• Keine Ergebnisse gefunden

G RAD DER DIREKT - DEMOKRATISCHEN B ÜRGERBETEILIGUNG

5. I NDIKATOREN DER NEUEN K OMMUNALVERFASSUNGEN

5.4. G RAD DER DIREKT - DEMOKRATISCHEN B ÜRGERBETEILIGUNG

„Es handelt sich bei direkter Demokratie um eine Form der Willensbildung und Ent-scheidungsfindung, bei der die Entscheidungsbetroffenen unter Umgehung von Rep-räsentanten Sachentscheidungen treffen.“ (Paust 2000: 30) Entgegen der direkten Demokratie ist unter direkt-demokratischer Bürgerbeteiligung jedoch zu verstehen, dass der Bürger Einfluss auf Sachentscheidung nehmen kann; eine Entscheidung anstelle des gewählten Gremiums ist zwar mächtigster Teil direkt-demokratischer Bürgerbeteiligung jedoch nicht alleiniger, wie die nachfolgenden Indikatoren zeigen.

5.4.1. Unterschriftenhürde für Einwohner- bzw. Bürgerantrag (D8)

Mit einem Bürger- bzw. Einwohnerantrag kann der Bürger den Gemeinderat dazu zwingen, sich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen zu müssen. Die Entscheidung über diese Angelegenheit obliegt jedoch weiterhin dem Gemeinderat, nicht dem Bürger. Dennoch kann der Bürger hiermit die wichtige Funktion des Agen-da-settings an sich ziehen, non-decisions vermeiden und sich dadurch am Verfahren selbst beteiligen.

Die Kommunalverfassung in HE kennt die Form der Bürgerbeteiligung durch einen Einwohner- bzw. Bürgerantrag nicht; sie ist im Rahmen der direkt-demokratischen Bürgerbeteiligung genauso schlecht einzustufen wie jene in BW, da dort das Quorum bei 30% enorm hoch liegt. Die Grenze zwischen hoher und mittlerer Bürgerbeteili-gung liegt bei einem Unterschriftenquorum von 5%, wobei sich eine Staffelung nach Gemeindegröße oder die Einbeziehung von Jugendlichen hierauf positiv auswirkt.

SN, mit einem Quorum von 5%-10%, und TH, mit einem Quorum von 4%-8%, errei-chen somit einen mittleren Bürgerbeteiligungsgrad, während die anderen Bundes-länder ein Quorum von jeweils unter 5% aufweisen und die Beteiligung von Jugendlichen ab 14 bzw. 16 Jahren zulassen. Vorreiter ist BY, das seinen Einwoh-nern die Stellung eines Einwohnerantrages mit nur 1%-igen Quorum leicht macht.

5.4.2. Unterschriftenhürde für Bürgerbegehren (D9)

Wichtigster Faktor ein Bürgerbegehren auch zur Abstimmung zu bringen, ist die benötigte Anzahl an Unterschriften. Hier wirkt sich, wie auch beim Einwohnerantrag, eine Staffelung nach der Einwohnergröße der Gemeinde positiv auf eine erfolgreiche Durchführbarkeit aus. Generell gilt jedoch die einfache Regel: je niedriger das Quo-rum, desto größer die Möglichkeit der Bürgerbeteiligung.

In BB, HE, NI, dem SL, SH und TH ist es relativ schwer, ein Bürgerbegehren zu initiieren, da die Quoren jeweils 10% oder mehr betragen. BW und MV haben das 10% Quorum als Obergrenze, durch eine Staffelung der Quoren nach Einwohner-größe, ist es hier jedoch einfacher auch in größeren Städten und Gemeinden die Unterschriftenhürde für ein Bürgerbegehren zu überwinden. Gleiches gilt für RP, SN und ST, die durch eine Staffelung Quoren von 5%-15% erreichen. Beste Chancen für ein erfolgreiches Bürgerbegehren bieten sich in BY und NW; dort reicht ein Quorum von 2% bzw. 3% bis zur Obergrenze von 10% aus.

5.4.3. Quorum eines Bürgerentscheids (D10)

In der Schweiz, dem Vorzeigeland der direkten Demokratie, reicht – völlig unabhän-gig von der Abstimmungsbeteiligung – die einfache Mehrheit zu einem erfolgreichen Bürgerentscheid aus39. Demgegenüber ist in Deutschland nicht nur ein Unterschrif-tenquorum zur Zulassung eines Bürgerbegehrens notwendig, darüber hinaus muss bei der Abstimmung selbst ein gewisses Quorum40 erreicht werden. Geschieht dies nicht, ist der Bürgerentscheid – ganz egal, welche Mehrheiten er erzielt hat, – hinfäl-lig und die Entscheidungskompetenz fällt zurück an den Gemeinderat. Im Einklang mit den vorangegangenen Indikatoren zeigt sich auch in diesem Falle eine Begünsti-gung der tatsächlichen Entscheidungsbefugnis der Bürger durch niedrige Quoren.

Um die Kommunalverfassungen der Bundesländer zu unterscheiden, werden Quoren von 30% und darüber hinaus als für die Bürgerbeteiligung hinderlich eingestuft. Dies ist in BW, RP und dem SL der Fall. Liegen die Quoren, wie in BY, NW und SH jedoch bei 20% und darunter, wird von einer hohen Beteiligung der Bürger ausgegangen.

Alle anderen Länder41 setzen Quoren von 25% voraus und liegen damit im Mittelfeld.

5.4.4. Thematischer Anwendungsbereich von Bürgerbegehren (D11) Die Themenbereiche, die als Gegenstand eines Bürgerbegehrens zugelassen bzw.

ausgeschlossen sind, stellen ein Kernelement mit enormer Bedeutung für die Praxis

39 In Sonderfällen wie Verfassungsänderungen sind andere Mehrheiten („doppeltes Mehr“) nötig – diese sind jedoch in keiner Weise mit den Regelungen zu kommunalen Entscheidungen vergleichbar.

40 Mit Sinn und Unsinn, Vor- und Nachteilen von Beteiligungsquoren befassen sich u.a. Paust 2000:

127f. sowie Schaal / Habermann 1999: 334f..

41 TH weist auch beim Bürgerentscheid ein nach Einwohnern degressiv gestaffeltes Quorum von 20%-25% auf.

dar. Die Gemeindeordnungen werden gemäß des Ausmaßes der Einschränkungen (durch Positiv42- bzw. Negativkataloge43) bewertet (vgl. Rehmet / Weber 2003: 22).

„Mehr Demokratie e.V.“ bewertet den thematischen Anwendungsbereich für MV, RP, ST und TH als zu eng; BW, BB, NI, NW, das SL und SH finden sich im Mittelfeld wieder, während in BY, HE und SN fast alle Themen von Bürgerbegehren und -entscheiden aufgegriffen werden können.

5.4.5. Verfahrensfreundlichkeit von Bürgerbegehren (D12)

Auch die Verfahrensfreundlichkeit von Bürgerbegehren und -entscheiden orientiert sich an der Bewertung durch „Mehr Demokratie e.V.“ Hierin fließen Bewertungsele-mente wie z.B. Fristen, Möglichkeit der Briefwahl, die aufschiebende Wirkung eines Bürgerbegehrens – damit der Gemeinderat den Bürger nicht vor vollendete Tatsa-chen stellen kann –, die Möglichkeit eines Alternativvorschlags durch den Gemeinde-rat, sowie eine verpflichtende Abstimmungsbroschüre ein (vgl. Rehmet / Weber 2003: 21).

BW, BB, MV, NI, RP, das SL, ST und TH schneiden in dieser Bewertung der Verfah-rensfreundlichkeit schlecht ab. HE, NW, SN und SH bilden die Mitte, während BY als einziges Bundesland ein bürgerfreundliches Verfahren aufweist.

5.4.6. Beteiligung sachkundiger Bürger (D13)

Die wortwörtliche Bürgerbeteiligung ist eine weitere Form, den Bürger auf kommuna-ler Ebene zu beteiligen. Die Gemeindeordnungen sehen die Möglichkeit vor, dass

„sachkundige Bürger“ in Gremien beteiligt werden. Aus Legitimationsgründen können sachkundige Bürger im Gemeinderat lediglich beratend teilnehmen, in Ausschüssen muss diese Einschränkung nicht zwangsläufig bestehen. Obwohl die Beteiligung sachkundiger Bürger eher eine Form der Individual- und Elitenbeteiligung darstellt, ist sie sehr stark, da sie eine ähnliche bzw. gleich starke Stellung der Bürger im Ver-gleich zu den Gemeinderäten bedeutet. Für die Bewertung dieses Partizipationsin-strumentes ist es wichtig zwischen unterschiedlichen Umsetzungsmodi zu

42 Hier werden die zulässigen Themen aufgelistet, d.h. alle nicht aufgeführten Fragen sind unzulässig.

Da die Positivkataloge in der Regel nur wenige Themen vorsehen, werden sie für den Grad der Bür-gerbeteiligung mit 0 bewertet (Ausnahme: SH).

43 In anderen Ländern sind oft umfangreiche Negativkataloge (u.a. der zentrale Bereich “Bauleitpla-nung”) vorhanden. Je nach Ausmaß des Negativkatalogs wird haben wir die Noten “ungenügend” TH) bis “gut” (HE, BY, HH, SN) vergeben.

unterscheiden: So können Bürger grundsätzlich in beratende und beschließende Ausschüsse, mit oder ohne Stimmrecht vom Gemeinderat gewählt werden.

Im Großteil der Bundesländer (BY, BB, HE, NI, SL, SN, ST, TH) können sachkundige Bürger formell entweder gar nicht beteiligt werden oder sie genießen weder Stimm-recht in beratenden noch in beschließenden Ausschüssen. BW und MV räumen dem sachkundigen Bürger hingegen ein Stimmrecht in beratenden Ausschüssen, jedoch nicht in beschließenden ein. Bürgerfreundlich hingegen sind die Regelungen in NW44, RP und SH; dort haben beteiligte Bürger sowohl Stimmrecht in beratenden, als auch in beschließenden Ausschüssen. In SH kann ein Bürger sogar zum Aus-schussvorsitzenden gewählt werden.