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IN DER RECHTSANWENDUNG

VII. GLEICHHEITSSATZ IN DER RECHTS-

RECHTS-ANWENDUNG: SONDERPROBLEME 215

1. Allgemeines 215

a) Grundsätze 215

b) Prüfungsformel bei der Rechtsanwendungsgleichheit 217 c) Zumindest zwei konkrete Vergleichsfälle für die Gleich

-heitsprüfung? 218

d) Nachteil als Voraussetzung des Verstosses gegen den

Gleichheitssatz des Art. 31 Abs. 1 LV 222 2. Keine Verletzung des Gleichheitssatzes durch unter

-schiedliche Behörden ? 223

a) Position des Staatsgerichtshofes 223

b) «Konstitutionelle Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung» 224 c) Rechtsanwendung durch dezentralisierte

Verwaltungs-behörden 224

d) Verschiedene Verwaltungsbehörden innerhalb eines

Instanzenzuges 226

3. Rechtsgleichheit bei Änderungen von Gesetzen 227 4. Rechtsgleichheit bei Änderungen einer Verwaltungs- und

Gerichtspraxis 227

a) Grundsätze 227

b) Position der liechtensteinischen Rechtsprechung 228 c) Betroffene Grundrechte bei Praxisänderung 229 5. Gleichbehandlung in Abweichung vom Gesetz («Gleich

-behandlung im Unrecht») 232

a) Allgemeines 232

b) Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes 233

VIII. THESEN 236

I.

EINFÜHRUNG

In diesem Kapitel geht es um Willkür in der Rechtsanwendung. Eine Un-terscheidung zwischen willkürlichem Handeln der Verwaltung und sol-chem der Rechtsprechung drängt sich nicht auf, da eine Individualbe-schwerde zum Staatsgerichtshof wegen Verletzung von verfassungsmäs-sig gewährleisteten Rechten erst nach Erschöpfung des Instanzenzugs zulässig ist. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich daher entweder ge-gen ein «enderledige-gendes letztinstanzliches» Urteil eines Zivilgerichtes, Strafgerichtes, oder bei Verwaltungsverstössen grundsätzlich gegen ein

«enderledigendes letztinstanzliches» Urteil des Verwaltungsgerichts -hofes.1

Verfassungsbeschwerden, bei denen die Gleichheitswidrigkeit bezie-hungsweise der Willkürverstoss eines der Entscheidung zugrunde lie-genden Gesetzes gerügt wird, (konkrete Normenkontrolle) wurden be-reits unter dem Aspekt der Willkür in der Rechtssetzung behandelt.2 Ausgehend von Einzelbeispielen zum Willkürverbot soll die Rechtspre-chung des Staatsgerichtshofes systematisiert und zu Gruppen zusam-mengefasst werden.

Es geht um die Frage der Abgrenzung zwischen Urteilen, die (ge-rade) noch sachlich haltbar, vertretbar, mit anderen Worten nicht will-kürlich sind und solchen, die bereits sachlich (völlig) unhaltbar, unvertretbar, das heisst willkürlich sind. Lassen sich anhand der Willkürde -finition des Staatsgerichtshofes Kriterien für den Begriff Willkür erken-nen, oder ist willkürlich, was die Richter des Staatsgerichtshofes als nicht

1 Vgl. dazu Art. 15 Abs. 1 StGHG, der lautet: «Der Staatsgerichtshof entscheidet über Beschwerden, soweit der Beschwerdeführer behauptet, durch eine enderledigende letztinstanzliche Entscheidung oder Verfügung der öffentlichen Gewaltin einem sei-ner verfassungsmässig gewährleisteten Rechte oder in einem seisei-ner durch interna-tionale Übereinkommen garantierten Rechte für die der Gesetzgeber ein Indivi-dualrecht ausdrücklich anerkannt hat, verletzt zu sein.» Zur Notwendigkeit der res-triktiven Auslegung des Kriteriums «enderledigend» im Zusammenhang mit der Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen siehe statt vieler StGH 2004/6, Urteil vom 3. Mai 2006, S. 24 ff., noch n. p. Siehe hierzu ausführlich S. 430 f.

2 Vgl. S. 69 ff.

mehr vertretbar, als stossend ungerecht ansehen.3Im letzten Fall würde der Staatsgerichtshof willkürlich handeln, wie dies in Gegenäusserungen des OGH (als belangte Behörde) gelegentlich schon angedeutet wurde.4 Willkür liegt in der qualifiziert falschen Gesetzesanwendung und bedeu-tet auch im objektiven Sinne einen massiven Vorwurf an die Adresse des Gerichts und die Verwaltungsbehörde, welcher eine überzeugende Be-gründung verlangt.5Daneben werden in diesem Kapitel auch spezielle Bereiche des allgemeinen Gleichheitssatzes behandelt.

II.

AUSGANGSFORMELN 1. «Österreichische Formel»

a) Kriterium der Denkunmöglichkeit

In der frühen Rechtsprechung differenziert der Staatsgerichtshof nicht zwischen Willkürverbot und Gleichheitssatz in der Rechtsanwendung.

Willkürliches Handeln der Behörden qualifiziert er als Verletzung des im Art. 31 Abs. 1 Satz 1 LV festgelegten Rechtsgleichheitsgebots.6 Zum Willkürverbot in der Rechtsprechung führt er im Jahre 1968 aus:

«Den Gleichheitsgrundsatz auf die Rechtsprechung angewendet, beinhaltet […] dass die Gerichte in ihren Funktionen sich vom herrschenden Gerechtigkeitsgedankenleiten lassen müssen und sie dürfen nicht etwas tun, was sich nicht irgendwie begründen bzw.

[beziehungsweise] rechtfertigen lässt. Willkür liegt also dann vor,

3 Vgl. für Deutschland von Lindeiner, S. 63 f. und S. 21 f.

4 Vgl. StGH 1997/1, Urteil vom 4. September 1997, LES 1998, S. 201 (204). In der Ge-genäusserung des Obersten Gerichtshofes heisst es: «Der FL Oberste Gerichtshof verwahrt sich weiters gegen die Bezeichnung als ‹Beschwerdegegner›. Er ist nämlich ein unabhängiges Gericht und bemüht, ohne Ansehen der Person oder der Sache dem geltenden Recht zwischen den Verfahrensparteien Beachtung zu verschaffen.»

Gegenäusserung vom 8. April 1997 zu StGH 1997/1, S. 2. Siehe dazu auch Höfling, Verfassungsbeschwerde, S. 171 ff.

5 Vgl. für das deutsche Bundesverfassungsgericht, von Lindeiner, S. 21 f.

6 Vgl. Kley, Grundriss, S. 216.

wenn offensichtlich falsch entschieden wurde, wenn ein unmög -liches, dem klaren Zwecke des Gesetzes widersprechendes denk -unmöglichesErgebnis erzielt wurde.»7

Eine Entscheidung ist nach dieser Formel willkürlich, wenn sie offen-sichtlich falsch ist. Das ist der Fall, wenn es sich um ein qualifiziert un-richtiges, (geradezu) denkunmögliches Ergebnis handelt.

Ein denkunmögliches Ergebnis steht im Widerspruch zu den (logi-schen) Denkgesetzen und stösst sich am eindeutigen Sinn des anzuwen-denden Gesetzes. Anders ausgedrückt bedeutet das, eine Behörde, die das Gesetz richtig anwendet, kann in ihrer Entscheidung das denkun-mögliche Ergebnis keinesfalls erzielen. Klar kommt hier zum tragen, dass der Staatsgerichtshof auf das Ergebnis eines Rechtsanwendungsak-tes abstellt.8

Den Terminus der «Denkunmöglichkeit» hat der Staatsgerichtshof der Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes ent-lehnt. Danach indiziert eine denkunmögliche Gesetzesanwendung

Will-Ausgangsformeln

7 StGH 1968/1, Entscheidung vom 12. Juni 1968, ELG 1967–72, S. 225 (229). Siehe auch StGH vom 12. Juni 1968, ELG 1967–1972, S. 231 (235); StGH 1968/4, Urteil vom 28. Mai 1969, ELG 1967–1972, S. 246 (247). Siehe dazu auch Kley, Grundriss, S. 216. In der vorausgehenden Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre findet sich auch folgende Formel: «Art. 31 der Ver-fassung richtet sich gegen die unterschiedliche Behandlung der Landesbürger; er verbietet ungleiche oder willkürliche Ausübung der Staatsfunktionen in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Dieses Verbot richtet sich sowohl an die Gesetzgebung wie auch an die Vollstreckung (Gerichtsbarkeit, Verwaltung). Eine Behörde darf daher bei der Handhabung der Gesetze die einzelnen Landesbürger nicht unterschiedlich behandeln. Nur eine solche willkürliche Handhabung einer ge-setzlichen oder einer Verordnungsbestimmung widerspricht dem Art. 31 des [sic] Ver-fassung.»Entscheidung vom 15. Juli 1952, ELG 1947–1954, S. 259 (263 f.). Siehe dazu auch Stotter, Verfassung 1986, Art. 31, Rz 6 und Rz 10. In StGH 1961/1 defi-niert der Staatsgerichtshof Willkür als eine «besonders qualifizierte Ungerechtigkeit bzw. Rechtsverletzung». StGH 1961/1, Entscheidung vom 12. Juni 1961, S. 4 n.p.

Siehe dazu auch Stotter, Verfassung 1986, Art. 31, Rz 16a.

8 Kuno Frick meint, dass bei einer Entscheidung, die überzeugend und in genügender Ausführlichkeit begründet sei, regelmässig nicht von einer denkunmöglichen Rechtsanwendung ausgegangen werden könne. Vgl. Frick, Gewährleistung, S. 347 f.

Fn 166 mit Verweis auf StGH 1985/6, Entscheidung vom 9. April 1986, LES 1986, S. 116, Erw. 2.3. Dies würde auf einen subjektiven Willkürbegriff hindeuten, der aber heute richtigerweise als überholt anzusehen ist. Zum Begriff der objektiven Willkür siehe S. 181 ff.

kür.9 Die Formel des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zum Willkürverbot in der Rechtsanwendung lautet wie folgt:

«Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB. [sic] VfSlg. 9600/1983, 10047/1984, 10919/1986, 12038/1989) fällt der Behörde Willkürua. [sic] dann zur Last, wenn sie in we-sentlichen Punkten jegliches Ermittlungsverfahren unterlassenhat, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivor-bringens(s. etwa VfSlg. 8808/1980, 9600/1983, 10942/1986, 11172/

1986); aber etwa auch dann, wenn der angefochtene Bescheid we-gen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Masse mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht(s. zB [sic]

VfSlg. 9726/1983, 10890/1986, 10942/1986). Insbesondere vermag eine denkunmögliche Anwendung des Gesetzes Willkür zu indizie-ren (VfSlg. 5096/1965, 5396/1966, 9792/1983, 11754/1988). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung könnte jedoch nur dann vor-liegen, wenn die Fehlerhaftigkeit mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe gestellt werden müsste (vgl. etwa VfSlg. 7038/1973, 7962/1976, 9902/1983, 10079/1984).»10

9 Vgl. etwa: VfSlg 11.754/1988; 12.563/1990.

10 VfSlg 13.194/1992. Siehe zur Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsge-richtshofes auch Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 791 ff.; Walter/Mayer, Rz 1354 ff.;

Berka, Grundrechte, Rz 983 ff. sowie Bernegger, S. 763 ff. mit jeweils zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen. Daneben verwendet der österreichische Verfassungs-gerichtshof den Begriff der Denkunmöglichkeit auch als 2. Element der (allgemeinen) Prüfungsformel bei Grundrechtseingriffen, die unter einem (formellen/mate -riel len) Gesetzesvorbehalt stehen. Ein Grundrecht, das unter einem Gesetzesvorbe-halt steht, wird verletzt, wenn:

a) der Bescheid gesetzlos ergangen ist,

b) ein Gesetz denkunmöglich angewendet wurde

c) oder wenn sich der Bescheid auf ein verfassungswidriges Gesetz (bzw. eine ge-setzwidrige Verordnung) stützt.

Für den Gleichheitssatz hat der Verfassungsgerichtshof eine spezifische Formel ent-wickelt. Ein Bescheid verletzt den Gleichheitssatz, wenn:

a) er sich auf ein gleichheitswidriges Gesetz stützt,

b) die Behörde dem anzuwendenden Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unter-stellt

c) oder wenn sie Willkür übt.

Vgl. dazu Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 724 ff. und Rz 791 ff.

Der Staatsgerichtshof hat den Sprachgebrauch des österreichischen Ver-fassungsgerichtshofes übernommen und seit den sechziger Jahren bis in die frühen neunziger Jahre in einer Vielzahl von Entscheidungen die

«österreichische Willkürformel» verwendet.11 Er gebraucht die «öster-reichische Formel» in verschiedenen Sprachvariationen, ohne aber je-weils die abweichenden Formulierungen zu begründen. Durch die unterschied lichen «Formelvarianten» ändert sich der inhaltliche Prü-fungsumfang des Willkürverbots aber nicht.

Im Folgenden werden Beispiele aus der Rechtsprechung des Staats-gerichtshofes aufgezeigt, die die verschiedenen Sprachvariationen der Formeln veranschaulichen.

b) Willkürliche Rechtsanwendung, die einer Gesetzlosigkeit gleichkommt

In der Entscheidung StGH 1981/4 hält der Staatsgerichtshof fest:

«Nach der ständigen Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes […]

ist die unrichtige Anwendung eines Gesetzes allein keine Verlet-zung der im IV. Hauptstück der Verfassung gewährleisteten Rechte.

Zu prüfen ist vielmehr, ob das dem betreffenden Rechtsfall zu-grunde liegende Gesetz denkunmöglich oder so unsachlich oder grob verfehltangewendet wurde, dass die getroffene Entscheidung einer willkürlichen Rechtsprechung gleichkommt, die belangte

Ausgangsformeln

11 Vgl. etwa: StGH 1981/4, Urteil vom 14. April 1981, LES 1982, S. 55 (56); StGH 1984/6/V, Urteil vom 7. April 1986, LES 1986, S. 62 (63); StGH 1984/8, Urteil vom 24. April 1985, LES 1985, S. 105 (107); StGH 1984/11, Urteil vom 25. April 1985, LES 1986, S. 63 (66); StGH 1984/12, Urteil vom 8./9. April 1986, LES 1986, S. 70 (71); StGH 1984/16, Urteil vom 24. April 1985, LES 1986, S. 97 (98); StGH 1984/18, Urteil vom 24. April 1985, LES 1987, S. 33 (36); StGH 1985/6, Urteil vom 9. April 1986, LES 1986, S. 114 (116); StGH 1985/7, Urteil vom 9. April 1986, LES 1987, S. 52 (53); StGH 1986/11, Urteil vom 6. Mai 1987, LES 1988, S. 45 (48); StGH 1990/7, Urteil vom 21. November 1990, LES 1992, S. 10 (11); StGH 1991/6, Urteil vom 19. Dezember 1991, LES 1992, S. 93 (95); StGH 1991/12a und 1991/12b, Urteil vom 23. Juni 1994, LES 1994, S. 96 (98); StGH 1992/9, Urteil vom 23. November 1993, LES 1994, S. 35 (36); StGH 1992/10 und 11, Entscheidung vom 23. März, 1993, S. 82 (83); StGH 1993/1, Urteil vom 23. März 1993, LES 1993, S. 89 (90); StGH 1993/13 und 1993/14, Urteil vom 23. November 1993, LES 1994, S. 49 (51).

Behörde also bei ihrer Urteilsfindung einen so schweren Fehler ge-macht hat, dass dieser mitGesetzlosigkeitgleichzusetzen wäre.»12 Diese Formel legt den Schwerpunkt auf den qualifizierten Charakter des Willkürverbots. Willkürlich ist die qualifiziert unsachliche, grob ver-fehlte Rechtsanwendung. Der Staatsgerichtshof grenzt damit willkür -liche Gesetzesanwendung gegenüber den einfachgesetz-lichen Rechtsver-letzungen ab, denn nur krasse RechtsverRechtsver-letzungen vermögen einen Ver-stoss gegen das Willkürverbot zu begründen.13

Diese denkunmögliche, völlig unvertretbare Gesetzesanwendung ist der Gesetzlosigkeit gleichzuhalten. Eine denkunmögliche Gesetzes-interpretation findet keine Entsprechung im anzuwendenden Gesetz, womit die Entscheidung gesetzlos ergangen ist. Diese Formelvariante gebraucht auch der österreichische Verfassungsgerichtshof.14

c) Willkürliche Rechtsanwendung, die mit erweislicher Gesetz widrigkeit gleichzusetzen ist

In StGH 1993/1 findet sich folgende Formulierung:

«In behaupteter unrichtiger Anwendung von Gesetzen oder Ver-ordnungen durch Gerichte allein ist eine Verletzung

verfassungs-12 StGH 1981/4, Urteil vom 14. April 1981, LES 1982, S. 55 (56) mit zahlreichen Hin-weisen auf die ständige Rechtsprechung. Siehe auch: StGH 1985/7, Urteil vom 9. April 1986, LES 1987, S. 52 (53); StGH 1986/11, Urteil vom 6. Mai 1987, LES 1988, S. 45 (48).

13 Die Unterscheidung der einfachgesetzlichen Rechtswidrigkeit von der Verfassungs-verletzung betrifft die Problematik der funktionellen Abgrenzung zwischen Fach-gerichtsbarkeit und der VerfassungsFach-gerichtsbarkeit. Siehe dazu S. 443 ff. Für Öster-reich siehe Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 728.

14 Vgl. beispielsweise VfSlg 12.563/1990, wo es heisst: «Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 9792/1983, 9902/1983) kann eine den-kunmögliche Handhabung des Gesetzes ein Indiz für ein willkürliches Vorgehen der Behörde sein. Eine solche, allenfalls Willkür indizierende, denkunmögliche Gesetze-sanwendung liegt vor, wenn die belangte Behörde so fehlerhaft vorgegangen ist, dass die Fehlerhaftigkeit mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe gestellt werden müsste(vgl.

etwa VfSlg. 7962/1976, 8866/1980, 10.079/1984).» Siehe auch Berka, Grundrechte, Rz 984 f.

mässig gewährleisteter Rechte nicht zu erblicken, sofern nicht eine qualifiziert unsachliche Rechtsanwendung erweislich wäre, die einer Verletzung des Gleichheitsgebotes als Willkür gleichkäme, oder eine verfassungs- oder gesetzwidrige Norm angewendet wäre.

Der StGH kann im besonderen Entscheidungen, die in richter -licher Unabhängigkeit getroffen sind, nur daraufhin prüfen, ob das Gesetz denkunmöglichoder so unsachlich grob verfehlt angewendet wurde, dass die resultierende Sachentscheidung einer willkür -lichen, erweislich verfassungswidrigen oder im konkreten Fall er-kennbar, speziell unsachlichen Rechtsprechung gleichkäme, wo-durch der Urteilsfindung ein so schwerer Fehler unterliefe, der mit erweislicher Gesetzwidrigkeit gleichzusetzen wäre.»15

Die qualifiziert unsachliche Rechtsanwendung, begründet eine Verlet-zung des Gleichheitsgebotes als Willkür. Nach dieser Formel kann die un-richtige Anwendung von Gesetzen oder Verordnungen durch Gerichte verfassungsmässig gewährleistete Rechte nicht verletzen, erst eine quali-fiziert unsachliche Rechtsanwendung würde einen Verstoss gegen das Willkürverbot bedeuten. Offen bleibt, welche Bedeutung den spezifi-schen Grundrechten in der Rechtsanwendung noch zukommen kann.16

Ausgangsformeln

15 StGH 1993/1, Entscheidung vom 23. März 1993, LES 1993, S. 89 (90). Siehe auch StGH 1992/10 und 11, Entscheidung vom 23. März 1993, LES 1993, S. 82 (83) so-wie StGH 1993/13 und 1993/14, Urteil vom 23. November 1993, LES 1994, S. 49 (51), beide mit Bezug auf verfahrensleitende Entscheidungen, die in richterlicher Unabhängigkeit getroffen wurden. Häufig verwendet der Staatsgerichtshof «nur»

den ersten Teil der Formel oder gebraucht eine verkürzte Formelvariante. Vgl. dazu etwa: StGH 1984/16, Urteil vom 24. April 1985, LES 1986, S. 97 (98), wo es heisst:

«In behaupteter unrichtiger Anwendung von Gesetzen durch Gerichte allein kann keine Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte erblickt werden, soferne […] nicht eine qualifiziert grob unsachliche Verletzung des Gleichheitsgebotesoder denkunmögliche Rechtsanwendungeiner Willkür gleichkäme oder die angewendete Norm verfassungswidrig wäre.» Siehe ferner StGH 1984/6/V, Urteil vom 7. April 1986, LES 1986, S. 62 (63); StGH 1984/12, Urteil vom 8./9. April 1986, LES 1986, S. 70 (71); StGH 1984/16, Urteil vom 24. April 1985, LES 1986, S. 97 (98); StGH 1985/6, Urteil vom 9. April 1986, LES 1986, S. 114 (116); StGH 1990/7, Urteil vom 21. November 1990, LES 1992, S. 10 (11).

16 Zur älteren Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes, wonach die spezifischen Grun-drechte kaum eine eigene Bedeutung erlangten, vergleiche auch Hoch, Schwer-punkte, S. 67 f.

Verfassungsmässig gewährleistete Rechte können nach dieser For-mel zudem verletzt werden, wenn eine Behörde eine verfassungs- oder gesetzwidrige Norm anwendet. Der Beschwerdeführer rügt in einem sol-chen Fall mit der Verfassungsbeschwerde die Entscheidung, die aufgrund des verfassungswidrigen Gesetzes/der gesetzwidrigen Verordnung er-gangen ist (konkrete Normenkontrolle).17 Wenn der Staatsgerichtshof die Verfassungswidrigkeit oder Gesetzwidrigkeit der anzuwendenden Norm feststellt, hebt er diese gegenüber jedermann auf.18Damit ist die Entscheidung gesetzlos ergangen und eine Grundrechtsverletzung ist gegeben. Die verfassungswidrige Norm ist daher – ähnlich wie die Denkunmöglichkeit – als ein Unterfall der Gesetzlosigkeit einer behörd -lichen Entscheidung anzusehen.19Der Staatsgerichtshof kombiniert hier in derselben Formel Elemente aus der Willkürrechtsprechung mit Prü-fungskriterien, die auf Grundrechtseingriffe bei spezifischen Grund-rechten angewandt werden.

Zudem wird im zweiten Teil der oben dargestellten Formelvariante die Gesetzlosigkeitdurch den Begriff dererweislichen Gesetzwidrigkeit er-setzt. Dieser Begriff meint eine offenbare, nachweisliche, beweisbare Ge-setzesverletzung durch eine Behörde.20 Erweisliche Gesetzwidrigkeit sagt nichts über die Schwere des Fehlers aus. Dieser Begriff bedeutet nur, dass die Gesetzwidrigkeit belegt werden kann. Nachweisbar gesetzwi-drig ist aber schon jede (einfache) Rechtswigesetzwi-drigkeit, damit wäre aber jede Gesetzesverletzung zugleich auch eine Willkürverletzung, wenn sie nur offensichtlich ist. Diese Ansicht kann nicht richtig sein, vielmehr zu-treffend ist die Wendung «Denkunmöglichkeit, die mit Gesetzlosigkeit gleichzusetzen ist», welche die besondere Schwere des Fehlers betont und auf den qualifizierten Charakter eines Willkürverstosses hinweist.21

17 Vgl. dazu ausführlich Wille H., Normenkontrolle, S. 112 ff. Zum Individualantrags-verfahren siehe Wille T., S. 144 ff.

18 Vgl. Wille H., Normenkontrolle, S. 334 ff. sowie Batliner, Rechtsordnung, S. 113.

Zum Problem der Fristsetzung und der «sofortigen» Wirkung für den Anlassfall siehe Wille H., Normenkontrolle, 332 f. Vgl. für Österreich auch Öhlinger, Verfas-sungsrecht, Rz 1032 («Ergreiferprämie»).

19 Vgl. dazu auch Öhlinger, Verfassungsrecht, Rz 724 ff. und Rz 791 ff.

20 Zum Kriterium der Offensichtlichkeit der (krassen) Rechtsverletzung siehe S. 190 ff.

21 Vgl. dazu auch S. 185 ff. und S. 190 f.

d) Willkürverbot und andere Grundrechte

Im vorhergehenden Beispiel liess sich schon erkennen, dass der Staatsge-richtshof in derselben Formel zwei völlig verschiedene Aspekte behan-delt. Zum einen definiert er die qualifiziert falsche Rechtsanwendung als Willkür. Zum anderen verletzt die Anwendung von verfassungswidrigen Gesetzen oder Verordnungenspezifische Grundrechte. In StGH 1991/6 wird dieser Sachverhalt, die Prüfung des Willkürverbotes einerseits und die Prüfung von spezifischen Grundrechten andererseits, besonders deutlich. Mit den Worten des Staatsgerichtshofes gesprochen:

«In behaupteter unrichtiger Anwendung einfacher Gesetze und Verordnungen durch die in richterlicher Unabhängigkeit entschei-dende letzte Instanz allein, ist eine Verletzung verfassungsmässig gewährleisteter Rechte nicht zu erblicken, sofern nicht entweder als verfassungs- oder gesetzwidrig erkannte Normen angewendet, oder im Falle der Überprüfung auf Willkür eine qualifiziert un-sachliche Rechtsanwendung, die einer Verletzung des Gleichheits-gebotes gleichkäme, erweislich wäreoder aber ein vom Willkürver-bot verschiedenes anderes verfassungsmässig gewährleistetes Recht durch die rechtsanwendende Behörde verletzt wird.»22

Diese Willkürformel verdient Zustimmung. Grundrechtsverletzungen können danach auf drei verschiedene Arten erfolgen. Zum ersten ver-stösst die Anwendung von verfassungs- oder gesetzwidrigen Normen gegen Grundrechte, zum zweiten verletzt die qualifiziert unsachliche Anwendung des einfachen Rechts das Willkürverbot und zum dritten kann eine Behörde durch die falsche Rechtsanwendung spezifische Grundrechte verletzen.

Ausgangsformeln

22 StGH 1991/6, Urteil vom 19. Dezember 1991, LES 1992, S. 93 (95) mit Verweis auf Hangartner, Grundzüge Band II, S. 276 f. Siehe schon StGH 1984/12, Urteil vom 8./9. April 1986, LES 1986, S. 70 (71).

2. «Schweizerische Formel»

a) StGH 1986/9

Neben der oben dargestellten «österreichischen Willkürformel» verwen-det der Staatsgerichtshof seit den neuziger Jahren vermehrt auch stan-dardisierte Formulierungen, die sich an die Rechtsprechung des schwei-zerischen Bundesgerichtes anlehnen.

Bereits in der Entscheidung StGH 1986/9 hält er fest:

«Die Entscheidung einer Behörde ist nach der Rechtsprechung willkürlich, wenn die Begründung im Ergebnis offensichtlich un-haltbarist, mit dertatsächlichen Situation in unverkennbarem Wi-derspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtssatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.»23

Diese Formel stimmt beinahe wörtlich mit der Definition überein, die das schweizerische Bundesgericht zur Willkür in der Rechtsanwendung gebraucht.24 Zu den drei Elementen dieser Formel (a) mit der tatsäch -lichen Situation in unverkennbarem Widerspruch steht; b) eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtssatz krass verletzt; c) oder in stossender

23 StGH 1986/9, Urteil vom 5. Mai 1987, LES 1987, S. 145 (148).

24 Vgl. etwa: BGE 117 Ia 27 Erw. 7. Dort heisst es: «Ein Entscheid verletzt das Will-kürverbot und steht im Widerspruch zu Art. 4 BV, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder ei-nen unumstritteei-nen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft». Mit Verweis auf BGE 115 Ia 332 Erw. 3a.

Zu weiteren wörtlich übereinstimmenden Formulierungen siehe BGE 112 Ia 119 Erw. 4; BGE 114 Ia 25 Erw. 3b; BGE 116 Ia 325 Erw. 3a; BGE 116 Ia 328 Erw. 3;

BGE 117 Ia 18 Erw. 3b; BGE 122 Ia 61 Erw. 3a (franz.), BGE 123 I 1 Erw. 4a; BGE 125 II 10 Erw. 3a. Vgl. auch Thürer, Willkürverbot, S. 486 mit weiteren Rechtspre-chungsnachweisen zu dieser Formelvariante. Das schweizerische Bundesgericht verwendet daneben teilweise auch andere Formulierungen zur Definition des Will-kürverbotes in der Rechtsanwendung. Siehe etwa BGE 107 Ia 107 Erw. 2; BGE 122 III 316 Erw. 4. Zu den Willkürformeln des Bundesgerichts in der Rechtsanwendung siehe Moor, S. 605; Müller G., Art. 4 aBV, Rz 52 ff; Thürer, Willkürverbot, S. 486 ff.;

Auer/Malinverni/Hottelier, Band II, Rz 1098 ff. Vgl. auch BVerfGE 89, S. 1 (14), wo das deutsche Bundesverfassungsgericht ausführt: «Willkür liegt […] vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird.»

Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft) hat das Bundesgericht eine differenzierte und umfangreiche Rechtsprechung entwickelt.25 In den Urteilen des Staatsgerichthofes dagegen kommt diese Willkürformel selten (einmalig) vor. Er äussert sich dabei nicht dazu, welches Formel-element nun im konkreten Fall betroffen sei, sondern subsumiert bei-spielsweise in der Entscheidung StGH 1986/9 nur allgemein – ohne ein-gehende Begründung – die beschwerdegegenständliche Entscheidung der Regierung sei willkürlich, da sie die Prinzipien der Äquivalenz, der Kostendeckung und der Rechtsgleichheit verletze.26

b) Verletzung des Gleichheitsgebotes oder tragender Rechts grundsätze als Willkür

In StGH 1988/4 erklärt der Staatsgerichtshof:

«In behaupteter unrichtiger Anwendung von Gesetzen und Ver-ordnungen allein ist eine Verletzung verfassungsmässig gewährlei-steter Rechte nicht zu erblicken, sofern nicht eine als verfassungs-oder gesetzwidrig erkannte Norm angewendet verfassungs-oder eine qualifi-ziert unsachliche Rechtsanwendung erweislich wäre, die einer Ver-letzung des Gleichheitsgebotes oder tragender Rechtsgrundsätze als Willkür gleichkäme […].»27

Willkür liegt nach dieser Formelvariante auch vor, wenn die Behörde eine (gesetzmässige) Norm qualifiziert falsch anwendet und damit das Gleichheitsgebot oder tragende Rechtsgrundsätze verletzt. Der Begriff tragende Rechtsgrundsätzeerinnert an eine Formelvariante des

Willkür liegt nach dieser Formelvariante auch vor, wenn die Behörde eine (gesetzmässige) Norm qualifiziert falsch anwendet und damit das Gleichheitsgebot oder tragende Rechtsgrundsätze verletzt. Der Begriff tragende Rechtsgrundsätzeerinnert an eine Formelvariante des