Vermutung hier nur der Darstellung der Möglichkeit der Anfechtung und der Beantwortung der Frage, ob das Prinzip

314 dazu Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 90.

315 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 161ff.

316 Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 91f.

317 das klingt auch bei Vollersen, Begriff und System des deutschen Abstammungsrechts, S. 95 an, wenn er sich mit den „gemischten Ansätzen“ auseinandersetzt.

„Abstammungswahrheit“ hier noch ausreichend verwirklicht ist.318 Es handelt sich um eine spezifisch rechtspolitische Äußerung, nicht um eine dogmatische. Die weitere Verwendung in der Diskussion um Reformvorschläge hingegen zielt auf die Debatte vor Geltung des KindRG ab, als die Terminologie der Ehelichkeitsvermutung für § 1591 BGB allgemeine Ansicht war.319 Auch bei der Diskussion des KindRG wird der Begriff Vaterschaftsvermutung verwendet,320 insbesondere unter Verweis auf einen Beitrag von Gaul.

Dieser formuliert zwar tatsächlich eine Vaterschaftsvermutung, er stellt diese jedoch eher der vor dem KindRG geltenden zweistufigen Vermutung in Beischlafvermutung und Zeugungsvermutung als kombinierte Ehelichkeitsvermutung gegenüber und bezeichnet sie daher im Gegensatz dazu als

„Vaterschaftsvermutung“. Eine Auseinandersetzung damit, ob es sich überhaupt um eine Vermutung handelt, findet auch dort nicht statt. Vielmehr wird nur die Einstufigkeit der Vermutung hervorgehoben und somit scheinbar einfach das vor dem KindRG geltende System der Vermutung unreflektiert übernommen. 321

Die Verwendung der Wortes „gilt“ bei Luh322 ist im Zusammenhang mit der Formulierung „in § 1592 Nr. 1 BGB enthaltene gesetzliche Vermutung“ zu sehen.323 Auch hier ist m.E. weniger eine rechtstechnische Einschätzung der Autorin zu sehen, als vielmehr eine Beschreibung der Zustands, dass die Zuordnung in Anbetracht der Korrekturmöglichkeiten eine vorläufige ist und dass der Norm eine Vermutung zugrunde liegt.

Die Formulierung an dieser Stelle der Untersuchung Luhs stimmt mit der Wortwahl von Eckersberger überein, der an dieser Stelle auch zitiert wird.324 Auch dort findet sich jedoch keine Auseinandersetzung mit dieser Terminologie. Vielmehr ist auch hier das Hauptaugenmerk der Arbeit auf die vertragliche Disposition über das Abstammungsrecht nach heterologer Insemination, sowie auf die Beseitigung durch Anfechtung gerichtet. Die Äußerungen sind daher in diesem Zusammenhang zu verstehen, so dass nicht von einer reflektierten Meinung in normtheoretischer Hinsicht gesprochen werden kann.

Auch der von Vollersen zum Beleg für die Existenz einer solchen Literaturmeinung angeführte Beitrag

Auch der von Vollersen zum Beleg für die Existenz einer solchen Literaturmeinung angeführte Beitrag