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GESCHÜTZT, GELIEBT, GEFÄHRDET

Im Dokument Alice: (Seite 37-40)

07. Jul 2017–14. Jan 2018, Täglich 10–19 Uhr Humboldt-box, Schlossplatz 5, 10178 Berlin Eintritt frei!

humboldtforum.com #humboldtforum Ausstellung

Gefördert durch

nes der renommierten Philipp Schwartz Fellowships der Alexander von Hum-boldt-Stiftung verliehen, siehe Interview mit der Stipendiatin Hilal Alkan auf den Seiten 36 ff. Zu den Ressourcen, die die Hochschule bereitstellt, gehören zudem die Expertise der Verwaltungsmitarbei-ter_innen, des International Office und der wissenschaftlichen Mentor_innen, die gemeinsam den Prozess der Einbin-dung in den akademischen Alltag, des Ankommens in Berlin und der Entwick-lung von längerfristigen Optionen für die akademische Laufbahn in Deutschland begleiten. Mit dem Beschluss des Akade-mischen Senats wird die Hochschule ab dem Sommersemester 2018 außerdem eine eigene Gastdozentur für gefährdete Wissenschaftler_innen bereitstellen.

Hervorzuheben sind abschließend noch die ASH-Veranstaltungen, die in Zu-sammenarbeit mit verfolgten

Wissen-schaftler_innen als Gastreferent_innen stattfanden. Als Beispiele seien genannt:

die Ringvorlesung im Bachelor Soziale Arbeit „Solidarity and Resistance: Open Lectures on Contemporary Turkey“

(Sommersemester 2017)

die Paneldiskussion „Activist Research for Human Rights“, eine gemeinsa-me Veranstaltung der englisch- und deutschsprachigen Masterstudiengänge Soziale Arbeit als Menschenrechtspro-fession (Januar 2017)

Hosting der Auftaktveranstaltung der internationalen OFF-University Initia-tive, die mit dem Aufbau einer kosten-losen E-Learning Plattform gefährdeten Wissenschaftler_innen die Möglichkeit bieten möchte, Lehre mit dem Themen-schwerpunkt Friedensforschung anzu-bieten (Oktober 2017)

Alle Hochschulangehörigen sind herz-lich eingeladen, sich im Sinne von SAR zu engagieren, die Thematik der akade-mischen Freiheit in Lehrveranstaltungen aufzugreifen und Initiativen zur Unter-stützung verfolgter Studierender, wie bspw. das „Solidayan“-Projekt (https://

solidayan.wordpress.com), weiterzutra-gen.

Weitere Infos:

www.scholarsatrisk.org/

Ansprechpartnerin für SAR an der ASH Berlin:

Prof. Dr. Esra Erdem

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Im Mittelpunkt

Frau Alkan, könnten Sie Ihr Engagement für die Bewegung Academics for Peace und Ihre darauf folgende Entlassung aus dem Dienst an der Universität in Istanbul beschreiben?

2015 war das Jahr, in dem der Friedens-prozess von der türkischen Regierung für null und nichtig erklärt wurde. Dann hielt der Krieg zwischen der PKK (Kurdi-sche Arbeiterpartei) und den türki(Kurdi-schen Streitkräften auch in die Städte Einzug und so wurden sogar in dicht besie-delten Stadtgebieten ausgedehnte Aus-gangssperren verhängt. Als Reaktion

auf die Verletzung der Menschenrechte, auf die Zerstörung von Gebäuden und auf die Tötung von Menschen im Zuge dieser Ausgangssperren unterzeichne-ten mehr als 2000 Akademiker_innen an Universitäten in der Türkei und im Ausland eine Petition, in der die tür-kische Regierung aufgefordert wurde, die Friedensverhandlungen wieder auf-zunehmen. Die Petition wurde am 11.

Januar 2016 im Rahmen einer Presse-konferenz der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die darauf folgenden Tage waren durch unglaublich scharfe Angriffe der staat-lich gelenkten Medien auf die Unter-zeichner_innen geprägt. Nachdem uns

der Präsident selbst in einer öffentlichen Rede beschuldigt hatte, den Terrorismus zu unterstützen, kündigte die Privatu-niversität, an der ich tätig war, meinen Vertrag und die Verträge von zwei wei-teren Fakultätsmitgliedern, die die Peti-tion ebenfalls unterzeichnet hatten.

Wie ist die momentane Lage Ihrer Kolleg_innen in der Türkei?

Bisher haben 450 meiner Kolleg_innen, die die Friedenspetition unterzeichnet haben, ihre Arbeit verloren. Den meis-ten von ihnen wurden auch die Reise-pässe entzogen oder storniert. Diese

„Ein neues Zuhause kann man sich überall schaffen.“

Hilal Alkan ist Georg-Forster-Fellow der Alexander von Humboldt-Stiftung an der ASH Berlin und am Leibniz-Zentrum Moderner Orient und sie lehrt im Masterstudiengang „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“. Im Interview spricht sie über die Situation ihrer Kolleg_innen in

Istanbul, ihr aktuelles Forschungsprojekt an der ASH Berlin und ihr Leben im Exil

Hilal Alkan während der Verleihung des Voltaire-Preises

Türkische Gastdozentin

© Karla Fritze

neuerliche Entlassungswelle erfolgte mit Hilfe der umfangreichen Befugnis-se, welche sich die Regierung mit der Erklärung des Notstands im letzten Sommer verschafft hatte. Es ist jetzt möglich, Tausende Mitarbeiter_innen im öffentlichen Dienst per Dekret über Nacht zu feuern, ohne ihnen rechtliches Gehör zu gewähren, d. h. es gibt keine Anklage, kein Recht auf Verteidigung und keinen fairen Prozess. Insgesamt wurden bereits mehr als 120 Tausend Mitarbeiter_innen des öffentlichen Dienstes entlassen. Von der Stornierung von Reisepässen sind ganze Familien, einschließlich Kinder, betroffen und die Entlassenen können auch in Stadt-verwaltungen oder bei NGOs keine Ar-beit finden, da ihnen jede Tätigkeit für öffentliche Stellen lebenslang verboten ist. Vorsichtig ausgedrückt ist die Lage meiner Kolleg_innen also mindestens als schwierig zu bezeichnen.

Sie haben den Voltaire-Preis der Universität Potsdam erhalten. Was bedeutet dieser Preis für Sie und Ihre Arbeit?

Es ist eine große Ehre, eine solche Aus-zeichnung zu erhalten, die ja der Völ-kerverständigung und dem Respekt gegenüber Unterschieden gewidmet ist. Man sieht, dass unser gemeinsamer Kampf im Rahmen der Aktion Acade-mics for Peace Grenzen überwinden kann. Der Preis ist auch ein Hinweis auf die gastfreundliche Grundhaltung, von der die deutsche Wissenschaftssze-ne im Moment geprägt ist.

Sie arbeiten gerade an einem Projekt, das mit dem Georg-Forster-Stipendi-um finanziert wird. WorGeorg-Forster-Stipendi-um geht es?

Es handelt sich um ein Forschungs-projekt, das sich auf informelle Nach-barschaftsnetze konzentriert, in denen syrische Migrant_innen in den Städ-ten Hilfe finden, in die sie umgesiedelt wurden. Ich habe die Feldforschung in

Istanbul fertiggestellt und jetzt samm-le ich Hintergrundinformationen über die Situation in Deutschland. Seit dem Wintersemester führe ich hier in Berlin eine ähnliche ethnographische Studie durch.

Was ist Ihre Beziehung zu Sozialer Arbeit und zur ASH Berlin?

Ich habe noch nie Soziale Arbeit studiert, was ich jetzt bedauere. Als die Univer-sität, an der ich in Istanbul arbeitete, beschlossen hatte, eine Abteilung für So-ziale Arbeit zu eröffnen, bat man mich als Soziologin der Fakultät beizutreten, da ich Erfahrung mit Hilfsorganisatio-nen sowie Freiwilligenarbeit und Inter-essenvertretung hatte. Ich veranstaltete Soziologieseminare für Studierende im Bereich der Sozialen Arbeit, welche sich mit sozialen Strukturen und den daraus resultierenden Ungleichheiten beschäftigten. Um die Bedürfnisse der Studierenden im Rahmen ihrer Berufs-ausbildung besser zu verstehen und dieses eher theoretische Wissen pra-xistauglich zu machen, habe auch ich mich intensiv mit dem Thema Soziale Arbeit beschäftigt. Die Unmittelbarkeit und die Intimität, die mit der Praxis der Sozialen Arbeit verbunden ist, und die tatsächlich beobachtbaren Auswirkun-gen von Interventionen, haben mich stets stark beeindruckt. Bei meinem ersten Kontakt mit der ASH Berlin war ich auf der Suche nach möglichen Eras-mus-Partnern für meine Abteilung. Der Titel des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“

faszinierte mich sehr. Das war so eine kompakte und schöne Art zu sagen, was ich in meinen Lehrveranstaltungen vermitteln wollte und was ganz und gar meinen Vorstellungen von praktischer Sozialer Arbeit entsprach. In den An-fangsstadien dieses Projekts war Prof.

Dr. Esra Erdem von der ASH Berlin die erste Person, die ich kontaktierte. Ich bin wirklich froh, dass alles geklappt hat und dass ich jetzt hier bin. Ich weiß,

dass die Fakultätsmitglieder und Studie-renden in verschiedenen Flüchtlingsini-tiativen mitarbeiten, und ich freue mich darauf, sie alle kennenzulernen.

Was sind Ihre Forschungsschwer-punkte, vor allem im Bereich der feministischen Forschung?

Wenn einem einmal bewusst geworden ist, dass unsere soziale Umwelt in ge-schlechtsspezifischer Weise organisiert ist und dass geschlechtsspezifische Un-gleichheit allen unseren Institutionen, Strukturen, Normen und sogar

Geset-zen immanent ist, lässt sich dies nicht mehr rückgängig machen. Deshalb be-trachte ich meine Forschungsarbeiten aber auch meinen Alltag immer auch unter geschlechtsspezifischen Aspekten.

Außerdem betrachte ich mich als aktive Feministin. Ich habe mit der Frauenin-itiative für den Frieden in Istanbul zu-sammengearbeitet und ich habe lange Zeit Freiwilligenarbeit in Frauenbera-tungszentren in London und Istanbul geleistet. Im Rahmen dieser Tätigkeiten habe ich viel über Verständigung, Pro-blemlösung, über das Zuhören und die Abschaffung von Hierarchien gelernt.

Deshalb ging es in meiner Entwicklung zur Feministin nie nur um Gewalt, Un-gleichheit oder um gläserne Decken, sondern immer auch um Ethik und Acht-samkeit. Die feministische Care-Ethik ist nunmehr eines der Grundprinzipien, auf denen der theoretische Rahmen meiner Forschungen aufsetzt.

„Ich

betrachte mich

als aktive

Feministin .“

Im Mittelpunkt

Was sind Ihre bisherigen Eindrücke von Berlin?

Ich habe vor zehn Jahren einmal vier Monate lang in Berlin gelebt. Es war damals ein sehr langer und sehr kal-ter Winkal-ter. Aber trotz eisiger Tempe-raturen, die selbst das Atmen schwer machten, wuchs mir die Stadt so sehr ans Herz, dass ich immer wieder zu-rückkehren wollte. Und jetzt weiß ich, dass mein erster Eindruck richtig war.

Vor zehn Jahren war ich fasziniert von den Museen und Galerien der Stadt und von ihrer schmerzhaften und wi-dersprüchlichen Geschichte. Jetzt habe ich zwei kleine Kinder und wir gehen Eis essen, fahren Fahrrad und genießen die Parks und die Natur. Die Schönheit der Bäume, das Vogelgezwitscher auch am Alexanderplatz, und die

Kinder-freundlichkeit der Stadt üben in diesen krisenhaften Zeiten eine beruhigende Wirkung auf mich aus. Ich fühle mich fast wie zu Hause hier, weil das Stadtbild von Migrant_innen geprägt wird. Diese Stadt gehört mir genauso wie allen ande-ren Einwohner_innen (auch wenn man-che meiner deutsman-chen Nachbarn dies nicht wahrhaben wollen), und das ist ein sehr beruhigendes Gefühl, welches einem hilft das Dasein im Exil besser zu bewältigen.

Bitte erzählen Sie uns von Ihren Zu-kunftsplänen.

Ich muss zugeben, dass ich mich nicht gefestigt genug fühle, um Pläne für die Zukunft zu schmieden. Ich habe erlebt, wie Pläne von einem auf den anderen Tag hinfällig wurden und wie sämtliche

Sicherheiten sich in Sekundenschnel-le in nichts auflösten. Auf jeden Fall werde ich aber meine Arbeit fortsetzen.

Ich möchte eigentlich Berlin zu meiner neuen Heimat machen und hier bleiben, aber unser Planet ist ziemlich groß und trotz unseres unverantwortlichen Um-gangs mit ihm immer noch sehr schön und voller Überraschungen. Man kann sich also überall ein neues Zuhause schaffen. Ist es nicht das, was wir aus dem Mut der vielen Flüchtlinge lernen können, die in den vergangenen zwei Jahren buchstäblich auf ihren eigenen Füßen hierhergekommen sind und ihr ehemaliges Zuhause Tausende von Ki-lometern hinter sich gelassen haben?

Das Interview führte Barbara Halstenberg.

Im Dokument Alice: (Seite 37-40)