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Hypothesen

Im Dokument Studie zum Verlauf und zur (Seite 42-48)

6 Verzeichnisse

1.4 Hypothesen

In erster Linie waren die folgenden Hypothesen in Bezug auf das MCS-Phänomen zu prüfen:

(1) MCS geht mit einem abgrenzbaren Symptomkomplex/-muster einher.

(2) Beim MCS-Syndrom bestehen statistische Zusammenhänge zwischen den subjektiv angeschuldigten Schadstoffexpositionen und den subjektiv geklagten gesundheitlichen Beschwerden in dem Sinne, dass bestimmte SchadstoffkategorienmitbestimmtenSymptomkategorien assoziiert sind.

(3) MCS wird durch auffällig bzw. nachweislich erhöhte Schadstoffbelastungen induziert/ausgelöst:

(3a) Der Beginn einer MCS-Störung ist durch eine auffällig erhöhte Schadstoffexposition bedingt.4

(3b) Die Symptomauslösung ist bei einer MCS-Störung durch auffällig erhöhte multiple Schadstoffexpositionen getriggert.

4 Bezogen auf die Möglichkeiten einer Beobachtungsstudie, muss es genauer heißen: „… mit einer erhöhten Schadstoffexposition assoziiert“, wobei zusätzlich das Problem des nur schwer zu führenden Expositionsnachweises besteht.

(4) MCS-Beschwerden werden infolge einer besonderen Disposition bzw. einer erhöhten Suszeptibilität bereits durch übliche, nicht auffällig erhöhte („alltägliche“) Fremdstoffexpositionen ausgelöst.

(5) Hyperosmie ist ein Risikofaktor bezüglich MCS.

(6) Die bei „MCS-Patienten“ beobachteten psychischen Störungen sind eine Folge der MCS-Erkrankung und sie treten daher nach dem Beginn der MCS-Erkrankung auf (sekundäre psychische Beeinträchtigungen oder u. U.

auch neurotoxische Symptomatik).

Zu (1): Bestimmte Krankheiten sind in ihrem Verlauf und oft auch in Abhängigkeit vom Schweregrad durch gewisse Symptom- und Befundmuster charakterisiert. In Sonderheit bestehen Symptomenkomplexe (Syndrome 3.

Ordnung) aus einem abgrenzbaren Muster klinisch spezifizierbarer Symptome.

Dies gilt auch für ätiologisch und pathogenetisch definierte Syndrome (Syndrome 1. und 2. Ordnung).5 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich das „MCS-Syndrom“ als klinische Entität ebenfalls durch bestimmte Symptome oder Symptomkonstellationen auszeichnen müsste. Eine dezidiert von betroffenen Personen im Sinne von „MCS“ vorgetragene Krankheitstheorie rechtfertigt noch nicht die Anerkennung als klinische Entität im Sinne der wissenschaftlich-medizinischen Nosologie.

Die Überprüfung der Hypothese, derzufolge MCS mit bestimmten Symptom-profilen assoziiert ist, erfordert zunächst, dass die Einzelsymptomangaben der Patienten zu Symptomkategorien zusammengefasst werden. Zur weiter-gehenden Datenanalyse stehen dann prinzipiell zwei Wege offen: Zum einen lässt sich prüfen, inwieweit die aus der Stichprobe der Umweltambulanz-patienten gebildeten MCS- und Nicht-MCS-Gruppen unterschiedliche Symptomprofile aufweisen. Zum anderen kann untersucht werden, ob in der Gesamtstichprobe Untergruppen („Cluster“) mit jeweils einheitlichem

5 Zu den hier erwähnten Syndromen 1./2./3. Ordnung vgl. Spranger (1996).

profil existieren und inwieweit sich diese mit der MCS-Gruppe zur Deckung bringen lassen. Diese explorative Herangehensweise müsste im Falle eines positiven Ergebnisses durch nachfolgende hypothesenprüfende Studien ergänzt werden, so dass die eigentliche Hypothesenprüfung erst in späteren bzw. unabhängigen Studien erfolgen würde.

Zu (2): Die Fragestellung lautet: Sind die von den Patienten angegebenen Expositionsfaktoren mit den Symptomangaben bzw. mit bestimmten Symptom-mustern assoziiert, bestehen also zwischen den verantwortlich gemachten Noxen und den berichteten gesundheitlichen Beschwerden systematische Zusammenhänge, die sich in einer überzufälligen Häufung bestimmter Beschwerden-Noxen-Kombinationen darstellen? Die Prüfung einer solchen statistischen Assoziation ist nur möglich, wenn es gelingt, Schadstoffkategorien und Symptomkategorien zu bilden, die statistisch gesehen ausreichende Zellenbesetzungen aufweisen.

Zu (3): Einschränkungen bezüglich des Schadstoffspektrums werden vorerst nicht vorgenommen, da die bisherigen MCS-Konzepte und MCS-Fall-definitionen von „multiplen Expositionen“ ausgehen. Eine „auffällig erhöhte“

Exposition liegt vor, wenn genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Expositionsepisode oder eine länger anhaltende Exposition (durch bestimmte Schadstoffe) in ihrem Ausmaß erkennbar über die sonst in der Allgemein-bevölkerung übliche Exposition hinausgeht und sich die MCS-Gruppe hinsichtlich der Exposition statistisch signifikant von der Vergleichsgruppe unterscheidet. Die Erfassung der Exposition geschieht mittels Umweltanalytik oder durch Human-Biomonitoring, ersatzweise über eine umweltmedizinische Expositionseinschätzung unter Beachtung zweckdienlicher anamnestischer Angaben und Befunde (s. die Fragen 21, 25, 28 im Basisdokumentations-bogen). Die Möglichkeiten zu einer verlässlichen Expositionseinschätzung sind besonders bei zeitlich zurückliegenden Expositionen äußerst begrenzt. Da im Rahmen dieser Studie dem Auswertungszentrum keine Labordaten zur Verfügung standen, können lediglich die ärztlichen Expositionseinschätzungen,

wie sie im BDB (Frage 25 und 28) dokumentiert sind, der Auswertung zugrunde gelegt werden. Da im Rahmen der Studie nur eine interne Vergleichsgruppe (Umweltambulanzpatienten ohne MCS) verfügbar ist, lassen sich die angesprochenen Hypothesen hier nur ansatzweise mit Bezug auf diese

„internen Kontrollen“ prüfen.

Zu (4): Die herkömmlichen MCS-Falldefinitionen gehen davon aus, dass Beschwerden bereits durch sehr geringe Schadstoffexpositionen (die bei anderen Personen keine Beschwerden auslösen) hervorgerufen werden. Dies erklärt man sich durch eine besondere Suszeptibilität der MCS-Patienten. In der diesbezüglichen Diskussion spielen genetische Polymorphismen eine heraus-gehobene Rolle, wobei man annimmt, dass bestimmte Genvarianten sich nachteilig auf den Fremdstoffmetabolismus, auf toxikologisch relevante Rezeptoren, Transporterproteine oder auf Entzündungsmediatoren auswirken.

Es war daher nahe liegend, hypothetische Suszeptibilitätsmarker im Hinblick auf ihr Risikopotential zu prüfen. Unter MCS-Patienten sollten Träger bestimmter Allel- bzw. Genotypvarianten überrepräsentiert sein.

Zu (5): Wiederholt wurde die Vermutung geäußert, dass MCS durch eine Hyperosmie begünstigt werde. Es liegt daher nahe zu prüfen, ob Personen mit Hyperosmie gehäuft an MCS leiden oder ob sich unter MCS-Patienten signifikant häufiger Personen befinden, die eine Hyperosmie aufweisen. Die zuletzt genannte Fragestellung kann im Rahmen dieser Studie ansatzweise geprüft werden.

Zu (6): Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass umweltmedizinische Patienten und speziell „MCS-Patienten“ gehäuft an psychischen Störungen leiden. Die Frage lautet, ob die psychischen Störungen (zutreffende Diagnosen einmal vorausgesetzt) eher eine Begleiterscheinung/Folge der MCS-Erkrankung sind oder ob umgekehrt psychische Störungen für MCS-Störungen prädestinieren oder ob die MCS-Störung sogar als „neuartige“ psychosomatische Störung aufgefasst werden kann. In einer Querschnittsstudie können diese Fragen nicht verlässlich geklärt werden. Allerdings lassen sich Anhaltspunkte finden, die

entweder für oder gegen die unter Punkt 6 genannte Hypothese sprechen.

Sofern die psychischen Störungen im Gefolge der fraglichen Umwelt-erkrankungen auftreten (sich also zeitgleich oder mit zeitlicher Verzögerung entwickeln), spräche dies für die genannte Hypothese; treten die psychischen Störungen hingegen deutlich vor der fraglichen Umwelterkrankung auf, so spricht dies eher dagegen.

Der MCS-Verbundstudie, mit Erhebungsphasen im Jahr 2000 und im ersten Halbjahr 2003 (Aufstockung der 2000er Stichprobe), lag ein klinisch-epidemiologischer Forschungsansatz zugrunde, wobei der Zugang über zunächst sechs, später fünf umweltmedizinische Ambulanzen erfolgte. Es handelte sich demnach um eine ambulanzbasierte multizentrische Studie, die primär ein Querschnittsdesign aufwies. Die innerhalb dieses Kerndesigns gewonnenen Daten wurden deskriptiv, konfirmatorisch (hypothesentestend) und explorativ ausgewertet (s. 2.7). Die Teilung der Studienpopulation in eine MCS-Patientengruppe und eine Nicht-MCS-MCS-Patientengruppe und deren Vergleich bezüglich diverser Merkmale kann als Schichtung im Rahmen des Querschnittsdesigns aufgefasst werden. Andererseits entspricht die Aufteilung der Umweltambulanzpatienten in eine Fallgruppe (MCS-Gruppe) und eine interne Vergleichsgruppe (Nicht-MCS-Gruppe) einem Fall-Kontroll-Design mit ambulanzbasierten Fällen und Kontrollen, die im Hinblick auf Expositions- und Risikofaktoren analysiert werden, so dass die Datenauswertung diesbezüglich gleichfalls wie in einer Fall-Kontroll-Studie geschieht.

Wie bereits im ersten Projektbericht ausgeführt, muss das Basisvorhaben in mancherlei Hinsicht als eine Pilotstudie aufgefasst werden. Zum einen wurden neu entwickelte (UmedFB und BDB) oder neu zusammengestellte (GesFB) Fragebogeninstrumente hier erstmals in größerem Umfang bei Umweltambulanzpatienten eingesetzt. Zum anderen erwies sich die Fallidentifizierung und -charakterisierung angesichts der unbestimmten Validität und Reliabilität der Fallkriterien als außerordentlich kritisch; daher auch der ergänzende Zugang via falldefinitionsunabhängiger und explorativer Datenanalyse (s. 2.7). Mit dem Vorhaben wurde versucht, möglichst vielen Anforderungen gerecht zu werden. Dies war methodisch nicht unproblematisch. So musste sorgsam auf die Einschränkungen geachtet werden, die sich aufgrund der methodisch-evaluativen Komponenten für die Datenanalyse und Ergebnis-interpretation ergeben haben.

Im Dokument Studie zum Verlauf und zur (Seite 42-48)