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Die Verbesserung des Lichtmikroskops durch Ernst Abbe (1880) erm¨oglichte erstmals den Blick auf die Morphologie subzellul¨arer Bestandteile. Der Anatom Richard Alt-mann beschrieb 1890 solche

”cytoplasmatischen Organellen“, welche er als

” Elemen-tarorganismen der Zelle“ bezeichnete [4]. Der Begriff

”Mitochondrium“ wurde etwas sp¨ater durch Benda (1897) gepr¨agt und setzt sich aus den griechischen W¨ortern f¨ur Fa-den (µιτ´oς) und Korn (χ´oνδρoς) zusammen [16]. Die Aufl¨osungsverbesserung durch das Elektronenmikroskop erm¨oglichte weitere Einblicke in den Aufbau des Mitochon-driums: 1953 beschrieb Palade die Doppelmembranstruktur und die Cristae im Inneren des Mitochondriums [147].

Als die biochemischen Reaktionswege des Citratzyklus (Krebs et al., 1937) und der Fetts¨aureoxidation (Kennedy & Lehninger, 1949) in den Mitochondrien lokalisiert wurden, wurde deutlich, daß sie die aeroben Energieproduzenten der Zelle sind [113, 104]. Keilin & Hartee (1939) postulierten eine schrittweise Oxidation von NADH2 mit konsekutiver ¨Ubertragung von Elektronen auf molekularen Sauerstoff[102]. Sie nannten dieses Modell die

”Atmungskette“. Die freie Energie dieses schrittweisen Elektronentransfers wird benutzt, um Protonen gegen einen Gradienten aus der Mito-chondrienmatrix in den intermembran¨osen Raum zu

”pumpen“. Mitchell (1961) be-wies, daß dieser Protonengradient die treibende Kraft der ATP – Synthese durch Kom-plex V (ATPase) ist [136]. Walker et al. (1995) gewannen durch Kristallisationsstudi-en an Komplex V grundlegKristallisationsstudi-ende ErkKristallisationsstudi-enntnisse dar¨uber, wie der ProtonKristallisationsstudi-enr¨uckstrom aus dem intermembran¨osen Spalt in die Mitochondrienmatrix mit der Reaktion ADP + Pi

−→ATP gekoppelt ist [210].

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Grundlagen (Geschichte) 5 Lange Zeit glaubte man, die Mitochondrien seien von Zellkern unabh¨angige Organel-len, doch die meisten mitochondrialen Enzyme werden im Cytosol synthetisiert und dann in das Mitochondrium importiert. Schleyer & Neupert (1985) entdeckten an der

¨außeren Mitochondrienmembran Kontaktstellen, ¨uber die der Transport der Polypep-tide in die Mitochondrienmatrix stattfindet [165]. Der Importmechanismus von Poly-peptiden durch die Mitochondriendoppelmembran ist ein unvollst¨andig verstandener Prozeß, an dem zahlreiche Proteinkomplexe (Transmembran – Transportproteine) be-teiligt sind. Die am endoplasmatischen Retikulum synthetisierten Polypeptide haben in der Regel eine Zielsequenz (oder

”Adresse“), die sie an Oberfl¨achenrezeptoren der

¨außeren Mitochondrienmembran binden l¨aßt. Im Anschluß daran werden die Poly-peptide in einem energieverbrauchenden Prozeß in die Mitochondrienmatrix impor-tiert. Dort wird die Zielsequenz durch Chaperonine entfernt und das Protein faltet sich spontan in seine dreidimensionale Gestalt [68]. Weitere sogenannte Assembly – Pro-teine sind am Zusammenbau der Einzelkomponenten zu den Multiproteinkomplexen der Atmungskette beteiligt [105], die zu den den kompliziertesten aller bekannten bio-logischen Strukturen z¨ahlen.

Seit 1963 weiß man, daß das Mitochondrium ein eigenes Genom besitzt, welches manchmal als das

”47. Chromosom“ bezeichnet wird [142]. Die mitochondriale DNA ist ein zirkul¨ares Molek¨ul und im Gegensatz zur nukle¨aren DNA nicht an Histone gebunden. Sie besteht aus 16.569 Basenpaaren und repr¨asentiert somit weniger als 0.0005% des gesamten menschlichen Genoms. Sie kodiert 22 mitochondriale tRNAs, 13 Strukturproteine der Atmungskettenkomplexe I, III, IV und V und die mitochon-driale ribosomale RNA [6]. Alle anderen der mehr als 300 mitochonmitochon-drialen Proteine werden aus dem Cytosol importiert. Die Untersuchung der mitochondrialen DNA hat inzwischen von der Molekulargenetik angeborener Stoffwechselerkrankungen ¨uber fo-rensische Anwendungen bis zur Anthropologie ein weites Anwendungsfeld gefunden.

So konnte die Abstammung des Menschen aus Afrika (

”Out of Africa“ – Theorie) durch Untersuchungen der mitochondrialen DNA erh¨artet und ein

”Stammbaum der Menschheitsgeschichte“ erstellt werden [206].

Die Koordination von Translation, Transport und Zusammenbau der Multiproteinkom-plexe erfordert eine rege Interaktion zwischen Zellkern und Mitochondrium. Virba-sius et al. (1994) konnten zeigen, daß das Zusammenspiel von Zellkern und Mito-chondrium unter anderem durch Transkriptionsfaktoren gesteuert wird, die sowohl in der nukle¨aren DNA als auch in der mitochondrialen DNA Bindungsstellen aufweisen [207]. Die Bedeutung der Transkriptionsfaktoren wird in einen knockout –

Mausmo-Grundlagen (Geschichte) 6 dell deutlich, in welchem der mitochondriale Transkriptionsfaktor A inaktiviert wurde.

Homozygote Embryonen starben in utero, da sie keine mitochondriale DNA aufwie-sen. Bei heterozygoten Tieren fand man nur subtile biochemische Ver¨anderungen und eine um 50% reduzierte Anzahl mitochondrialer DNA – Kopien [115].

In Anbetracht des Zusammenspiels von Transport – und Importmechanismen mit ver-schiedenen Stoffwechselfunktionen ist es nicht verwunderlich, daß die St¨orung dieser Prozesse zur Einschr¨ankung der aeroben Energieproduktion und somit zu Multisy-stemerkrankungen f¨uhren kann. Dabei sind in der Regel Gewebe mit hohem Ener-gieumsatz betroffen. 1959 beschrieben Ernester et al. erstmalig eine Patientin mit ge-steigertem Grundumsatz, bei der sie eine Mitochondriopathie vermuteten [58]. Vier Jahre sp¨ater wiesen Engel & Cunningham in der Muskelbiopsie dieser Frau abnorme Mitochondrien nach [55]. Die Mitochondrien stellten sich als Aggregate vergr¨oßerter und geschwollener Einzelorganellen dar. In der modifizierten Gomori – Trichrom – F¨arbung fielen sie durch ihre rote Anf¨arbung auf, im Gegensatz zur Azurfarbe der nor-malen Muskelzellen (Abb.2.1Seite7). Sie bezeichneten dieses Erscheinungsbild mit dem heute allgemein ¨ublichen Begriff:

”ragged – red – fibers“.

Der vermehrte Nachweis von ragged – red – fibers ist ein wichtiger Hinweis f¨ur das Vorliegen einer Mitochondriopathie, insbesondere f¨ur mitochondriale tRNA – Muta-tionen [44]. Vereinzelt wurden ragged – red – fibers auch bei MutaMuta-tionen in mito-chondrialen Strukturgenen gefunden, die f¨ur Proteinuntereinheiten der Atmungsket-tenkomplexe kodieren (z. B. im Cytochrom b-Gen) [100]. Bei der Mehrzahl der mito-chondrialen Strukturgen – Mutationen werden jedoch keine ragged – red – fibers ge-funden, so daß ihre Abwesenheit eine Mitochondriopathie nicht ausschließt [44].

Die genetische Ursache einer Mitochondriopathie wurde parallel von Lestienne & Pon-sot (1988) und von Holt et al. (1988) bei Patienten mit Kearns – Sayre – Syndrom entdeckt [83, 120]. Sie fanden in der mitochondrialen DNA einiger dieser Patienten gr¨oßere Deletionen von 3.000 bis 7.000 bp L¨ange. Goto et al. (1990) konnten bei Pati-enten mit MELAS – Syndrom eine Punktmutation in der mitochondrialen Sequenz f¨ur die tRNA – Leucin und Schoffner et al. (1990) beim MERRF – Syndrom eine Punkt-mutation in der tRNA – Lysin nachweisen [70,174].

Kennzeichnend f¨ur krankheitsverursachende Mutationen der mitochondrialen DNA ist ihr heteroplasmisches Auftreten. Dies bedeutet, daß in einem Gewebe sowohl mutierte als auch Wildtyp – DNA – Molek¨ule vorliegen. ¨Uberschreitet der Heteroplasmiegrad eine Schwelle von 50 – 80% mutierter mitochondrialer DNA, wird der Defekt klinisch

Grundlagen (Aufbau und Funktion der Atmungskette) 7

Abbildung 2.1: Cytochrom c Oxidase (COX) – F¨arbung: (A) M. quadriceps eines Patienten mit Mito-chondriopathie. Die Faser mit den scholligen COX – Aggregaten (?) entspricht einer pathologisch ver ¨ ander-ten ragged – red – fiber. In (B) ist eine Normalkontrolle zum Vergleich dargestellt.H¨amatoxilin – Eosin-F¨arbung:

(C) Darstellung von ragged – red – fibers in der HE – F ¨arbung (?). (D) Normalkontrolle.Gomori – Trichrom – F¨arbung:(E) Darstellung einer ragged – red – fiber in der Gomori – Trichrom – F ¨arbung (?). Die subsarkolem-malen, rot angef ¨arbten Aggregate entsprechen Ansammlungen pathologisch ver ¨anderter Mitochondrien.

(F) Normalkontrolle. (Abbildung mit freundlicher Genehmigung von Frau Prof. Stoltenburg – Didinger, Institut f ¨ur Neuropathologie der Freien Universit ¨at Berlin.)

manifest. In der Regel geht ein hoher Heteroplasmiegrad mit einem schweren Krank-heitsverlauf einher. Der Heteroplasmiegrad schwankt jedoch in unterschiedlichen Ge-weben und selbst in benachbarten Zellen [175] und bedingt die h¨aufig unterschied-lichen Erstmanifestationssymptome selbst bei Patienten mit gleichem Genotyp [45].

Der Heteroplasmiegrad kann sich im Alter erh¨ohen [214]. Dies erkl¨art die Tendenz zur Progredienz der Erkrankung mit fortschreitendem Alter.