• Keine Ergebnisse gefunden

4.   Diskussion

4.1   Allgemeine Genomvergleiche

4.1.3   Genomische Flexibilität der Roseobacter-Gruppe

Die Genomvergleiche der Roseobacter-Gruppe (siehe 3.1.1) unterstreichen die Bedeutung von horizontalem Gentransfer (HGT) für diese Gruppe. Das Coregenom der 49 untersuchten Roseobacter-Vertreter nimmt nur einen geringen Teil (14-25%) der jeweiligen Genome ein (siehe Tab. A5, Anhang), was viel Freiraum für individuelle Adaptionen lässt. Entsprechend

112 reichhaltig und divers ist das flexible Genom der Roseobacter-Gruppe. Hierdurch wird die physiologische Vielfalt widergespiegelt, welche es Vertretern der Roseobacter-Gruppe ermöglicht, unterschiedlichste marine Lebensräume zu besiedeln (Moran et al. 2007; Newton et al. 2010).

Die natürliche Umgebung der Octadecabacter-Stämme stellt ein unter den Vergleichsorganismen einzigartiges Habitat dar, zudem zweigen beide Vertreter in phylogenetischen Stammbäumen der Roseobacter-Gruppe tief ab. Aus diesem Grund war zu erwarten, dass sich die Octadecabacter-Vertreter in zahlreichen spezifischen genetischen Merkmalen von den übrigen Roseobacter-Vertretern abgrenzen würden. Der Großteil des Octadecabacter-Pangenoms wird jedoch auch von phylogenetisch weit entfernten Roseobacter-Vertretern geteilt. Jedes der Vergleichsgenome teilt allerdings einen völlig anderen Satz an Genen mit dem Octadecabacter-Pangenom (Tab. DA03 + Tab DA04, digitaler Anhang). Der Anteil an Genen, welcher ausschließlich von den beiden Octadeca-bacter-Vertretern geteilt wird, ist dagegen mit nur 2% der jeweiligen Genome verschwindend gering. All dies deutet darauf hin, dass sich die Gattung Octadecabacter innerhalb der Roseobacter-Gruppe weniger durch einzigartige, Octadecabacter-spezifische Merkmale, sondern mehr durch eine einzigartige Zusammenstellung von Merkmalen eines allgemeinen Roseobacter-Genpools abgrenzt.

Dies scheint, in unterschiedlichem Maße, auch für andere Roseobacter-Vertreter zu gelten.

Viele Eigenschaften des flexiblen Genoms dieser Gruppe sind in mehreren verschiedenen Roseobacter-Vertretern konserviert, ohne dass in der Verteilung dieser Eigenschaften ein direkter phylogenetischer Zusammenhang erkennbar wäre (Abb. 45). Dies deckt sich mit früheren Untersuchungen der physiologischen und genetischen Vielfalt dieser Gruppe (Buchan, Gonzalez & Moran 2005; Newton et al. 2010). Beispiele für solche Eigenschaften sind verschiedene Mechanismen der phototrophen Ernährung, der assimilatorischen Nitrat-Reduktion, der Kohlenmonoxid-Oxidation sowie Cyanat-Hydratasen. Dies deutet darauf hin, dass die einzelnen Vertreter dieser Gruppe per HGT vernetzt sind. Prinzipiell können also auch phylogenetisch entfernte Vertreter der Roseobacter-Gruppe auf einen gemeinsamen Pool aus akzessorischen Genen zurückgreifen.

Es ist anzunehmen, dass ein solcher Austausch von Genmaterial die Adaptivität von Bakterienpopulationen erhöht und sie somit befähigt, sich schneller in neuen oder veränderten Lebensräumen zu behaupten.

113

Abb. 45 Verteilung charakteristischer Eigenschaften innerhalb derRoseobacter-Gruppe Links dargestellt ist der MLSA-Stammbaum basierend auf dem Roseobacter Coregenom. Die verschiedenen Roseobacter-Untergruppen (siehe 3.1.3.1) sind jeweils farbig markiert. Kleine farbige Kästchen in der nebenstehenden Tabelle weisen auf die Anwesenheit verschiedener Merkmale in den Vergleichs- stämmen hin. Die Verteilung vieler Eigenschaften scheint unabhängig von phylogenetischen Verhältnissen zwischen den Vergleichsstämmen zu sein.

114 Ein wirkungsvolles Instrument des horizontalen Gentransfers stellen Gene Transfer Agents (GTAs, siehe 3.2.4.1) (Solioz & Marrs 1977; Lang & Beatty 2000) dar, Phagen-ähnliche Partikel welche in den Genomen fast aller Roseobacter-Vertreter kodiert werden (Abb. 45).

Die hohe Verbreitung der GTA-Gencluster lässt auf eine wichtige Bedeutung dieser Eigenschaft für die Roseobacter-Gruppe schließen. Am Beispiel von Silicibacter pomeroyi DSS-3 wurde die Funktion von GTAs als Mechanismen der Übertragung von genetischem Material zwischen nah verwandten Bakterienstämmen bereits experimentell bestätigt (Biers et al. 2008). Bislang wurden jedoch noch keine Untersuchungen über die Übertragungsweite von GTAs zwischen verschiedenen Vertretern der Roseobacter-Gruppe veröffentlicht. Somit ist es unklar, ob GTA-vermittelte Transduktion nur zwischen Bakterienstämmen derselben Spezies, oder auch zwischen Vertretern zweier nah verwandter Genera möglich ist. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass die Zugabe von GTAs zu komplexen Bakteriengemeinschaften die Übertragungsfrequenz bestimmter Eigenschaften auch zwischen Vertretern verschiedener Phyla deutlich erhöht (McDaniel et al. 2010), doch es ist nicht sicher, ob dies ausschließlich auf die Aktivität der jeweils zugegebenen GTAs zurückzuführen ist. Auf Ebene der Aminosäuresequenz spiegelt die Phylogenie der Roseobacter-GTAs fast vollständig die MLSA-basierten Verwandtschaftsverhältnisse der Roseobacter-Gruppe wieder (Abb. 25, 3.2.4.1 und Abb. 8, 3.1.3.1). Sollten GTAs eine Übertragung genetischer Merkmale über Art- bzw. Gattungsgrenzen hinweg ermöglichen, so wäre nicht anzunehmen, dass die entsprechenden Proteinsequenzen in solch hohem Maße art- und gattungsspezifisch konserviert wären. In diesem Fall könnten GTA-Gencluster teilweise oder vollständig durch horizontal übertragene Homologe aus anderen Vertretern ersetzt werden.

Eine hohe Wirtsspezifität dieser Phagen-ähnlichen Partikel würde die enge Bindung zwischen MLSA- und GTA-Phylogenie erklären. Eine GTA-vermittelte Genübertragung auf weit entfernt verwandte Organismen wäre dadurch stark eingeschränkt und würde, über einen Selektionsdruck auf funktionaler Ebene, letztlich zu einer art- bzw. gattungsspezifischen Konservierung der GTA-Gene führen. Aus diesem Grund ist es naheliegend anzunehmen, dass GTA-vermittelter Gentransfer nur zwischen sehr nah verwandten Roseobacter-Stämmen möglich ist (bzw. GTAs nur eine geringe phylogenetische Übertragungsweite aufweisen).

Diese Annahme wird dadurch unterstützt, dass gene content-Stammbäume der Roseobacter Gruppe (siehe 3.1.2), trotz der teilweise erheblichen Unterschiede in Lebensweise und Habitat zwischen verwandten Organismen, zu großen Teilen ebenfalls mit der MLSA-basierten Phylogenie übereinstimmen (Abb. 44). Sollte ein vollkommen uneingeschränkter Gentransfer zwischen sämtlichen Vertretern der Roseobacter-Gruppe möglich sein, so wäre zu erwarten,

115 dass die individuelle Genausstattung einzelner Vertreter weniger von phylogenetischer Abstammung und mehr mit Habitat und Lebensweise zusammenhängt. Demnach scheinen für verschiedene Untergruppen distinkte Genpools zu existieren, und HGT scheint in erster Linie zwischen Vertretern derselben Untergruppe, Gattung oder Art stattzufinden.

Die oben erwähnte flickenartigen Verteilung mehrerer konservierter Gencluster über phylogenetisch relativ weit entfernte Taxa (Abb. 45) zeigt jedoch, dass es durchaus auch Überlappungen zwischen den Genpools der einzelnen Untergruppen gibt. Hierfür könnten zusätzliche Mechanismen des HGT verantwortlich sein, welche eine höhere phylogenetische Übertragungsweite erlauben, aber innerhalb der Roseobacter-Gruppe weniger stark verbreitet sind als GTAs. Typ-IV Sekretionssysteme können unter anderem dem Gentransfer zwischen Organismen dienen (siehe 3.2.3.5) (Wallden, Rivera-Calzada & Waksman 2010). Gencluster, welche Typ-IV Sekretionssysteme kodieren, sind in 20 der 49 Roseobacter-Vertreter konserviert (Abb. 45). Anders als bei GTAs ist jedoch kein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Phylogenie dieser Sekretionssysteme und der MLSA-basierten Phylogenie der Roseobacter-Gruppe zu erkennen (Abb. 23, 3.2.3.5). Somit scheint auf diesen Merkmalen, im Gegensatz zu GTAs, kein Selektionsdruck bezüglich Taxon-spezifischer Konservierung zu lasten. Die Annahme, dass diese Sekretionssysteme auch über relativ weite phylogenetische Distanzen hinweg einen Gentransfer ermöglichen, wird durch bislang unveröffentlichte experimentelle Ergebnisse unterstützt. So berichtete PD Dr. Jörn Petersen (DSMZ, Braunschweig) von dem Nachweis eines durch Typ-IV Sekretionssysteme vermittelten Gen-transfers zwischen den weit entfernt verwandten Roseobacter-Vertretern D. shibae DFL-12 und P. gallaeciensis DSM17395 (Tagungsbeitrag, Klausurtagung des TRR 51 Januar 2013, Wolfenbüttel). Es ist anzunehmen, dass sich gattungs- und artfremde Merkmale, einmal in das Genom eines Roseobacter-Vertreters aufgenommen, anschließend mithilfe von GTAs zügig innerhalb nah verwandter Roseobacter-Populationen verbreiten können. Die Tatsache, dass Typ-IV Sekretionssysteme in Roseobacter-Vertretern weitaus seltener vorzufinden sind als GTAs, deckt sich zudem mit der oben erwähnten Beobachtung, dass HGT zwischen phylogenetisch entfernten Taxa seltener aufzutreten scheint als zwischen nah verwandten Taxa.

In O. arcticus 238 sind zwar prinzipiell alle entsprechenden Gene eines Typ-IV Sekretionssystems vorhanden, jedoch ist dieses Gencluster durch intragenomische Rekombination stark fragmentiert (siehe 3.2.3.5). Daher ist davon auszugehen, dass dieses Merkmal im besagten Stamm nicht funktional ist. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Fragmentierung dieses Genclusters entwicklungsgeschichtlich lange zurück liegt, da aufgrund

116 natürlicher Selektion funktionslose Gene mit der Zeit deletiert würden. Daher ist davon auszugehen, dass nah verwandte Octadecabacter-Stämme derselben Population noch entsprechende unfragmentierte Gencluster aufweisen. Inwiefern GTAs und Typ-IV Sekretionssysteme in den Pangenomen der entsprechenden Populationen konserviert sind, wird sich jedoch erst mit größerer Sicherheit sagen lassen, wenn weitere Genome nah verwandter Isolate sequenziert wurden.