• Keine Ergebnisse gefunden

Hypothesen zum Staatszerfall

Im Dokument Instabile Staatlichkeit (Seite 47-50)

Zusammenfassend kann der postkoloniale afrikanische Staat als ein äußerst fragiles Gebilde gekennzeichnet werden. Er entstand als Resultat der während der imperialen Eroberung statt-findenden Einbindung Afrikas als Rohstoff- und Primärgüterlieferant in den Weltmarkt. Mit der nachkolonialen Aneignung des kolonialen Produktionssektors und Staatsapparates durch die afrikanischen Eliten wurde zwar die unmittelbare Fremdherrschaft beendet, nicht jedoch der unter Weltmarktbedingungen gesetzte anonyme Zwang zur Kapitalverwertung. Während des Kolonialismus und der ersten postkolonialen Dekaden wurde die zuvor hausgemeinschaft-lich organisierte Subsistenzökonomie unter die Abhängigkeit kapitalistischer Verwertung ge-stellt, ohne jedoch die tradierten Produktionsformen vollständig zu ersetzen. Traditionelle und moderne Produktionsformen verbanden sich und gingen in der hier als postkolonial bezeich-neten Produktionsweise eine labile Verbindung ein, die aufgrund der subordinierten Stellung afrikanischer Ökonomien im Weltmarkt zunächst nur geringe, später zumeist stagnierende bis negative Produktivitäts- und Wachstumsdynamiken aufwies. Die steigende Weltmarktabhän-gigkeit bei tendenziell und real sinkenden „terms of trade“ führten schließlich zu einer zuneh-menden Informalisierung der Ökonomie, wobei die Vielfalt der entstehenden informellen Prak-tiken die verschiedenen Überlebensstrategien der in die kaum vorhandene Lohnarbeit freige-setzten und somit unter Weltmarktbedingung überflüssig gewordenen Menschen widerspiegelt.

Auf der Basis dieser nur unvollkommen durchgesetzten arbeitsgesellschaftlichen Formie-rung konnte sich eine dem bürgerlichen Staat entsprechende abstrakte Form staatlicher Herr-schaft nicht herausbilden. Entlang der im Verlauf der Weltmarkteinbindung neu- und uminter-pretierten „traditionalen“ Zugehörigkeiten bemächtigte sich der koloniale und später postkolo-niale Staatsapparat der verschiedenen sozialen Gruppen, um sich über deren selektive Einbin-dung in den staatlichen Verwaltungsapparat in der Gesellschaft zu verankern. Damit konnte der Staat sich nicht als übergeordneter Garant des gesellschaftlichen Allgemeininteresses kon-solidieren, sondern blieb als eine Form der „intermediären Herrschaft“ (Trotha) sowohl der Konkurrenz anderer Instanzen sozialer Kontrolle als auch dem Druck partikularer Interessen ausgesetzt (vgl. Schlichte 2000: 164ff.; Schlichte/Wilke 2000: 362). Den fortbestehenden zentrifugalen Tendenzen konnte und kann sich die postkoloniale Staatselite nur erwehren, in-dem sie die staatlichen Ressourcen und Revenuen entlang der etablierten Klientel-Kanäle

um-verteilt, eine Praxis, die als Korruption oder Nepotismus gebrandmarkt und fälschlicherweise oft als Ursache der gescheiterten postkolonialen Staatskonsolidierung benannt wird.

Durch den seit Ende der 1970er Jahre sichtbar werdenden wirtschaftlichen Niedergang und die kurze Zeit später mit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes deutlich reduzierte Ali-mentierung des Staatsapparates entweder durch die ehemaligen Mutterländer und/oder durch die Supermächte schränkte sich der Umverteilungsspielraum der herrschenden staatlichen Akteure gegenüber ihrem Klientel, zu dem auch die per Einbindung ins Klientelsystem wenig-stens zeitweilig neutralisierten Oppositionsgruppen gehören, deutlich ein. Hinzu kommen die Stabilisierungsversuche von IWF und Weltbank, die mittels einer Verschlankung des Staats-apparats durch die Privatisierung vieler seiner Funktionen die Wirtschaftlichkeit der Staaten erhöhen und deren Weltmarktposition verbessern sollen. Aufgrund der fortbestehenden Ursa-chen der Fragilität und der aufgeblähten Konsumtion postkolonialer Staaten führten die Strukturanpassungsprogramme allerdings nicht selten zu entgegengesetzten Ergebnissen (vgl.

Hibou 1999). Es sind ja gerade die staatlichen Klientelsysteme, die den fragilen postkolonialen Staat zusammenhalten. Wirtschaftlich starke Staaten können auf die in der globalisierten Ökonomie bestehende Standortkonkurrenz mit der kontrollierten Umsetzung von Privatisie-rungen, mittels derer bislang staatliche Aufgabenfelder durch private Organisationen ersetzt und die den kapitalistischen Verwertungsprozeß belastenden „faux frais“ verringert werden, reagieren. In den postkolonialen Staaten, in denen das Gewaltmonopol nur bedingt durchge-setzt ist, ist das nicht möglich. Hier stellt gerade das Zurückweichen des staatlichen Komman-dos und die Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente die Einheit des Staates und seine Funk-tionsfähigkeit in Frage. Strukturanpassungen und wirtschaftliche Liberalisierung führen daher zu einer weiteren Schwächung des Staates, der dann zunehmend mit Gewalt reagiert oder/und zersplittert (vgl. Reno 1998: 45f.; Mbembe 2000: 18).

Das Phänomen des Staatszerfalls verdeutlicht daher weniger die „bad politics“ oder über-kommene staatliche Lenkung, als vielmehr den unter Weltmarktbedingungen bislang geschei-terten kapitalistischen Formierungsprozeß dieser Weltregion. In dem Maße, in dem sich eine Volkswirtschaft der Erschöpfung nähert, wird die Eskalation der verschiedensten Formen pri-vater Gewaltanwendung zum regulativen Ausgangspunkt neuer gesellschaftlicher Organisie-rung. Mit dem Verlust des staatlichen Kommandos werden die in den fragilen Staaten sowieso bestehenden ”gewaltoffenen Räume” in ”Gewaltmärkte” (Elwert 1997) verwandelt. Darunter versteht Georg Elwert

”als Bürgerkriege, Kriegsherrensysteme oder Räubertum bezeichnete Konflikte, bei de-nen unter der Oberfläche weltanschaulicher und machtpolitischer Ziele oder vorgeblich traditionell bestimmter Kampfverpflichtungen das ökonomische Motiv des Profits domi-niert” (ebd. 87f.).

Die Bürgerkriege und die Warlordpolitik sind somit nicht als Ursache sondern als Folge der gescheiterten Modernisierungsbemühungen anzusehen; sie lassen das Scheitern zutagetreten, beschleunigen es und geben ihm seine besonderen Ausprägungen. Zwar ist es nicht zwangsläu-fig, daß die Gewaltmärkte sich verselbständigen und wie in Somalia zum vollständigen Zu-sammenbruch jedweder staatlichen Ordnung führen. So ist es denkbar und in manchen afrika-nischen Staaten (z.B. Uganda) auch geschehen, daß alte oder neue Herrschaftsgruppen ein re-latives staatliches Gewaltmonopol wieder zu festigen oder neu zu etablieren vermögen. In der Regel und unter den beschriebenen Weltmarktbedingungen bleibt die Produktion von Gewalt in den postkolonialen Staaten aber für weite Bevölkerungsteile endemisch.

Um diesen Umstand nicht mißzudeuten, muß die Zentralität der „ökonomischen Imperati-ve” (Elwert 1997: 90), denen diese Produktion von Gewalt folgt, begriffen werden. In den postkolonialen Staaten ist die Tradition eben nicht vorherrschend, sondern lediglich ein über-lebensnotwendiges Standbein der in kaum vorhandene Lohnarbeit freigesetzten Bevölkerun-gen. Diese Situation, auf die traditionellen Subsistenzstrukturen sich nicht mehr zurückziehen,

zugleich, auf dem Weltmarkt angekommen, auf diesem seine Arbeitskraft jedoch nicht repro-duzieren zu können, öffnet innerhalb des spezifischen postkolonialen Staatszerfalls den Weg in die ”Nischenproduktion” der einzig profitablen Gewaltmärkte.

5 Die Fallstudie: Somalia zwischen Staatsbildung und Staatszerfall

Im Dokument Instabile Staatlichkeit (Seite 47-50)