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H ERAUSFORDERUNGEN VON DATENBEZOGENEN G ESUNDHEITSSYSTEMVERGLEICHEN

Um sich der Thematik der Herausforderung von datenbezogenen Gesundheitssystem-vergleichen zu nähern, werden relevante Studien aus der Literatur herangezogen, die mögliche Schwachstellen von Systemvergleichen aufdecken. Dazu wird einerseits der Bezug zu OECD-Datenvergleichen hergestellt, andererseits findet auch Literatur zu

6 Eine Auseinandersetzung der Kennzahl zu Krankenhausbetten erfolgt in Kapitel 4.2. Anzahl Betten

Gesundheitssystemvergleichen außerhalb von OECD-Daten Berücksichtigung, um die Schlussfolgerungen zu den ermittelten Herausforderungen zu schärfen.

Grundsätzlich erfahren Gesundheitssystemvergleiche in den Medien große Aufmerksamkeit.

Insbesondere wenn Daten zum Vergleich herangezogen werden, finden sich diese, häufig aus dem Zusammenhang gerissen, in den Medien wieder. Das deutsche Gesundheitswesen sieht sich dadurch mit einer Vielzahl plakativer Beispiele konfrontiert. Umso wichtiger ist es, mit diesen Vergleichen sensibel umzugehen und keine voreiligen Schlüsse daraus zu ziehen.

Wissenschaftlich lassen sich Gesundheitssystemvergleiche in das noch junge Themenfeld der Gesundheitssystemforschung einordnen. Internationale Gesundheitssystemvergleiche gelten als eines der Hauptthemen der Gesundheitssystemforschung. (Wendt, 2005) Die Möglichkeit solcher zumeist datengetriebener Gesundheitssystemvergleiche hat sich insbesondere durch den Aufbau der Datenbank der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) geöffnet, die 1985 zum ersten Mal veröffentlich wurde.7

Eine sehr umfangreiche Auseinandersetzung zu OECD-Gesundheitsdaten und deren Vergleichbarkeit liefern Finkenstädt und Niehaus (2015) mit einem Blick auf die besondere Relevanz der Berücksichtigung der Altersstruktur.

„So dürfen nicht nur Methodik und Datenlimitationen der OECD-Daten berücksichtigt werden, die gerade in Bezug auf die internationale Vergleichbarkeit der Gesundheitsdaten von Bedeutung sind. Sondern auch die Altersstruktur der Bevölkerung ist hinsichtlich der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Kosten des Gesundheitssystems bei der Bewertung mit einzubeziehen.“ (Finkenstädt

& Niehaus, 2015)

Mit Blick auf die in der OECD-Datenbank dargestellten Daten zu chirurgischen Eingriffen, konnte nachgewiesen werden, dass ein reiner Datenvergleich ein verzerrtes Bild wiedergibt.

Eine länderbezogene Altersstandardisierung wird für Gesundheitssystemvergleiche dringend empfohlen und führte zu einer deutlich realistischeren Interpretation der OECD-Daten8 (Finkenstädt & Niehaus, 2015).

Ein datenbezogener Gesundheitssystemvergleich, wie ihn die OECD durch standardisierte Daten ermöglicht, wird der vielfältigen Einflüsse auf Gesundheitssysteme und der individuellen Voraussetzungen und Strukturen jedoch nicht vollständig gerecht, da z. B. die Ausstattung mit ambulanten und stationären Strukturen und die Zusammensetzung der Bevölkerung

7 Weitere Informationen zur Systematik der OECD-Datenbank finden sich in Kapitel 3.1 Systematik der OECD- und Eurostat- Statistiken

8 Ergebnisse der Studie finden in Kapitel 4.3 „Stationäre Fallzahlen“ zusätzlich Berücksichtigung.

hinsichtlich soziodemografischer Faktoren unberücksichtigt bleiben. Bei Institutionen der Gesundheitsversorgung handelt es sich um hochkomplexe Systeme, die noch dazu stetigem Wandel unterliegen. Es ergibt sich also nicht nur die Herausforderung von internationalen Vergleichen, vielmehr bergen auch intertemporale Vergleiche Risiken (Wendt, 2005). Um sich der komplexen Vergleichssituation zu nähern, werden Gesundheitssysteme häufig in zugrundeliegende Gesundheitssysteme klassifiziert. Da je nach Ausprägung des Gesundheitssystems die Infrastruktur der Dienstleister, die Nachfrage und das Angebot unterschiedlich ausfallen, ist ein genaues Verständnis der systemischen Grundlagen unentbehrlich, wenn gesundheitsbezogene Daten verglichen werden sollen. Grundsätzlich können Gesundheitssysteme in zwei Systemtypen unterschieden werden: Systeme mit einem öffentlichen Gesundheitsdienst und Sozialversicherungssysteme (Schölkopf & Pressel, 2015).

Abb. 2: Archetypen von Gesundheitssystemen

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Wendt (2005)

Abb. 2 vermittelt einen Überblick über die Zuordnung einiger Länder zu diesen beiden Systemtypen. Es ist anzunehmen, dass ein Vergleich von ähnlichen Systemtypen eine bessere Grundlage darstellt als über unterschiedliche Systemtypen hinweg Wendt (2005).

stützt diese These in seinen Ausführungen mit Bezug zur Institutionentheorie, nach der Institutionen in Gesundheitssystemen einen Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen haben (Wendt, 2005). In diesem Dokument wird diesem Gedanken folgend daher ein Fokus auf Länder mit vergleichbarem Gesundheitssystem zum deutschen Sozialversicherungssystem gelegt.

Neben dem Gesundheitssystemtyp spielen bei Gesundheitssystemvergleichen Regulierungen und der politische Einfluss entscheidende Rollen. Ein konkretes sehr

Öffentlicher Gesundheitsdienst Sozialversicherung

Gesundheitsversorgung Teil der Staatsverwaltung

Gesundheitsversorgung auf regionaler Ebene (Regionen, Provinzen)

Gesundheitsversorgung durch Landkreise, Städte, Gemeinden

Gesetzliche

Krankenversicherung mit einkommensabhängigen Beiträgen

Gesetzliche Krankenversicherung mit Kopfpauschale Großbritannien, Irland,

Portugal

Italien, Spanien, Neuseeland, Kanada

Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland

Deutschland, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Österreich, Japan

Niederlande, Schweiz

BEVERIDGE SYSTEM BISMARCK SYSTEM

© Deutsches Krankenhausinstitut

anschauliches Beispiel liefert in diesem Kontext die Betrachtung der Häufigkeit von Arzt-Patientinnen / Arzt-Patienten Kontakten im ambulanten Bereich. Eine reine Datenauswertung würde hier ein sehr heterogenes Bild liefern. Es ist in diesem Zusammenhang unabdingbar, auch die Frage nach bestehenden Regularien hinsichtlich der freien Wahl des Primärarztes zu stellen. Gibt es z.B. ein Hausarztprinzip, ist die Neigung der Patientinnen und Patienten einen weiteren Arzt (z. B. für Zweitmeinung oder aufgrund von Unzufriedenheit) aufzusuchen geringer als in Ländern mit freier Arztwahl, da sie den Arztwechsel/ zusätzlichen Arztkontakt erst gegenüber ihren Hausärzten äußern müssen (Wendt, 2003).

In dieser kurzen Zusammenfassung von relevanten Themen zu Gesundheits-systemvergleichen zeigt sich bereits, dass ein rein quantitativer Zugang nicht ausreichend ist.

Bei allen Datenvergleichen sollten folgende Kriterien9 stets mit in Betracht gezogen werden und bei der Dateninterpretation Berücksichtigung finden:

− Soziodemografische Struktur der Bevölkerung

− Gesundheitliches Risiko (hinsichtlich Krankheiten, aber auch gesundheitsrelevantes Verhalten, wie z. B. Rauchen)

− Zugrunde liegendes Gesundheitssystem

− Ökonomischer Wandel

− Technologischer Fortschritt (insbesondere bei intertemporalen Vergleichen sehr relevant)

− Interessen- und Akteurskonstellationen des politischen Systems

− Institutionsstruktur des Gesundheitssystems (hinsichtlich ambulanter und stationärer Strukturen, aber auch mit Blick auf vor- und nachgelagerte Strukturen, z. B. hinsichtlich der Organisation und Ausgestaltung von Rettungsdienst und Langzeitpflege).