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6.3 Zusammenfassung und Fazit

6.4.1 Geschlechterspezifische Druckkonstellationen

„Ich glaub, ich seh’nicht so aus, als ob ich mich nicht wehren kann.“ (Se-bastian)

Hypermännliche Selbst- und Fremdbilder

behindern die Loslösung aus Druckkonstellationen

Männlichkeitsentwürfe in der extremen Rechten stehen häufig mit dem Be-streben in Verbindung, die heteronormativen Anforderungen an Männlich-keit zu erfüllen und damit in den „ernsten Spielen des Wettbewerbes“

(Bourdieu 1997: 203) zu bestehen (vgl. Sigl 2016). Die Konstruktion einer soldatischen Männlichkeit, die innerhalb rechtsextremer Szenezusammen-hänge noch immer als beständiges Ideal für Kamerad gilt (vgl. Virchow 2010: 46), ist eng verknüpft mit Bildern von Wehrhaftigkeit und Kampfbe-reitschaft. Eingeschlossen ist hier auch die Fähigkeit zur Selbstverteidigung.

In mehreren Interviews ließ sich ein Muster rekonstruieren, demzufolge die hypermännlichen Selbstbilder nach dem Ausstieg eine Loslösung aus Druckkonstellationen behindern und gewaltvolles Handeln weiterhin dem Druckabbau dient.

So bilden für Sebastian hegemonial männlich konnotierte Tugenden wie körperliche Kraft, Verteidigungsfähigkeit, Souveränität und Entscheidungs-macht die Basis seines Selbstkonzepts. Damit verweisen sie auch auf seinen Umgang mit sozialem Druck und Schwierigkeiten. Sebastians Distanzierung von der extremen Rechten geht nicht damit einher, dass sein Handlungsmus-ter, Problemen und Konfrontationen mit Gewalt zu begegnen, hinterfragt wird. Damit bleibt dies weiterhin ein ausstiegshemmender Faktor aus ge-waltvollen sozialen Kontexten.

Auch Pelle hält weiterhin an seiner wehrhaften und hypermaskulinen Selbst-konstruktion fest. So berichtet er, dass ihm zwar vonseiten des APR die Ausarbeitung eines Sicherheitskonzepts angeboten worden sei, er dies aber mit Verweis auf seine physischen Selbstverteidigungsfähigkeiten abgelehnt habe.

In keiner der hier zugehörigen Biografien hat die physische Gewalttätigkeit die Interviewten zu ihrem Ausstieg veranlasst. Die physische Gewalttätigkeit wurde nicht aktiv in den Distanzierungsprozess einbezogen. Die dadurch aufrechterhaltenen Handlungsmuster werden nach einem Ausstieg zu einem Gefahrenpotenzial in den Interaktionsbeziehungen der Interviewten. Nach-zeichnen lässt sich dies an dem Interview mit Erwin: Dieser thematisiert, dass er zu einem„Antiaggressionstraining […] gezwungen“worden sei, das er als eine Beleidigung seines männlichen Selbstbilds empfand. Dass er gleichwohl keine alternative und gewaltfreie Strategie gefunden hat, um mit seinen Aggressionen umzugehen, wird daran deutlich, dass nach seinem Ausstieg seine Frau die Betroffene seiner Aggressionen ist. Dies bedauert Erwin zwar im Interview, sieht aber anscheinend für sich keine Handlungs-alternative, da sein Selbstbild zu sehr an die Aufrechterhaltung einer gewalt-vollen Männlichkeit geknüpft ist.

Die skizzierte hypermännliche Selbstkonstruktion erfährt eine weitere Stei-gerung in den Fällen, in denen sie sich nicht nur auf die Selbstverteidigungs-fähigkeiten bezieht, sondern auch den Umgang mit den begangenen Taten bestimmt. Hier entsteht eine aktive Blockade der reflexiven und auf Wieder-gutmachung ausgelegten Auseinandersetzung mit den begangenen rechtsex-trem motivierten Gewalttaten. Dies wird beispielhaft sichtbar an dem Inter-view mit Justin, der anstelle eines von Scham und Schuld geprägten Zugangs ein vermeintlich männliches„zu seinen Taten stehen“formuliert. Dies führt er daran aus, wie er mit seinem Sohn über seine rechtsextreme Vergangen-heit kommuniziert:„Also er weiß auch, dass ich anderen Menschen wehge-tan hab und, ähm, ja, also wir sind da relativ ehrlich. Das ist, wozu auch, wozu lügen? Das ist ja, wenn man Scheiße baut, sollte man dazu stehen.“

Weniger –vermeintlich offen – als bei der fehlenden schamhaften Ausei-nandersetzung mit seinen rechtsextremen Taten spricht Justin über seine sozialen Beziehungen. Insbesondere in vergangenen Liebesbeziehungen ist er auch nach seinem Ausstieg gewalttätig geworden–thematisieren möchte er die konkreten Erfahrungen innerhalb des Interviews nicht, die Aufforde-rung des Interviewers blockt er ab. Deutlich wird daran, dass sich die Inter-aktionssphären, in denen jemand Gewalt ausübt, nicht voneinander trennen lassen. Somit wird das eigene Gewalthandeln, wenn es nicht als Teil des hypermännlichen Selbstbilds im Distanzierungsverlauf grundlegend hinter-fragt wird, auch nach dem Ausstieg aus der extremen Rechten gefährdend für sich anschließende soziale Beziehungen.

An den beispielhaft angeführten Interviews wird deutlich, wie zentral eine biografische Gesamtreflexion ist, um mit dem Ausstieg aus der extremen Rechten eine Verhaltensänderung zu erreichen, die einen langfristigen Druckabbau ermöglicht. Dadurch verringert sich zum einen die Gefährdung der Menschen, die von Gewaltausbrüchen potenziell betroffen sind, zum anderen wird nur so eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der rechtsex-tremen Vergangenheit und der darin selbstverständlich eingebetteten Ge-walttätigkeit erzielt.

Wie verbreitet die hier skizzierte Struktur ist, die Reflexion des eigenen hypermännlich konstruierten Selbstbilds nicht zu einem Bestandteil der Distanzierung von der extremen Rechten machen zu wollen, unterstreicht ein Interview mit einem der Experten, der über den Umgang seiner Klienten mit psychologischer Begleitung spricht:

[…] fünfundneunzig Prozent unserer Klienten sind Männer und zu deren Männlichkeitsbild gehört es häufig, sich eben nicht in therapeutische Hilfe zu begeben oder Hände zu begeben, weil die sagen, das sind emm, Psycho-Onkel und die quatschen mich sowieso nur zu und was will ich von denen (Experte B1).

Die hier genannte Abwehr psychologischer Beratung korrespondiert mit einem Bild, in dem therapeutisches Reden als„Quatschen“herabqualifiziert wird und zugleich stereotyp weiblich erscheint.

Infolge der hier skizzierten Struktur wird auch nach dem Ausstieg ein Männ-lichkeitsbild gestützt, das sich durch gewaltvolle und hypermaskuline Selbstkonstruktionen und daran anschließende Handlungen seiner selbst versichert. Damit werden die schon innerhalb rechtsextremer Szenezusam-menhänge angewandten Muster der Identitätsproduktion unkritisch reprodu-ziert und zugleich auf dieser Ebene ein Druckabbau verhindert. Stattdessen werden nach dem Ausstieg aus rechtsextremen Szenezusammenhängen funktionale Äquivalente aufgesucht, in denen die biografische Struktur bei-behalten werden kann. Beispielhaft zeigt sich das an der Lebensgeschichte von Sven, der sich nach seinem Ausstieg aus der rechten Szene als funktio-nales Äquivalent einer Hooligangruppe anschließt und damit sein Bedürfnis nach Gewaltausübung und männlicher Kameradschaft weiter unreflektiert aufrechterhält: „[W]eil ich wieder so ne Struktur gesucht habe, die so ein

bisschen hierarchisch ist, kameradschaftlich und […], kann man die Gewalt einfach wieder ausleben und ähm, es hinterfragt keiner, alle finden es gut.“

Hafterfahrungen als sozialer Druckfaktor für überwiegend männliche Insassen

Als rechtsextrem klassifizierte Straftaten mit anschließender Strafverfolgung sind nach wie vor in der überwiegenden Zahl Männern vorbehalten. Frauen, die sich aufgrund rechtsextrem motivierter Straftaten vor Gericht verantwor-ten müssen und in der Folge zu einer Haftstrafe verurteilt werden, waren in dem Interviewsample nicht vertreten. Die Ausstiegsarbeit, die ihre Erstan-sprache über Gefängnisse organisiert, ist demzufolge an Männer adressiert.

Hier lässt sich rekonstruieren, dass Hafterfahrungen und auch drohende Haft als sozialer Druckfaktor dienen, der einen Ausstiegsprozess initiieren oder auch beschleunigen kann. Die Interviewaussagen korrespondieren mit den Ergebnissen von Möller und Schuhmacher (2007: 372), denen zufolge das

„Maturing-out“ein zentrales Motiv für Ausstiege aus rechtsextremen Szene-zusammenhängen darstellt.

Das entpolitisierte Frauenbild innerhalb rechtsextremer Szenezusammenhänge kann es Frauen erleichtern,

ohne sozialen Druck seitens der extremen Rechten auszusteigen

Das Sample enthält mehrere Biografien von Frauen (vgl. stellvertretend Susanne), die über einen langen Zeitraum in rechtsextremen Szenezusam-menhängen aktiv waren, dabei aber überwiegend unauffällig und im Hinter-grund gewirkt haben. Häufig waren sie in Partnerschaften mit aktiven Rechtsextremen. Während ihre Partner sich nach außen hin politisch expo-nierten (und exponiert wahrgenommen wurden), haben die Frauen stärker die „Organisierungen im Hintergrund“ (Susanne) vorangetrieben und sich um strukturelle politische Aufgaben gekümmert. Mit einer geringeren politi-schen Überzeugung ging ihr wenig sichtbares Engagement jedoch nicht einher. Obwohl Susanne nach eigener Aussage knapp zehn Jahre in den rechtsextremen Kampf „für ein freies Deutschland“ involviert war und rechtsextreme Szenezusammenhänge in nahezu all ihre Lebensbereiche eingewoben waren, konnte sie aussteigen, ohne sich vonseiten der extremen Rechten einer Art von Druck ausgesetzt zu sehen. Der Zusammenhang mit ihrer primären Position als Frau und Mutter wird einen wichtigen Teil dazu

beigetragen haben. Gleichzeitig hat Susanne ihre Zweifel bei ihrem Ausstieg nicht transparent gemacht und der darauffolgende stille Ausstieg (vgl. Gla-ser/Hohnstein/Greuel 2014) hat gewiss dazu beigetragen, dass sie sich ohne Konfrontation zurückziehen konnte. Anzumerken ist aber auch, dass bei den von Susanne für ihren Ausstieg angeführten Gründen die politische Dimen-sion in den Hintergrund zu rücken scheint und primär Beziehungsprobleme und Sorgen um die Kinder ihre Entscheidung beeinflusst haben. Inwieweit eine politische Distanzierung Bestandteil ihrer Ausstiegsgeschichte ist, bleibt offen. Deutlich wird, dass das entpolitisierende Bild von Frauen innerhalb rechtsextremer Szenezusammenhänge von ihnen dazu genutzt werden kann, konflikt- und bedrohungsfrei aus der extremen Rechten auszusteigen.

Gleichzeitig können die Frauen sich aktiv an dem Bild bedienen, wenn sie ihre eigene politische Aktivität in den Hintergrund treten lassen wollen.

Dadurch verhindern sie auch im Ausstiegsprozess eine Auseinandersetzung mit den von ihnen vertretenen rechtsextremen Inhalten.