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D. Beurteilung

I. Gesetzliche Grundlagen

3. Grundnorm von Art. 84 Abs. 2 ZGB

3.1 Gesetzesentwurf und Botschaft

73 Der Entwurf zum ZGB von 28. Mai 1904 sah die heutige Bestimmung von Art. 84 ZGB in Art. 93 E-ZGB bereits fast wortwörtlich vor. Absatz 1 bestimmte, dass die Stiftungen unter der Aufsicht des Gemeinwesens stehen, dem sie nach ihrer Bestimmung angehören.

Absatz 2 gab den Kantonsregierungen resp. dem Bundesrat die Kompetenz, die Amts-stelle zu bezeichnen, der die unmittelbare Aufsicht zustehen soll. Nach Absatz 3 hatte die Aufsichtsbehörde dafür zu sorgen, dass «das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss gewidmet und erhalten» werde.77

74 Die Erläuterungen des Bundesrats in der Botschaft zum Stiftungsrecht sind nicht sehr ergiebig. Der Bundesrat hielt einerseits fest, dass die Stiftungen, die in gesetzlicher Weise errichtet worden sind, unter der Aufsicht der zuständigen öffentlichen Organe stehen.

76 Art. 12 Bst. a und d AVS.

77 BBl 1904 IV 121.

Andererseits führte er aus, dass die Aufsichtsbehörde unter gewissen erschwerenden Vo-raussetzungen sowohl die Organisation der Stiftung ändern als auch deren Zweck umge-stalten könne, sofern dies als notwendig und im Sinne des Stifters selbst liegend betrachtet werden dürfe. Damit würde der Entwurf zum Stiftungsrecht einem oft empfundenen Be-dürfnis endlich Rechnung tragen.78

75 Weitere Ausführungen zur Stiftungsaufsicht und deren Aufgaben sind der Botschaft zum ursprünglichen ZGB nicht zu entnehmen.

3.2 Parlamentarische Beratung

76 Die vorberatende Kommission des Nationalrats beantragte dem Rat die Streichung des zweiten Absatzes, welcher die Kompetenz zur Bezeichnung der zuständigen Aufsichtsbe-hörde verankerte, da dieser unnötig sei.79 Über den vom Bundesrat vorgeschlagenen Ab-satz 3, der die Aufsichtsbehörde dazu anhält, für eine zweckgemässe Widmung und Erhal-tung des StifErhal-tungsvermögens zu sorgen, fand im Nationalrat keine Debatte statt. Der Na-tionalrat hat die Anträge der vorberatenden Kommission stillschweigend angenommen.80

77 Die vorberatende Kommission des Ständerats stellte gar keine Anträge zu Art. 93 E-ZGB.

Sie stimmte also der Streichung von Absatz 2 zu und liess die beiden anderen Absätze – wie schon die Kommission des Nationalrats – unangetastet.81 Der Berichterstatter der Kommission wies diesbezüglich darauf hin, dass es den Kantonen freistehe, die Aufsicht zu organisieren, mithin sie durch den Regierungsrat oder durch eine andere Behörde be-sorgen zu lassen.82 Die Aufsichtsbehörde habe für die stiftungsgemässe Verwendung und Erhaltung des Vermögens zu sorgen. Sowohl die Organisation als auch die Zweckbestim-mung können von der zuständigen Behörde abgeändert werden. Betreffend diese Kom-petenz der Aufsichtsbehörde, verwies der Berichterstatter darauf, dass das Leben zu viel-gestaltig und die Voraussicht des Stifters oft zu klein seien, als dass nicht das Bedürfnis und geradezu die Notwendigkeit bestünde, zu intervenieren.83 Der Ständerat ist seiner vorberatenden Kommission gefolgt.84

78 BBl 1904 IV 21.

79 Sten.Bull. 1905 N 485 und 488. Interessanterweise wurde per 1. Januar 2006 doch wieder eine Kompetenz zur Zuständig-keitsregelung auf Kantonsstufe eingeführt (Art. 84 Abs. 1bis ZGB). Der neue Absatz 1bis erlaubt es den Kantonen ausdrücklich, ihre Stiftungsaufsicht zu zentralisieren und die von den Gemeinden ausgeübte Aufsicht abzuschaffen. Dieser Vorschlag sei im Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf für die Revision des Stiftungsrechts von 1993 mehrheitlich begrüsst worden (BBl 2003 8167).

80 Sten.Bull. 1905 N 489.

81 Sten.Bull. 1905 S 1237.

82 Sten.Bull. 1905 S 1240.

83 Sten.Bull. 1905 S 1240.

84 Sten.Bull. 1905 S 1241.

78 Vor dem Hintergrund der Einigkeit über Art. 93 E-ZGB war diese Bestimmung – wie auch die übrigen aufsichtsrelevanten Bestimmungen des ZGB – kein Thema in der Dif-ferenzbereinigung.85 Nach einer Neugruppierung der Bestimmungen wurde Art. 84 Abs. 2 ZGB schliesslich am 10. Dezember 1907 wie folgt beschlossen: «Die Aufsichtsbehörde hat dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird.»86

79 Die parlamentarischen Beratungen brachten demnach nur die Streichung der expliziten Kompetenz der Kantonsregierungen (und des Bundesrats), die mit der unmittelbaren Aufsicht betraute Amtsstelle zu bezeichnen.

80 Die Grundaufgabe der Stiftungsaufsicht wurde weder geändert noch diskutiert, womit der parlamentarischen Beratung des Stiftungsrechts keine konkreten Hinweise auf einen ex-pliziten gesetzgeberischen Willen entnommen werden können. Immerhin kann anderer-seits gesagt werden, dass dem historischen Gesetzgeber offenbar klar war, was unter dem Begriff Sorge für die zweckgemässe Verwendung des Stiftungsvermögens zu verstehen ist.

81 Interessant aber nicht entscheiden ist, dass die Formulierung der Grundaufgabe der Stif-tungsaufsicht in kleinen Nuancen variiert wurde. Während der Entwurf noch die Begriffe Widmung und Erhaltung vorsah, sprach der Berichterstatter der vorberatenden Kommission des Ständerats von Verwendung und Erhaltung. Publiziert wurden dann schliesslich (wohl nach einer Änderung durch die Redaktionskommission) der Begriff der Verwendung.87

3.3 Ausführungsbestimmungen zu Art. 84 Abs. 2 ZGB

a) Kreisschreiben 1921

82 Eine Anregung der Direktion des Innern des Kantons Zürich veranlasste das Eidgenös-sische Justiz und Polizeidepartement (EJPD) im Jahr 1920 bei Prof. Eugen Huber ein Gutachten in Auftrag zu geben, welches sich unter anderem auch zum Inhalt des Auf-sichtsrechts aussprach. Aufgrund dieses Gutachtens erliess das Eidgenössische Departe-ment des Innern (EDI) am 17. März 1921 ein Kreisschreiben, welches sich mit dem Inhalt der Aufsicht befasste.88

83 Im Sinne einer negativen Abgrenzung ist die Aufsichtsbehörde gemäss diesem Kreis-schreiben nicht Stiftungsorgan, hat keine Vertretungsbefugnis und kann daher auch nicht im Namen der Stiftung handelnd auftreten. Die Vorschriften über die Funktionen und

85 Vgl. Sten.Bull. 1906 N 233 und 239.

86 BBl 1907 607 ff., insb. 609.

87 Vgl. BBl 1904 IV 121, Sten.Bull. 1905 S 1240 und BBl 1907 609.

88 Kreisschreiben des Eidgenössischen Departements des Innern an die Regierungen der Kantone betreffend die Ausführung des Art. 84 des Z.G.B. mit Bezug auf die Übernahme der Aufsicht über die Stiftungen und den Inhalt des daherigen Auf-sichtsrechtes vom 17. März 1921 (KS 1921).

über die Verantwortlichkeit der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde sind auf die Stif-tungsaufsicht nicht anwendbar.89

84 In positiver Hinsicht hält das Kreisschreiben fest, dass die Aufsichtsbehörde das Recht und die Pflicht hat, die Verwaltung der Stiftung ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Sie kann Berichterstattung und Rechnungsablegung beanspruchen sowie die Stiftungsorgane auf eine festgestellte nicht zweckgemässe Verwendung des Stiftungsvermögens aufmerksam machen und allenfalls auch klagend gegen Stiftungsorgane vorgehen.90 Der Aufsichtsbe-hörde wird im Weiteren auch eine allgemeine Weisungskompetenz zugestanden, womit die Aufsichtstätigkeit eine ähnlich prophylaktische Gestalt annehme wie diejenige der kan-tonalen Vormundschaftsorgane.91

85 Schliesslich weist das Kreisschreiben darauf hin, dass die Aufsichtsführung im engeren Sinne (d.h. im Sinne von Art. 84 Abs. 2 ZGB) durch diverse explizite gesetzliche Kom-petenzen der Aufsichtsbehörde betreffend Organisation, Aufhebung und Umwandlung konkretisiert wird.92

86 Eine genügende, zweckdienliche Organisation und eine korrekte Verwendung des Stif-tungsvermögens würden zusammenhängen, weshalb auch die Kompetenz und die Tätig-keit der Aufsichtsbehörde bei diesen beiden Aufgaben eine möglichst einheitliche sein soll. Dem freien Ermessen der Aufsichtsbehörde in der Tätigkeit sei ein grosser Spielraum zu gewähren und ins einzelne gehende Vorschriften kämen kaum in Frage.

87 Das Kreisschreiben schliesst mit der klaren Aussage, dass es nicht notwendig sei, für die der Aufsicht des Bundes unterstehenden Stiftungen nähere Vorschriften über die Auf-sichtsführung zu erlassen. Sofern die Kantone solche Bestimmungen erlassen wollen, seien sie vom Bundesrat zu genehmigen. Das EDI würde auch bei der Vorbereitung sol-cher Vorschriften helfen und für eine gewisse Einheitlichkeit sorgen können.93

b) Frühere kantonale Ausführungsbestimmungen

88 Aufgrund der nur rudimentären Regelung in Art. 84 Abs. 2 ZGB erliessen viele Kantone Ausführungsbestimmungen zur Stiftungsaufsicht. Mit Verweis auf Art. 52 SchlT ZGB hielt das Kreisschreiben – wie vorstehend erwähnt – fest, dass diese Anordnungen zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Bundesrats bedürfen.94

89 KS 1921, S. 312.

90 KS 1921, S. 313, Bst. a.

91 Bei Versicherungsstiftungen umfasse das Aufsichtsrecht auch die Prüfung der richtigen Erfüllung des Versicherungszwe-ckes und könne die Kontrolle der sich stetig verändernden versicherungstechnischen Grundlagen notwendig machen.

(KS 1921, S. 312 f., Bst. b).

92 KS 1921, S. 313, Bst. c.

93 KS 1921, S. 313 f.

94 KS 1921, S. 313 f.

89 Einer bundesrätlichen Genehmigung bedurften früher aber nur Ergänzungen, die not-wendig waren.95 Der Erlass von kantonalen Ausführungsbestimmungen zur Stiftungsauf-sicht war hingegen nicht erforderlich. Dies zeigt sich schon daran, dass einige Kantone96 keine solche erlassen haben und der Bund diesen Kantonen auch keine Ersatzverordnun-gen aufgezwunErsatzverordnun-gen hat.97 Auch das Memorial des EJPD an die Kantone vom 24. Juli 190898, welches sich mit dem notwendigen und dem fakultativen Erlass kantonaler An-ordnungen zur Ausführung des ZGB befasste, erwähnte die Stiftungsaufsicht nicht als notwendigerweise auszuführendes Thema, sondern nur im Zusammenhang mit deren Zu-ständigkeit.99 Schliesslich hielt auch das Bundesgericht fest, dass es den Kanton freistehe, ausführende Vorschriften zu erlassen.100

90 Betreffend die Buchführungs- und Berichterstattungspflicht haben die meisten Kantone von ihren Stiftungen ausdrücklich, jährlich Bericht und Rechnung verlangt; der Kanton Aargau eine detaillierte Rechnung, die Kantone Appenzell Innerrhoden, Graubünden, Schwyz und Zürich verlangten einen Vermögensausweis. Die Kanton Basel-Landschaft, Nidwalden und Bern wünschten überdies, eine Übersicht über die Verwendung des Ver-mögens samt Zinsen zu sehen, während der Kanton Luzern eine Orientierung über die Verwendung und den Bestand des Stiftungsvermögens verlangte.101

3.4 Zwischenfazit

91 Der Botschaft des Bundesrats zum ZGB ist nicht zu entnehmen, was er genau unter der Sorge für die zweckgemässe Verwendung des Stiftungsvermögens verstand. Auch die par-lamentarischen Beratungen helfen nicht weiter, den Willen des Gesetzgebers bezüglich Art. 84 Abs. 2 ZGB näher zu ergründen.

92 Mit seinem Kreisschreiben 1921 hat der Bund hingegen schon sehr früh nach Inkrafttre-ten des ZGB versucht, den Inhalt der Grundnorm zur Stiftungsaufsicht zu erhellen. Dabei hat er aber nicht den Begriff der zweckgemässen Verwendung des Stiftungsvermögens weiter konkretisiert, sondern vor allem klargemacht, dass die Aufgaben der Stiftungsauf-sicht klar und detaillierter geregelt seien, als dies aus Art. 84 Abs. 2 ZGB hervorgehe.

95 Durch die Einführung des Gesetzes über die Genehmigung kantonaler Erlasse wurde die Genehmigungsverpflichtung modifiziert und inhaltlich abgeschwächt (vgl. Art. 52 SchlT ZGB).

96 Bspw. Basel-Stadt und St. Gallen.

97 Vgl. hierzu ausführlicher: Berner Kommentar, 1981, zu Art. 84 ZGB, N 39.

98 Vgl. Kreisschreiben des Bundesrats an sämtliche Kantonsregierungen betreffend die Einführung des schweizerischen Zi-vilgesetzbuches vom 24. Juli 1908 (KS 1908), in: BBl 1908 IV 503 ff.

99 KS 1908, BBl 1908 IV 511.

100 BGE 40 I 262 f.

101 Vgl. für die Hinweise auf die jeweiligen kantonalrechtlichen Regelungen: Berner Kommentar, 1981, zu Art. 84 ZGB, N 60 f.

Zudem hat er aufgezeigt, mit welchen Mitteln und Kompetenzen die Stiftungsaufsicht ihre Aufgaben wahrnimmt.

93 Weiter ist festzuhalten, dass die früheren kantonalen Ausführungsordnungen zu Art. 84 Abs. 2 ZGB nicht als notwendig, sondern allenfalls als erklärend zu betrachten sind. Die Aufgaben einer kantonalen Stiftungsaufsicht können durch eine weniger weitgehende kantonale Aufsichtsordnung denn auch nicht eingeschränkt werden.102 Diese früheren kantonalen Ausführungsbestimmungen zum Stiftungsrecht konkretisieren zwar die Art und Weise, wie die zweckgemässe Verwendung des Stiftungsvermögens kontrolliert wer-den soll, nicht aber wer-den Begriff der zweckgemässen Verwendung selber.