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Gebrauchstheoretische Überlegungen zur Definition des Medienbegriffs

Im Dokument Achtsamkeit - Bildung - Medien (Seite 82-85)

In der wissenschaftstheoretischen Grundlagendebatte, die gegenwärtig über die begrifflichen Fundamente der Medienwissenschaft geführt wird, vertre-ten Autorinnen und Autoren wie Sybille Krämer, Martin Seel oder Matthias Vogel die Ansicht, dass die analytische Bewährungsprobe der medienwissen-schaftlichen Grundlagenforschung in der Entwicklung einer begrifflich stren-gen Definition des Medienbegriffs bestehe.3Demgegenüber habe ich in mei-nem BuchPragmatische Medienphilosophiehervorgehoben, dass es aus der Pspektive einer gebrauchstheoretischen Bedeutungstheorie wenig sinnvoll er-scheint, ein Merkmal zu suchen bzw. definitorisch festzulegen, das allen (bzw.

den mit seiner Hilfe dann als medienwissenschaftlich legitim auszuzeichnen-den) Verwendungsweisen des Wortes Medium gemeinsam wäre. Stattdessen plädiere ich mit dem späten Wittgenstein für eine Analyse der »Familienähn-lichkeiten«,4 die zwischen den im alltäglichen Sprachgebrauch und in den Wissenschaften etablierten unterschiedlichen Verwendungsweisen des Wor-tes bestehen.5

Aus gebrauchstheoretischer Sicht sind aus diesem Gesamtspektrum von Verwendungsweisen drei für die medienwissenschaftliche Forschung und Lehre besonders wichtige Anwendungsbereiche des Medienbegriffs hervorzuheben. Wir verwenden das Wort ›Medium‹ erstens mit Blick auf sinnliche Wahrnehmungsmedien wie Raum und Zeit; wir beziehen es zwei-tensauf semiotische Kommunikationsmedien wie Bild, Sprache, Schrift oder Musik; und wir gebrauchen es drittens zur Bezeichnung von technischen Verbreitungs-, Verarbeitungs- und/oder Speichermedien wie Buchdruck, Radio, Film, Fernsehen, Computer oder Internet.6

3 Vgl. hierzu die Beiträge von Krämer, Seel und Vogel in:Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003 sowie Matthias Vogel,Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt a. M. 2001.

4 Ludwig Wittgenstein, »Philosophische Untersuchungen«, in: ders.,Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1988, S. 278 (§67).

5 Für einen ähnlichen Ansatz siehe Reinhard Margreiter, »Medien/Philosophie: Ein Kipp-bild«, S. 150-171, insbes. S. 151ff.

6 Ich danke Erik Porath für den Hinweis, dass die von mir in früheren Publikationen verwendete Rede von »technischen Verbreitungsmedien« missverständlich, weil funk-tional zu eng bestimmt ist. Der Vorschlag, stattdessen den komplexeren Terminus

»Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien« zu verwenden, geht auf ihn

zu-Bei den genannten zu-Beispielen handelt es sich jeweils um offene Reihen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. So kommen neben den Anschauungsfor-men von Raum und Zeit im Bereich der Wahrnehmungsmedien insbesonde-re die Sinnesorgane mit ins Spiel. Entspinsbesonde-rechend sind zu den Verbinsbesonde-reitungs-, Verarbeitungs- und/oder Speichermedien die Artikulationsorgane, das Ge-hirn, aber auch der Körper, das Licht und der Schall sowie Stein, Papyrus, Maske, Fotografie, Funk, Telefon oder Video zu rechnen. Und die Kommu-nikationsmedien umfassen neben den exemplarisch genannten auch die Zei-chensysteme der Geräusche, der Gerüche, der Geschmäcke, der Berührungen sowie Gestik, Mimik, Tanz oder Theater bzw. das mathematische System der Zahlen.

Während Mediendefinitionen im klassischen Stil im Regelfall eine der drei Mediensorten als Definiensbereich auszeichnen, von dem her die anderen Bereiche medientheoretisch bestimmt oder exkludiert werden, legt eine ge-brauchstheoretisch ausgerichtete Untersuchung den Schwerpunkt auf die dy-namischen Interferenzen, die zwischen Wahrnehmungs-, Kommunikations-und Verbreitungsmedien bestehen. Deren Berücksichtigung charakterisiert eine dezidiert transdisziplinäre Konzeption medienwissenschaftlicher For-schung. In ihrem Zentrum steht die intermedialitätstheoretische Frage, wie Veränderungen im Bereich der Verbreitungs-, Verarbeitungs- und/oder Spei-chermedien zu Transformationen von Nutzungsgewohnheiten im Bereich der Kommunikationsmedien führen und wie diese wiederum zu einer Reorga-nisation unserer Wahrnehmungsmedien und damit verbunden der aisthe-tischen und epistemologischen Grundlagen unseres kulturellen Selbst- und Weltverständnisses beitragen können.7

Zusätzlich und querlaufend zur Binnendifferenzierung des Medienbe-griffs in Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Verbreitungsmedien ist es aus gebrauchstheoretischer Sicht hilfreich, zwischen pragmatischen und theoretischen Verwendungsweisen des Medienbegriffs zu unterscheiden.

Diese Differenz ist dem Wort Medium bereits etymologisch eingeschrieben.8 Während das lateinische »medius« noch primär das in einem räumlichen

rück. Wenn im Folgenden gleichwohl an einzelnen Stellen von »Verbreitungsmedien«

die Rede ist, ist das als pars pro toto zu verstehen.

7 Zur systematischen Durchführung dieses intermedialitätstheoretischen Forschungs-programms vgl.Systematische Medienphilosophie, hrsg. von Mike Sandbothe und Ludwig Nagl, Berlin 2004.

8 Vgl. Stefan Hoffmann,Geschichte des Medienbegriffs, Hamburg 2002, insbes. S. 24-28.

Sinn »in der Mitte Befindliche«, »Dazwischenliegende« bezeichnet, entwi-ckelt das seit dem 17. Jahrhundert in der deutschen Sprache nachweisbare Fremdwort im 18. Jahrhundert zwei unterschiedliche Bedeutungsfelder.

Innerhalb des ersten, eher pragmatisch auszubuchstabierenden Bedeu-tungsfelds fungiert »Medium« als Wort zur Bezeichnung für »das, was zur Erreichung eines Zweckes dient«, d. h. »Medium« wird hier (ausgehend von naturwissenschaftlichen Verwendungsweisen) im Sinn von »Mittel«, »Hilfs-mittel« und »Werkzeug« gebraucht. Innerhalb des zweiten, eher theoretisch auszubuchstabierenden Bedeutungsfelds, das sich aus dem ersten ableitet und dann verselbständigt, bezeichnet »Medium« »das zwischen zwei Dingen Vermittelnde«, d. h. »Medium« wird im Sinn von »Mitte«, »Mittler«, »Mit-telglied«, und »vermittelndes Element« verwendet (Wahrnehmungstheorie, Spiritismus, Mesmerismus).9 Diese Doppeldeutigkeit spiegelt sich bis in die sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts etablierende Bedeutung von

»Medien« und »Massenmedien« als (pragmatisch verstandene) »Kommuni-kationsmittel« bzw. als (theoretisch verstandene) »Informationsvermittler, Information vermittelnde Einrichtungen«.10

Gebrauchstheoretisch ergibt sich aus dieser doppelten Begriffsgeschichte der Vorschlag, die medienwissenschaftlichen Verwendungsweisen des Wor-tes Medium nicht auf den semantischen Vermittlungsaspekt zu reduzieren, sondern darüber hinaus den Werkzeugcharakter von Medien ernst zu neh-men. Das ist in der einschlägigen Forschung keinesfalls selbstverständlich.

Tendieren doch nach wie vor viele Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissen-schaftler dazu, Medien allein durch ihre semantische Vermittlungsfunktion zu bestimmen. Diese wird dann entweder mit Blick auf die bedeutungsver-mittelnden Kommunikatoren, den durch Bedeutung vermittelten Gegenstand oder den als Bedeutung vermittelten Gehalt spezifiziert.

Die einseitige Konzentration auf semantische Probleme führt dazu, dass die Frage in den Hintergrund tritt, welchemZweckdie Bedeutungsvermitt-lung dient. Um dieses Defizit zu beheben, wird BedeutungsvermittBedeutungsvermitt-lung im Rahmen des gebrauchstheoretischen Medienbegriffs als eine Funktion von 9 Hoffmann beschreibt diesen Übergang als eine »Prototypenverschiebung« (ebd., S. 28). Vgl. hierzu auch Campe, auf den sich Hoffmann stützt (Joachim H. Campe, Wör-terbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Aus-drücke, Braunschweig 1813).

10 Vgl. hierzu die Artikel »Massenmedien« und »Medium« in: Broder Carstensen und Ul-rich Busse,Anglizismen-Wörterbuch. Der Einfluss des Englischen auf den deutschen Wort-schatz nach 1945, Berlin 1994, S. 884f. und S. 892f.

Handlungskoordination aufgefasst. Das heißt: Medien werden der Gattung der Werkzeuge zugeordnet und als Instrumente zur Veränderung von Wirk-lichkeit verstanden. Die spezifische Differenz zu anderen Arten von Werk-zeugen ergibt sich dabei durch den Sachverhalt, dass Medien im Unterschied zu anderen Werkzeugen nicht nur dazu dienen, Wirklichkeit zu verändern.

Ihre Aufgabe besteht darüber hinaus darin, wirklichkeitsveränderndes Han-deln intersubjektiv zu koordinieren. Eine gebrauchstheoretische Mediende-finition würde daher lauten: Medien sind Werkzeuge, die der Koordination zwischenmenschlichen Handelns dienen. Sie helfen uns dabei, die Vokabula-re zu optimieVokabula-ren oder neu zu erfinden, die wir zu Zwecken der privaten und öffentlichen Selbstbeschreibung verwenden.

Eine ausführliche theoretische Begründung dieser Definition ließe sich sicherlich nachliefern. Im vorliegenden Kontext erscheint mir jedoch die na-he liegende Intuition ausreicna-hend, dass der gebrauchstna-heoretiscna-he Medien-begriff, würde er sich inner- und außerakademisch weiter durchsetzen, zur Optimierung der demokratischen Kultur sich globalisierender Mediengesell-schaften einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Ich werde darauf im dritten Teil meiner Ausführungen zurückkommen. Zuvor aber möchte ich auf den historischen Zusammenhang eingehen, der zwischen Medien und Kommu-nikation besteht.

Im Dokument Achtsamkeit - Bildung - Medien (Seite 82-85)