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II. ERSTER TEIL: REKONSTRUKTION DER (AUS-) GESTALTUNG DER STATIONÄREN ALTENHILFE STATIONÄREN ALTENHILFE

II.5 GESAMTAUSWERTUNG TEIL 1

Mit dem Thema der Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit in der stationären Altenhilfe wurde die Frage von organisatorischen Vorgaben Sozialer Arbeit aufgeworfen. In diesem Zuge wur-den die Heimkonzepte der stationären Altenhilfe in Deutschland in ihrer Entwicklungsge-schichte historisch nachgezeichnet. Die Berücksichtigung der einzelnen Phasen ermöglichte es, dass spezifische Trägerkonzepte, Eigengesetzlichkeiten und Handlungsspielräume heraus-gearbeitet werden konnten. Gleichzeitig erlaubte diese Vorgehensweise Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Fragestellung, ob sich im Laufe der Zeit in den Heimen Strukturen her-ausgebildet bzw. verfestigt haben, die die Versorgung der BewohnerInnen in der stationären Altenhilfe bis heute in besonderer Weise prägen bzw. das Handeln Sozialer Arbeit vor Ort fördern oder hemmen. Neben der historischen Rekonstruktion konnte ein organisationstheore-tischer Zugang wichtige Einblicke in den Fortgang der verschiedenen Modelle und das gesell-schaftliche Verständnis der Institution Alten- und Pflegeheim geben. Die folgenden vier Er-gebnisse gehören zu den organisationalen Ausgangsbedingungen Sozialer Arbeit in Alten- und Pflegeheimen.

II.5.1 Alte Geschichte der Institution Alten- und Pflegeheim

Historisch betrachtet waren Alten- und Pflegeheime in der Vergangenheit äußerst passive Gebilde, die sich nur schwerfällig weiterentwickelt haben. Unter anderem bestehen bis weit in das 20. Jahrhundert keine besonderen Qualifikationskriterien für das Personal der entspre-chenden Anstalten.

Die stationäre Altenhilfe in Deutschland hat eine eigene, Jahrhunderte alte Geschichte. Unter-stützung für pflegebedürftige, auf fremde Hilfe angewiesene alte Menschen findet in der Ver-gangenheit in Armen- und Siechenhäusern und gegenwärtig in Alten- und Pflegeheimen statt.

Es muss berücksichtigt werden, dass die Versorgung alter Menschen über viele Jahrhunderte nicht auf der Bearbeitung spezifischer Problemlagen alter Menschen, sondern auf der zusam-menfassenden Versorgung aller bedürftiger Personengruppen (vom Bettler bis zum Geistes-kranken), die nicht erwerbstätig sein konnten, gründet. Als Profession, die alten Menschen hilft, ist die Entwicklung Soziale Arbeit in der stationären Altenhilfe untrennbar mit der schichte und Fortentwicklung der Einrichtung Alten- und Pflegeheim verbunden. Die Ge-schichte Sozialer Arbeit in Alten- und Pflegeheimen ist im Verhältnis zum Arbeitsfeld selbst

ausgesprochen kurz. Bemerkenswert ist zugleich, wie umfassend die Institution Alten- und Pflegeheim die Praxis Sozialer Arbeit im Arbeitsfeld in kürzester Zeit geprägt hat.

II.5.2 Zurückliegende organisationstheoretische Grundlinien

In der Menschen ausschließenden und andererseits anpassend-normalisierenden Entwicklung der Organisation Alten- und Pflegeheim liegt die Wurzel eines gesellschaftlichen Zivilisie-rungsprozesses, von dem die alten Menschen langfristig profitieren.

Im frühen Entwicklungszeitraum haben sich drei Grundlinien: Ausgrenzung, Verwahrung und Disziplinierung ausgestaltet. Organisationstheoretisch kann aufgezeigt werden, dass diese institutionellen Handhabungen und Konfliktfelder die Zeiten überdauert haben und bis heute in abgewandelter Form in den Einrichtungen wiedergefunden werden können. Etliche Kon-flikte und Verunsicherungen von PraktikerInnen Sozialer Arbeit in der stationären Altenhilfe lassen sich auf eben diese historisch gewachsenen institutionellen Strukturdefizite und Di-lemmata zurückführen. Zugleich hat der disziplinartheoretische Zugang durch Anpas-sung/Normalsierung einen humanisierenden Beitrag geleistet und den Keim für spätere sozi-alpolitische Entscheidungen gelegt. Die Annahme, dass Marginalisierung Sozialer Arbeit in der stationären Altenhilfe von den Alten- und Pflegeheimen nicht nur gebilligt, sondern pro-voziert wurde, um ihre Strukturen nicht zu gefährden, bestätigt sich in der Rekonstruktion daher nicht. Geschichtlich und organisationstheoretisch betrachtet scheint es, als sei die stati-onäre Altenhilfe vielmehr zeitweise überfordert gewesen, Soziale Arbeit als neue Profession in die Einrichtungen einzubinden. Die Frage, ob SozialarbeiterInnen aus Selbstüberforderung oder Überforderung der Heime zeit- und teilweise zu unprofessionellen „Handlangern“ wur-den, anstatt ihr professionelles Potential in den Heimen einsetzen zu können, muss hingegen an anderer Stelle geklärt werden (s. qualitative Studie).

II.5.3 Neuere Geschichte der Institution Alten- und Pflegeheim

Nach dem historischen Tiefpunkt in der stationären Versorgung alter Menschen während des Naziregimes werden diese ab den 1960er Jahren als eigenständige Bevölkerungsgruppe mit eigenen Rechten und gesellschaftlichen Ansprüchen wahrgenommen und in Alten- und

Pfle-geheimen versorgt. Ein gesellschaftlicher und politischer Reformwille und progressive Fort-schritte in der stationären Versorgung bestimmen die Zeit.

Dem sozialen Aufschwung um die Wende zum 20. Jahrhundert folgt ein historischer Tief-punkt. Während der Naziherrschaft reduzieren sich die Überlebenschancen stationär versorg-ter alversorg-ter Menschen rapide. Ein Teil der Anstalten geht 1943 dazu über, Alversorg-terskranke umfas-send in Tötungsanstalten zu verlegen und dort zu vernichten. Das Ende des Krieges und die endgültige Umstellung der Einrichtungen auf wissenschaftliche Deutungsmuster (Medikali-sierung, Altersforschung, Gerontologisierung) sowie der Einfluss gesellschaftlicher Diskurse auf die stationäre Altenhilfe führen zu Heimsanierungen, modernen Neubauten, einer Qualifi-zierung des Heimpersonals etc. Diese erste Öffnung in der Nachkriegszeit ebnet der Sozialen Arbeit einen schrittweisen Zugang in das Arbeitsfeld. Das Tempo der Entwicklungs- und Wandlungsfähigkeit der Alten- und Pflegeheime nach dem 2. Weltkrieg ist dabei außeror-dentlich hoch, wenn man sie in einen größeren historisch-gesellschaftlichen Kontext stellt.

Zuerst transformieren sozialpolitische Reformen die überholten Strukturen der Anstalten. Da-nach werden alte Menschen als eigenständige Gesellschaftsgruppe identifiziert und abgesi-chert. Daraus abgeleitetes Ziel ist es, die stationäre Altenhilfe an die Bedürfnisse der Bewoh-nerInnen anzupassen. Teilhabe, Lebensweltorientierung und Gerontologisierung gelten als neue Leitlinien und lösen die vorherigen Grundlinien größtenteils ab. Meine Rekonstruktion macht deutlich, dass es den gegenwärtigen Einrichtungen möglich war, sich in erheblicher Weise von ihrem traditionellen Anstaltscharakter zu lösen. In den institutionellen Fortschrit-ten lässt sich ein Reformwille erkennen, der gegen eine bewusste Marginalisierung Sozialer Arbeit durch die Einrichtungen spricht.

II.5.4 Aktuelle organisationstheoretische Grundlinien

Die Alten- und Pflegeheime werden im Laufe der Zeit manageriell, das Arbeitspensum der MitarbeiterInnen wird immer weiter beschleunigt und die soziale Lebenswelt der Bewohne-rInnen verlangsamt sich zugleich im Alter immer weiter. Nach einer Zeit quantitativer und qualitativer Verbesserungen folgt ein qualitativer Abstieg in der stationären Versorgung.

Die aktuelle organisationstheoretische Darstellung zeigt, dass es durch die Ausgestaltung des Pflegeversicherungsrechtes und gesellschaftliche Neuorientierungen zu Mängeln in der Steue-rungslogik der Alten- und Pflegeheimen kommt. In der Vergangenheit gab es immer wieder

Bestrebungen, die verschiedenen Bedürfnisse und Bedarfslagen in der stationären Altenhilfe zusammenzuführen. Dies lässt sich sehr gut anhand der stetigen Entwicklung der Alten- und Pflegeheime vom traditionellen Anstaltswesen bis zum modernen Pflegeheim nachvollziehen (s. staatlich initiierte Erhöhung des Wohnkomforts in den 1960er Jahren, gesellschaftlich ge-forderte Öffnung der Alten- und Pflegeheime in den 1980er Jahren, Einführung von Prakti-kerInnen Sozialer Arbeit als Reaktion auf neue Bedarfslagen in den 1990er Jahren etc.). Nun zeigen sich in der Altenhilfe ideologische Verschiebungen, die verstärkt tayloristische Kon-zepte und Denkstrukturen übernehmen. Diese scheinen neben mehr Effizienz auch eine ge-sellschaftliche Aufwertung der Altenarbeit zu versprechen. In der Praxis bedeutet diese Ent-wicklung hingegen, dass sich unter dem Druck des Spardiskurses die Tendenz abzeichnet, immer mehr Leistungen für zunehmend pflegebedürftige Klienten von immer weniger und immer schlechter ausgebildetem Personal erbringen zu lassen, wobei sich pflegerische und soziale Arbeit wie auch die Alltagsbewältigung der BewohnerInnen nur bedingt beschleuni-gen bzw. rationalisieren lässt.

Neben der Ökonomisierung muss vor allem die Kultur der Zeit in der Institution Alten- und Pflegeheim als auch in der Lebenswelt der BewohnerInnen deutlicher reflektiert und von der Sozialen Arbeit produktiv genutzt werden.318

318 Gröning, K. (2009), a.a.O., S. 3

III. ZWEITER TEIL: REKONSTRUKTION DER UMSETZUNG SOZIALER ARBEIT IN