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Katrin Mohr, Tanja Smolenski

Unser Sozialstaat ist eng an Erwerbsarbeit gekoppelt. Wenn sich diese ver-ändert – durch Digitalisierung, demografischen Wandel und zunehmende Vielfalt – muss sich auch der Sozialstaat verändern. Auch im Wandel muss er Teilhabe am Arbeitsleben und soziale Sicherheit über den Lebenslauf hinweg für alle gewährleisten. Eine solche sozialstaatliche Modernisierung geht nur mit Gewerkschaften und betrieblicher Mitbestimmung. Denn mit Tarifverträgen und betrieblichen Vereinbarungen entwickeln wir den Sozial-staat weiter – passgenau und unter Beteiligung der Akteure vor Ort. Der Tarifabschluss zur Arbeitszeit in der Metall- und Elektroindustrie ist ein wichtiger Beitrag dazu.

Gewerkschaften als Motor

und Macherinnen des Sozialstaats

Der Sozialstaat ist das Gesamtensemble verschiedener sozialer Siche-rungssysteme und Regulierungsebenen. Er umfasst nicht nur die traditi-0nellen sozialen Sicherungssysteme, die gegen die klassischen mit Er-werbsarbeit verbundenen Risiken wie Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Alter absichern, und die sozialen Hilfen, Förder-systeme und Dienstleistungen. Auch das System der industriellen Bezie-hungen – das institutionalisierte Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit – ist elementarer Bestandteil der Sozialstaatsarchitektur, und Gewerkschaften sowie betriebliche Mitbestimmung spielen gerade in Deutschland eine tragende Rolle darin. Sie »machen« den Sozialstaat, indem sie die Vertei-lung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der Beschäftigten

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einflussen, Standards für die Regulierung von Arbeit setzen und über tarifliche und betriebliche Vereinbarungen soziale Absicherungen und Ansprüche für die Beschäftigten organisieren. Gleichzeitig setzen sie sich gegenüber der Politik für die Weiterentwicklung des Sozialstaats im Sinne der Beschäftigten ein.

Auch historisch betrachtet waren Gewerkschaften immer Motor so-zialstaatlicher Entwicklung. Lange vor der Etablierung der gesetzlichen Krankenversicherung Ende des 19. Jahrhunderts gab es betriebliche Kran-kenkassen und von der Arbeiterbewegung getragene Hilfskassen und Unterstützungsvereine. Mit der von Bismarck in Reaktion auf das Er-starken von Sozialdemokratie und Gewerkschaften – in einem Atemzug mit deren Verbot und Unterdrückung (»Zuckerbrot und Peitsche«) – be-triebenen Einführung der Sozialversicherung wurden diese lokalen So-lidarsysteme verallgemeinert und auf die Ebene einer umfassenden ge-setzlichen Regelung gehoben. Diese soziale Innovation war jedoch zuvor in jahrelangen politischen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzun-gen vor Ort entstanden.

Auch andere – heute selbstverständlich erscheinende – sozialpoliti-sche Fortschritte haben die Gewerkschaften erkämpft. So haben die Me-tallerinnen und Metaller die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter in den 1950er Jahren durch Streiks und Tarifverhandlungen er-stritten, bevor der Bundestag sie 1969 schließlich gesetzlich verankerte.

Betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen waren dabei nicht nur Motor des sozialen Fortschritts, häufig war die Praxis in den Betrie-ben auch Versuchsarena für Regelungen, die später per Gesetz verallge-meinert wurden.

Die Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen durch die Tarifvertragsparteien sowie die betriebliche Mitbestimmung wurden in der Nachkriegszeit institutionalisiert und im Grundgesetz und anderen Gesetzen verankert. Sie bilden bis heute einen Eckpfeiler des deutschen Sozialmodells.

Gewerkschaften formen den Sozialstaat auf drei Ebenen: Auf der Ebene der politischen Debatte und Gesetzgebung, per Tarifvertrag und im Betrieb.

Auf der ersten sozialstaatlichen Handlungsebene von Gewerkschaften

geht es darum, die Interessen der Mitglieder gegenüber der Regierung und den Parteien zu vertreten, Th emen auf die politische Agenda zu set-zen und Gesetzgebung und öff entlichen Diskurs im Interesse der Mitglieder so zu beeinfl ussen, dass gewerkschaft liche Th emen auch gesellschaft -lich prägend wirken. Stellvertretend für viele Th emen und Politikfelder, in denen sich die IG Metall auf dieser Ebene engagiert, sei hierfür auf zwei aktuelle Beispiele verwiesen: Mit ihrer Rentenkampagne hat die IG Metall zusammen mit dem DGB und den anderen Einzelgewerk-schaft en Druck auf die Politik ausgeübt, um den Sinkfl ug des Renten-niveaus endlich zu stoppen. Sie konnte damit erreichen, dass die Stabili-sierung des Rentenniveaus im Koalitionsvertrag von Union und SPD verankert und eine Kommission zur langfris tigen Gestaltung des Alters-sicherungssystems ins Leben gerufen wurde. Auch die von der neuen großen Koalition vereinbarte Wiederherstellung der Parität in der ge-Gut zu wissen

Der Streik um Lohnfortzahlung Wenn ein Tariferfolg Gesetz wird

Wenn sich eine Grippewelle ihren Weg bahnt, die Nase trieft und der Hals kratzt, dann heißt es: zu Hause bleiben und gesund werden. Dass es dann für bis zu sechs Wochen Lohnfortzahlung gibt, war nicht immer so. Noch

bis 1957 gab es für kranke Arbeiterinnen und Arbeiter keinen Lohn. Wer sich das Bein gebrochen oder eine Gehirner

schütterung hatte, hat eben

Pech gehabt. Den Angestellten ging es besser, sie bekamen im Krank-heitsfall weiter ihr Geld. Diese Ungerechtigkeit musste dringend beseitigt

werden! Und so zog die IG Metall in den Streik. Die Auft ragsbücher der Werft en im Norden waren voll und die Belegschaft en gut organisiert,

des-halb war hier der Streikschwerpunkt. Trotzdem sollte es keine leichte Sache werden: Die Arbeitgeber weigerten sich wochenlang vehement, auf die Forderung einzugehen. Und so waren die Streikenden insgesamt

16 Wochen im Ausstand. Die Solidarität unter den Streikenden sowie der Zuspruch der Bevölkerung waren enorm. Aus der gesamten Republik ka-men zum Beispiel Weihnachtspakete für die Streikenden, die dazu ermu-tigen sollten, durchzuhalten. Der Rest ist Geschichte: Der Streik wurde

ge-wonnen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde 1969 dann auch endlich für alle per Gesetz geregelt.

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setzlichen Krankenversicherung geht auf den Druck zurück, den die Ge-werkschaften gemeinsam mit anderen politischen Akteuren aufgebaut haben.

Auch bei anderen – nicht auf den ersten Blick als sozialpolitisch er-kennbaren – Themen engagiert sich die IG Metall in diesem Sinne. Sie hat sich als erste Gewerkschaft die Organisierung von Crowdworkern und das Eintreten für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen auf die Fahnen geschrieben. Parallel setzt sie sich gegenüber dem Gesetzge-ber dafür ein, dass Soloselbständige für das Alter abgesichert und der Arbeitnehmer- und Betriebsbegriff neu gefasst werden, damit keine Wildwest-Arbeitsverhältnisse entstehen, in denen Freelancer ausgebeu-tet und in Konkurrenz zu regulär Beschäftigten gesetzt werden.

Die zweite wichtige sozialstaatliche Handlungsebene ist die tarifliche.

Mit tariflichen Regelungen setzen wir – in Aushandlung mit dem Tarif-partner – einen kollektiven, auf die jeweilige Branche zugeschnittenen Rahmen von Standards, der gleiche Arbeitsbedingungen für die Be-schäftigten und gleiche Wettbewerbsbedingungen für Betriebe dieser Branche schafft.

In Tarifverträgen verankern wir Regelungen zu Arbeitsbedingungen, die über das gesetzlich garantierte Maß hinausgehen und gute Arbeit für die Beschäftigten zum Ziel haben. Und nicht zuletzt machen wir mit Ta-rifpolitik gesellschaftliche Verteilungspolitik: Denn die materielle Vertei-lung des Produkts gesellschaftlicher Wertschöpfung zwischen Kapital und Arbeit findet, bevor Steuern und Abgaben überhaupt ins Spiel kommen, entscheidend über die Lohnfindung statt. Diese ist gewerkschaftliches Kerngeschäft und wird über Tarifverträge gesteuert. Um eine Umvertei-lung zugunsten der Beschäftigten zu erreichen, sind gewerkschaftliche Organisierung, Tarifbindung und eine offensive Tarifpolitik fundamental wichtig. Gerade in der Gegenwart stehen Gewerkschaften dabei auf-grund der rückläufigen Tarifbindung, der Polarisierung des Arbeits-marktes und des Auseinanderdriftens der Bedingungen in den einzelnen Betrieben bzw. zwischen den verschiedenen Betrieben in der Wert-schöpfungskette vor enormen Herausforderungen.

Mit Tarifverträgen wird aber nicht nur Verteilungspolitik per Ent-geltfindung gemacht, sondern es werden auch qualitative Sachverhalte

geregelt. Altersübergänge, Bildungszeiten, mehr Zeit für Gesundheit, Kinderbetreuung und Pfl ege – zu all diesen Bereichen hat die IG Metall in den vergangenen Jahren tarifliche Regelungen entwickelt und erstrit-ten und auf diese Weise das Terrain sozialer Absicherung mit eigenen Mitteln ausgeweitet.

Auf der dritten Handlungsebene – im Betrieb – werden Belange der Beschäft igten passgenau zu den Interessenlagen der jeweiligen Beleg-schaft und zur spezifi schen Verfasstheit des Unternehmens geregelt, ge-setzliche und tarifliche Ansprüche konkretisiert und erweitert. Hier wird im Rahmen der Mitbestimmung über Unternehmensentscheidun-gen mitentschieden und die Anwendung und Einhaltung von Tarifver-trägen durch Betriebsräte überwacht. Nicht zuletzt entsteht im Betrieb die Grundlage gewerkschaft licher Durchsetzungsfähigkeit auf den

ande-Gut zu wissen Flotter Dreier: die Ver

zahnung von Staat, Tarif und Betrieb

Wer soll in unserem Land die Arbeit

sbedingungen regeln? Jeder Bet rieb für sich? Gewerkschaft und Arbeitgeber per

Tarif? Der Gesetzgeber? Wer jetzt fi n-det: Die Mischung macht’s: willkommen in der Kneipe »Z

um Flotten Dreier«!

Die IG

Metall schlägt vor, dass möglichst viele

Akteure in diese Kneipe kom-men und verabreden, w

ie man sich die Auf

gabe, »unser Land

soll für alle gut funktionieren«, auft

eilt. Diese Verzahnung ist deswegen so c

lever, weil dann jede und jeder das beiträgt, was sie oder er am be

sten kann, Lücken g eschlos-sen werden und die

Ebenen sich wechselseitig unterstützen können. Kleiner Tipp an die P

arteien: Dazu braucht es einen gut

ausgebauten Sozialstaat, der Sicherheit bietet, Chancen eröff net und Gew

erkschaft en und Betriebsräte in ihrem Handeln u

nterstützt. Mit entsc

hiedener Politik klappt es auch wieder besser bei der nächsten Wahl.

Großer Tipp an die Ar

beitgeber:Die Wirtschaft flutscht am besten, wenn der Rahmen stimmt

. Gute Absicherungen, R

entnerinnen und Rentner mit Kauf-kraft , gute Straßen. Und

wenn ein starker Staat Geld in die Hand

nimmt für Schulen, dann habt ihr hinterher Topfachkräft e im Betrieb! Ach so: Umsonst gibt es das nun mal nicht. Keine Unternehmen

ssteuer zahlen wollen und gleich-zeitig nach Spitzennachwuchs schreien, haut nicht hin. De

swegen braucht der Staat eben Geld

– auch von Euch. Kommt doch gerne mal vorbei, im Flott en Dreier!

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ren Handlungsebenen: Organisationsmacht durch den solidarischen Zu-sammenschluss von Beschäft igten. Deshalb ist der Betrieb der zentrale Ort, von dem aus wir als IG Metall unsere Strategien und Konzepte ent-wickeln müssen.

Idealerweise werden Gesetzgebung, tarifliche und betriebliche Rege-lungen so miteinander verzahnt, dass sie sich gegenseitig unterstützen und verstärken. Das gewerkschaft liche Handeln wird auf allen drei Ebe-nen von einem übergreifenden Leitbild und einer kohärenten Strategie geleitet.

Dieses heißt für uns: Sicher, gerecht und selbstbestimmt durch die Transformation – gestaltet und abgesichert mit dem Sozialstaat 4.0.

Dafür haben wir auch einen starken Auft rag durch die Teilnehmen-den unserer Beschäft igtenbefragung 2017 erhalten: »Sicherheit und be-rufliche Perspektiven in der Industrie 4.0 für alle« war dort eines der in ihrer Wichtigkeit zu bewertenden politischen Handlungsfelder. 61,5 Pro-zent der Befragten war dieses Th ema wichtig, 32,0 ProPro-zent eher wichtig.

Diese Einschätzung bescherte ihm eine der höchsten Platzierungen un-ter allen abgefragten Handlungsfeldern, auf denen sich die IG Metall engagieren soll.

Sicherheit und berufliche Perspektive in der Industrie 4.0 für alle

wichtig eher wichtig eher unwichtig unwichtig 32 %

5 %

61,5 % 1,6 %

Quelle: IG Metall: Die Befragung 2017, Arbeitszeit – sicher, gerecht und selbstbestimmt.

Ergebnisse, Zahlen und Fakten zur Arbeitszeit, Seite 71

Gewerkschaften gestalten den Sozialstaat 4.0 Was heißt Sozialstaat heute? Und was heißt Sozialstaat 4.0?

Wir stehen heute am Beginn großer Umbrüche, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern – transformieren – werden.

Die Digitalisierung von Produkten und Prozessen droht ganze Tätig-keitsbereiche obsolet zu machen, erfordert neue Qualifikationen und eine ständige Anpassung an den technischen Wandel. Die Umstellung auf nicht fossile Energiequellen und Antriebsarten (Dekarbonisierung) wird vor allem die Automobilindustrie massiv verändern und kann Ar-beitsplätze gefährden. Neue globale Wertschöpfungsketten führen nicht nur zu einer zunehmenden Spaltung des Arbeitsmarktes, sondern auch zu erheblichen Herausforderungen für die gewerkschaftliche Organisie-rung der Beschäftigten in den globalen Produktionsketten und die Ein-hegung von Profitstrategien multinationaler Konzerne. Der durch die Alterung der Gesellschaft bedingte demografische Wandel erfordert nicht nur eine Neujustierung der sozialen Absicherung und ihrer Finan-zierung, sondern auch eine massive Veränderung der Arbeitswelt, die vielfältiger werdenden Lebenslagen und Bedürfnissen nach Vereinbar-keit von Arbeit und Leben gerecht werden muss. All diese Prozesse ha-ben gleichzeitig das Potential, die gesellschaftliche Ungleichheit weiter zu verschärfen.

Angesichts dieser Umbrüche kann sich der Sozialstaat nicht mehr auf die bloße Absicherung gegenüber den großen, traditionell mit der werbsarbeit verbundenen Risiken – Arbeitslosigkeit, Krankheit, Er-werbsunfähigkeit und Alter – beschränken. Durch die Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben, die zunehmende Brüchigkeit und Vielfalt von Erwerbsverläufen sowie veränderte Anforderungen an Qualifizierung und Selbstbestimmung sind neue Bedarfe sozialer Absicherung entstan-den: die Absicherung von Pflegebedürftigkeit, die Unterstützung bei der Kinderbetreuung, bei Übergängen zwischen Erwerbsarbeit und Phasen der Nichterwerbsarbeit sowie die Notwendigkeit von lebenslanger Wei-terbildung. Diese müssen von einem modernen Sozialstaat durch Sozi-alleistungen, soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen abgesichert werden. Dabei kann sich der Sozialstaat nicht mehr nur nachsorgend

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einschalten. Er muss vorausschauend und präventiv agieren. Teilhabe am Arbeitsleben und soziale Absicherung müssen entlang des Lebens-laufs organisiert werden. Dazu müssen neue Sachverhalte in den Blick genommen werden, die bisher nicht im Mittelpunkt sozial- und arbeits-politischer Regulierung standen – wie die Organisation einer besseren Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Privatleben – und neue Lösungswe-ge beschritten werden.

Die zentralen Elemente des Sozialstaats 4.0 sind:

gerechte Teilhabe an guter Erwerbsarbeit über das gesamte Berufsleben hinweg

soziale Sicherheit, die den Lebensstandard sichert, Armut zuverlässig verhindert und Phasen der Nichterwerbstätigkeit besser absichert

eine proaktive Gestaltung der Transformation, ein entschiedener Ausbau der Weiterbildung und von Sicherungselementen, die die Beschäft igten dabei unterstützen, sicher und mit gesteigerten berufl ichen Entwicklungsperspektiven durch die Transformation zu kommen

Solidarität und Mitbestimmung, durch die konkrete, fl ächen-deckende Lösungen unter Beteiligung der Akteure vor Ort und in den Betrieben entwickelt werden können

Zu all diesen Dimensionen trägt der Tarifabschluss zur Arbeitszeit Ent-scheidendes bei. Denn dank ihm können Beruf und Privatleben nun besser vereinbart werden, indem er ein Recht auf Arbeitszeitverkürzung mit Rückkehrrecht in Vollzeit verankert sowie die Möglichkeit schafft , das tarifliche Zusatzgeld in Zeit zu tauschen (vgl. Boguslawski / Zitzels-berger »Die Tarifbewegung 2017/2018 in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg« in diesem Band). Beide Optionen tragen dazu bei, dass Beschäft igte mit Kindern oder Pfl egeaufgaben ihre häus lichen Aufgaben besser mit ihren berufl ichen Pfl ichten in Einklang bringen und so trotz Sorgeverantwortung arbeiten gehen können, was gut für ihre weitere berufl iche Entwicklung und soziale Absicherung ist. Denn nur wer in ausreichendem Maß an Erwerbsarbeit teilhaben kann, erwirbt

da-durch auch ausreichend Ansprüche auf soziale Sicherungsleistungen wie Rente oder Arbeitslosengeld. Auch für die Kolleginnen und Kollegen in Schichtarbeit leisten wir durch die zusätzlichen freien Tage und die Ver-kürzungsoption einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit und langfristi-gen Aufrechterhaltung ihrer Beschäftigungs fähigkeit. Wir sichern damit tariflich die Arbeitskraft besonders belasteter Beschäftigtengruppen mit Perspektive auf den Lebenslauf und die Schaffung einer möglichst durch-gehenden Erwerbsbiografie ab. Damit übernehmen wir Verantwortung für eine lebenslauforientierte Sozialpoli tik ebenso wie für die Gestaltung von Kindererziehung, Pflege und Gesundheit als gesellschaftliche Aufgaben.

Wir gehen auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung, Vereinbarkeit und Lebenslauforientierung voran und werden dadurch erneut zum Motor so-zialstaatlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Innovation.

Teilhabe am Arbeitsleben ist nach wie vor eine zentrale Quelle von Identifikation und Platzanweiser in unserer Gesellschaft und wird es – trotz aller Umbrüche – auch künftig bleiben. Deshalb sind die Ermögli-chung von Teilhabe an guter Arbeit und gelingender Erwerbsverläufe zen-trale Gerechtigkeitsfragen – nicht nur in der Tarifpolitik, sondern für das gesamte Gefüge des Sozialstaats. Einkommen und soziale Absicherung sind in Deutschland direkt mit dem Erwerbsverlauf verknüpft. Diesen Zusammenhang wollen wir nicht auflösen, sondern adäquat anpassen.

Auch für Sicherheit im Wandel angesichts der anstehenden Transfor-mation leistet der Tarifvertrag einen wertvollen Beitrag, indem er die Veränderung des Arbeitszeitvolumens für alle Beschäftigten zum Nor-malfall werden lässt. Arbeitszeitverkürzungen werden ein unverzichtba-res Element sein, um betriebliche Modernisierungen und Übergänge gestalten zu können. Neu wird diesmal sein, dass nicht alle Betriebsteile und nicht alle Beschäftigten zwingend parallel betroffen sein werden.

Eine Vielzahl von Arbeitszeitverkürzungsmodellen könnte die betrieb-liche Lösung sein.

Und schließlich haben wir in der Tarifauseinandersetzung in der Me-tall- und Elektroindustrie wesentliche Ressourcen und Grundlagen des Sozialstaats 4.0 gestärkt und erneuert: Solidarität und Mitbestimmung.

Nur mit dem Zusammenschluss der vielen werden wir die Interessen der Beschäftigten gegenüber denen des Kapitals in der Transformation

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sam vertreten können. In der Tarifrunde haben wir diese Kraft der vielen gespürt und viele neue Mitglieder gewonnen. Damit haben wir unsere Machtressource »Solidarität« für kommende Auseinandersetzungen ge-stärkt.

Und wir sind überzeugt: Auch die betriebliche Mitbestimmung ist eine zentrale Grundlage gelingender Transformation. Denn in ihrem Rahmen erarbeiten Betriebsräte in enger Abstimmung mit den Beschäf-tigten konkrete, passgenaue Lösungen für die Probleme vor Ort. Sie tra-gen dadurch konkret und im Einzelfall zum Gelintra-gen des erfolgreichen Umgangs mit den beschriebenen Umbrüchen bei. Solidarität und Mit-bestimmung gilt es daher auszubauen und zu stärken, um die Umbrüche so zu gestalten, dass niemand unter die Räder kommt und die Chancen der Transformation für Verbesserungen von Arbeitsbedingungen und beruflichen Entwicklungschancen genutzt werden können.

Arbeitszeiten, die zum Leben passen: Damit haben wir nicht zuletzt den Anspruch reklamiert, dass die Wirtschaft (wieder) dem Menschen zu dienen hat und nicht umgekehrt. Konkret haben wir deutlich ge-macht, dass auch die Wirtschaft Verantwortung für soziale Standards in der Arbeitswelt und bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben hat.

Wir haben offensiv den Anspruch formuliert, als Gewerkschaft die Ar-beitswelt von morgen schon heute mitzugestalten.

Sozialstaat 4.0 – sicher, gerecht und selbstbestimmt durch die Transformation

Der Tarifabschluss ist damit ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum So-zialstaat 4.0 und zeigt, in welche Richtung es weiter gehen muss: Be-triebliche Regelungen, Tarifverträge und gesetzliche Regelungen müssen die Teilhabe möglichst aller Menschen im erwerbsfähigen Alter an guter Arbeit und möglichst durchgehende Erwerbsbiografien sowie die beruf-liche Entwicklung unterstützen. Positive Beispiele in diesem Sinne gibt es bereits auf allen Ebenen: Betriebsvereinbarungen für bessere Verein-barkeit, für eine schonende Arbeitsorganisation, für Arbeitsschutz und Gesundheit; Tarifverträge zu Weiterbildung und zu Arbeitszeiten, die

zum Leben passen; gesetzliche Regelungen wie das Elterngeld Plus, die die Berufstätigkeit beider Partner und die Teilung von Sorgearbeit zwi-schen beiden Elternteilen unterstützen, sowie die geplante Brückenteil-zeit. Mit Einschränkungen lassen sich hierzu auch die gesetzlichen Pfle-gezeiten zählen, die Ansprüche auf Auszeiten und Arbeitszeitverkürzung regeln, aber nicht ausreichend finanziell untersetzt sind.

Damit aus diesen Puzzlesteinen ein komplettes Bild entsteht, sollten wir alle diese Elemente so ausbauen und die Ebenen von Gesetz,

Damit aus diesen Puzzlesteinen ein komplettes Bild entsteht, sollten wir alle diese Elemente so ausbauen und die Ebenen von Gesetz,