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Gestaltungsorientierte berufliche Bildung

Im Dokument in der Bauwirtschaft (Seite 138-143)

Die Beschäftigten sammeln zwar auch unanhängig von gezielten Bildungsmaß-nahmen täglich mehr oder minder bewusst Erfahrungen über die Qualität ihrer Arbeitssituation und sie können auf dieser Basis sicherlich zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Rentabilität beitragen, wie zahlreiche Beispiele aus der Praxis des betrieblichen Vorschlagswesens zeigen. Dass dies ist in beteili-gungsorientierter Gestaltungsperspektive jedoch nicht ausreichend ist, hat sich insofern gezeigt, als erlebte betriebliche Arbeitssituationen teilweise zu Formen einer, natürlichen, d.h. technologisch determinierten und damit kaum beein-flussbaren Ordnung verklärt werden (vgl. Fischer 1995, S. 139). Um aber die eigenen Interessen argumentativ vertreten, technische und organisatorische Mängel - auch im Interesse der Unternehmen - beseitigen zu können, ist eine Erweiterung und Systematisierung des ggf. vorhandenen erfahrungsbasierten Gestaltungswissens erforderlich.

arbeitsorientierte Weiterbildung

Bereits im HdA-Programm zu Beginn der achtziger Jahre wurde die Bedeutung der Gestaltungskompetenz der Betroffenen für die Humanisierung des Arbeits-lebens betont und eine systematische Integration gestaltungsbezogener Inhalte in die beruflichen Bildung gefordert. Dazu wurden u. a. eine „verstärkte Berück-sichtigung der zukünftigen technisch-organisatorischen Bedingungen in

Pro-duktion, Dienstleistung und Verwaltung bei betrieblichen Qualifizierungsmaß-nahmen“ und „Vermittlung von sozialer Kompetenz und Fähigkeit der Leitung und Steuerung komplexer sozio-technischer Prozesse“ (BMFT 1981, S. 230) als notwendig erachtet. Dementsprechend wurden Konzepte gestaltungsorientierter Weiterbildung entwickelt. Faulstich hat die Vermittlung gestaltungsrelevanter Kenntnisse als unerlässlich für eine Erwachsenenbildung betrachtet, die den grundlegenden Interessen der Beschäftigten gerecht werden will, nämlich den Einsatz und Erhalt des Arbeitsvermögens sowohl zum Erwerb des Lebensunter-haltes als auch zur Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverwirklichung und Mit-bestimmung: „Ausgehend von diesen Interessen ergeben sich als Lernziele fol-gende anzustrebende Handlungskompetenzen:

- Kenntnisse der Arbeitsbelastungen und ihre Folgen für das Arbeitsvermögen, - Einsicht in die Ursachen der Gestaltung der Arbeitsbedingungen,

- Fähigkeit zur Analyse von technisch-organisatorischen Umstellungen und der damit verfolgten Interessen,

- Fähigkeit zur Beteiligung an betrieblichen und gesellschaftlichen Entschei-dungsprozessen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung,

- Bereitschaft zu adäquaten Durchsetzungsstrategien“ (1981, S. 133; Hervorh.

i. Orig.).

„Berufliche Weiterbildung zu sozialverträglicher Technikgestaltung soll die Ar-beitnehmer befähigen, an ihrem Arbeitsplatz und gegebenenfalls darüber hinaus an der Entwicklung von Arbeitsabläufen mitzuwirken, die beiden Seiten - den ökonomischen Zielen der beschäftigenden Betriebe und dem Interesse der Ar-beitnehmer an dauerhafter Beschäftigung und humanem Arbeitsvollzug - ge-recht werden“ (Bolder 1987, S. 254). Solche Vorstellungen, die auf eine Integ-ration fachlicher und politischer Bildungsinhalte hinauslaufen, wurden im Rah-men des NRW-Landesprogramms „Mensch und Technik - Sozialverträgliche Technikgestaltung“ beispielsweise in Form einer integrierten Weiterbildungs-konzeption „CNC-Metallbearbeitung“ umgesetzt und erprobt (Deppermann u. a.

1994).

Entwicklung des gestaltungsorientierten Ausbildungskonzeptes

Wenn eine Verklärung der Arbeitswelt als technologisch determinierte Ordnung von vornherein vermieden werden soll, darf die Entwicklung von Gestaltungs-kompetenz allerdings nicht erst in der beruflichen Weiterbildung beginnen, son-dern muss schon frühzeitig, in der beruflichen Erstausbildung ansetzen. Dieser

Gedanke wurde am Institut Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen konsequent in Form des dort entwickelten Ansatzes gestaltungsorientierter Bil-dung verfolgt, der schließlich in das aktuelle BerufsbilBil-dungsziel „Befähigung zur Mitgestaltung“ mündete. Eingebettet war diese Entwicklung in die Arbeit der 1984 vom Bremer Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst berufenen

„Sachverständigenkommission Arbeit und Technik“, deren Auftrag darin be-stand, ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm zu diesem Problemfeld zu erarbeiten.244 In dem vier Jahre später veröffentlichten Endbericht wird mit dem Verweis auf das Wechselverhältnis von Bildung (Qualifikation), Arbeit (Ar-beitsorganisation) und Technik (Basisinnovation und Anwendung) kritisiert, dass in Bildungs- und Qualifikationsforschung in der Regel die Perspektive der Qualifikationsanforderung an bestehende Produktionsverhältnisse dominiert, Qualifikation und Bildung keine oder nur eine untergeordnete Rolle in Innovati-onsprozessen spielt und somit in Abhängigkeit einer sich selbständig entwi-ckelnden Technik gerät. In einer solch verkürzten Sicht würden gesellschaftli-chen Entwicklungen ein technischer und ökonomischer Determinismus zugrun-degelegt, nach dem Technik an sich, d. h. als wertfrei angewandte Naturwissen-schaft, die Ursache jeglichen gesellschaftlichen Wandels ist. „Demgegenüber ist ein kritisch-konstruktives Bildungskonzept zu entwickeln, in welchem

- die Befähigung zur Ausübung einer Arbeit immer verbunden ist mit der Frage nach der Gestaltung der Arbeit und Arbeitsorganisation;

- die Befähigung zur instrumentellen Beherrschung von Technik mit der Frage nach der gesellschaftlichen Beherrschung und Gestaltung von Technik ver-knüpft wird;

- ein Verständnis von Arbeit und Technik, wonach Technik auch komplemen-tär zur Arbeit denkbar und gestaltbar ist, und Fähigkeiten vermittelt werden, Technik komplementär zu menschlichen Bedürfnissen und Entwicklungen zu gestalten“ (Sachverständigenkommission 1988, S. 116 ff).

Bildung und Qualifikation werden hier als unabhängige Einflussgröße betrach-tet, die es Betroffenen ermöglicht, auf die Entwicklung von Arbeit und Technik gestaltend einzuwirken. Bezogen auf die damalige Debatte um die erwähnten Entwicklungspfade in die Fabrik der Zukunft wird an anderer Stelle betont:

„Bildung und Qualifikation müssen auf dem Weg in die neue Fabrik, wenn die-ser Weg ein humanzentrierter sein soll, auch als relativ eigenständige

244 Vorsitzender dieser Sachverständigenkommission war Prof. Dr. Felix Rauner, ITB - Institut Technik und Bildung der Universität Bremen

wicklungs- und Gestaltungsdimension begriffen werden. Bildung und Qualifi-kation dürfen keine abhängigen Variablen im Verhältnis zur Technik- und Ar-beitsentwicklung sein“ (Rauner 1989 a, S. 37; Hervorh. i. Orig.). Mit diesem Bildungs- und Qualifikationsverständnis als eigenständige Größe der Gestaltung von Arbeit und Technik war zugleich die Absicht verbunden, der fortschreiten-den Dequalifizierung entgegenzuwirken.

der Technikbegriff einer erweiterten Techniklehre

Diesem Anspruch konnten die damaligen gewerblich-technischen Lehrpläne nicht gerecht werden, wie ein Gutachten zur Elektrotechnik Grundbildung für die Kollegschule in aller Deutlichkeit offenbarte, in dem die Leitidee der ges-taltungsorientierten beruflicher Bildung veröffentlicht wurde (Rauner 1986).

Zum einen reduzierte sich das Ziel der ersten Stufe der Stufenausbildung der Elektroberufe jener Zeit darauf, die Ausbildenden im tayloristischen Sinne in die Lage zu versetzen, einfache Aufgaben nach detaillierten Anweisungen ausfüh-ren zu können. Zum andeausfüh-ren lag der Ausbildung ein äußerst begausfüh-renztes Tech-nikverständnis zugrunde, das technische Sachverhalte auf physikalische Grund-lagen und funktionale Prinzipien reduziert unter Vernachlässigung der histo-risch-sozialen Bedingungen für die Entwicklung bestimmter Technologien und deren Auswirkungen auf Arbeitswelt und Gesellschaft. Da nun aber jede Tech-nikentwicklung ihrem Wesen nach Gestaltung sozialer Zukunft ist, wird eine Techniklehre, die von einem solch reduzierten Technikbegriff245 ausgeht, nicht einmal der Technik an sich gerecht, von einem Bildungsanspruch ganz abgese-hen. Wenn Techniklehre also nicht von menschlichen und sozialen Bedürfnissen ausgeht, wenn sie nicht primär betrieben wird, um Zukunft sozial zu gestalten, dann steht in diesem Zusammenhang die Frage der Nützlichkeit und Gebrauchs-wertqualität bzw. der gesellschaftlichen und ökologischen Folgen nicht im Vor-dergrund. Solch eine „zweckfreie Berufsbildung“ (Rauner 1996) fördert bei den Auszubildenden ein Verständnis einer Eigengesetzlichkeit von technologischen

245 Lipsmeier (1995, S. 234 ff) bezeichnet den Technikbegriff als „die zentrale didaktische Kategorie“ der Technikdidaktik und weist in seinen Ausführungen zur „Didaktik ge-werblich-technischer Berufsausbildung“ auf Denkmodelle humaner Technologie als Be-zugspunkte technischen Unterrichts von Nölker (1980) und Bonz (1980) hin, denen ein erweitertes Technikverständnis zugrunde liegt, das soziale, humane, ökologische ökono-mische und kulturelle Aspekte umfasst. Ropohl (1979, S. 43; überarbeitet 1999) betrach-tet Technikentwicklungsprozesse in seiner „Systemtheorie der Technik“ ihrem Wesen nach als Gestaltung sozialer Zukunft in sozio-technischen Handlungs- und Zielsystemen, die auf die naturale, die humane und die soziale Dimension der Technik verweisen.

Entwicklungen, auf die nur schwer - wenn überhaupt - Einfluss genommen wer-den kann. Und entsprechend besteht die Gefahr, dass sie ihre eigene Arbeitssitu-ation und Lebensperspektive ebenso als technologisch determiniert empfinden.

technisch Möglichen sozial Wünschbaren

Technik als Einheit des Mittel – (Zusammenhang) - Zweck

technische Normen soziale

Orientierungen

Natur- / Ingenieurwissenschaften Theorie / Wissen

erfahrungsorientiertes technisches Wissen

wissenschaftliche technische Werkzeuge

technische Standards

ökonomische, soziale subjektive Interessenorientierung

kulturelle Orientierung

Gebrauchswert-antizipation

gesetzliche Regelungen

T E C H N I K

Abb. 1: Technik als Zweck-Mittel-Zusammenhang (Rauner 1995, S. 58)

Diesem reduzierten Technikbegriff hat Rauner in dem Kollegschul-Gutachten (1986, S. 146) eine erweitere Elektrotechniklehre mit folgenden Dimensionen gegenübergestellt:

- Technologie: Aufbau, Funktionieren und Konstruieren der Technik;

- Historische Gewordenheit: Technik als Ausdruck des historischen Prozesses;

- Gesellschaftliche Arbeit: Technik als Ergebnis, Mittel und Bedingung für die Arbeit;

- Gebrauchswert: vergegenständlichte Zwecke, Werte und Nützlichkeit der Technik;

- Ökologie: Technik als Moment ökologischer Kreisläufe.

Eine solch erweiterte Techniklehre246 reflektiert den zugrunde liegenden Zweck-Mittel-Zusammenhang von Technik, nach dem diese immer eine Einheit des technisch Möglichen und des sozial Wünschbaren repräsentiert.

Diesem Ansatz liegt einem Berufsbildungskonzept zugrunde, das die „Befähi-gung zur (Mit)Gestaltung von Arbeit und Technik“ zur Leitlinie beruflichen Lernens erhebt und darauf abzielt, dass die reale Technik sowohl in ihrem Funktionieren als auch in Bezug auf ihre gesellschaftliche Funktion begriffen wird: „Die Befähigung zur (Mit)Gestaltung von Technik umfaßt ... nicht nur die Fähigkeit, beschreiben zu können, wie Technik funktioniert, oder anhand natur-wissenschaftlich-technischer Modellvorstellungen erklären zu können, warum konkrete Technik funktioniert und wie sie gegebenenfalls herzustellen ist, son-dern vor allem die Fähigkeit, erklären zu können, warum sie diese und keine an-dere Gestalt hat, wie sie in ihren vielfältigen Wechselverhältnissen zur Natur und zur gesellschaftlichen Arbeit und vor allem in bezug auf ihren gesellschaft-lichen Nutzen zu bewerten ist“ (Rauner 1988 a, S. 41; Hervorh. i. Orig.). Dies ist die Grundlage dafür, bei den Auszubildenden ein Verständnis für die prinzi-pielle Gestaltbarkeit von Technik zu fördern und zum Erkennen des Bezie-hungsgefüges Mensch-Technik-Umwelt anzuleiten. Eine solche Integration fachlicher und gesellschaftlich-politischer Lerninhalte hat zur Konsequenz, dass nicht mehr vorrangig technische Sachverhalte die Inhaltsauswahl und die Lern-prozesse dominieren, sondern die Technik-, Arbeits-, Gesellschafts- und Subjektbezüge integrativ verbunden werden (vgl. Petersen 1994, S. 251ff).

4. Gestaltungsorientierung in Rahmenlehrplänen elektro- und

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