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Historischer Ausblick

Im Dokument 3 Paranoia: Formen der Mediatisierung (Seite 53-65)

Paranoia im New Hollywood

Mit diesen in der Analyse herausgearbeiteten Kriterien ergibt sich nun ein neues Bild von dem, was üblicherweise mit Bezug auf das Kino des New Hollywood unter Paranoia verstanden wird. Wir sind nun nicht mehr angewiesen auf eine interpretationsabhängige und unpräzise Einteilung nach Plotelementen oder Handlungsmustern (wie etwa das Aufdecken einer Verschwörung), sondern können auf der Grundlage der Analyse sehr viel basalere – und formal nachweis-bare – Beziehungen zwischen Filmen etablieren.

Geht man etwa von der Art und Weise aus, wie sich die paranoische Wahr-nehmungsordnung vermittels eines Verfahrens der Kombinatorik aus dem Fragment konstituiert, so kommen einem zunächst Filme in den Sinn wie The Boston Strangler (Richard Fleischer 1968), Symbiopsychotaxiplasm Take One (William Greaves 1971), The Andromeda Strain (Robert Wise 1971), The Conversation (Francis Ford Coppola 1974) oder Apocalypse Now (Francis Ford Coppola 1979). Mit The Boston Strangler etwa tritt ein markantes

kom-Oberflächen Diaphragmen sind, hinter denen der Blick die wahren Träger der Macht und der Wahrheit ausblinzeln könnte.“ Schneider: Das Attentat, S. 591. Hier ist das Verhältnis von Schi-zophrenie und Paranoia in den Kategorien der filmhistorischen Periodisierung Serge Daneys auf den Punkt gebracht. Vgl. Deleuze: Letter to Serge Daney, S. 69 und die Diskussion zu Beginn dieses Kapitels.

123 „For the paranoid awaits those unexpected, detemporalized instances of revelation when patterns magically converge into full-blown assemblages […].“ O’Donnell: Latent Destinies, S. 29.

binatorisches Verfahren auf den Plan, welches den filmischen Bildraum direkt betrifft: Dieser wird häufig, ähnlich wie in Symbiopsychotaxiplasm Take One und einer Sequenz in The Andromeda Strain, zu einem schwarzen, merkwür-dig unterbestimmten Grund, auf dem Räume und Handlungen nur ausschnitthaft und als fragmentarisch markiert zur Darstellung kommen (vgl. Abb. 25). Hiermit wird zum einen eine je spezifische emotionale Distanzierung vom Handlungsge-schehen erreicht (ironisch gewendet in Symbiopsychotaxiplasm, als Nachvoll-zug von Todesstarre in The Andromeda Strain); zum anderen werden die Aus-schnitte, wie in The Boston Strangler virtuos vorgeführt, schier unbegrenzt miteinander kombinierbar.

Abb. 25: Die Erschaffung des Gegenstands durch den Blick in The Andromeda Strain.

In The Andromeda Strain, dessen Plot sich um die Gefährdung der gesamten Menschheit durch ein außerirdisches Virus dreht (eine bezeichnende Drehung des Invasionsmotivs aus den 1950er Jahren), wird das Blicken der Mitglieder des Forschungsteams als Handlung jeweils ins Verhältnis gesetzt zu einem pla-kativen Ausschnitt ihres unterstellten Gesichtsfeldes. Dabei scheint es erst jene Handlung des Blickens zu sein, welche das Bild hervorruft  – entbehren diese visuellen Kurzformeln oder Slogans, um mit Deleuze zu sprechen, doch jeder anderweitigen Einbettung in den filmräumlichen Zusammenhang. Bei Louis Sass ist dieses eigentümliche Verhältnis von Blick und Gegenstand mehrfach beschrieben, besonders eindrücklich in folgendem Erfahrungsbericht eines Schi-zophreniekranken:

Whenever I took my eyes off them [the hospital guards], they disappeared. In fact, eve-rything at which I did not direct my entire attention seemed not to exist. There was some curious consistency in the working of my eyes. Instead of being able to focus on one object and retain a visual awareness of being in a room, a visual consciousness of the number

of objects and people in that room, all that existed was what was directly in my line of vision.124

Wieder ist hier das Phänomen der Relativität von Bewegung angesprochen: Die Eigenaktivität der Objekte findet ihr Pendant in der gottgleichen Allmacht des sie erschaffenden Blicks, der auf einer narzisstischen Ordnung der Wahrnehmung gründet. In The Andromeda Strain ist dieses Verfahren wiederum eingebettet in den Einsatz ganzer Serien zweidimensionaler Bildgebungsverfahren vom Mikros-kop über Landkarten und Überwachungskameras bis zu elektronischen Grafiken.

Die Bedrohung ist von ihrer medialen Präsenz nicht mehr zu trennen, was sich selbst in der Inszenierung ‚gewöhnlicher‘ Räume auswirkt: Mittels der Splitfield Diopter-Linse wird das Bild hier nahezu jeder Tiefendimension ledig gemacht.

Dieses Stichwort führt auf das breite, weil zentrale Themenfeld der medialen Vermittlung, häufig in Verbindung mit einer Verflachung des Raums, wo – stell-vertretend für viele andere – an Filme zu denken wäre wie Coming Apart (Milton Moses Ginsberg 1969), THX 1138 (George Lucas 1971), Westworld (Michael Crichton 1973), Network (Sidney Lumet 1976) oder Capricorn One (Peter Hyams 1977). Hier wird das Kino an sich zum Modell für die phänomenale Realität para-noid schizophrener Erfahrung, wie Patienten sie beschreiben: „I was myself a camera. The views that people obtained through my own eyes were being recor-ded elsewhere to make some kind of three-dimensional film.“125

Das bezwingende Bild, das hier beschworen wird und das sich bis zu unserer Diskussion des Zapruder-Films zurückverfolgen lässt,126 ist das eines Beobach-ters hinter der Kamera. Hierzu sei noch einmal Joan Copjec zitiert: „[…] one is made to look through the eyes of the Other, from which we can take no distance.

The possibility of another, contravening look, always left open in the point-of-view-structure, is for structural reasons blocked off.“127 Copjec mit ihrem Inter-esse an Perversion dreht die Anordnung um: Anstatt dass jemand durch unsere Augen blickt, blicken wir durch die Augen des (großen) Anderen. Entscheidend ist allerdings diese Anwesenheit einer Instanz hinter der Kamera, durch die das, was Vivian Sobchack als Grundschema von Filmwahrnehmung beschreibt, auf einmal die Wahrnehmung der Realität betrifft:

124 Carney Landis: Varieties of psychopathological Experience, zit. nach Sass: Madness and Modernism, S. 277.

125 Morag Coate: Beyond all Reason, zit. nach Sass: Madness and Modernism, S. 286.

126 Vgl. Jean-Baptiste Thoret: 26 Secondes. L’amérique éclaboussée. L’assassinat de JFK et le cinéma Américain. Pertuis 2003. Thoret begreift den Zapruder-Film als Matrix für eine ganze Reihe poetischer Positionen des postklassischen amerikanischen Kinos.

127 Copjec: Imagine There’s No Woman, S. 230.

The schizophrenic disorder […] often involves something like a shift of conceptual attitudes, as if the mental lives of such people were deprived of the vital ballast provided by engage-ment in the processes of life. They are characterized by a certain inertia, involution, and self-preoccupation, and seem preoccupied with „the experience of experience.“128

Besonders pointiert setzt Capricron One diese Idee eines Beobachters hinter der Kamera um. Der Film behandelt eine Verschwörung um eine angebliche Mars-Mission der NASA. Diese Mars-Mission wird vorgetäuscht, und die angebliche Landung auf dem Mars wird im Studio gefilmt – in offensichtlicher Anspielung auf die Ver-schwörungs-Gerüchte um die Authentizität der Mondlandung. Den Höhepunkt dieser Szene bildet eine scheinbar einfache Kamerafahrt, die sich als Fahrt hinter die (diegetische) Kamera entpuppt (Abb. 26–30):

Abb. 26–30: Die Fahrt hinter die Kamera als ‚Über-Parallaxe‘ in Capricorn One.

128 Sass: Madness and Modernism, S. 166 (meine Hervorhebung).

Abb. 27

Abb. 28

Abb. 29

Abb. 30

Der Aspekt der ironischen Zeitlichkeit schließlich verbindet generisch so diverse Filme wie The Shooting (Monte Hellman 1967), Rosemary’s Baby, Gimme Shelter (David u. Albert Maysles, Charlotte Zwerin 1970), Punishment Park oder Meat (Frederick Wiseman 1976). An Punishment Park, einer Fake Docu-mentary, lässt sich zudem aufzeigen, wie die unaussprechlichen Affektzu-stände, die Lacan mit den intellektuellen Gefühlen verbindet, in dem Moment an die Oberfläche dringen, wo die Unterscheidbarkeit von Realität und Fiktion nicht mehr ohne weiteres gegeben ist: An die Stelle eines Gedankenspiels treten genuine Empörung und Frustration ob der Undurchdringlichkeit des Systems. So lässt sich an diesem Film das Verhältnis von Paranoia und Aktivität im Sinne von Rebellion und Terrorismus studieren, ähnlich wie in Ice (Robert Kramer 1970).

Ein besonders markantes Beispiel für die affektive Wirkung ironischer Zeit-lichkeit ist Gimme Shelter, der Film über die USA-Tour der Rolling Stones von 1969, die in dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Konzert auf dem Altamont-Speedway ihr Ende fand. Während dieses Konzerts wurde unweit der Bühne ein Mann erstochen – ein Ereignis, das zufällig auf Film festgehalten wurde. Bemer-kenswert an Gimme Shelter ist nun seine spezielle zeitliche Dramaturgie, die um den Moment der tödlichen Stiche kreist: Der Film setzt ein mit der Auftaktveran-staltung der Tour im Madison Square Garden, um in der zweiten Szene zu einem Zeitpunkt zu springen, der bereits mehrere Monate nach dem Altamont-Konzert liegt: Die Mitglieder der Band sitzen im Schneideraum der Maysles-Brüder, wo sie sich eine frühe Version desselben Films ansehen, den der Zuschauer sieht – eine fast exakte Vorwegnahme der Inszenierung des Attentats in The Parallax View, wie sie oben beschrieben wurde. Über den Film hinweg, der zunächst die Ereig-nisse der Tour in chronologischer Reihenfolge abarbeitet, wird immer wieder in den Schneideraum zurückgeschnitten, wo die Stones (vorrangig in Person von

Mick Jagger) aus der Rückschau das gerade Gesehene kommentieren oder ander-weitig darauf reagieren. Das Sentiment des unmittelbar, im Präsens empfunde-nen Augenblicks verbindet sich so permaempfunde-nent mit dem retrospektiven Blickwin-kel, der nicht nur das schlimme Ende kommen sieht, sondern im Laufe des Films zunehmend damit beschäftigt ist, Verknüpfungen zwischen diesem schlimmen Ende und noch dem scheinbar belanglosesten Detail eines ehemals gegenwär-tigen Moments zu etablieren. So nimmt etwa jede übermütige Bemerkung Mick Jaggers im Nachhinein den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung an, so als hätte er sich selbst sein Urteil gesprochen.

Diese zeitliche Aufspaltung des Sehens verschärft sich, wenn das Altamont-Konzert selbst zum Gegenstand der Inszenierung wird. Beständig sucht die Kamera kleine Details auf, die auf den ersten Blick lediglich rätselhaft, kurios oder vielleicht auch irritierend wirken, die sich in der Retrospektion des Films jedoch zu einem Geflecht aus drohenden Vorboten der Katastrophe verbinden:

eine weinende Frau, die Mick Jagger anblickt, ein großer Mann mit Schlapp-hut, der ihm etwas ins Ohr flüstert, ein Schäferhund, der quer über die Bühne läuft, ein anderer Mann, der sich offenbar auf einem ‚schlechten Trip‘ befindet (Abb. 31). Die Pointe liegt darin, dass diese Art der Kombinatorik im Konstruk-tionsprinzip des Films ihre Entsprechung findet – setzt sich doch die Inszenie-rung des Konzerts zusammen aus einer ungeheuren Menge an Filmmaterial, zusammengetragen von jeweils unabhängig operierenden Kamerateams.129 Das heißt, gerade die Auswahl und Zusammenstellung der Perspektiven ist auch produktionsästhetisch gesehen Ausdruck eines Bewusstseins, das sich zu den Geschehnissen bereits wie zu Bildern verhält, während die einzelnen kohärenten Einstellungen, unvermeidlich aus dem Hier und Jetzt des vergangenen Präsens entstanden, immer wieder das Kontingente, Singuläre und Unvorhersehbare des Konzert-Ereignisses im Ganzen wie auch der unzähligen kleinen Ereignisse beto-nen.130

129 Hier drängt sich wiederum Joan Didions Beschreibung ihrer eigenen Wirklichkeitserfah-rung Ende der 1960er Jahre als einer „cuttingroom experience“ auf, Didion: The White Album, S. 13.

130 Zur genaueren Analyse der zeitlichen Konstruktion des Films, im besonderen bezüglich der Funktion der Freeze Frames sowie des Verhältnisses zwischen den Rolling Stones und ihrem Pu-blikum, vgl. Hauke Lehmann: Shock and Choreography. Dying and Identity in Gimme Shelter.

In: Snodi (2010), Nr. 6, S. 144–154.

Abb. 31: Wie im Vorwissen der Katastrophe.

Dieses konfliktreiche Verhältnis der beiden Zeitebenen zueinander realisiert sich nun besonders prägnant in dem Augenblick, in dem die tödlichen Messerstiche geführt werden. Dieser Moment wird im Film mehrmals wiederholt. Das erste Mal läuft er in Realgeschwindigkeit ab, aus der offenbar einzigen Kameraperspektive gezeigt, welche den Vorfall sichtbar macht: von einem Standpunkt hinter der Bühne aus, der das Geschehen in einer Totalen einfängt, in welcher das Chaos und die Unübersichtlichkeit der Situation zum Tragen kommen.

Die Tatsache, dass soeben ein Mann erstochen wurde, wird dem erstmaligen Zuschauer erst im nachhinein bewusst, wenn Mick Jaggers Stimme aus dem Off interveniert: „Can you roll back on that, David?“. In diesem Moment leitet ein Schnitt vom Konzert über in den Schneideraum, wo Mick Jagger mit einem der Regisseure, David Maysles, am Schneidetisch vor einer Art Movieola sitzt (einem kleinen Videobildschirm). Beim erneuten, verlangsamten Abspielen wird die Musik ausgeblendet, es sind nur noch die Geräusche der Mechanik vernehmbar.

Schließlich stoppt der Film auf einem Freeze Frame, kurz vor dem Eindringen des Messers in den Nacken des Opfers (Abb. 32).

Abb. 32: Tableau mort.

Während dieser Szene wird das Bild noch mehrfach angehalten, und die ver-schiedenen Freeze Frames haben unterschiedliche Funktionen in der poetischen Struktur des Films.131 Entscheidend für die Argumentation in diesem Kapitel ist die Art und Weise, wie sich in dem oben gezeigten Freeze Frame eine gespaltene Zeitlichkeit manifestiert. Der eigentliche Vorgang, für das unbewaffnete Auge wesentlich zu schnell, wird wiederholt und stillgestellt, so dass sich mit einem Mal die Beziehungen zwischen den beteiligten Figuren zu erschließen scheinen. Der Freeze Frame selbst und die Verlangsamung der Bewegungen am Schneidetisch verändern jedoch die Natur dieser Beziehungen radikal: Angreifer und Opfer kommen nun in einem fast graziösen Gestus zueinander wie in einer exakt ausge-arbeiteten Choreographie, von der Gewalt der Attacke ist nichts mehr zu spüren.

Die entscheidende Ursache für diese „Transformation des innerbildlichen Mate-rials“ (Klejman) ist die Verflachung des Raums mittels Manipulation der Bewe-gung: Es entsteht ein Gefängnis der Prädetermination, welches kein Abweichen mehr erlaubt. Die paranoische Perspektive, welche den entscheidenden Moment des Angriffs als ‚fruchtbaren Augenblick‘ in die dramatische Verlaufskurve einzu-tragen bestrebt ist, transformiert diesen Moment in eben diesem Akt der Indienst-nahme und macht ihn zu einem Bild – einem Bild, das von jeder Gegenwärtigkeit entleert ist132 (indem es sich, wie Deleuze und Guattari schreiben, vollständig aufteilt in das, was noch kommen wird und das, was bereits geschehen ist). Es handelt sich um die Antithese dessen, was Lessing als fruchtbaren Augenblick bezeichnet.133

Die zentralen Aspekte einer Affektpoetik der Paranoia im New Hollywood – die Fragmentierung, die ironische Zeitlichkeit, die Mediatisierung des Bildes und die Allmacht der Montage – bestehen nicht einfach nur nebeneinander, sondern bedingen sich gegenseitig und sind ineinander verwoben, wie Christopher Lasch

131 Vgl. Lehmann: Shock and Choreography, S. 150–151.

132 Eine Diskussion des Trauma-Begriffs ist hier, nicht nur aus Platzgründen, nicht sinnvoll, daher nur so viel: Wenn das Verhältnis von Trauma und Paranoia zu bestimmen wäre, dann wäre der paranoide Stil das, wodurch ein Trauma überhaupt zur Erscheinung zu kommen vermag, d. h. zum Bild wird.

133 „Kann der Künstler von der immer veränderlichen Natur nie mehr als einen einzigen Augen-blick, und der Maler insbesondere diesen einzigen Augenblick auch nur aus einem einzigen Ge-sichtspunkte, brauchen; sind aber ihre Werke gemacht, nicht bloss erblickt, sondern betrachtet zu werden, lange und wiederholtermassen betrachtet zu werden: so ist es gewiss, dass jener ein-zige Augenblick und einein-zige Gesichtspunkt dieses einein-zigen Augenblickes, nicht fruchtbar genug gewählt werden kann. Dasjenige aber nur allein ist fruchtbar, was der Einbildungskraft freies Spiel lässt.“ Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie.

Mit beiläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte [1766], hg. und erläutert von Hugo Blümner. Berlin 1876, S. 39–40.

es bereits 1979, in einer Art Bestandsaufnahme des zurückliegenden Jahrzehnts, einflussreich formuliert – für Lasch steht diese Periode bezeichnenderweise im Zeichen des Narzissmus, welcher in Form des Größen- und Allmachtswahns wie-derholt als Kennzeichen des paranoiden Stils hervorgehoben wurde.134

We live in a swirl of images and echoes that arrest experience and play it back in slow motion. Cameras and recording machines not only transcribe experience but alter its quality, giving to much of modern life the character of an enormous echo chamber, a hall of mirrors. Life presents itself as a succession of images or electronic signals, of impressi-ons recorded and reproduced by means of photography, motion pictures, televisiimpressi-ons, and sophisticated recording devices. Modern life is so thoroughly mediated by electronic images that we cannot help responding to others as if our actions – and their own – were being recorded and simultaneously transmitted to an unseen audience or stored up for close scru-tiny at a later time.135

Diese Ununterscheidbarkeit von Film und Leben taucht als Topos in der Rezep-tion von The Parallax View wieder auf: „the society from which it [The Paral-lax View] takes its material has itself become an epic B picture“.136

Jenseits des New Hollywood: Paranoid Cinema of Action

Ein ganz besonderes „B picture“ steht, als Film im Film, auch am Beginn von The Fury (Brian De Palma 1978): Es zeigt, gleich einem verschobenen Reenactment des Zapruder-Films, die Ermordung einer anderen Vaterfigur.137 Die Spirale des Verdachts wird hier insofern weitergetrieben, als noch die affektive Wirkung dieses Films für die finsteren Zwecke der Verschwörung ausgenutzt wird: Das inszenierte, also manipulierte Dokument dient zur Gehirnwäsche des Sohns des Ermordeten, der mit übersinnlichen, äußerst destruktiven Fähigkeiten

ausgestat-134 Den Zusammenhang von Narzissmus und Paranoia hat auch Tom Wolfe beleuchtet, aller-dings von der Seite des Narzissmus aus. Vgl. Wolfe: The Me Decade and the third Great Awake-ning [1976]. In: ders.: The purple Decades, Penguin Books: London 1984, S. 265–293, besonders S. 280–293.

135 Christopher Lasch: The Culture of Narcissism. American Life in an Age of diminishing Ex-pectations, W.W. Norton & Company, Inc.: New York 1979, S. 47.

136 Joseph Kanon: The Parallax Candidate, zit. nach Horton: Political Assassination and Ci-nema, S. 62. Zum Ineinanderfließen von Fiktion und Realität in der US-Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre vgl. James Hoberman: The Dream Life. Movies, Media and the Mythology of the Sixties. New York/London 2003.

137 Der Zapruder-Film ist spätestens seit Greetings (1968) ein wesentlicher Bezugspunkt für die Filme De Palmas, besonders offensichtlich in Blow Out.

tet ist. Anhand von The Fury hat Eyal Peretz die Konstitution eines „paranoid cinema of action“ beschrieben,138 eines Kinos, welches er zum einen auf den Film Noir der 1940er und seine Nachfolger bezieht (z. B. Kiss Me Deadly [Robert Aldrich 1955], Touch of Evil [Orson Welles 1958] und The Manchurian Candi-date), welches zum anderen aber auch einen Weg in die 1980er Jahre weist.

Dieses paranoische Action-Kino im letzteren Sinne („a cinema that reveals the limits of a cinema of action while showing the roots of its constitution“139) ent-steht als ein exzessiver Kompensationsmechanismus für die von Pasolini attes-tierten Unzulänglichkeiten des Bildes, als ein Mechanismus, der die mit diesen Unzulänglichkeiten verbundene Unruhe stillt. Auch für Peretz ist damit das Phä-nomen der Fragmentierung der Ausgangspunkt einer Affektpoetik der Paranoia, die er bei De Palma als Gegenpart eines Kino des „passionate witnessing“140 ver-ortet (im Gegensatz zum kalten Beobachter des paranoiden Stils). Filmhistorisch in einem breiteren Kontext betrachtet, lässt sich das paranoid cinema of action als eine der Entwicklungslinien beschreiben, die den Übergang vom New Holly-wood zum Kino der 1980er Jahre bestimmen. Beispiele hierfür wären Filme wie Fingers (James Toback 1978), Cruising, The Shining (Stanley Kubrick 1980), Altered States (Ken Russell 1980), Raging Bull (Martin Scorsese 1980)141, Cutter’s Way (Ivan Passer 1981), Blow Out (Brian De Palma 1981), The Thing (John Carpenter 1982), Blade Runner (Ridley Scott 1982) oder Tron (Steven Lis-berger 1982), Filme, die sich sämtlich auch dadurch auszeichnen, dass sie die Körper ihrer Figuren in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß mit jener existen-tiellen Situation des paranoischen Bewusstseins konfrontieren, wie sie im Para-digma des Zapruder-Films gestaltet ist.

Die Anfänge eines solchen Kinos lassen sich bis in die frühen 1970er Jahre zurückverfolgen (etwa zu Melvin Van Peebles’ Sweet Sweetback’s Baadasssss Song oder zu Sam Peckinpahs Straw Dogs [1971]); seine vielleicht prägnan-teste Formulierung – neben Filmen wie Taxi Driver oder Marathon Man (John Schlesinger 1976) – findet sich in der großen Test-Sequenz in The Parallax View, in welcher der Protagonist bezüglich seiner Eignung zum Attentäter überprüft wird. Der Test besteht aus einer Art pseudo-avantgardistischem Experimental-film. Dieser Film, den Frady und der Zuschauer zu sehen bekommen, setzt sich

Die Anfänge eines solchen Kinos lassen sich bis in die frühen 1970er Jahre zurückverfolgen (etwa zu Melvin Van Peebles’ Sweet Sweetback’s Baadasssss Song oder zu Sam Peckinpahs Straw Dogs [1971]); seine vielleicht prägnan-teste Formulierung – neben Filmen wie Taxi Driver oder Marathon Man (John Schlesinger 1976) – findet sich in der großen Test-Sequenz in The Parallax View, in welcher der Protagonist bezüglich seiner Eignung zum Attentäter überprüft wird. Der Test besteht aus einer Art pseudo-avantgardistischem Experimental-film. Dieser Film, den Frady und der Zuschauer zu sehen bekommen, setzt sich

Im Dokument 3 Paranoia: Formen der Mediatisierung (Seite 53-65)

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