• Keine Ergebnisse gefunden

Gewalt im Rechtsextremismus – Eine überschätzte

Ca. 55% aller 2008 in Hamburg bekannt gewordenen Gewalttäter waren jünger als 25 Jahre, weitere 25% waren nicht älter als 30 Jahre. Dies bestä-tigt die langjährige These, dass Gewalt im Rechtsextremismus in erster Linie ein Jugendphänomen und –problem ist und damit Teil einer insgesamt ge-stiegenen Gewaltkriminalität von Jugendlichen und jungen Heranwach-senden .

Schon bei einem nur flüchtigen Blick auf die diesjährigen Fälle rechtsex-tremistischer Gewalt in Hamburg fällt auf, dass sie sich von ihrem Tathin-tergrund, den Täterprofilen, den Opfern und von den Umständen der Tat deutlich unterscheiden und kein einheitliches Muster vorhanden ist. Sie lassen sich in mindestens drei Kategorien aufteilen:

1. Zum einen richten sich Gewalttaten gegen Personen, die aus dem nachbarschaftlichen oder beruflichen Umfeld oder den Tätern sonst bekannt sind. Häufig stehen persönliche Konflikte im Hin-tergrund. Die Opfer sind meistens Ausländer bzw. südländisch aussehende Personen und so gehen die Taten in der Regel mit fremdenfeindlichen Beleidigungen einher, die eine rechtsextre-mistische Einstellung vermuten lassen. In den allermeisten Fäl-len sind die ermittelten Tatverdächtigen dem LfV Hamburg nicht bekannt, da es sich ganz überwiegend um Personen handelt, die keine Verbindungen zum organisierten Rechtsextremismus un-terhalten.

2. In die zweite Kategorie sind die „klassischen“ Fälle rechtsextre-mistischer Gewalt einzuordnen: Rechtsorientierte, meist alko-holisierte, in Gruppen auftretende Jugendliche bepöbeln und attackieren in der Öffentlichkeit südländisch aussehende Perso-nen, Randständige oder vermeintliche „Linke“ und grölen dabei neonazistische Parolen. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Tä-terspektrum bekannte Rechtsextremisten anzutreffen, ist schon deutlich höher, die Mehrheit der Täter hat jedoch keinen er-kennbaren rechtsextremistischen Vorlauf bzw. ist bisher nicht durch die Beteiligung an rechtsextremistischen Aktivitäten auf-gefallen.

3. Politisch aktive Rechtsextremisten sind nur an wenigen Gewalt-taten beteiligt. In den ganz überwiegenden Fällen handelt es sich um handgreifliche Auseinandersetzungen mit politischen

Geg-nern. So führte die Hamburger NPD im Bundestagswahlkampf zahlreiche Infotische in Hamburg durch. Dabei kam es mehrfach zu Tätlichkeiten, die u.a. dadurch ausgelöst wurden, dass politi-sche Gegner Wahlkampfmaterial entwenden wollten und hieran gehindert wurden. Auf Störaktionen durch Unmutsäußerungen oder Fotografieren reagierten Rechtsextremisten ebenfalls in Ein-zelfällen gewalttätig. So stieß ein NPD-Aktivist eine Frau zu Boden, die Flyer vom Infotisch genommen hatte. In einem ande-ren Fall wurde ein Frau, die Gleiches versucht hatte, geschlagen und getreten. Ohne das Gewaltpotential dieser Klientel in Abrede zu stellen, ist aber darauf hinzuweisen, dass Gewalt gegen „Nazis“

von militanten Antifaschisten als legitime Aktionsform angese-hen wird und die Eskalation nicht selten von Linksextremisten ausgeht oder zumindest provoziert wird. Soweit Rechtsextremi-sten Gegenwehr üben, wird diese daher als Selbstverteidigung le-gitimiert. Im Einzelfall geht die Gewaltanwendung jedoch weit über eine Abwehrreaktion hinaus.

Ein deutlich aggressiveres und provozierendes Verhalten geht von den so genannten „Autonomen Nationalisten“ (AN) aus. Beim Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern setzen diese sich zum Teil massiv zur Wehr. Wie ihr linkes Vorbild bilden die AN auf Demonstrationen einen „Schwarzen Block“, um durch einheitliches Auftreten Geschlossenheit und Durchset-zungsfähigkeit zu vermitteln. Der Eindruck vieler Angehöriger der rechts-extremistischen Szene, sich während der 1.Mai-Demonstration in Hamburg 2008 durch den „Schwarzen Block“ gegen eine Übermacht von Gegende-monstranten behauptet zu haben, hat die Popularität des AN-Konzeptes zwar erhöht, für Hamburg haben die Ereignisse rund um die 1. Mai-De-monstration 2008 jedoch nicht zu einer Initialzündung geführt. Die neo-nazistische Szene in Hamburg wird weiterhin von den traditionellen Kameradschaften geprägt; den AN werden hier nur einzelne Aktivisten zu-gerechnet.

Auch das Verhalten gegenüber der Polizei hat sich teilweise gewandelt.

Übergriffe auf Polizisten werden von organisierten Rechtsextremisten nor-malerweise abgelehnt. Allerdings kann es auch zu tätlichen Auseinander-setzungen mit Polizeikräften kommen, wenn Demonstrationsteilnehmer durch repressive Maßnahmen der Polizei massiv unter Druck gesetzt wer-den und/oder kein ausreichender Schutz gegen linke Gegendemonstran-ten gewährleistet wird. Das aggressive VerhalGegendemonstran-ten ist jedoch keinesfalls

vergleichbar mit der von militanten Linksextremisten ausgehenden Ge-walt. Das Durchbrechen von Polizeiketten wird akzeptiert; Steine und Brandsätze auf Polizisten zu werfen oder diese mit Eisenstangen zu schla-gen dageschla-gen nicht.

Hinsichtlich der Gewaltaffinität innerhalb des organisierten Rechtsextre-mismus ergibt sich somit ein differenziertes Bild: Sie ist relativ hoch bei den AN, weniger deutlich ausgeprägt bei den traditionellen Kameradschaften und noch geringer bei (den übrigen) NPD-Angehörigen. Darin spiegelt sich auch die unterschiedliche Altersstruktur wider. Die meisten Anhänger der AN sind in den Zwanzigern, in den Kameradschaften und der NPD ist das Durchschnittsalter erheblich höher.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, das Gewalt als politisches Mittel in-nerhalb des organisierten Rechtsextremismus in Hamburg weder propa-giert noch zielgerichtet angewendet wird. Das schließt nicht aus, das auch politisch aktive Kader in Einzelfällen gewalttätig werden können, geplante Gewalttaten sind gegenwärtig jedoch weitgehend auszuschließen. Je fe-ster die Szeneverankerung und Politikfähigkeit einer Person ist, desto ge-ringer ist die aktive Gewaltneigung. Gefährdet sind allerdings Szene-aussteiger, die gegen ihre früheren Freunde agitieren und Interna verra-ten. Diese müssen insbesondere bei zufälligen Begegnungen durchaus mit körperlichen Angriffen rechnen. Vielen Gewaltandrohungen folgen jedoch letztlich keine Taten.

Rechtsextremistische Gewalttaten werden vornehmlich von Jugendlichen und jungen Heranwachsenden verübt, die wenig oder gar nicht politisch organisiert sind und in der Regel nur über ein diffuses rechtsextremisti-sches Weltbild verfügen. Vorherrschendes Motiv der häufig unter Alko-holeinfluss verübten Gewalttaten ist Fremdenhass.

Soweit es den organisierten Rechtsextremismus betrifft, ist die Gefahr zu-nehmender Gewaltanwendung aus Sicht des LfV Hamburg nicht akut, auch wenn mit dem Auftreten der AN eine tendenzielle Verschärfung der Situa-tion festzustellen ist. Die konsequente Bekämpfung rechtsextremistisch motivierter Alltagsgewalt bleibt ein politisches Ziel und eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe mit hoher Priorität. Für Entwarnung oder gar Ver-harmlosung dieses Phänomens besteht kein Anlass.

Kurzvortrag „Gewaltbereite Strömungen im deutschen