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4 Das Konzept der Lebensqualität

4.5 Gesundheitsbezogene Lebensqualität in der Onkologie

Auch in der Onkologie wird gesundheitsbezogene Lebensqualität als multidimensio-nales Konstrukt verstanden. Es umfasst die körperliche, psychische und soziale Funktionsfähigkeit eines Individuums. Die körperliche Funktionsfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit zur Verrichtung verschiedener Alltagsaktivitäten und auf kör-perliche Symptome, die ihrerseits Folge der Erkrankung selbst oder deren Behand-lung sein können. Der psychischen Funktionsfähigkeit werden das emotionale Befinden (Distresserleben) und auch die kognitive Funktionsfähigkeit zugerechnet.

Die soziale Funktionsfähigkeit beschreibt die Qualität sozialer Beziehungen und der Integration eines Individuums in die Gesellschaft. Daneben wird eine Beurteilung der Lebensqualität oder Gesundheit im Allgemeinen erhoben (Sprangers, 2002, S. 229).

Die Subjektivität des Lebensqualitätskonzepts drückt sich in seiner individuellen Relevanz und der Art der Erhebung aus. Es spiegelt die individuelle Sichtweise des

Krebspatienten wider (Sprangers, 2002). Forschungsarbeiten zur Lebensqualität stel-len demnach Beziehungen zwischen objektiv Messbarem (Krankheitsentität, Thera-pieformen usf.) und Art und Ausmaß individuellen Erlebens her, berücksichtigen dabei jedoch die psychische Verarbeitung krankheitsrelevanter Informationen durch das Individuum nur unzureichend.

Auch in der Onkologie kommen generische (krankheitsunspezifische), krebsspezifi-sche und bereichs-/symptomspezifikrebsspezifi-sche Lebensqualitätsmaße zum Einsatz. Während generische Maße den Vergleich verschiedener Populationen erlauben, können sie krankheitsspezifische Veränderungen nur unzureichend abbilden (z. B. bestimmte Symptome und Nebenwirkungen der Behandlung). Bereichsspezifische Lebensquali-tätsmaße differenzieren schließlich noch tief greifender in verschiedenen Subdimen-sionen (Sprangers, 2002).

Lebensqualitätsangaben werden als Ergebnismaß, als Prädiktor und in der Behand-lungsplanung (Arzt-Patient-Kommunikation) eingesetzt. Im Rahmen der Forschung zu Behandlungsergebnissen werden auch körperliche und psychische Probleme er-fasst, die sich noch lange nach abgeschlossener Behandlung einstellen. Dass For-schungsergebnisse bisweilen zum objektiven Befund in Widerspruch stehen, wird auf Veränderungen innerer Vergleichsmaßstäbe (oder Lebensqualitätsvorstellungen) zurückgeführt. Dieser Anpassungsprozess wird als „response shift“ bezeichnet. Er erschwert die Vergleichbarkeit von Verlaufsdaten. Das ist insbesondere der Fall, wenn verschiedene Behandlungsformen unterschiedliche Gewöhnungsprozesse be-wirken (Sprangers, 2002). Lebensqualität ist somit nicht das Abbild des objektiven Gesundheitszustands eines Krebspatienten. Vielmehr werden objektive Einschrän-kungen durch das Krankheitsbild und den therapeutischen Prozess einer individuel-len Bewertung unterzogen. Erfahrungen beeinflussen die subjektive Einschätzung der Lebensqualität mit.

4.5.1 Gesundheitsbezogene Lebensqualität nach der Primärbehandlung von Brustkrebs

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen wird durch eine Reihe soziodemografischer, behandlungsbezogener und psychosozialer Parameter beeinflusst. So konnten Engel und Mitarbeiter zeigen, dass die Lebensqualität von Mammakarzinompatientinnen, gemessen mit dem EORTC QLQ-C30, vom Alter, von Armproblemen, dem Operationsverfahren, Komorbiditäten, der Zufriedenheit mit erhaltener Information durch Ärzte und einigen soziodemografischen Parameter beeinflusst wird (Engel, Kerr, Schlesinger-Raab, Eckel, Sauer & Hölzel, 2003). Ge-ringere Armprobleme trugen zu einer besseren Lebensqualität in allen Bereichen bei.

Patienten ohne Komorbiditäten konstatierten sich ebenfalls weniger körperliche Ein-schränkungen (Skala: „physical functioning“) und weniger RolleneinEin-schränkungen.

Im Altersvergleich ist das Bild etwas komplexer: Während jüngere Patientinnen we-niger körperliche Einschränkungen beklagten, litten sie stärker unter sozialen Beein-trächtigungen (Skala: „social functioning“). Verheiratete Patientinnen schätzen ihre Rollenfunktion als besser ein. Tumorstadium und adjuvante Therapie trugen hinge-gen nicht zu Lebensqualitätsunterschieden bei. Den günstihinge-gen Einfluss von als um-fassend beurteilten Informationen auf die Lebensqualität begründen die Autoren in einer ähnlich gelagerten Publikation mit daraus resultierender Sicherheit, realisti-schen Erwartungen und weniger Distress (vgl. Kerr, Engel, Schlesinger-Raab, Sauer

& Hölzel, 2003).

In einer anderen Studie wurden Patientinnen nach Abschluss der Primärtherapie (ein-schließlich Chemotherapie) befragt. Diese schilderten eine herabgesetzte körperliche und eine im Durchschnitt unbeeinträchtigte psychische Lebensqualität. Gleichzeitig bestanden für die Gesamtstichprobe signifikante Zusammenhänge zwischen der Schwere einzelner Symptome sowie der körperlichen und psychischen Lebensquali-tät. Signifikante Einflüsse auf die körperliche Lebensqualität fanden sich für Brust-empfindlichkeit, Schmerzen, Muskelsteifigkeit, Unzufriedenheit mit der äußeren Erscheinung und Taubheit/Kribbeln. Die psychische Lebensqualität wurde hingegen durch Vergesslichkeit, Reizbarkeit, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und

Früherwachen beeinträchtigt (Ganz et al., 2004). Daran wird ersichtlich, dass sich körperliche und psychische Beschwerden auf Lebensqualitätsparameter auswirken.

4.5.2 Gesundheitsbezogene Lebensqualität nach Gastrektomie

Kaptain, Morita & Sakamoto (2005) konstatieren in ihrer Zusammenfassung der vor-liegenden Arbeiten zur Lebensqualität bei Magenkrebspatienten, dass sich diese weitgehend auf Vergleiche unterschiedlicher Behandlungsverfahren konzentrieren.

In einigen Arbeiten fanden sich Unterschiede zwischen den eingesetzten Operations-verfahren (zugunsten subtotaler bzw. rekonstruktiver Verfahren), in anderen hinge-gen nicht. Dieser Widerspruch lässt sich etwas erhellen, wenn unterschiedliche Aspekte der Lebensqualität separat betrachtet werden: So konnten Svedlund und Mitarbeiter zeigen, dass nach abgeschlossener Magenoperation subtotal gastrekto-mierte Patienten weniger über Verdauungs- und Ernährungsschwierigkeiten klagten.

Hingegen fanden sich bezüglich der postoperativen allgemeinen Lebensqualität keine Unterschiede zwischen den verschiedenen chirurgischen Verfahren. Im Vergleich mit dem Befinden vor der Operation waren jedoch Einbußen in der körperlichen bei gleich bleibender bzw. sich verbessernder psychischer Lebensqualität zu verzeich-nen. Der psychischen Lebensqualität werden unter anderem auch empfundene Ein-schränkungen in sozialen Interaktionen zugeordnet. Die sich verbessernde psychische Lebensqualität begründen die Autoren mit der den Patienten bekannten kurativen Operationsabsicht und Einflüssen von Bewältigungsstrategien. Allmählich nachlassenden körperlichen Beschwerden wird eine nachgeordnete Bedeutung hier-für beigemessen (Svedlund, Sullivan, Liedman, Lundell & Sjödin, 1997). Daran wird deutlich, dass sich gedankliche Bewertungen und mit ihnen assoziierte Emotionen neben objektiv vorhandenen körperlichen Beschwerden auf die Lebensqualität aus-wirken. Es ist zu vermuten, dass Heilungserwartungen protektiv aus-wirken. Ähnlich den Ergebnissen dieser Studie konnten auch Davies, Johnston, Sue-Ling, Young, May et al. (1998) zeigen, dass Alltagsbeeinträchtigungen in den Monaten nach der Operation (3 Monate bei Svedlund et al., 1 Monat bei Davies et al.) am deutlichsten ausgeprägt waren und nachfolgend wieder das präoperative Niveau erreichten. Davies et al.

bes-tätigten ebenfalls die spezifischen Lebensqualitätsunterschiede in Abhängigkeit von den eingesetzten Operationsverfahren bei vergleichbarer allgemeiner gesundheitsbe-zogener Lebensqualität.

Thybusch-Bernhardt, Schmidt, Küchler, Schmid, Henne-Bruns et al. (1999) benutz-ten den EORTC QLQ-C30, um die postoperative Lebensqualität von Patienbenutz-ten nach totaler Gastrektomie über mehrere Jahre zu beurteilen. Allgemein war diese im Jahr nach der Operation am schlechtesten. Es fanden sich keine Unterschiede in der all-gemeinen Lebensqualität und den Funktionsskalen zwischen Patienten mit bzw. ohne umfassende Lymphknotenentfernung. Hingegen war die körperliche Funktionsfähig-keit jener Patienten, denen auch die Milz entfernt wurde, stärker beeinträchtigt. Diese Patientengruppe fand auch die Therapie belastender und war weniger zuversichtlich bezüglich einer möglichen Verbesserung ihres Gesundheitszustands. Die beiden letz-ten Aussagen beziehen sich auf Einzel-Items in einem anderen Lebensqualitätsfrage-bogen. Den Einfluss der Milzentfernung auf die postoperative Lebensqualität konnten Davies et al. (1998) nicht bestätigen. In einer weiteren Untersuchung zur Lebensqualität von Magenkrebspatienten nach subtotaler bzw. totaler Gastrektomie (de Liano, Oteiza Martinez, Ciga, Aizcorbe, Cobo & Trujillo, 2003) wurden auch Al-terseinflüsse untersucht. Im Bereich „soziale Funktionsfähigkeit“ des EORTC QLQ-C30 gaben über siebzigjährige Patienten dort geringere Einschränkungen an. Gleich-zeitig litten sie jedoch stärker unter verschiedenen Symptomen.

4.5.3 Gesundheitsbezogene Lebensqualität nach radikaler Prostatektomie

Die operative Entfernung der Prostata kann zu Kontinenz- und Erektionsschwierig-keiten beitragen. Gastrointestinale Beschwerden treten infolge strahlentherapeuti-scher Verfahren auf (vgl. Wei, Dunn, Sandler, McLaughlin, Montie et al., 2002;

Talcott, Manola, Clark, Kaplan, Beard et al. 2003). In einer Verlaufsstudie konnte für Prostatektomiepatienten nachgewiesen werden, dass deren Inkontinenzprobleme bin-nen eines Jahres nachließen, sich danach jedoch nicht weiter veränderten. Erektions-schwierigkeiten waren bei Operierten im Vergleich zur Diagnosestellung drei Monate nach der Operation deutlich stärker ausgeprägt, verbesserten sich jedoch

nachfolgend wieder. Dennoch waren selbst nach zwei Jahren noch Einschränkungen vorhanden. Unter Strahlentherapiepatienten kam es hingegen verstärkt zu Blasen-problemen (abzugrenzen von Inkontinenz) und Verdauungsbeschwerden. Die Auto-ren fanden hohe korrelative Zusammenhänge zwischen der Schwere der genannten Funktionseinschränkungen und dem Grad der durch diese hervorgerufenen spezifi-schen Belastungen (Talcott et al. 2003). Diese Ergebnisse zeigen, dass chirurgische Eingriffe langwierige, jedoch veränderliche Nebenwirkungen haben. Penson und Mitarbeiter belegen, dass Inkontinenz und Erektionsschwierigkeiten verschiedene Parameter der allgemeinen Lebensqualität beeinträchtigten: Sowohl das Ausmaß die-ser Symptome als auch der Ärger über sie wirkten sich negativ aus (Penson, Feng, Kuniyuki, McClerran, Albertsen et al., 2003). Die Lebensqualität der Prostatakarzi-nompatienten wird somit auch davon bestimmt, wie stark sich die Betroffenen in ver-schiedenen Lebensbereichen durch die Symptome beeinträchtigt fühlen.

Clark und Mitarbeiter konnten zeigen, dass die Wahrnehmung von Körperfunktionen und die Lebensqualität auch durch psychosoziale Einflussfaktoren beeinflusst wer-den können. Dazu rechnen sie das Wissen um die Krebsdiagnose, Erwartungen, Per-sönlichkeitseigenschaften, soziale Ressourcen und das Verhältnis zu Ärzten. So korrelierten die subjektive Kontrollierbarkeit der Krebserkrankung und Lebensquali-tätsparameter miteinander. Es konnte gezeigt werden, dass die meisten Patienten zu-versichtlich waren, dass durch die Therapie der Krebs kontrolliert wird. Unter den Prostatektomiepatienten (im Vergleich zu anderen Therapieoptionen) war diese Ü-berzeugung besonders stark. Diese Patienten meinten auch, die Krankheit gut bewäl-tigt zu haben. Der Glaube an die Kontrollierbarkeit der Erkrankung verringerte zudem die Sorge um die Gesundheit. Die Autoren mutmaßen, dass es für die Le-bensqualität ausschlaggebend sein könnte, ob Beschwerden als Nebenwirkung der Therapie oder als Anzeichen einer fortschreitenden Erkrankung gewertet werden.

Therapienebenwirkungen sollten demnach vor dem Hintergrund der Lebensperspek-tive betrachtet werden (Clark, Inui, Silliman, Bokhour, Krasnow et al. (2003).

5 Beziehungen zwischen Kontrollüberzeugungen und Lebensqualität