G. IV. RECHTLICHE UND TECHNISCHE WÜRDIGUNG
2. P RÜFUNG DER G ENEHMIGUNGSVORAUSSETZUNGEN
2.4 Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter
2.5.5 Erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die Aufbewahrung der
2.5.5.1. Grundrechte
2.5.5.1.1 Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit
Einwendung:
Das Vorhaben verletze Einwender in ihrem Grundrecht auf Leben und kör
perliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2 Abs. 2 GG.
Das Standort-Zwischenlager Krümmel erhöhe nach der Inbetriebnahme dras
tisch das Gesamtaktivitätsinventar am Standort. Dadurch werde das Risiko katastrophaler Unfälle und zusätzlicher radioaktiver Emissionen erhöht und stelle ein zusätzliches, erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung dar.
Das Vorhaben führe auf Grund des Strahlenpotenzials des Standort-Zwischenlagers Krümmel zu einer Verletzung von Artikel 2 Abs. 2 GG. Be
reits jetzt sei in der Region um das Kernkraftwerk Krümmel eine Häufung von Leukämieerkrankungen zu verzeichnen.
Im Standort-Zwischenlager Krümmel könne jederzeit eine Atomkatastrophe eintreten, die zu bundesweiten Verseuchungen führen würde. Dadurch wür
den die Lebensvoraussetzungen und die Gesundheit der Bevölkerung in be
sonders betroffenen Landstrichen entsprechend dem Beispiel Tschernobyl zerstört werden.
Behandlung:
Die Einwender werden durch das Vorhaben nicht in ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Artikel 2 Abs. 2 GG beeinträch
tigt.
In Ausgestaltung der grundrechtlichen Schutzpflichten hat der Gesetzgeber in § 1 AtG bestimmt, dass es Zweck des Atomgesetzes ist, Leben, Gesund
heit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie zu schützen. Dieses Erfordernis wird in § 6 Abs. 2 Nr. 2 AtG dahingehend konkretisiert, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge ge
gen Schäden durch die Aufbewahrung der Kernbrennstoffe getroffen werden muss. Der Gesetzgeber ist damit seiner Verpflichtung, die grundrechtlichen Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im Sinne des Artikel 2 Abs. 2 GG vor den Eingriffen Dritter zu schützen und die gebotene Risiko
vorsorge zu gewährleisten, in hinreichender Weise nachgekommen. Im vor-liegenden Genehmigungsverfahren wurde durch das Bundesamt für Strah
lenschutz geprüft und festgestellt, dass die nach dem Stand von Wissen
schaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden durch die
Aufbe-wahrung der Kernbrennstoffe gewährleistet ist. Die Erhöhung des Aktivitäts
inventars am Standort führt zu keiner unzulässigen Erhöhung des Unfallrisi
kos oder radioaktiver Emissionen.
2.5.5.1.2 Eigentumsrechte der Einwender
Einwendung:
Das Vorhaben verletze die Einwender in ihrem durch Artikel 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsrecht.
Im Falle einer Genehmigung des beantragten Standort-Zwischenlagers Krümmel werde der Wert von Grundstücken erheblich gemindert. Insbeson
dere werde die Vermietbarkeit von Wohnraum beeinträchtigt. Bereits jetzt könne nur noch ein erheblich geringerer Mietzins als bei der Vorvermietung erreicht werden.
Durch einen Flugzeugabsturz könne es zu einer Freisetzung erheblicher Mengen radioaktiver Stoffen kommen, wodurch die gesamte Umgebung auf Jahre hinaus unbewohnbar würde, so dass das Eigentum an Häusern und Grundstücken in der Umgebung nicht mehr genutzt werden könne.
Behandlung:
Auf Grund der Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 AtG stößt die Aufbewahrungsgenehmigung nicht gegen Artikel 14 GG.
Vermögenseinbußen, die sich aus einem möglichen Attraktivitätsverlust von Eigentum, Grundstücken, Häusern oder Wohnungen in der Nähe des geplan
ten Standort-Zwischenlagers Krümmel ergeben, fallen nicht in den Schutzbe
reich des Artikel 14 Abs. 1 GG. Die Verfassung schützt das Eigentum grund
sätzlich nur in seiner Substanz. Das Vermögen als solches beziehungsweise Gewinnchancen, Zukunftshoffnungen oder Erwartungen werden dagegen nicht geschützt. Hierunter fällt auch die etwaige Erwartung von Werteinbußen bei der Veräußerung von Eigentum in der Nähe des Standort-Zwischenlagers Krümmel.
Im Hinblick auf den Schutz des Standort-Zwischenlagers Krümmel gegen ei
nen ungewollten Flugzeugabsturz wird auf den Abschnitt G.IV.2.2.13.3 ver
wiesen. Ein darüber hinausgehender Schutz ist auch durch Artikel 14 Abs. 1 GG nicht geboten.
2.5.5.1.3 Schutz natürlicher Lebensgrundlagen
Einwendung:
Artikel 20a GG stehe der Erteilung einer Genehmigung für das beantragte Standort-Zwischenlager Krümmel entgegen.
Aus Artikel 20a GG folge eine Art Bestandsschutz für ein einmal erreichtes Schutzniveau. Die Errichtung und der Betrieb des Standort-Zwischenlagers Krümmel seien danach nicht zu rechtfertigen.
Behandlung:
Aus Artikel 20a GG ergeben sich keine über § 6 AtG hinausgehenden oder zusätzlichen Anforderungen an das Schutzniveau.
Aus Artikel 20a GG folgen regelmäßig keine subjektiven Rechte des Einzel
nen. Die Bestimmung des Artikel 20a GG ist von der Verwaltung gleichwohl zu beachten, zumal ihr danach nicht nur die Abwehr von Gefahren für die Umwelt, sondern auch die Risikovorsorge aufgegeben ist. Dem Vorsorgege
danken wird jedoch durch § 6 AtG als Genehmigungsgrundlage für die Auf
bewahrung von Kernbrennstoffen in einem Standort-Zwischenlager in Krüm
mel hinreichend Rechnung getragen. Bei der Beurteilung von Schadens
wahrscheinlichkeiten wird nicht allein auf das ingenieurmäßige Erfahrungs
wissen sondern darüber hinaus auch auf theoretische Überlegungen und Be
rechnungen mit hinreichend konservativen Annahmen zurückgegriffen, um Risiken auf Grund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken hinreichend zuverlässig auszuschließen. Daher wird im Atom- und Strahlen
schutzrecht vom Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risiko
vorsorge ausgegangen. Aus Artikel 20a GG ergeben sich keine über § 6 AtG hinausgehenden oder zusätzlichen Anforderungen an das Schutzniveau. Aus Artikel 20a GG ist nicht zu folgern, dass am Standort eines Kernkraftwerkes keine weiteren nach dem Atomgesetz genehmigungspflichtigen Anlagen er
richtet werden dürfen.
2.5.5.1.4 Kommunale Selbstverwaltungsgarantie
Einwendung:
Das Vorhaben verletze Gemeinden in ihrem Recht auf kommunale Selbst
verwaltung aus Artikel 28 Abs. 2 GG.
Die Planungshoheit zur Flächennutzung und die künftige Entwicklung der Gemeinde sei auf Grund der negativen Auswirkungen des Standort-Zwischenlagers Krümmel verletzt.
Dem Bauvorhaben stehe weiterhin die Versagung des gemeindlichen Ein
vernehmens entgegen.
Behandlung:
Die Berücksichtigung der planerischen Belange der Standortgemeinde und benachbarter Gemeinden hat in erster Linie im Baugenehmigungsverfahren nach den einschlägigen baurechtlichen Vorschriften zu erfolgen, nach denen die Vereinbarkeit der Errichtung des Lagergebäudes mit der örtlichen und der überörtlichen Planung zu prüfen ist.
Die gesetzliche Regelung der Genehmigungsvoraussetzungen für die Auf
bewahrung von Kernbrennstoffen dient nur mittelbar dem Schutz der kom
munalen Selbstverwaltung, indem die Genehmigung nur dann erteilt werden darf, wenn die erforderliche Schadensvorsorge getroffen ist und damit auch Schäden für kommunale Einrichtungen praktisch ausgeschlossen sind.
Dem Bundesamt für Strahlenschutz als atomrechtliche Genehmigungsbe
hörde steht jedoch kein Planungs- oder Ermessensspielraum zu, in dessen
Rahmen es gemeindliche Planungsziele berücksichtigen könnte. Eine Verlet
zung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist darin nicht zu sehen, da kommunale Belange im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens in ver
fassungskonformer Weise berücksichtigt werden können.
Ob die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens der Verwirklichung des Standort-Zwischenlagers Krümmel aus baurechtlicher Sicht entgegen-steht, ist nicht Gegenstand des atomrechtlichen, sondern des Baugenehmi
gungsverfahrens. Im vorliegenden atomrechtlichen Verfahren kommt es aus-schließlich darauf an, ob die in § 6 Abs. 2 AtG genannten Genehmigungs
voraussetzungen erfüllt sind.
2.5.5.1.5 Rechtsstaatsprinzip
Einwendung:
Das Rechtsstaatsprinzip sei verletzt worden.
Das Bundesamt für Strahlenschutz sei auf Grund der Konsensvereinbarung im Hinblick auf das Ergebnis des Genehmigungsverfahrens voreingenom
men.
Das Bundesamt für Strahlenschutz als Genehmigungsbehörde sei in ihrer Entscheidungsfindung über das Standort-Zwischenlager Krümmel nicht frei, sondern könnte parteipolitischen Zwängen unterworfen sein.
Behandlung:
Gemäß Artikel 20 Abs. 3 GG ist die Verwaltung an Recht und Gesetz gebun
den. Daraus folgt, dass ihr Handeln mit allen Rechtsnormen im Einklang ste
hen muss. Diesen Anforderungen wird das Genehmigungsverfahren für das Standort-Zwischenlager Krümmel gerecht.
Es ist zutreffend, dass in der Vereinbarung vom 14. Juni 2000 / 11. Juni 2001 die Schaffung von dezentralen Zwischenlagerkapazitäten vorgesehen ist. In
folgedessen haben die Betreiber der Kernkraftwerke entsprechende Anträge gestellt und ihr Interesse an einer zügigen Verfahrensdurchführung bekun
det. Zwischenzeitlich ist die Pflicht der Betreiber von Kernkraftwerken zur Er
richtung von standortnahen Zwischenlagern in § 9a Abs. 2 Satz 3 AtG gere
gelt worden. Die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 AtG haben sich jedoch nicht geändert. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen geprüft. Das Interes
se an einer zügigen Verfahrensabwicklung hat nicht zu einer Verkürzung des Prüfumfangs im Rahmen des Genehmigungsverfahrens geführt.