• Keine Ergebnisse gefunden

Gibt es ein gemeinsames evangelisches

Im Dokument Orientierungshilfe EKD (Seite 25-31)

2. Theologische Probleme

2.1 Gibt es ein gemeinsames evangelisches

In der Leuenberger Konkordie von 1973 wird ein gemeinsa-mes evangelisches Abendmahlsverständnis beschrieben, das der theologische Grund der Abendmahlsgemeinschaft zwischen

Lu-theranern, Reformierten und Unierten ist. Da Positionen, die die evangelischen Konfessionen weiterhin unterscheiden (wie beispielsweise die zur Art und Weise der Präsenz Jesu Christi im Mahl), bei der Formulierung des gemeinsamen Grund-verständnisses ausgeklammert wurden, können die Konfessio-nen die Konkordie in Übereinstimmung mit ihren eigeKonfessio-nen Bekenntnistraditionen rezipieren. Aufgrund des fortgesetzten Nachdenkens über die biblischen Texte wie die reformatori-schen Bekenntnisse und angesichts der seit 1973 geführten Lehrgespräche in der Leuenberger Kirchengemeinschaft ist für die Interpretation der Konkordie der Gedanke wichtig, daß das Abendmahl in besonderer Weise die neue Gemeinschaft, die aus dem neuen Bund zwischen Gott und Mensch erwächst, erfahrbar macht. Als Sakrament vermittelt es auch hier nichts anderes als die Wortverkündigung, aber es vermittelt dasselbe auf besondere Weise: Zur Verkündigung des biblischen Wortes kommt die Sichtbarkeit und Schmeckbarkeit (das Sakrament wird für bestimmte Sinne leibhaft zugänglich), eine spezifi-sche Verbindung von Individualität und Gemeinschaft (das Sakrament wird an einzelne Personen in der gottesdienstli-chen Gemeinschaft ausgeteilt) und der Bekenntnischarakter (das Sakrament muß vom Individuum ausdrücklich begehrt werden).

Im sechzehnten Jahrhundert kam es über das rechte Ver-ständnis des Abendmahls zu scharfen öffentlichen Kontro-versen zwischen verschiedenen reformatorischen Gruppen.

Sie führten zu unterschiedlichen Abendmahlstheologien, die als kirchentrennend betrachtet wurden: Die lutherische Abendmahlslehre betont die reale Präsenz Jesu Christi nach seiner göttlichen und menschlichen Natur in, mit und un-ter den Elementen von Brot und Wein. Sie wird durch das göttliche Wort bewirkt und betrifft auch einen Menschen, der nicht glaubt (das Essen des Leibes und Blutes durch unfromme Menschen zum Gericht [1Kor 11,27], lateinisch:

manducatio impiorum). Nach der reformierten Abendmahls-lehre wird der gekreuzigte und auferstandene Christus im Heiligen Geist präsent und läßt sich als geistliche Speise dar-reichen. Er wird nur von Glaubenden empfangen (keine manducatio impiorum). Die Elemente sind für diese Tradi-tion leibliche Zeichen, die die heilschaffende Präsenz Christi verbürgen. Nach verschiedenen Versuchen (besonders er-folgreich in der »Wittenberger Konkordie« von 1536) konn-te man in der zweikonn-ten Hälfkonn-te des zwanzigskonn-ten Jahrhunderts diese Spaltung der evangelischen Bewegung überwinden, ohne die Geltung der jeweiligen Bekenntnisse der evange-lischen Konfessionen in Deutschland deswegen antasten zu müssen.

Die gemeinsamen Erfahrungen des Kampfes gegen die na-tionalsozialistische Ideologie nach 1933 beschleunigten und intensivierten frühere Bemühungen, die Trennungen zu überwinden. Nachdem lutherische, reformierte und unier-te evangelische Theologen bereits 1957 auf der Basis der biblischen Texte in den »Arnoldshainer Abendmahlsthesen«

eine gemeinsame Formel über das Abendmahl gefunden hatten, wurde diese Formel in leicht modifizierter sprachli-cher Form 1973 in die »Leuenberger Konkordie reforma-torischer Kirchen in Europa« aufgenommen, die inzwischen die Basis der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwi-schen den meisten evangelizwi-schen Kirchen in Europa dar-stellt. Sie wird auch in der Grundordnung der Evangeli-schen Kirche in Deutschland als theologische Basis der Kir-chengemeinschaft der evangelischen Landeskirchen in Deutschland benannt (Artikel 1 Absatz 1). Die Formulie-rung lautet: »Im Abendmahl schenkt sich der auferstande-ne Jesus Christus in seiauferstande-nem für alle dahingegebeauferstande-nen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein.

Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und be-freit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er läßt uns neu erfahren, daß wir Glieder an seinem Leibe sind. Er

stärkt uns zum Dienst an den Menschen. Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir beken-nen die Gegenwart des auferstandebeken-nen Herrn unter uns.

In der Freude darüber, daß der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit« (Abschnitte 15/16). Weiter heißt es: »Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingege-benen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. So gibt er sich selbst vorbehaltlos allen, die Brot und Wein empfangen; der Glaube empfängt das Mahl zum Heil, der Unglaube zum Gericht« (Abschnitt 18). Diese gemeinsamen Formulierungen haben sich offenkundig in den evangelischen Konfessionen und darüber hinaus be-währt, was allein daran zu sehen ist, daß sie in vielen Lehr-und Konsenstexten zitiert werden. Sie lenkten den Blick von der alten Auseinandersetzung über die Art der Präsenz Jesu Christi in den Elementen Brot und Wein auf die grund-legende gemeinsame Überzeugung aller evangelischen Kon-fessionen vom Abendmahl: Jesus Christus ist als der Gast-geber des Abendmahls zugleich auch die Gabe, die im Abendmahl unter Brot und Wein gegeben wird und so den Gästen gegenwärtig wird. Der ganze Christus wird mit Brot und Wein gegenwärtig.

Er wird im Abendmahl also nicht nur über seine hörbaren Worte, sondern durch sichtbare und schmeckbare Zeichen gegenwärtig. Diese besondere Form der Präsenz, deren Art und Weise im Blick auf die Elemente weiter in Überein-stimmung mit der jeweiligen Bekenntnistradition unter-schiedlich bestimmt wird, wird von den Konfessionen über-einstimmend als Personalpräsenz des Gekreuzigten und Auferstandenen bezeichnet. Sie ist insofern Realpräsenz Jesu Christi, als sie nicht vom gemeinsamen Akt des Essens und Trinkens getrennt werden kann. Damit wird zugleich deut-lich, daß sich das evangelische Abendmahlsverständnis

in-soweit nicht von dem katholischen unterscheidet. Die Stu-die »Lehrverurteilungen – kirchentrennend?« des »Ökume-nischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer The-ologen« hat 1986 verschiedene Gesprächsgänge zusammen-gefaßt und festgehalten, daß weder bei der Rede von der Gegenwart Christi im Abendmahl noch bei den Vorstel-lungen vom Modus dieser Gegenwart kirchentrennende Gegensätze zwischen evangelischen Kirchen und katholi-scher Kirche bestehen, da auch von katholikatholi-scher Seite das gemeinsame »klare und unzweideutige Bekenntnis zur wirk-lichen Gegenwart Jesu Christi« nicht notwendigerweise an bestimmte Erklärungsmodelle wie das der Transsubstantia-tionslehre gebunden ist (S. 107). Allerdings sind diese Er-gebnisse von den Kirchen nicht in vollem Umfang rezi-piert worden (für Details und die entsprechenden Syno-dalbeschlüsse vgl. Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. IV, Göttingen/Freiburg 1994, S. 74-77. 128f. und H.

Goertz, Dialog und Rezeption, S. 164-190, bes. S. 174-176).

Wenn man vom oben entfalteten biblischen Befund her fragt, wie sich solche Einsichten über den biblischen Text zu der gemeinsamen Formulierung in der Leuenberger Kon-kordie verhalten, so wird für die Interpretation der Formel besonders das Stichwort »Gemeinschaft« wichtig. Damit wird sowohl die Gemeinschaft zwischen Jesus Christus und den Gästen an seinem Tisch als auch die dadurch erst ermög-lichte Gemeinschaft innerhalb der versammelten Abend-mahlsgemeinde in den Blick genommen. Dieser Gedanke hat nicht nur die Theologie, sondern auch die Praxis refor-matorischer Kirchen insofern schon immer bestimmt, da sie das Mahl der Gemeinschaft mit Christus grundsätzlich nicht ohne die versammelte Gemeinde gefeiert haben. Die Konkordie hat diesen Aspekt durch die Formulierung von den »Gliedern an seinem Leibe« aufgenommen, die »zum Dienst an den Menschen gestärkt« werden. Grund und

Ausdruck der neuen Gemeinschaft ist, daß uns die Sün-den vergeben sind. Also steht das, was uns von Gott trennt, nicht mehr zwischen uns und ihm. Folge des neuen Bun-des ist, daß Christen anders mit der Schöpfung Gottes und den Mitgeschöpfen, aber auch mit sich selbst umge-hen. Schließlich steht der neue Bund zwischen Gott und Menschen, der im Abendmahl erfahrbar wird, auch in Ver-bindung mit den Bundesschlüssen des Alten Testamentes und erinnert die christliche Gemeinde an die vorlaufende Geschichte Gottes mit dem jüdischen Volk. Von daher ver-standen, impliziert der Begriff »Gemeinschaft«, daß der Mensch durch die Beschädigung der Gemeinschaft mit Gott seine ursprüngliche Bestimmung verfehlt und daß umge-kehrt die wieder geschenkte Gemeinschaft die Erfüllung seiner Bestimmung ist. Darum wird bis zur vollendeten Ver-wirklichung dieser Gemeinschaft im Reich Gottes Abend-mahl gefeiert; darum findet sich in der Liturgie ein ent-sprechender eschatologischer Ausblick. In den gemeinsa-men Lehrgesprächen der Leuenberger Kirchengemeinschaft zum Thema Sakramente, Amt, Ordination von 1989-1994 sind die entsprechenden Passagen der Leuenberger Kon-kordie genau in diesem Sinne interpretiert, und das gemein-same Verständnis bekenntnisverschiedener evangelischer Kirchen ist in diesen Punkten vertieft worden (Abschnitt II.A.).

Weiter bestehende und teilweise besonders augenfällige Un-terschiede zwischen der Abendmahlspraxis lutherischer, re-formierter und unierter Gemeinden – wie beispielsweise die in manchen reformierten Gemeinden übliche Kommu-nion im Sitzen – gehen häufig nur auf regionale Besonder-heiten oder Frömmigkeitsstile zurück und nicht auf die un-terschiedlichen theologischen Akzentsetzungen der evan-gelischen Konfessionen, die nach wie vor im Blick auf die Art der Präsenz Jesu Christi in den Elementen bestehen, aber keinen kirchentrennenden Charakter haben. Die

be-stehenden theologischen Unterschiede sollten auch nicht abgeschliffen werden und durch ein Einheitsmodell von Abendmahlstheologie und -praxis ersetzt werden. Vielmehr sind die konfessionell unterschiedenen Abendmahlstheo-logien und Liturgien seit der Erklärung voller Abendmahls-gemeinschaft im letzten Jahrhundert kein Zeichen bekla-genswerter Spaltungen mehr, sondern ein Zeugnis des Reichtums evangelischer Christen in Deutschland: Jeweils unterschiedliche Züge der pluralen biblischen Überliefe-rung sind betont, und doch wird der gemeinsame Kern al-ler individuellen Akzentsetzung nicht aus dem Auge verlo-ren. Dieser theologischen Beobachtung trägt auch die neue Agende für die Evangelische Kirche der Union und die Ver-einigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, das

»Evangelische Gottesdienstbuch« von 1999, Rechnung; sie bietet zwei gottesdienstliche Grundformen an, die jeweils ausgestaltet werden wollen. Ähnlichen Leitvorstellungen ist auch das neue reformierte Gottesdienstbuch, die »Refor-mierte Liturgie« von 1999, verpflichtet.

Im Dokument Orientierungshilfe EKD (Seite 25-31)